Montag, 12. Oktober 2015
Israel (4) - It's just a normal thing here
Fortsetzung von Israel (3)
Jaffa,06.10.15
Nach den 2 unfreiwilligen Tagen in Tiberias bin ich heute Mittag in Jaffa angekommen. Ich hatte zuerst ein wenig gehadert mit der Tatsache, in Tiberias festzusitzen, denn außer der Lage am schönen See Genezareth ist Tiberias mehr oder weniger langweilig. Aber am letzten Abend wog dann ein Erlebnis das Ganze wieder auf. Als ich nach dem Abendessen noch etwas an der Strandpromenade schlenderte, hörte ich von weitem einen ohrenbetäubenden Lärm. Als ich mich näherte, sah ich, wie vor einem als Sabbathaus ausgeschilderterten Gebäude Männer um einen Tisch mit zwei Thorarollen tanzten. Ich hatte so eine Zeremonie einige Tage zuvor schon einmal in einer Synagoge gesehen. Tora TanzDies hier unterschied sich jedoch erheblich davon, denn während in der Synagoge nur gesungen wurde, wurde hier als Begleitung zum Tanz sehr laute Musik vom Mischpult gespielt. Allerdings nicht, wie man vielleicht erwarten würde, die typischen traditionellen religiösen Gesänge, sondern eine ziemlich schrille Mischung aus einer Art orientalischem Pop und Techno! Und der Tanz wurde auch nicht gemaechtlich und gesittet aufgeführt, sondern erinnerte mehr oder weniger an etwas, das man am ehesten als einen fröhlichen Hexenkessel bezeichnen könnte. Beeindruckend war vor allem, dass es sich keineswegs nur um junge "moderne" Männer handelte, sondern auch einige ältere orthodoxe Gläubige unter den Tänzern waren, die mit ihren klassischen traditionellen schwarzen Mänteln, großen Hueten, Stirnlocken und Bärten zu der äußerst modern und schrill anmutenden Musik mindestens genauso ausgelassen wie die Jungen mittanzten.

Nach einer Weile wurden die beiden Thorarollen von dem Tisch genommen und abwechselnd von den tanzenden Männern herumgereicht, wobei die Rollen dabei immer wieder auch kurz zu den Aussenstehenden gehalten wurden, die die Rollen dann küssten. Bei der Zeremonie handelte es sich um den letzten Tag des Sukkot, also des Laubhüttenfestes, bei dem die Lesung der Thora ihren Abschluss findet und gleichzeitig den Beginn für die neue jährliche Thoralesung bildet.

Ich kann nur schwer beschreiben, welch überaus glücklicher Ausdruck sich während dieser Zeremonie in den Gesichtern der Menschen widerspiegelte. Tora Tanz2 Es war offensichtlich, dass die beiden Thorarollen für die Anwesenden etwas unvergleichbar Glueckbringendes und Seligmachendes darstellten. Entsprechend wurde der Tanz auch immer ausgelassener und wilder.

Wie bereits erwähnt, hat mich die Tatsache, Zeugin eines sso beeindruckenden und unvergleichlichen Ereignisses sein zu dürfen, mit dem ungeplanten Aufenthalt in Tiberias versöhnt.

Tiberias o4.10.2015
Ich habe von den Gewalausschreitungen in Jerusalem erst vor kurzem erfahren, als ich mich noch in Nazareth aufhielt. Da ich nicht ständig online bin und außerdem seit gestern abend damit beschäftigt war , meine Weiterfahrt nach Tiberias zu organisieren, wurde ich erst durch eine SMS von Zuhause darüber informiert.

Es ist nicht nur am Sabbat fast unmöglich, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, sondern an diversen anderen Feiertagen auch. Und heute ist immer noch Laubhüttenfest, das Sukkot, und aus diesem Grund fahren bestimmte Busse nicht, so dass ich notgedrungen ein Taxi nehmen musste, das mich dann zu einer 12 km noerdlich von Tiberias gelegenen Jugendherberge fuhr, die von meinem Reisefuehrer verheißungsvoll als "schönste Jugendherberge Israels" beschrieben wurde. Diese war jedoch ausgebucht und somit musste ich wieder nach Tiberias zurück fahren, obwohl ich eigentlich überhaupt nicht vorhatte, dort zu bleiben. Ich hatte zwar vorab die schönste Jugendherberge Israels angemailt und daraufhin auch eine Antwort erhalten. Diese war allerdings etwas missverstaendlich, so dass ich nochmals nachfragte. Leider erhielt ich aber die zugesagte Antwort nicht. Der Mitarbeiter an der Rezeption begründete dies dann lapidar mit: "Am Sabbat arbeiten wir nicht." See Genezareth Nun bin ich also nicht im Norden Galiäas, aber immerhin am See Genezareth, an dessen Strandpromenade ich ein fürstliches Mahl zu mir nehme.

Aber zurück zu den Ereignissen hier. Als ich mich mit dem sehr hilfsbereiten Mitarbeiter meines Hotels über die Anschläge unterhielt, antwortete er mir lächelnd: "It's just the normal thing here." Es könne auch an jedem anderen Platz etwas schlimmes passieren, letztendlich liegt es nicht in unseren Händen, fügte er noch dazu.

Ich lese während meiner Reise ein wenig über die jüdische Religion und vor diesem Hintergrund kann ich diese Haltung besser verstehen, auch wenn es mir schwerfaellt, jegliches Geschehen als gottgegeben anzusehen. Letztendlich bleibt aber den Menschen, die hier in Israel leben - egal welcher Glaubensrichtung sie angehören - gar keine andere Wahl, als die allgegenwärtige Gewalt hinzunehmen.
Fortsetzung Israel (5) hier



Montag, 5. Oktober 2015
Israel (3) - Im Fauzi Azar in Nazareth
Fortsetzung von Israel (2)
Nazareth 02.10.15
Habe gerade eben noch den Bus nach Nazareth erreicht. Leicht ist es nicht, sich zu den richtigen Busstationen durchzufragen. Mein Guesthouse habe ich durch das Internet entdeckt. Das Fauzi Azar in Nazareth hätte ich allein wahrscheinlich nicht gefunden, aber im Bus spricht mich ein Amerikaner an, der schon einmal dort war und jetzt erneut dorthin will und so gehen wir zusammen. Die Altstadt ist ähnlich wie die in Jerusalem, kleine, enge Gassen mit ausschließlich Geschäften. Allerdings sind die merkwürdigerweise um 19.00 Uhr schon alle geschlossen, so dass alles sehr unwirklich wirkt, fast wie eine Geisterstadt.

Das Fauzi Azar ist nicht irgendein Hotel im Ort, sondern fast schon eine Institution hier in Nazareth. Am folgenden Morgen mache ich eine vom Guesthouse gratis angebotener Tour durch die Stadt, die mit einer kleinen Einführung in die Geschichte des Guesthouse begann. Das rund zweihundert Jahre alte Haus, in dem sich das Fauzi Azar befindet gehört seit Generationen einer arabischen Familie. Die junge Frau, die in perfektem Englisch die Familiengeschichte schildert, erzählt die Geschichte ihres Großvaters, der in den 80er Jahren bei einem Brand im Haus ums Leben kam. Er opferte sich selbst, um das Haus seiner Familie zu retten und den Brand zu löschen. Irgenwann später machte dann ein Geschäftsmann der verwitweten Großmutter das Angebot, sie bei der Führung eines Guesthouses zu unterstützen. Das Ungewöhnliche daran ist, dass es sich bei diesem Mann um einen Juden handelte, der keine Bedenken hatte, gemeinsam mit einer arabischen Familie ein Guesthouse zu führen. Die Großmutter fand die Vorstellung eines gemeinsamen Geschäfts zuerst abwegig und erwiderte auf diese Idee: "Don't talk about piece between jews and arabs ." Aber dann siegte doch die Vorstellung, den in der Unterhaltung sehr kostspieligen Familienbesitz auf diese Art behalten zu können. Fauzi Azar InnBei allem wirkten die Töchter und Enkelkinder unterstützend mit und beim Erzählen der Enkelin wird deutlich, dass das Haus, für das ihr Großvater sein Leben opferte, ein starkes Band zwischen den Familienmitgliedern bildet.

Mein Zimmer gleicht mit seinem hohen aus Natursteinen gemauerten Deckengewölbe eher einem Kirchenraum als einem Zimmer. Und der Innenhof mit Gewächsen und Springbrunnen erinnert an ein Serail. Kein Wunder, dass dieses Guesthouse fast immer ausgebucht ist.
https://abrahamhostels.com/nazareth/the-fauzi-azar-story/

In Nazareth besuche ich die sogenannte Verkündigungskirche, die an der Stelle gebaut wurde, an der Maria die Geburt ihres Sohnes verkündet worden sein soll. Die Kirche ist absulut modern, aber in der Mitte befindet sich tatsächlich sehr altes Gemäuer. Chinesische Madonna in der VerkündigungskircheWas allerdings viel beeindruckender ist, sind die vielen Mariendarstellungen an der um die Kirche herumführenden Mauer. Es sind dort Mariendarstellungen von jedem Land angebracht. So gibt es dann eine Abbildung, auf der Maria und Jesus chinesische Kimonos tragen und chinesische Gesichtszüge haben. Die aus Thailand stammende Abbildung gleicht eher einem buddhistischen Tempelbild als einem biblischen. Und auch die aus Südamerika stammenden Abbildungen sehen völlig anders aus als gewohnt in ihren farbenprächtigen Gewändern.
Fortsetzung Israel (4) hier



Samstag, 3. Oktober 2015
Israel (1) - erste Eindrücke
03.10.2015
Seit nunmehr einer Woche bin ich in Israel. Die Entscheidung, nach Israel zu reisen, fiel mir nicht ganz leicht. Einerseits wollte ich schon seit langem nach Israel, andererseits ist es natürlich bedenklich, in ein krisengeschütteltes Land zu fahren. Außerdem war es diesmal nicht möglich, gemeinsam mit meinem Freund zu reisen, so dass ich diese Reise ganz allein antreten musste. Es ist schon ewige Zeiten her, dass ich allein gereist bin und ich habe, ehrlich gesagt, keine sehr guten Erinnerungen daran. Passanten Letztendlich siegte aber meine Reiselust und außerdem ist das Viertel in dem ich wohne auch nicht gerade sicher, denn auch hier gab es schon tödliche Messerstechereien, Schlägereien und Schießereien direkt vor meiner Haustür.

Warum gerade Israel? Ich interessiere mich sehr für Religionen und nachdem ich nun schon diverse buddhistische und auch einige muslimische Länder bereist habe und auch hinduistisch und taoistisch geprägte Regionen kennengelernt habe, habe ich den Wunsch, auch die jüdische Kultur näher kennenzulernen.

Ich hätte gern schon am zweiten Tag ein wenig über meine Reiseeindrücke geschrieben, aber ich schlug mich erst einmal mit den Tücken der Technik herum, denn seitdem jeder ein Smartphone oder ein Tablet hat, stellen die guesthouses keine PCs mehr für die Gäste zur Verfügung. In weiser Voraussicht hatte ich mir zwar schon vor einem halben Jahr ein Tablet gekauft, es aber ohne zu nutzen einfach liegen lassen. Ich tippe grundsätzlich mit zehn Fingern und für mich ist es eine Zumutung, im Ein-Finger System zu tippen. inzwischen habe ich mich aber ein wenig mit der Sprachaufnahme vertraut gemacht und so versuche ich jetzt, wie ich es üblicherweise auf meinen Reisen tue, ein kleines Reisetagebuch zu schreiben.

Nachdem ich also am vergangenen Samstag in Tel Aviv ankam, machte ich meine erste Bekanntschaft mit der Sabbathruhe, denn es war nicht möglich, Geld aus dem Bankautomaten zu erhalten. Am Sabbat darf kein Geld nachgefüllt werden, und da es schon spät am Abend war, war der Automat völlig leer.

Meine erste Nacht verbrachte ich nicht in einem Hotel sondern in einer Jugendherberge wo ich das Zimmer mit zwei Frauen teilte. Es ist schon ewige Zeiten her, dass ich so etwas gemacht habe, aber die Erfahrung war die gleiche: es ist wesentlich unbequemer, aber auch wesentlich interessanter.

Bei den beiden Frauen handelt es sich um Türkinnen - Mutter und Tochter - die für 2 Wochen Israel bereisen. Die etwa 20 jährige Tochter zeigt mir sofort sehr viele Fotos, die sie mit ihrem smartphone gemacht hat und sie beschreibt lebhaft ihre Eindrücke. Die meiste Zeit hielten die beiden sich in den palästinensischen Gebieten auf, aber beide haben auch die christlichen Stätten besucht. Die junge Frau betont, dass sie sich sehr für alles interessiert, was mit Religionen zu tun hat. Für mich bestätigt sich wieder einmal aufs neue, dass Reisen das geeignetste Mittel gegen Vorurteile ist, denn weder in meinem Wohnviertel noch in dem Viertel, indem ich arbeite habe ich trotz der Tatsache, dass dort überwiegend türkischstämmige Menschen wohnen, jemals jemanden kennengelernt, der sich auch nur im geringsten für andere Religionen interessiert. Als ich morgens aufwache, sehe ich wie sich die Mutter für das Gebet vorbereitet . Sie breitet einen kleinen Teppich aus und bindet sich ein Kopftuch um. Sie betet dann leise flüsternd, offenbar will sie mich nicht wecken. Beim Abschied sage ich der Tochter, dass sie unbedingt einen Blog machen sollte, indem sie ihre vielen Erlebnisse beschreibt und ihre wunderschönen Fotos zeigt.
Fortsetzung Israel (2) hier