Solidarität – ein aus der Mode gekommener Begriff
In den 70ern sang Rio Reiser „Alles, was uns fehlt, ist die Solidarität“. Wenn man heute das Wort Solidarität benützt, fühlen sich die meisten peinlich gerührt, so als würde man etwas völlig Abwegiges und Überkommenes erwähnen. Woher mag das kommen? Ist heute alles so ideal und gerecht, dass man getrost auf Solidarität verzichten kann? Gehört es zum Erwachsensein, dass man derlei Dinge hinter sich lässt?
Solidarität hat gleich mehrere Gegenpole. Die aktiven Gegenpole sind Konkurrenz und Opportunismus. Die passiven Gegenpole sind Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und Feigheit. Im Arbeitsalltag, in dem man weiterkommen und Karriere machen möchte, ist Solidarität dabei das denkbar Ungeeigneteste. Schließlich will man andere übertrumpfen oder ihnen etwas vor der Nase wegschnappen. Wenn es einmal nicht um das Übertrumpfen geht und jeder sein abgestecktes Revier hat, dann ist es nicht das Konkurrenzdenken, sondern die schnöde Gleichgültigkeit oder Feigheit und Bequemlichkeit, die Solidarität zunichte machen. Man reibt sich doch auch so schon genug auf, wozu da noch unnötig Energie mit Solidarität verschwenden? Schließlich ist sich jeder selbst der Nächste.
Ich weigere mich, die Erklärung allein im Egoismus zu sehen. Egoistisch waren die Menschen zu jeder Zeit und überall und nicht erst heutzutage. Ich glaube, es ist vielmehr die Denkfaulheit, die jede Solidarität zunichte macht. Das Fehlen jeglicher übergeordneter Ziele, die man eben nicht allein sondern nur gemeinsam erreichen kann. Für das individuelle Ziel, viel zu verdienen oder eine angenehme berufliche Position zu haben, muss man seinen Kopf nicht großartig anstrengen. Für übergeordnete Ziele schon – denn hierfür braucht man Hintergrundwissen und Abstraktionsvermögen. Hier muss man um Ecken denken und das funktioniert schlecht mit einem Brett vorm Kopf.
Rio Reisers „Alles, was uns fehlt, ist die Solidarität“ ist ein Anachronismus, der zu einer Zeit gehört, die unwiderruflich vorbei ist. Heute fehlt niemandem die Solidarität. Im Gegenteil – sie wird als lästige Anforderung und unnötige Anstrengung angesehen. Und belächelt als eine Eigenschaft, die man sich allenfalls in der Pubertät leistet aber nicht als Erwachsener.
Mir hat einmal ein früherer Kollege gesagt, ich sei in den 70er Jahren stehen geblieben – Recht hat er!!
Die Joschkas & Co
Joschka Fischer, der früher auf Anti-Atomkraft-Demos als Ausdruck seiner Überzeugung auf Polizisten einschlug, hat heute keine Probleme damit, als Berater zu arbeiten für Siemens und RWE – beides Unternehmen, die AKWs bauen. Ein lapidares „Ich schäme mich nicht“ ist seine Stellungnahme – eine der wenigen Aussagen, die ich ihm abnehme. Ich allerdings schäme mich für Menschen wie Joschka Fischer. Weil die die Ansicht unserer Eltern bestätigen, in deren Augen die Protestbewegung nichts anderes als eine jugendliche Marotte war, die irgendwann der Vernunft weicht.
Jutta Ditfurth (zur Erinnerung: früher bei den Fundi-Grünen) hat einmal treffend gesagt, dass sie Leuten wie Joschka Fischer ihre Überzeugung schon damals nicht abgenommen hat. Ich übrigens auch nicht, obwohl ich zur Anti-AKW-Zeit noch ziemlich jung war und noch nicht allzu viel Ahnung vom Geschehen hatte. Wenn ich damals auf Demos ging und dabei die – meist männlichen – Demonstranten beim Steinewerfen sah, war mir klar, dass es denen um etwas anderes als um das jeweilige Demo-Motto ging. Und wenn ich die Reden der – meist aus sehr wohlhabenden Familien stammenden – linken Theoretiker über ihre Solidarität mit der Arbeiterklasse hörte, war mir ebenfalls klar, dass es denen um etwas ganz anderes ging – nämlich einfach nur um die Rebellion gegen die Welt ihrer Väter. Sobald nämlich die Ausbildung abgeschlossen war, wurde in Papas Fußstapfen getreten – der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Selbst der unerträgliche Dieter Bohlen hat in Jugendzeiten einmal eine rote Fahne auf Papas Einfamilienhaus gehisst, bevor er dann endlich vernünftig und erwachsen wurde und anfing, Geld zu verdienen.
Zu Beginn seiner Parlamentszeit hat Joschka Fischer anlässlich der Menschenrechtsverletzungen in China noch von Boykott gesprochen und dabei die Aussage gemacht „Wenn dies Arbeitsplätze kostet, dann kostet es eben Arbeitsplätze“ – etwas, was bei mir tiefen Respekt hervorrief. Heute würde Joschka Fischer so ein Faux pas nicht mehr passieren.
Ich wurde an Joschka Fischer erinnert, als mir jemand, den ich seit über 35 Jahren nicht mehr gesehen habe, über Stayfriends eine mail schickte. Jemand, der mich damals, als er mich das erste Mal sah, sofort fragte, ob ich denn in einer Partei sei. Meiner erstaunten Antwort, dass man mit 13 Jahren doch noch gar nicht in einer Partei sein könne, antwortete er nur vorwurfsvoll „SDAJ“, was mir sofort ein schlechtes Gewissen bereitete, weil ich mir entsetzlich unpolitisch und dämlich vorkam. Ich war jetzt ein bisschen erstaunt, als er mir mailte, dass er jetzt in New York bei einem Managermagazin arbeiten würde. Meine Frage, ob er denn noch irgendwas mit der SDAJ zu tun habe, beantwortete er erst nach nochmaligem Nachfragen mit Nein, was mir ja auch klar war - "Aber er wäre noch ganz der Alte“.
Managermagazine handeln von Geldanlagen, Führungsseminaren, Luxusartikeln und pseudowissenschaftlichen Statements. Und sind geschrieben für genau diejenigen, die unsere Welt in den erbärmlichen Zustand gebracht haben, in dem sie sich jetzt und für alle Zukunft befindet. Kann man wirklich noch "Ganz der Alte" sein, wenn man jetzt solche Magazine mitgestaltet und früher in der SDAJ mitgearbeitet hat?
Aber vielleicht steckt eine tiefere Wahrheit in dem „Ich bin immer noch der Alte“. Denn schon damals ging es in Wahrheit gar nicht um ehrliche Überzeugungen. Im Grunde genommen sind die Joschkas & Co konsequenter als irgend jemand anderes – konsequent darin, ihr Fähnchen immer instinktiv nach dem günstigsten Wind zu hängen. Einmal ein falscher Fuffziger – immer ein falscher Fuffziger!
Lichtblicke
Vor einiger Zeit habe ich auf einem anderen Blog einen Beitrag gelesen, in dem Frage gestellt wurde, wann man sich denn eigentlich das letzte Mal so richtig gefreut hat.
Das ist bei mir schon Urzeiten her. Aber Freitag passierte allerdings etwas, was mir das gute alte Gefühl des Freuens wird ins Gedächtnis rief. Ich war abends auf dem Weg von meinem Büro zum Bus, als ich einen Menschenauflauf sah. Als ich näher kam, sah ich, wie zwei Männer sich lauthals stritten und kurz vor einer Prügelei standen. Dies ist eine Situation, vor der ich mich immer sehr fürchte, denn ich frage mich immer, ob ich den Mut hätte, einzugreifen. Bei den Männern handelte es sich um einen jüngeren und einen älteren, beide waren anscheinend sehr alkoholisiert und eine – ebenfalls alkoholisierte – Frau versuchte, die beiden auseinander zu halten. Als der jüngere den älteren ohrfeigte, überwandt ich mein Angst und griff ein. Und wider Erwarten hatte dies tatsächlich Erfolg, denn der Schläger zog von dannen.
Worüber ich mich freue? Darüber, dass ich mich nicht von meiner Angst habe einschüchtern lassen. Ich hätte sicher nicht eingegriffen, wenn zwei Zuhälter mit Messern aufeinander losgegangen wären. Aber dennoch bin ich froh mich getraut zu haben, denn wenn ich nichts gemacht hätte, wäre mir mit Sicherheit das halbe Wochenende verdorben gewesen.
Und während ich dann mit dem lange vermissten Gefühl des Freuens nach Hause fuhr, fielen mir dann auch noch mehr Dinge ein, über die ich mich gefreut hatte. Emails, in denen es intensiven Austausch gab oder Zustimmung zu den Dingen, für die ich eintrete. Unterstützung, die mir von anderen gegeben wird und die man so dringend braucht, damit man den Mut nicht verliert, sich nicht allem und jedem zu beugen.
Also, wenn ich resümiere, dann kommen dabei so manche Lichtblicke heraus. Lichtblicke sind – wie der Name schon aussagt – nur Blicke und noch nicht das Licht selbst. Aber mehrere dieser Lichtblicke können einen dunklen Tunnel erhellen.