Freitag, 5. Februar 2010
Warum mir wider Erwarten doch eine Folge von Sex and the city gefiel und was dies nun schon wieder mit Berufsbetreuern gemeinsam hat
Obwohl ich ja eigentlich Sex and the city mit einer Art Haßliebe verfolge und die vier Protagonistinnen für komplette Idiotinnen halte, gab es vor kurzem eine Episode, die mir erstaunlich gut gefiel. Es ging um den neuen Lover von Carrie, die Kolumnen schreibende Hauptperson. Ein smarter, gutaussehender und erfolgreicher Lokalpolitiker, der von Carrie scherzhaft Mr. President genannt wurde. Das Hochgefühl der ersten Verliebtheit wurde schon bald ein wenig getrübt, als Mr. President schon nach kurzer Zeit einen etwas bizarren erotischen Wunsch – den ich hier bewußt nicht näher schildern will – äußerte und Carrie hiervon peinlich berührt war.

Irgendwann rang sich Carrie schließlich dazu durch, Mr. President mehr oder weniger direkt zu sagen, daß sie nicht in der Lage sei, dessen geheimen Wunsch zu erfüllen. Dies wurde wiederum von Mr. President als gezielter Affront gegen seine Person aufgefaßt und schien seine Eitelkeit empfindlich verletzt zu haben. Als Vollblutpolitiker ging er allerdings nicht in die Knie sondern in die Offensive und schoß direkt zurück. Süffisant äußerte er, daß er die Beziehung sowieso nicht fortzuführen gedenke, da Carries Kolumnen über das Thema Sex seinem Ruf als Politiker schaden würden. Carrie entgegnete entrüstet, daß jemand, der sehr ungewöhnliche sexuelle Vorlieben hat, doch nicht allen Ernstes Kolumnen über Sex als etwas Unmoralisches empfinden könne.

Und jetzt kam sie – die denkwürdige Antwort von Mr. President, wegen der ich diese ganze Episode hier wiedergebe: „ Ich mag vielleicht ungewöhnliche sexuelle Vorlieben haben, aber die halte ich geheim und niemand weiß davon. Du hingegen schreibst in aller Öffentlichkeit!“. Und somit hat uns diese Folge von Sex and the citiy ganz lebensnah etwas gelehrt. Pflichtlektion eins: Schlage Erfolgsmenschen niemals einen Wunsch ab, noch übe an ihnen Kritik. Pflichtlektion zwei: das Zusammentreffen von authentischen mit nichtauthentischen Menschen muß unweigerlich tragisch enden.

Und dann folgte etwas, das für mich das erste Highlight in dieser dämlichen Serie (von der ich keine verpasse) darstellt. Carrie reagierte, indem sie die ganze Auseinandersetzung öffentlich in ihrer nächsten Kolumne beschrieb. Sie nannte – ganz ladylike – keinen Namen, aber dem ein oder anderen Insider, der sie und Mr. President zuvor zusammen gesehen hatte, würde vielleicht dämmern, um wen es ging. Bezeichnenderweise nannte sie die Kolumne „To pee or not to pee“ (womit einigen klar sein dürfte, was Mr. President denn nun so furchtbar gern machen würde).

Was ich daran so toll fand? Ganz einfach: das Offenlegen einer miesen Doppelmoral, die da lautet: alles ist erlaubt, solange Du dich nach außen hin nicht dazu bekennst. Und – wie sollte es wohl anders sein – fallen mir da wieder einige meiner lieben Kollegen ein, die Mr. President in seiner Heuchelei verdächtig ähneln. Die sich zwar unter Ausschluß der Öffentlichkeit ihren Mitmenschen gegenüber oftmals wie Wildsäue benehmen, aber in allergrößte Empörung ausbrechen, sobald etwas offen ausgesprochen wird, das sich nicht mit ihrem Saubermann-Image vereinbaren läßt.

Also Carrie: Ausnahmsweise mal gutgemacht! Doppelmoral verdient es, an den Pranger gestellt zu werden. Es geht hier nicht um das Thema sexuelle Vorlieben (die soll jeder haben, wie es ihm beliebt), sondern um das Exemplarische, denn das Thema Sex ist auf jede andere Thematik übertragbar. Wer anderen unter die Gürtellinie zielende Vorwürfe macht, darf sich über einen entsprechenden Gegenschlag nicht wundern. Das Prinzip des „Außen hui – innen pfui“ ist ein auf Aufrechterhalten von Scheinmoral basierendes Prinzip, in dem nicht gelebte Werte künstlich vorgetäuscht werden und das in seiner Anmaßung und Selbstgefälligkeit auf Kosten der Mitmenschen geht.



Donnerstag, 28. Januar 2010
Einbauküche oder Kerosinkocher?
Und wieder ein neues Buch: "Mein Leben in Bhutan" von Jamie Zeppa. Die kanadische Autorin hat vor vielen Jahren einen Stelle als Englischlehrerin in Bhutan angenommen. Seit einigen Jahren lebt sie wieder in Kanada und hat jetzt über ihre Jahre in Bhutan ein Buch geschrieben.

Ich habe eine enorme Bewunderung für Frauen, die sich in solche Abenteuer wagen. Und empfinde es ungemein fesselnd, über die Bewältigung eines Alltags zu lesen, der sich in absolut allem von dem unseren unterscheidet. In einem Zimmer ohne fließend Wasser, ohne Strom, ohne Kühlschrank und Herd leben. Seine Mahlzeiten auf einem Kerosinkocher zubereiten, der jederzeit zu explodieren droht. Ein Zimmer, in dem nachts die Ratten auf dem Küchenboden spielen und auch ansonsten allerhand Getier beherbergt. Zu lesen, daß all dies letztendlich keine besondere Einschränkung bedeutet. Von einer Natur zu lesen, die so atemberaubend ist, daß alles andere völlig belanglos wird.

Anfänglich ist die Autorin sehr verzweifelt und hat Angst, alles durchzustehen. Doch dann verliebt sie sich in diese einzigartige Land. Später auch in einen seiner Bewohner, mit dem sie ein Kind hat.

Es gibt noch mehr so ungewöhnliche Frauen wie Jamie Zeppa. Die Irin Dervla Murphy fuhr beispielsweise schon in den 60ern von Irland mit dem Fahrrad (Mountanbikes gab es da noch nicht!) nach Indien. Die Französin Alexandra David-Néel bereiste - zeitweilig als Mann verkleidet - in den 30er Jahren Tibet, Nepal und Indien. Mutige Frauen, die die Weite der kleinbürgerlichen Enge vorzogen. Und denen wir wunderschöne Reiseberichte verdanken.

Nicht jedem gefallen diese Reisegeschichten. Bürokolleginnen schütteln ihre Köpfe mit dem stereotypen Kommentar: "Zuhause habe ich es doch viel besser". Andere wiederum reden von völlig überflüssiger und unsinniger Selbstkasteiung.

Aber mich fasziniert nichts mehr als Menschen, die den Mut haben, solche Träume wahr zu machen. Ich selbst träume nur davon, denn ich traue mir die damit verbundenen körperlichen Strapazen nicht zu. Mit dem Fehlen von Luxus könnte ich es wahrscheinlich aufnehmen aber nicht mit den Anforderungen tagelanger Fußmärsche bei glühender Hitze oder klirrender Kälte und dem Fehlen jeglicher medizinischer Versorgung.

Ja, ich bewundere sie - diese Frauen, die einen kleinen Kerosinkocher einer Einbauküche, einem Induktionskochfeld und einem Umluftbackofen vorziehen. Soche Frauen zu treffen wäre schon Grund genug, Bhutan zu bereisen...



Samstag, 23. Januar 2010
Hoppla - Geistig obdachlos!
Heute Nacht habe ich ein wenig über die Weimarer Republik gelesen. Unter dem Kapitel „Deuter und Denker“ wurden Wissenschaftler und Philosophen aus der Weimarer Zeit vorgestellt. Unter anderem auch Siegfried Kracauer (1889-1966), ein soziologisch geschulter Journalist, der einer der ersten war, der sich dem Film als Phänomen der neuen Massenkultur widmete. Und dabei stieß ich zu schon sehr später Stunde auf ein Zitat, das mich wieder hellwach machte:“ Die Masse der Angestellten unterscheidet sich vom Arbeiter-Proletariat darin, daß sie geistig obdachlos ist“.

Da gab es also schon vor langer Zeit jemanden, der nicht, wie allgemein üblich, den Arbeitern einen geistigen Mangel - denn Obdachlosigkeit ist ein Mangel - diagnostiziert, sondern den Angestellten. Das stellt die herkömmliche Ansicht auf den Kopf. Trifft aber mitten ins Schwarze. Auch wenn man heute den verstaubten Begriff des Arbeiter-Proletariats zu Seite legen muss, gibt es immer noch Differenzierungen in der Arbeitswelt, die vielleicht nicht so sehr aus einer wirklich soziologischen Sicht resultieren als vielmehr aus der Sicht der Menschen über sich selbst. Die Menschen, die nicht körperlich arbeiten, definieren sich nach wie vor als diejenigen, deren Arbeit anspruchsvoller ist als die körperliche Arbeit. Und schon seit ewigen Zeiten beizeichnen diese Menschen ihre Arbeit als „Geistige Arbeit“.

Im Mittelalter, als Lesen und Schreiben eine Fähigkeit weniger Auserwählter und fast immer mit einer umfangreichen Bildung verknüpft war, mag der Begriff „Geistig“ zugetroffen haben. Aber heutzutage ist dies nicht nur falsch sondern auch völlig lächerlich. Ein Standesdünkel einer Klasse ohne Stand.

Nach Kracauer geht es dem Angestellten nie um Inhalte, sondern nur um Glanz (im Sinne von Wirkung nach außen), er möchte in erster Linie auf unkomplizierte Art genießen und sich nicht mit Problemen auseinandersetzen. Von dem Genuß der Umwelt möchte er sich nicht durch ernste Gespräche ablenken lassen:

Das Höhere ist dem/der Angestellten nicht Gehalt, sondern Glanz. Es ergibt sich ihm nicht durch Sammlung, sondern in der Zerstreuung".

Geistig obdachlos – darüber könnte man lange nachdenken, denn Kracauer sagt ja nicht Geistig beschränkt. Es dreht sich also nicht um ein eingeschränktes Wissen sondern um ein Wissen, das in irgendeiner Weise unbeheimatet ist. Ein beliebiges überall anwendbares und austauschbares Wissen. Ohne Bezug auf irgendetwas oder irgendwen und ohne jeden Hintergrund. Lesen, Schreiben, Rechnen. Vielleicht für ein Möbelgeschäft, ein Ingenieurbüro, ein Krankenhaussekretariat – vielleicht auch für eine rechte Partei oder aber eine linke. Auswechselbar und überall einsetzbar - eben ohne Obdach.

Und ob ich will oder nicht - mir kommt die Darstellung Etty Hillesums ins Gedächtnis, die über ihre Arbeit in einem Büro klagt und ihre Kollegen dabei nicht gerade liebevoll beschreibt als: " sie sind in bezug auf ihre eigene Person optimistisch verblendet, sie intrigieren und verteidigen ehrgeizig ihre Pöstchen, das Ganze ein riesiger Saustall". Das deckt sich mit Kracauers Begriff der geistigen Obdachlosigkeit, denn es fehlt in der Tat das "gemeinsame Dach", das über das formale Arbeiten Hinausgehende.