Yes, she can... Schlangenfrauen, Flötenspielerinnen und U-Bahn-Philosophinnen
Die traurige Frau in der Untergrundbahn
O wie versunken die Augen,
Hände, sie litten so sehr
unter den tödlichen Laugen,
Schwester, das Leben ist schwer.
Niederwärts brausen die Gleise,
doch wenn die Sonne uns ließ,
donnert nur dunkler die Weise:
Schwester, das Leben ist süß!
Elisabeth Langgässer (1899-1950)
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Die Weidenflöte
Ich bin kein Fahnenträger,
kein adleräugiger Wegweiser
auf unserer Reise in das Land von Morgen.
Ich bin eine Weide neben dem Strom,
durch die die Winde wehen,
von der der Geist des Aufruhrs in der Welt
eine einfache Flöte bricht,
um eine Melodie zu spielen,
in der es Sturm gibt, Schmerz, Liebe
und ein wenig Morgendämmerung.
Katri Vala (1901-1944)
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An eine diffamierte Dame
Freundin, mein schuppiges Luder,
wer wollte sich nicht an dir messen,
Erkenntnisträchtige,
bäuchlings einen Biß mit dir tauschen
und Giftbäume plündern,
um zu wissen, wo Gott wohnt!
Du hast die Erde bevölkert, Schöne,
um man hat die verflucht,
eingefangen als Corpus delicti,
Erfindung der Erbsünder. Lache,
mein schuppiges Luder,
und räche dich an den Lechzenden,
fahre den Heuchlern ans Bein,
schlage ihnen ein Schnippchen, den Kerlen
aus Adams Geschlecht.
Dagmar Nick (geb. 1926)
Das Bonmot zur Nacht
Mit rechten Leuten wird man was
Johann Wolfgang v. Goethe
Entspricht so gar nicht dem Zeitgeist mit seiner Devise des "Jeder ist seines Glückes Schmied". Und Recht hat Goethe - durch tolle Menschen bekommt man tolle Anstöße und entwickelt sich weiter. Gute Konzepte, wichtige Projekte und dringend notwendige Veränderungen - das wird eben nur etwas mit "rechten Leuten".
Der Mensch und seine Homepage – das Ende der Bescheidenheit
Die Möglichkeit, sich über eine Homepage darzustellen, mag man als sinnvoll oder auch nicht beurteilen. Auf jeden Fall hat diese Möglichkeit die Ära der Bescheidenheit endgültig beendet. Es wird hemmungslos alles aufgeführt, was irgendwann mal irgendwo getan wurde. Und selbst wenn niemals und nirgends etwas getan wurde, wird trotzdem etwas daraus gemacht, was sich nach außen gut darstellt. Da werden simple Erholungsurlaube zu einem beruflichen Auslandsaufenthalt umfunktioniert oder zumindest wird ein „Sprachstudium“ daraus gemacht, selbst wenn dieses nur aus nächtlichen Gesprächen bei Ouzo in der Taverne bestand. Aus einer einfachen Beratertätigkeit wird eine leitende Funktion gemacht und stundenweise Honorartätigkeiten werden zu Vollzeitbeschäftigung umgewandelt.
Eine merkwürdige Homepage habe ich vor kurzem entdeckt. Die Homepage eines Psychologen, dessen Vita voller Auszeichnungen und Publikationen ist. Wobei ich in diesem Fall ausnahmsweise davon überzeugt bin, daß es sich dabei nicht um Phantasiegebilde handelt, da ich den Betreffenden kenne. Aber diese geballte Auflistung von Qualifikationen und Auszeichnungen geht soweit, daß sogar die Berufe der Eltern (!), der Kinder (!) und der Ehefrau (!) aufgeführt werden. Alles kann sich sehen lassen – keine Fließbandarbeiter oder Kantinenhilfen, sondern nur diplomierte Psychologen oder zumindest Kaufmänner (natürlich auch diplomiert).
Was ist eigentlich die Botschaft so einer Homepage? Wer einen qualifizierten Psychologen sucht, wird sicher zufrieden sein, da es Auszeichnungen und Fortbildungen in Hülle und Fülle gibt. Aber die Seite platzt vor lauter Auflistungen so aus den Nähten, daß man sich unweigerlich fragt, warum jemand in einer fast schon zwanghaften Akribie alles, aber auch wirklich alles auflistet, was es an gesellschaftlichen Titeln gibt. Die über den rein sachlichen Inhalt hinausgehende Information lautet ganz klar „Ich bin ein Mensch mit Erfolg! Ich habe es zu etwas gebracht. Und nicht nur ich, sondern jeder in meiner Familie hat ebenfalls Erfolg!“
Gute wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen geleistet zu haben, ist die eine Seite. Die andere Seite ist, sich völlig darüber zu identifizieren. Aber sich selbst über alle Maßen zu loben, entspricht voll und ganz dem Zeitgeist – wogegen Bescheidenheit in unserer Zeit keinen hohen Kurswert hat. Dennoch stimmt mich ein völliger Mangel an Bescheidenheit nachdenklich. Zumindest, was den Umgang mit so einem Menschen angeht. Den kann ich mir – auch mit viel Phantasie – nicht als angenehm vorstellen.
Die Machart der meisten Homepages erinnert mich an Bundeswehroffiziere, deren Uniform mit Orden übersäht ist. Oder an Schützenkönige, die manchmal so viele Orden haben, daß hierfür eine Art Lederweste getragen werden muß, damit die Jacke unter der Last der Orden nicht zerreißt. Orden, Orden, Orden. Für jede Heldentat einer. Es reicht nicht, irgendwann etwas Heldenhaftes getan zu haben, sondern es muß jederzeit und überall stolz daran erinnert werden.