Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann gibt es Zeiten des Jasagens und des Neinsagens. Zeiten, in denen alles mitgemacht wird und Zeiten in denen rebelliert wird. Was dabei rauskommt, ist oftmals nicht das Erwartete. Aber wahrscheinlich gibt es auch diese beiden Menschentypen. Der an Veränderungen desinteressierte Mensch und der Mensch, der eine tiefe Sehnsucht nach Veränderung hat.
In den 70/80 er bestand eine ständige Skepsis gegen technische Neuerungen. Gegen zuviel Datentransparenz. Gegen Manipulation. Gegen Machtkonzentration. Gegen Diskriminierung von Minderheiten. Oftmals schoß man dabei übers Ziel hinaus. Aber man schoß zumindest und hielt nicht einfach den Mund.
Wo ist das eigentlich alles abgeblieben? Jede technische Neuerung wird mit tosendem Applaus begrüßt. Diskriminierung ist nicht nur gesellschaftsfähig geworden, sondern bringt zudem auch viel Geld, wenn man es gut in Szene setzt. Statt Demos gibt es jetzt Raveparaden. Statt unerträglichen politischen Diskussionen gibt es unerträgliche Castingshows, in denen sich Jugendliche zu kompletten Deppen machen lassen, bevor sie wieder vollständig in der Versenkung verschwinden. Joshkas Anzüge werden immer schicker und seine Ehefrauen immer jünger.
Es hilft, wenn man sich vor Augen hält, daß sich gesellschaftliche Entwicklungen in Wellen entwickeln. Die Generation der autoritätsgläubigen Jasager des Dritten Reichs hat eine Generation von autoritätskritischen Neinsagern hervorgebracht. Die jetzige Generation von Technik-Gläubigen Jasagern wird vielleicht auch wieder eine Generation hervorbringen, die auf kritische Distanz geht. Und wer weiß – vielleicht wird Bushido einen Sohn bekommen, dem Papas dumpfbackige Sprüche genauso peinlich sind, wie den Kindern von Nazis die dumpfbackigen Sprüche ihrer Papas peinlich waren.
Nein, ich meine nicht, daß früher alles besser war! Aber es gab früher nachdenkliche und mahnende Stimmen. Und die gibt es nicht mehr. Es gibt soviel Euphorie und viel gnadenlose Zustimmung, daß einem Bange wird. Das Motto des "Let's have fun" wird zur Religion.
Der Sohn von Osama bin Laden hat übrigens ein Buch geschrieben, indem er heftig mit seinem gewalttätigen Vater abrechnet. Das sollte eigentlich Anlaß zur Hoffnung geben, zumal der Sohn damit – anders als die Kinder von Nazis – sein Leben aufs Spiel setzt. Hoffen wir also auf die Wellenbewegung der Entwicklung und auf die nächste Welle...
Paul Ricæur - Das Rätsel der Vergangenheit. Erinnern-Vergessen-Verzeihen
Gestern habe ich einen hochinteressanten Artikel des französischen Philosophen Paul Ricæur (1913-2005) gelesen, in dem es um das Verzeihen geht. Was mich an dem Artikel so beeindruckt, ist nicht nur die Tatsache, daß jemand sich die Mühe macht, diesen Begriff philosophisch zu durchleuchten, sondern vielmehr das kritische Hinterfragen eines Begriffs, der normalerweise grundsätzlich positiv besetzt wird. Sich dem fast schon heiligen Begriff des Verzeihens kritisch zu nähern, stellt etwas höchst Ungewöhnliches dar. Paul Ricæur geht nicht nur kritisch mit dem Begriff des Verzeihens um, sondern er spricht sogar von der
Leichtfertigkeit im Umgang mit Verzeihen oder von der
pervertierten Form des Verzeihens und er mahnt ausdrücklich vor dem
leichten Verzeihen.
Der Artikel ist schwierig zu lesen, was vielleicht auch an der deutschen Übersetzung liegen mag. Ich mußte ihn mindestens viermal lesen und es gibt immer noch Passagen, die sich mir nicht erschließen.
Ricæur definiert das Verzeihen als eine Form des aktiven Vergessens, das er scharf abgrenzt gegen das passive Vergessen. Er schafft analog zum passiven Vergessen den Begriff
eskapistisches Verzeihen (escape = flüchten, fliehen) mit dem er das Verzeihen als Flucht vor der eigentlichen Auseinandersetzung meint. Dem eskapistischen Verzeihen wirft er vor, zwar nicht das Ereignis an sich zu vergessen, aber dessen Bedeutung und ihren Ort im Sinne der Dialektik des geschichtlichen Bewußtseins.
Ricæur schafft weitere Kategorien, so das
Verzeihen aus Selbstgefälligkeit, dem er vorwirft, sich damit die Pflicht der Erinnerung zu ersparen. Eine weitere Kategorie ist die des
Verzeihens aus Wohlwollen, das sich einfach nur der Gerechtigkeit entziehen will und insgeheim nur jemandem Straffreiheit verschaffen möchte. Ein Teil der theologischen Tradition ist für Ricæur das
Verzeihen aus Nachsicht, das für ihn Freispruch durch Vergebung bedeutet.
Endlich kommt aber auch ein Begriff des Verzeihens, der dem Ideal entspricht. Dies ist für Ricæur das
schwere Verzeihen. Diese Form des Verzeihens nimmt die Tragik des Handelns ernst und zielt auf die Quelle der Konflikte und der Verfehlungen, die der Vergebung bedürfen. Es handelt sich darum, die Knoten unauflöslicher Konflikte zu lösen und nicht einfach nur auf der Ebene einer berechenbaren Bilanz ein Sollsaldo zu löschen. Als ersten Knoten bezeichnet Ricæur eben diese unauflöslichen Konflikte, als zweiten zu lösenden Knoten bezeichnet er die nicht wiedergutzumachenden Schäden und Verbrechen.
Für Ricæur muß an der Schuld selbst Trauerarbeit geleistet werden. Und dann zieht er eine Parallele, die normalerweise übersehen wird: das eskapistische Vergessen und die endlose Verfolgung der Schuldigen haben ihren Grund in derselben Problematik. Dies heißt, es muß eine Grenze gezogen werden zwischen Amnesie und unendlicher Schuld.
Ziel des Verzeihens muß sein, daß das Vergangene aufhören muß, die Gegenwart zu verfolgen um so zu verhindern, daß es eine Vergangenheit gibt die "nicht gehen will“.
Wenn ich hier mal den Bogen spanne zu Ricarda Huchs Gedicht
Mein Herz mein Löwe, dann stellt Ricæurs Theorie für mich eine Art Versöhnungsversuch dar. Das Recht auf Haß einerseits – und die Chance des Verzeihens anderseits. Ein Verzeihen, daß entideologisiert ist vom rein Guten. Ein Verzeihen, das harte Arbeit bedeutet – für den, der verzeiht sowie für den, dem verziehen wird.
Warum mir wider Erwarten doch eine Folge von Sex and the city gefiel und was dies nun schon wieder mit Berufsbetreuern gemeinsam hat
Obwohl ich ja eigentlich
Sex and the city mit einer Art Haßliebe verfolge und die vier Protagonistinnen für komplette Idiotinnen halte, gab es vor kurzem eine Episode, die mir erstaunlich gut gefiel. Es ging um den neuen Lover von Carrie, die Kolumnen schreibende Hauptperson. Ein smarter, gutaussehender und erfolgreicher Lokalpolitiker, der von Carrie scherzhaft Mr. President genannt wurde. Das Hochgefühl der ersten Verliebtheit wurde schon bald ein wenig getrübt, als Mr. President schon nach kurzer Zeit einen etwas bizarren erotischen Wunsch – den ich hier bewußt nicht näher schildern will – äußerte und Carrie hiervon peinlich berührt war.
Irgendwann rang sich Carrie schließlich dazu durch, Mr. President mehr oder weniger direkt zu sagen, daß sie nicht in der Lage sei, dessen geheimen Wunsch zu erfüllen. Dies wurde wiederum von Mr. President als gezielter Affront gegen seine Person aufgefaßt und schien seine Eitelkeit empfindlich verletzt zu haben. Als Vollblutpolitiker ging er allerdings nicht in die Knie sondern in die Offensive und schoß direkt zurück. Süffisant äußerte er, daß er die Beziehung sowieso nicht fortzuführen gedenke, da Carries Kolumnen über das Thema Sex seinem Ruf als Politiker schaden würden. Carrie entgegnete entrüstet, daß jemand, der sehr ungewöhnliche sexuelle Vorlieben hat, doch nicht allen Ernstes Kolumnen über Sex als etwas Unmoralisches empfinden könne.
Und jetzt kam sie – die denkwürdige Antwort von Mr. President, wegen der ich diese ganze Episode hier wiedergebe: „
Ich mag vielleicht ungewöhnliche sexuelle Vorlieben haben, aber die halte ich geheim und niemand weiß davon. Du hingegen schreibst in aller Öffentlichkeit!“. Und somit hat uns diese Folge von Sex and the citiy ganz lebensnah etwas gelehrt. Pflichtlektion eins: Schlage Erfolgsmenschen niemals einen Wunsch ab, noch übe an ihnen Kritik. Pflichtlektion zwei: das Zusammentreffen von authentischen mit nichtauthentischen Menschen muß unweigerlich tragisch enden.
Und dann folgte etwas, das für mich das erste Highlight in dieser dämlichen Serie (von der ich keine verpasse) darstellt. Carrie reagierte, indem sie die ganze Auseinandersetzung öffentlich in ihrer nächsten Kolumne beschrieb. Sie nannte – ganz ladylike – keinen Namen, aber dem ein oder anderen Insider, der sie und Mr. President zuvor zusammen gesehen hatte, würde vielleicht dämmern, um wen es ging. Bezeichnenderweise nannte sie die Kolumne „To pee or not to pee“ (womit einigen klar sein dürfte, was Mr. President denn nun so furchtbar gern machen würde).
Was ich daran so toll fand? Ganz einfach: das Offenlegen einer miesen Doppelmoral, die da lautet: alles ist erlaubt, solange Du dich nach außen hin nicht dazu bekennst. Und – wie sollte es wohl anders sein – fallen mir da wieder einige meiner lieben Kollegen ein, die Mr. President in seiner Heuchelei verdächtig ähneln. Die sich zwar unter Ausschluß der Öffentlichkeit ihren Mitmenschen gegenüber oftmals wie Wildsäue benehmen, aber in allergrößte Empörung ausbrechen, sobald etwas offen ausgesprochen wird, das sich nicht mit ihrem Saubermann-Image vereinbaren läßt.
Also Carrie: Ausnahmsweise mal gutgemacht! Doppelmoral verdient es, an den Pranger gestellt zu werden. Es geht hier nicht um das Thema sexuelle Vorlieben (die soll jeder haben, wie es ihm beliebt), sondern um das Exemplarische, denn das Thema Sex ist auf jede andere Thematik übertragbar. Wer anderen unter die Gürtellinie zielende Vorwürfe macht, darf sich über einen entsprechenden Gegenschlag nicht wundern. Das Prinzip des „Außen hui – innen pfui“ ist ein auf Aufrechterhalten von Scheinmoral basierendes Prinzip, in dem nicht gelebte Werte künstlich vorgetäuscht werden und das in seiner Anmaßung und Selbstgefälligkeit auf Kosten der Mitmenschen geht.