Haß - Plädoyer für ein zu Unrecht verschmähtes Gefühl
Mein Herz, mein Löwe

Mein Herz, mein Löwe, hält seine Beute fest,
Sein Geliebtes fest in seinen Fängen,
Aber Gehaßtes gibt es auch,
Das er niemals entläßt
Bis zum letzten Hauch,
Was immer die Jahre verhängen.
Es gibt Namen, die beflecken
Die Lippen, die sie nennen,
Die Erde mag sie nicht decken,
Die Flamme mag sie nicht brennen.
Der Engel, gesandt, den Verbrecher
Mit der Gnade von Gott zu betauen,
Wendet sich ab voll Grauen
Und wird zum zischenden Rächer.
Und hätte Gott selbst so viel Huld,
Zu waschen die blutrote Schuld,
Bis der Schandfleck verblasste, -
Mein Herz wird hassen, was es haßte,
Mein Herz hält fest seine Beute,
Daß keiner dran künstle und deute,
Daß kein Lügner schminke das Böse,
Verfluchtes vom Fluche löse.

Ricarda Huch (1864-1947)




Natürlich ist meine Überschrift für dieses wunderschöne Gedicht überzogen. Haß ist und bleibt ein negatives Gefühl. Dennoch lohnt es sich – wie bei den meisten Gefühlen und überhaupt bei allen Dingen in und um uns herum – ein wenig hinter dieses Phänomen zu gucken. Jeder spricht von der Kraft des Verzeihens und betont die Befreiung durch das Loslassen negativer Erlebnisse. Das wird auch niemand ernsthaft in Abrede stellen.

Ich liebe die Gedichte von Ricarda Huch, in denen es um kraftvolle und leidenschaftliche Gefühle geht. Aber ob man will oder nicht – auch Haß ist ein kraftvolles Gefühl. Ich wäre froh, wenn ich weniger von diesem Gefühl hätte. Dennoch beeindrucken mich Gedanken wie:

Mein Herz hält fest seine Beute,
Daß keiner dran künstle und deute,
Daß kein Lügner schminke das Böse


Denn Böses sollte immer als Böses erinnert werden, Verletzungen immer als Verletzungen und Beleidigungen immer als Beleidigungen. Die Erinnerung darf nicht verblassen, denn dies birgt die Gefahr der Wiederholung. Man sollte dort verzeihen, wo bereut wird, wo jemand sich geändert hat und seine Fehler einsieht. Aber dort, wo es nicht die Spur von Reue und Einsicht gibt, kann Verzeihen eine große Gefahr darstellen – die Gefahr der Konservierung von Mißständen.

Verzeihen ist Loslassen und Befreien. Aber eben manchmal auch eine sehr einfache Art, um sich vor der Verantwortung für Veränderungen zu drücken. Das scheint mir ganz entscheidend, denn den Menschen, die kein Bedürfnis nach Veränderung und Verbesserung der Welt haben, ist es völlig egal, ob Betrügereien oder Mißhandlungen geahndet werden oder nicht. Haß hat enorm viel damit zu tun, ob man Dinge verändern möchte oder nicht. Die Menschen, denen sowieso egal ist, was um sie herum geschieht, weil sich ihr Lebenssinn im Anhäufen von materiellen Werten und dem Aufbau einer positiven Außendarstellung erstreckt, werden mit dem Verzeihen keine besonderen Schwierigkeiten haben.

Etty Hillesum bezeichnet sehr treffend Haß als eine Erkrankung der Seele. Und damit hat sie das Phänomen Haß treffend benannt.Haß läßt die Verletzung weiterleben und schafft letztendlich eine ständige Präsenz des Peinigers, denn man eigentlich doch so gern loswerden würde. Aber auch Ricarda Huch hat mit ihrem leidenschaftlichen Plädoyer wider das „Schminken des Bösen“ nicht Unrecht. Vielleicht gilt es, einen Mittelweg zu finden zwischen der zerstörerischen Kraft des Hasses und seiner aufbegehrenden, dynamischen und zornigen Stärke.

Ich schwanke hin- und her zwischen dem Gedicht von Ricarda Huch und dem radikalen Humanismus von Etty Hillesum. Aber gerade letztere - so tief sie mich auch beeindruckt - hat für mich dennoch auch etwas Bedenkliches. Die Welt sollte verändert werden. Zwar ist Haß hier eine ungute Antriebsfeder, aber das freiwillig auf jeden Widerstand Verzichtende auch. Der Verzicht auf Haß macht den Weg frei für den Haß der anderen. Aber Haß ist dennoch im Grunde auch eine Walze , die oft nur Zerstörung hinterläßt.

Könnte man sich vielleicht auf den Begriff des Zorns einigen? Aber eben der wird zum Haß, wenn er nicht ausgelebt wird. Schwierig, schwierig, schwierig.