Eben gerade habe ich den Film Cabaret angesehen. Ich habe überhaupt kein Faible für Musicals, aber dieser Film stellt eine große Ausnahme dar. Es gibt viele Szenen, bei denen ich immer noch eine Gänsehaut bekomme. Zum Beispiel die grandiose Szene im Biergarten, als das Lied „Der morgige Tag ist mein“ gesungen wird. Leise lächelnd von einem einzelnen Hitlerjungen begonnen und endend in ohrenbetäubendem Gebrüll, in das fast jeder der Gäste fanatisch einstimmt. Besser hätte man den Beginn der großen Tragödie nicht darstellen können.
In den 70er Jahren gab es Programmkinos, in denen das Kriterium für einen Film nicht dadurch bestimmt wurde, dass er neu war, sondern dass er gut war. Mit anderen Worten – man konnte gute Filme auch immer wieder sehen. Cabaret lief weit über ein Jahr (!) in der Kurbel. Ein Schulfreund von mir hat sich zu der Zeit als Kartenabreißer Geld verdient und auf diese Weise den Film Cabaret unzählige Male gesehen und wir haben uns oft über die einzelnen Szenen unterhalten.
Dann natürlich auch Aufführung des Liedes „Money“, in der Liza Minelli und Joel Grey die Lust am Geld auf grandiose Art darstellen und am Ende unter wehenden Geldnoten tanzen. Eine Neuauflage des biblischen Tanzes um das goldene Kalb.
Auf zynische und boshafte Art wird das Problem von „Mischehen dargestellt“. Joel Grey steckt einer Gorilladame einen Ring an als Parabel auf die Entscheidung eines (vermeintlichen) Christen, eine Jüdin zu heiraten.
Die Weimarer Republik kurz vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Dekadent, spöttisch und respektlos wurde jede politische Facette Weimars auf der Bühne ins Groteske verkehrt. So als wären nochmals alle Register der künstlerischen Freiheit gezogen worden, weil schon eine leise Ahnung von dem drohenden Übel und dem baldigen Ende der Freiheit bestand.
Uta Ranke-Heinemann sagte mal, wenn sie überhaupt noch Unterschiede zwischen den Menschen mache, dann allenfalls nur noch zwischen Rauchern und Nichtrauchern. Ich bin darin noch nicht so weit, sondern sehe noch immer eine Menge Unterschiede zwischen den Menschen. Einer der für mich ganz bedeutsamen Unterschiede ist der der Sehnsucht nach Veränderung. Sowohl nach Veränderung von sich selbst als auch nach Veränderung der Lebensbedingungen.
Und ich sehe immer wieder, dass es keinen größeren Unterschied gibt als den zwischen Stillstand und Entwicklung. Das Leben als etwas Werdendes begreifen, als etwas, das nicht stillstehen darf. Ein Prozess der Reifung. Egal wie schwer dies erscheint und wie viele Rückschläge es gibt – trotz allem immer wieder den Versuch zu machen, etwas zu ändern. Dies ist nicht gleichzusetzen mit einer Negation der Gegenwart, vielmehr ist es ein Begreifen der Gegenwart als Aufgabe.
Dem Sich-Entwickeln sind Grenzen gesetzt, die es zu akzeptieren gilt. Aber innerhalb dieser Grenzen muss sich etwas bewegen. Und ich merke immer wieder, wie gut es tut, in Gegenwart von Menschen zu sein, für die ebenfalls das Werden wichtig ist. Sicher, man kann sich auch allein weiter entwickeln, aber das ist ungleich schwerer als in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.
Ich hatte mir in der vergangenen Wochen endlich mal wieder Zeit genommen für ein mehrtägiges Seminar. Und es tat mir gut, Menschen um mich herum zu haben, die auch auf der Suche sind nach Weiterentwicklung. Einige bezeichnen sich als „auf dem Weg“. Und so empfinde ich es auch. Sich bewegen auf ein Ziel hin. Sich nicht abfinden mit allem und jeden. Dabei können andere Menschen Anstöße und Hilfestellung geben. Sie können aber leider auch das Gegenteil bewirken und wie Bremsklötze wirken.
Diese Menschen, die nur nach materieller Veränderung gieren. Oder allenfalls noch nach Änderung ihres Körpergewichts. Die sich selbst in satter Zufriedenheit auf die Schulter klopfen und dabei oftmals ein Kreuz für ihre Mitmenschen sind. Die nicht nur selbst stillstehen sondern auch alles um sich herum zum Stillstand bringen. Die mit 15 genauso sind wie mit 40 und mit 40 genauso wie mit 70. Nichts tut sich, nichts bewegt sich.
Ich habe in dem Seminar erwähnt, dass es mir vorkommt wie die Metapher von den 7 fetten und den 7 mageren Jahren – wobei die Reihenfolge bei mir umgekehrt ist. Es scheint mir, als wären jetzt schon einige Jahre ins Land gegangen, in denen es an allem fehlt. Aber seit kurzem habe ich das Gefühl, dies ändert sich jetzt langsam. Ganz langsam tauchen Lichtblicke auf. Menschen, denen Solidarität genauso wichtig ist wie mir und denen Ducken zuwider ist. Menschen, die Spaß am Nach-Denken haben und die andere nicht ersticken mit ihren dumpfen Platituden.
All diese Menschen haben eins gemeinsam: sie entwickeln sich weiter. Manche langsam, manche schneller, manche mit zeitweiligen großen Rückschritten, manche mit langen Pausen – aber es gibt eine Bewegung. Und das ist das, was diese Menschen wertvoll macht. Genauso wie Menschen durch ihren Stillstand auch das Wachstum anderer hemmen können, können Menschen durch ihr eigenes Wachstum auch die Entwicklung anderer fördern.
Eigentlich ist er es nicht wert, ihm größere Aufmerksamkeit zu widmen. Aber als gesellschaftliches Phänomen wiederum lohnt sich das nähere Hingucken. Vor allem 78er wie mich verwundert es, dass jemand mit Texten Erfolg hat, die 30 Jahre zuvor unweigerlich das Werfen von faulen Eiern und Tomaten provoziert hätten. Weil die Texte so revolutionär sind? Eben gerade nicht, sondern weil die Texte eine Moral widerspiegeln, die an Verklemmtheit und Borniertheit nicht mehr zu überbieten ist.
Bushido läd uns ein auf eine Zeitreise und nimmt uns mit in eine Zeit, in der Frauen noch „anständig“ zu sein hatten und Homosexualität mit krimineller Veranlagung gleichgesetzt wurde. Und in der der Mann noch ein ganzer Kerl war und verächtlich auf weibische Gefühlsduselei herabsah. Ein Mann der einfachen Worte eben.
Darauf angesprochen, warum er in seinen Liedern Frauen als Schlampen und Nutten bezeichnet, hat Bushido eine denkwürdige Antwortt: „Es seien ja nicht alle Frauen Schlampen, aber einige eben doch. Wie soll man denn eine Frau bezeichnen, die völlig nackt backstage auftaucht?“ Nun ja, das Phänomen der Groupies gab es spätestens seit den Zeiten des Rock 'n Roll. Und es gab auch immer wieder mal Lieder in denen dies besungen wurde, wie z.B. in „Star fucker“ von den Rolling Stones. Aber während die Rockstars von früher dies einfach nur genossen und allenfalls stolz damit prahlten, löst das Phänomen Groupie bei Bushido höchste moralische Entrüstung aus. Eine Frau, die einfach sexuell aktiv wird und sagt, dass sie mit einem Mann schlafen will? Nicht mit Bushido! Oder vielleicht doch, aber dann nur, wenn hinterher kräftig die moralische Entrüstung vertont wird. Das ist man schließlich der Moral schuldig, oder?
Auf die Reaktion seiner Mutter auf seine Musik angesprochen, sagt Bushido, dass die keine Probleme mit seinen Texten hat. Überhaupt war die Mama immer mit allem einverstanden, was Bushido gemacht hat. Als er vorzeitig vom Gymnasium abging und sich Geld mit dem Handel von Drogen verdienen wollte, hat Mama ihm sogar Geld dafür geliehen. Seine Mutter wäre nun mal niemand, die ihrem Sohn vorschreibt, dass er sich an Gesetze und gesellschaftliche Regeln halten müsse. Das wäre in seiner Familie nun mal nicht so üblich.
Ja, die Mama. Lebenslang Sohnemanns Nummer eins. Was kümmert es Mama, wenn Sohnemann andere Frauen als Schlampen und Nutten bezeichnet, solange er Mama in Ehren hält? Im Gegenteil, dies hebt doch den eigenen Wert erst so richtig. Und was kümmert es Mama, wenn Sohnemann an der Drogensucht anderer Geld verdient? Was gehen Mama die anderen an, sie ist schließlich in erster Linie Mutter und nur Sohnemanns Wohl hat für sie wichtig zu sein und sonst gar nichts.
Bei einer Talkshow mit Bushido wurde kurz ein Foto seiner Mutter eingeblendet. Eine durch und durch bieder wirkende adrette ältere Dame, die freundlich in die Kamera lächelt und aussieht wie die Vorsitzende eines Hausfrauenverbandes. Eine Frau, die stolz auf den Erfolg ihres Sohnes ist und gar nicht versteht, warum es Menschen gibt, die ihrem Jungen seine Texte übel nehmen.
Bushidos Welt ist einfach und übersichtlich. Auf der einen Seite die Schlampen und Nutten und auf der anderen Seite: Mama! Solange Mama die Größte ist, ist die Welt noch in Ordnung. Ein gegenseitiges Agreement, von dem beide profitieren. Und das die Welt so schön überschaubar und einfach macht. Der ewige Sohn erhält den mütterlichen Segen auf Lebenszeit und Mama erhält dafür im Gegenzug den Platz der ewigen Nummer eins. Ödipus auf Lebenszeit. Schade nur, dass dies vertont werden muss.