Reise-Resümee
Seit fast zwei Wochen wieder zuhause, ziehe ich jetzt mein Reise-Resümee. Ein Erholungsurlaub war es diesmal nicht, zu schwierig war die Stehgreiforganisation, die wir nach Verweigerung des burmesischen Visums vornehmen mussten und zu anstrengend waren die damit verbundenen Aufenthalte in der Millionenstadt Kuala Lumpur. Dennoch – natürlich ist es angenehmer, die mit einer Reise verbundenen Anstrengungen zu erleben, als die Anstrengungen der Arbeitssituation.

Wie immer habe ich den Dschungel genossen – die Unberührtheit der Natur, die fremdartigen Geräusche und die in Freiheit lebenden Tiere. Ein Spaziergang bei Vollmond auf Dschungelwegen lässt wieder spüren, dass Natur heilsame Kräfte birgt. Genauso das Schnorcheln im tiefblauen chinesischen Meer, bei dem man im wahrsten Sinne des Wortes eintaucht in eine andere Zeit.

Und ich habe jetzt ganz hautnah erfahren, was ein sogenannter Tigerstaat ist – nichts, was sich grundlegend von einem westlichen Industriestaat unterscheidet! Wolkenkratzer, High Tech Produkte an jeder Straßenecke, Handy und Laptop als selbstverständliches Accessoire und jede Menge Verkehrsstaus. Asien ist angekommen in der Moderne. Aber dennoch möchte ich erwähnen, dass ich in der Millionenstadt Kuala Lumpur erhebliche weniger Bettler gesehen habe, als in meiner Heimatstadt Hamburg.

Der Kontakt zu anderen Reisenden – immer wieder ein hochinteressanter Austausch. Ein Australier, der schon vor zwanzig Jahren auf Perhentian war und vor rund dreißig Jahren in China und uns dies interessant beschreibt. Zwei Deutsche, die nahezu schon überall waren und von denen einer uns von seiner fünfzehn Jahre zurückliegenden Burmareise erzählt, so dass wir erfahren, was wir alles versäumt haben. Ein Austausch über die Eindrücke der seltsamen und manchmal befremdlichen Bestattungsrituale im Torajahochland auf Sulawesi. Außerdem ein junges holländisches Pärchen, dass sich auf Bali nach einem Tauchcrashkurs weder von 25 Meter Tiefe noch von Haien abschrecken ließ. Dank Digitalkamera und hatten wir Einblick in die abenteuerlichen Unterwasseraufnahmen.
Sicher, man kann sich mittlerweile auch die entferntesten Plätze im Fernsehen oder im Internet ansehen. Aber der direkte Austausch mit anderen haucht dem erst Leben ein. Und es bringt soviel Spaß, Eindrücke und Erlebnisse auszutauschen.

Und ich habe den riesigen Luxus eines quasi Privatflugs genossen. Ein Erkundungsflug über Borneo fast zum Nulltarif. Irgenwie war ich beim Einstieg in das Flugzeug genauso aufgeregt, wie vor vielen Jahren, als ich als kleines Kind das erste allererste Mal Karussel fahren durfte. Auf dem kleinen Film, den mein Freund machte, sehe ich irgenwie auch aus wie ein glückliches Kind.
Nicht zu vergessen auch die Reiselektüre - Sabriye Tenberken: "Mein Weg führt nach Tibet" - bei der man nur noch darüber staunen kann, was Mut alles zustande bringen kann. In Ermangelung von weiterer Lektüre habe ich meinen Burma-Reiseführer mehrmals gelesen. Und dabei erfahren, dass auch strenggläubige Buddhisten nicht immer friedlich sind und auch sie anderen Menschen Leid zufügen. Prinz Thibaw, der Nachfolger von König Mindon, hat bei dessen Tod im Jahr 1866 alle anderen Kinder seines Vaters - 80 Prinzen und Prinzessinen - hinrichten lassen. Prinz Thibaw hat vor seiner Krönung lange Jahre als Mönch gelebt!

Ein Tapetenwechsel tut immer gut, selbst wenn er anstrengend ist. Und so ein Ausflug in andere Welten ist unerlässlich, um nicht den Sinn für die Vielfalt des Lebens zu verlieren. Es ist eine Wohltat, zu erleben, dass es so viel mehr gibt, als nur die graue Bürowelt mit ihrer lächerlichen Hierarchie und Aufgeblasenheit. Eine Erinnerung daran, dass es auch noch Menschen gibt, die noch andere Theman als Geld & Prestige kennen.
Mein Reise-Resümee besteht darin, mich wieder daran zu erinnern, dass die Welt bunt ist. Und nicht nur grau. Eine bunte Welt der Vielfalt mit spannenden Orten und interessanten Menschen.
Und hier nochmal die vollständige Reiseroute:
Ankunft in Kuala Lumpur. Nach zwei Tagen (Hotel Sempurna) weiter mit dem Bus nach Kuala Terengganu (Ping Anchorage). Am nächsten Tag von dort weiter nach Kota Bharu und von dort mit dem Boot nach Perhentian. Nach vier Tagen wieder zurück und eine Nacht in Kota Bharu und dann wieder mit dem Bus nach Kuala Lumpur, dort eine Nacht. Am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Kota Kinabalu auf Borneo, dort eine Übernachtung. Vor dort nach Sandakan und danach direkt zum Jungel-Resort. Nach sieben Tagen zurück und drei Nächte in Kuala Lumpur im FirstInn.
The roaring seventies – RAF
Gestern habe ich mir im Fernsehen den „Baader-Meinhof-Komplex“ angesehen. Und danach konnte ich nicht anders, als noch stundenlang im Internet zu surfen um zu recherchieren. Von archivierten Interviews mit Peter Homann und Irmgard Möller zum Blog von Bettina Röhl, zur Homepage von Klaus Röhl bis zur Buchbesprechung von Alice Schwarzer. Mich hat der Film sehr aufgewühlt, denn er hat meine Erinnerungen an diese bewegte Zeit wieder geweckt.
Ich war ungefähr 10 Jahre alt, als die RAF – damals als „Baader-Meinhof-Bande“ bezeichnet – regelmäßig die Titelseiten der Bildzeitung zierte. Bei Nachfragen an die Erwachsenen wurde stereotyp die Antwort gegeben: „das sind Verbrecher, die wollen die Gesellschaft kaputt machen“, womit ich als Kind nicht viel anfangen konnte.
Als ich dann im Alter von 12/13 Jahren begann, mich für Politik zu interessieren, konnte ich immer noch nicht viel mehr mit der „Baader-Meinhof-Bande“ anfangen. Aber irgendwie erweckte es mein Interesse, dass die gesamte Erwachsenenwelt diese Menschen am liebsten an die Wand gestellt hätte. Schon als Kind war es mir immer verdächtig, wenn alle gemeinsam gegen etwas Front machen – mit anderen Worten, irgend etwas stimmte dann nicht. Schriftsteller, die ich gerade im Deutschunterricht kennen- und schätzen gelernt hatte, wie z.B. Heinrich Böll und Siegfried Lenz, schienen Verständnis für die RAF zu haben, was mir zu denken gab.
Im Politikunterricht sprachen wir dann über den im Hungerstreik verstorbenen Holger Meins. Zwangsernährung, der Ruf nach Todesstrafe und die Macht der Medien und Bölls Film „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ waren unsere Themen. Und ich wusste immer noch nicht, wie ich zu der RAF stehen sollte. Einerseits gaben sie meinem Gerechtigkeitssinn Ausdruck, andererseits machte mir die Gewalt Angst.
Als ich dann im Alter von 18 Jahren in die Oberstufe kam, fand gerade die Entführung der Landshut statt und Arbeitgeberpräsident Schleyer befand sich schon einige Wochen als Geisel in den Händen der RAF. Und dann kam irgendwann morgens im Radio die Meldung, dass die Landshut von der GSG 9 befreit worden war, Schleyer ermordet aufgefunden wurde und sich Baader, Ensslin und Raspe das Leben genommen hatten. Unser Soziologielehrer war davon tief betroffen, denn es handelte sich um Menschen, mit denen er zur gleichen Zeit studiert hatte und die genau wie er zur Studentenbewegung gehörten. Ich erinnere auch noch die Entrüstung einer Mitschülerin darüber, dass die Medien die Befreiung der Landshut feierten, obwohl doch drei Terroristen tot waren und es sich dabei doch um Menschen handelte. Es war ein Sakrileg, mit den Opfern zu fühlen.
Und das war mein Grundgefühl in Bezug auf die RAF: es gab nur schwarz oder weiß. Wer die RAF ablehnte, wurde unweigerlich ins Lager der Ultrarechten, der Bildzeitungsleser und der Kapitalismusfans eingeordnet. Dies hat jede wirkliche Auseinandersetzung vollkommen unmöglich gemacht.
Heute als Erwachsene kann ich mir erlauben, mich über diese erbärmliche Schwarz-Weiß-Malerei hinweg zu setzen. Und heute kann ich die RAF als das zu bezeichnen, was sie in meinen Augen immer schon war: ein riesengroßer Irrtum. Ein Irrtum, der allerdings nicht als Irrtum begann, sondern als mahnende Stimme. Als Stimme, die vor dem großen Vergessen der Tragödie des Dritten Reichs warnen wollte. Als Stimme, die gegen die Gleichgültigkeit des großen Mordens in Vietnam mahnte. Als Stimme, die auf all diejenigen hinweisen wollte, die in unserer Gesellschaft Ungerechtigkeit erfahren.
Warum ist aus einer mahnenden Stimme ein Irrtum geworden? Warum sind letztendlich die Unterschiede zwischen denen, die bekämpft wurden und denen, die kämpften, bis zu Unkenntlichkeit verwischt? Der Grund liegt darin, dass Menschen ihre ganz persönliche Tragödie zur politischen Tragödie gemacht haben. Weil ausgeblendet wurde, dass Veränderung nicht nur im Rahmen der großen Ideen und der Weltpolitik erfolgen kann. Sich im alltäglichen Miteinander gewalttätig und menschenverachtend verhalten und gleichzeitig eine humanere Welt anzustreben – das hat noch nie funktioniert und wird auch nie funktionieren. Das Private völlig ausblenden, um sich heroisch den höheren Idealen zu opfern, das blendet auch die eigenen Unzulänglichkeiten aus und oftmals steckt dadurch hinter einem heroischen politischen Akt in Wahrheit nichts anderes als ein höchst persönlicher Rachefeldzug. Gegen die Eltern, gegen schmerzhafte menschliche Beziehungen und gegen die Ohnmacht, sein Leben den eigenen Wünschen entsprechend so zu gestalten, dass Glück möglich ist.
So wie es einen Rückzug ins Private gibt, so gibt es auch einen Rückzug ins Politische. Wenn man unter den Beziehungen in seinem unmittelbaren Umfeld leidet und keinen Einfluss darauf nehmen kann, sucht man die Lösung im weiter Entfernten und im Abstrakten. Und Ulrike Meinhof ist hierfür ein typisches Beispiel. Verheiratet mit einem Mann, der ihre Tochter und Stieftochter sexuell missbrauchte und in dessen Zeitschrift „konkret“ oder „das da“ die Artikel von Männern geschrieben wurden und Frauen nur in erbärmlicher Weise in Form von Pornos auftauchten. Es ging den Herrn Journalisten um die großen Menschenrechte und um die große Gleichheit - allerdings nie die der Frauen – denen wurde in diesen Zeitschriften die gleiche Rolle wie schon seit Jahrtausenden zugewiesen, die sich darauf beschränkte, Männern zu gefallen und ihnen zur Verfügung zu stehen.
Wie konnte eine sensible und hochintelligente Frau wie Ulrike Meinhof mit so einem Menschen zusammen leben? Mit einem Menschen, der andere auf ihren Nutzwert begrenzt. Mit einem Menschen, der Jahre später vom überzeugten Kommunist zur FDP wechselte. Für den es kein Problem war, für die BILD-Zeitung zu arbeiten, obwohl er diese Jahre zuvor massiv bekämpfte. Und wieso war es möglich, dass sich eine Frau wie Ulrike Meinhof in eine Dumpfbacke wie Andreas Baader verliebte, der schon mal gern die Frauen um sich herum als Fotzen bezeichnete? Der schon immer eine Faible für Gewalt hatte und für den die RAF daher wie gerufen kam.
„Auch das Private ist politisch“ – diese Erkenntnis wurde erst Jahre später entwickelt. Zu Zeiten der RAF galt das Private einfach nur als nicht existent. Sowohl Gudrun Ensslin als auch Ulrike Meinhof und Andreas Baader haben ihre Kinder verlassen und von anderen aufziehen lassen. Warum auch nicht? Diese banalen kleinbürgerlichen Verpflichtungen müssen zurückstecken, wenn es um das große Ganze geht. Das war ja auch der immer wiederkehrende Streitpunkt in den ideologischen Diskussionen. Wenn es tatsächlich dazu kam, dass jemand moralische Skrupel hatte, dann wurde dies mit aller Härte bekämpft, denn moralische Skrupel waren ein Indiz dafür, dass jemand noch zu sehr im Persönlichen verhaftet war und noch nicht reif war für die völlige Hingabe an das große ideologische Ziel.
Das große revolutionäre Ziel für eine bessere Welt wurden von Menschen angestrebt, die in ihren persönlichen Beziehungen gescheitert waren. Wer nicht in der Lage ist, den einzelnen Menschen respektvoll und menschlich zu behandeln, der sollte die Finger davon lassen, etwas für die Menschheit tun zu wollen. Für mehr Humanität kann man nicht mit Inhumanität kämpfen. Und gefährlich ist auch die Illusion des Auserwähltseins, in die die RAF verfiel. Den Kampf, den die RAF geführt hat, hat sie nur für sich selbst geführt und für sonst niemanden. Niemand wollte die Bombenanschläge. Niemand wollte die Morde. Die Idee vom Auserwähltsein für den Kampf gegen das Böse endete in einer Sackgasse.
behrens am 04. Oktober 10
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Der-mit-dem-Strom-schwimmt
Der-mit-dem-Strom-schwimmt gibt nie einen eigenen Weg vor, sondern nimmt jede Richtung an.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt richtet auf diese Weise manchmal Überflutungen an, bricht Deiche, zerstört Menschenleben und bringt viel Unheil.
Manchmal mündet er auch in eine übelriechende Kloakte. Und manchmal führt er sogar Leichen mit sich.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt, nimmt jeden mit. Ob Passagierschiff, Kriegsflotte, Piratenschiff oder Menschenhändler – er ist wahllos, es kümmert ihn nicht.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt läßt auch Menschen ertrinken. Und so heftig manche auch zappeln und schreien - Der-mit-dem-Strom-schwimmt übersieht und überhört es.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt läßt sich wohlig von den Wellen tragen und ihm ist es gleich, was der Strom anderen zufügt.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt hat noch nie für irgend etwas die Verantwortung getragen. "Der Strom war's und ich nicht" ist seine Antwort, wenn er Unheil angerichtet hat. "Und der Strom kann niemals irren!"
Der-mit-dem-Strom-schwimmt taucht ab, wenn es um Verantwortung geht. Taucht tief ins dunkle Wasser und ward nicht mehr gesehen. Wenn die Gefahr vorbei ist, taucht Der-mit-dem-Strom-schwimmt wieder auf. Und schwimmt munter weiter im Schutze des großen Stroms.
Und manchmal ist der Strom gar kein wasserführender Fluss. Manchmal ist es auch einfach nur ein Mensch. Und dann geht es nicht um Überflutung oder um brechende Deiche. Dann geht es um zutiefst verachtenswerte Behandlung anderer Menschen. Um Ausnutzung und Bevormundung. Aber auch das stört Der-mit-dem-Strom-schwimmt nicht. Er lügt sich seine Verantwortung weit auf den Meeresboden und lässt sich bequem im Fahrwasser treiben.
Der-mit-dem-Strom-schwimmt hat es gern einfach. Und deswegen wird er nie aufhören mit dem Strom zu schwimmen. Und deswegen bleibt alles, wie es schon immer war. Und genauso, wie es immer Strömungen geben wird, die Unheil bringen, genauso werden in diesen Strömungen immer Menschen mitschwimmen. Und es wird immer so sein, dass sich diese Menschen um ihre Selbstachtung belügen.