Die Joschkas & Co
Joschka Fischer, der früher auf Anti-Atomkraft-Demos als Ausdruck seiner Überzeugung auf Polizisten einschlug, hat heute keine Probleme damit, als Berater zu arbeiten für Siemens und RWE – beides Unternehmen, die AKWs bauen. Ein lapidares „Ich schäme mich nicht“ ist seine Stellungnahme – eine der wenigen Aussagen, die ich ihm abnehme. Ich allerdings schäme mich für Menschen wie Joschka Fischer. Weil die die Ansicht unserer Eltern bestätigen, in deren Augen die Protestbewegung nichts anderes als eine jugendliche Marotte war, die irgendwann der Vernunft weicht.
Jutta Ditfurth (zur Erinnerung: früher bei den Fundi-Grünen) hat einmal treffend gesagt, dass sie Leuten wie Joschka Fischer ihre Überzeugung schon damals nicht abgenommen hat. Ich übrigens auch nicht, obwohl ich zur Anti-AKW-Zeit noch ziemlich jung war und noch nicht allzu viel Ahnung vom Geschehen hatte. Wenn ich damals auf Demos ging und dabei die – meist männlichen – Demonstranten beim Steinewerfen sah, war mir klar, dass es denen um etwas anderes als um das jeweilige Demo-Motto ging. Und wenn ich die Reden der – meist aus sehr wohlhabenden Familien stammenden – linken Theoretiker über ihre Solidarität mit der Arbeiterklasse hörte, war mir ebenfalls klar, dass es denen um etwas ganz anderes ging – nämlich einfach nur um die Rebellion gegen die Welt ihrer Väter. Sobald nämlich die Ausbildung abgeschlossen war, wurde in Papas Fußstapfen getreten – der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm. Selbst der unerträgliche Dieter Bohlen hat in Jugendzeiten einmal eine rote Fahne auf Papas Einfamilienhaus gehisst, bevor er dann endlich vernünftig und erwachsen wurde und anfing, Geld zu verdienen.
Zu Beginn seiner Parlamentszeit hat Joschka Fischer anlässlich der Menschenrechtsverletzungen in China noch von Boykott gesprochen und dabei die Aussage gemacht „Wenn dies Arbeitsplätze kostet, dann kostet es eben Arbeitsplätze“ – etwas, was bei mir tiefen Respekt hervorrief. Heute würde Joschka Fischer so ein Faux pas nicht mehr passieren.
Ich wurde an Joschka Fischer erinnert, als mir jemand, den ich seit über 35 Jahren nicht mehr gesehen habe, über Stayfriends eine mail schickte. Jemand, der mich damals, als er mich das erste Mal sah, sofort fragte, ob ich denn in einer Partei sei. Meiner erstaunten Antwort, dass man mit 13 Jahren doch noch gar nicht in einer Partei sein könne, antwortete er nur vorwurfsvoll „SDAJ“, was mir sofort ein schlechtes Gewissen bereitete, weil ich mir entsetzlich unpolitisch und dämlich vorkam. Ich war jetzt ein bisschen erstaunt, als er mir mailte, dass er jetzt in New York bei einem Managermagazin arbeiten würde. Meine Frage, ob er denn noch irgendwas mit der SDAJ zu tun habe, beantwortete er erst nach nochmaligem Nachfragen mit Nein, was mir ja auch klar war - "Aber er wäre noch ganz der Alte“.
Managermagazine handeln von Geldanlagen, Führungsseminaren, Luxusartikeln und pseudowissenschaftlichen Statements. Und sind geschrieben für genau diejenigen, die unsere Welt in den erbärmlichen Zustand gebracht haben, in dem sie sich jetzt und für alle Zukunft befindet. Kann man wirklich noch "Ganz der Alte" sein, wenn man jetzt solche Magazine mitgestaltet und früher in der SDAJ mitgearbeitet hat?
Aber vielleicht steckt eine tiefere Wahrheit in dem „Ich bin immer noch der Alte“. Denn schon damals ging es in Wahrheit gar nicht um ehrliche Überzeugungen. Im Grunde genommen sind die Joschkas & Co konsequenter als irgend jemand anderes – konsequent darin, ihr Fähnchen immer instinktiv nach dem günstigsten Wind zu hängen. Einmal ein falscher Fuffziger – immer ein falscher Fuffziger!
Das Leben der Anderen
Habe eben den Film "Das Leben der Anderen" angesehen. Im Gegenteil zu einigen Kritikern empfinde ich den Film nicht als Politschmonzette - abgesehen von der Rolle Martina Gedecks, deren schauspielerische Leistungen mir aber noch nicht besonders zusagten.
Ich erinnere mich an den ersten Kontakt mit der DDR . Ein Tag Ostberlin im Rahmen einer Klassenreise nach Berlin. Ich war 15 Jahre alt und davon überzeugt, daß der Sozialismus das einzige System sei, daß die Idee der sozialen Gerechtigkeit ernst nehmen würde. Nach dem Ausflug in die DDR hatte ich mich vom Traum eines sozialistischen Landes verabschiedet. Ein halber Tag realer Sozialismus hatten ausgereicht um eine gigantische Lüge zu offenbaren.
Wir kamen in einer kleinen Ostberliner Kneipe ins Gespräch mit einem Mann, der vielleicht 3 - 5 Jahre älter war als wir. Er glaubte uns erst, daß wir Westdeutsche sind, als wir unsere Reisepässe zeigten. Dann war er merklich verunsichert, brach das Gespräch aber nicht ab. Er erzählte, daß er für Auslandsreisen gesperrt sei, weil er versucht hatte während einer Reise in die Tschechoslowakei zu fliehen. Er schien aber auch das Bedürfnis zu haben, die "guten" Seiten der DDR zu schildern, denn er erwähnte, daß in der DDR ein Kindergartenplatz nur 18,00 Mark konsten würde. Da ich immer noch im Kindergarten mein Mittagessen erhielt, war mir auch der Westdeutsche Kindergartentarif bekannt: auch genau 18,00 DM! Das nahm unserem Gesprächspartner ein wenig die Luft raus beim Argumentieren.
Als wir durch Berlin schlenderten, wurden wir ständig angequatscht, ob wir nicht unsere Jeans oder Jeansjacken verkaufen würden. Unsere Argumente, daß wir nicht in Unterzeug durch Berlin laufen wollten, schienen die Kaufinteressenten nicht zu beeindrucken. Manche machten uns regelrecht ein schlechtes Gewissen mit Argumenten wie: "Ihr könnt Euch doch überall Jeans kaufen, aber wir nicht".
Jeans und Parka waren 1974 Pflicht für mich um mich von den sogannten Poppern abzugrenzen. Dennoch war ich aber auch mit 15 Jahren nicht mehr so auf die Darstellung durch Äußerlichkeiten fixiert, da mir auch da schon zuviele Menschen begegnet waren, die weder Parka noch Jeans trugen und trotzdem ein Gespräch lohnten. Ich war verwundert, daß die westlichen Jeans in Ostdeutschland anscheinend schon fast religiöse Bedeutung hatten. Die in der damaligen Zeit moderen Maxiröcke lösten offene Feindseligkeit bei älteren Menschen aus: "Die Zijeuner kimmen" ostpreußelte eine ältere Dame schokiert.
Bemerkenswert war auch der Besuch eines Kaufhauses. In der Etage mit der Damenbekleidung hingen ganze drei Kleider (was mich allerdings überhaupt nicht störte). Die Restaurants waren angenehm billig und wir fuhren ständig mit dem Bus herum, weil der nur 10 Pfennig kostete. Unser Chemieprofi stürmte gleich ein Antiquariat um dort für ein paar Mark Chemiebücher zu kaufen. Am Grenzübergang mußte ein Mitschüler aus der Parallelklasse eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen, weil er ein bißchen über irgendetwas gewitzelt hatte. Im Sozialismus darf nicht gewitzelt werden.
Als wir wieder nach Westberlin zurückkamen, verspürte ich ein großes Gefühl der Erleicherung. Ich empfande es als unerträglich, mich in einem Land aufzuhalten, das deren Bewohner nicht verlassen dürfen. Die Mauer erinnerte mich an KZ-Mauern. Die Leute waren entweder auf unser Westklamotten oder unser Westgeld scharf oder aber sie hatten Angst, mit uns zu sprechen. Der Traum vom Sozialismus hatte sich für mich an nur einem Nachmittag zerschlagen. Ich erinnere mich, daß es ein schöner Traum war, denn seit ich denken kann, habe ich auf soziale Ungerechtigkeit einen abgrundtiefen Haß.
Aber Realitäten zerstören Träume. Mit 15 läßt man sich nicht belügen - weil man in dem Alter nicht belogen werden will. Ich habe allerdings nie verstanden - und verstehe es auch heute noch nicht - wieso so viele andere an der Lüge festhielten. Wenn man als 15Jährige an einem einzigen Nachmittag kapiert, daß etwas verlogen und faul ist, dann müßten doch ältere Menschen, die sehr viel mehr Zeit des Kennenlernens hatten, sehr viel eher draufkommen.
Ich merke, daß ich jetzt genauso schreibe, wie ich als Jugendliche gefühlt habe. Ist dies eigentlich gut oder schlecht? Bedeutet dies Unreife oder Bewahrung der Jugend?
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Warum ich Günter Grass nicht mag – und was haben Berufsbetreuer und Günter Grass gemeinsam?
Im Alter von 12 habe ich das erste Mal Grass gelesen: „Örtlich betäubt“. War zwar quälerisch langweilig, aber der Sinn des Romans wurde von mir dennoch verstanden. Mit 14 dann im Deutschunterricht „Katz und Maus“, da habe ich gar nichts verstanden, was mir dann mein Restinteresse genommen hat. Vor einigen Jahren auf der Hochzeit meiner Nichte (liest genauso gern wie ich), zu der auch deren Deutschlehrer eingeladen war, packte ich dann die Gelegenheit am Schopf und fragte ihn, was denn bloß mit dieser Symbolik der „Maus“ gemeint war, die sich nervtötend durch das ganze Buch zog. Der Deutschlehrer betonte gleich, wie wichtig das Buch für ihn in der Pubertät gewesen sei, denn mit der „Maus“ (also dem Kehlkopf) sei die erwachende männliche Sexualität symbolhaft dargestellt worden. Nun, endlich war meine Wissenslücke beseitigt – meine Abneigung gegen Grass allerdings nicht.
Irgendwie habe ich schon (oder vielleicht auch gerade?) im Alter von 14 Jahren gespürt, daß Grass etwas Verlogenes hat. Beim „Häuten der Zwiebel“ wurde es dann öffentlich: Grass war als Jungerwachsener in der Waffen SS gewesen. Ganz deutlich: dies ist nicht das, was ich Grass vorwerfe! Ich empfinde es aber als ekelhaft, diesen Umstand bis pünktlich zum 80. Geburtstag zu verschweigen und die ganze Zeit moralisch entrüstet auf diejenigen zu zeigen, die mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht haben. Anscheinend legt der (doch eigentlich atheistische?) Grass Wert darauf, den Skandal noch aktiv selbst zu beruhigen und nicht posthum seine Totenruhe durch Zerstörung seines Lebenswerks beschmuddeln zu lassen.
Von einem guten Schriftsteller erwarte ich kein moralisch einwandfreies Verhalten, dies wäre anmaßend (und utopisch). Aber Authentizität ist für ernstzunehmende Literatur unverzichtbar. Die moralischen Widrigkeiten gehören in die Öffentlichkeit und nicht in den Bereich des Vertuschten. Genau das hätte die Öffentlichkeit der Nachkriegsära dringend gebraucht: die Frage nach dem Warum und Wieso. Die Frage nach dem, was in Menschen geschieht, wenn der Einzelne einem übermächtigen System ausgesetzt ist. Dies hätte der Aufarbeitung der deutschen Geschichte mehr genützt als das ständige Outen von anderen Kolaborateuren. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Stelle aus Erica Jongs autobiographischen „Angst vorm Fliegen“ ein. Sie lernt als jüdische Amerikanerin im Nachkriegsdeutschland einen ehemaligen Nazi kennen, der ganz deutlich sagt, daß ihm das ganze „wir haben von nichts gewußt“ gegen den Strich geht. Und er resümiert: die Deutschen hätten einfach nur ganz ehrlich sagen sollen „wir haben Hitler geliebt“. Das, was mir die Stelle so in Erinnerung bleiben läßt, ist die Reaktion der jüdischen Erica Jong, die sich mit ihm anfreundet, weil sie als Schriftstellerin Ehrlichkeit der Verlogenheit vorzieht. Und das hat Grass nie getan – was eine 14jährige anscheinend eher bemerkt als Literaturkritiker.
Was hat denn das alles um Himmelswillen schon wieder mit Berufsbetreuern zu tun?
Das Verbindende zwischen Grass und meinen Berufskollegen ist die Abneigung gegen das offene Aussprechen von Widrigkeiten und die Strategie des Vertuschens. Das beharrliche Festhalten daran, daß unser Bild in der Öffentlichkeit aalglatt und harmonisch sein muß. Das Tabuisieren von Defiziten und deren Übertuschen durch peinliche Außendarstellungen. Und das gedankenlose Vertun der besseren Möglichkeit: das Verbessern von Bedingungen und das Verändern von Mißständen. Genauso wie gute Schriftsteller die Aufgabe der Veränderung haben, haben dies auch gute Berufsbetreuer. Wird diese Aufgabe zugunsten eines guten Images vernachlässigt, dann wirkt der moralische Zeigefinger des Literaten genauso wie die PR-Aktionen der Berufsbetreuer unglaubwürdig.
Hätte man mich als 14jährige mit Berufsbetreuern bekannt gemacht, wäre ich vielleicht mit sicherem Gespür für die falsche Fassade genauso auf Abstand gegangen wie eben bei Günter Grass. Wie war das noch mal bei Salinger? Erwachsenwerden ist Verrat am Selbst....
Nachhilfe in Geschichte
In der letzten Woche habe ich das neue Geo-Heft „Die Deutsche Romantik“ durchgelesen. Habe in Geschichte entsetzliche Lücken (eigentlich ist es eine einzige Lücke) und das wollte ich mal wieder angehen. Auch wenn das wahrscheinlich jeder zweite hier weiß: für mich war es neu, daß Nationalgefühl eine Wurzel hat, die wenig mit dem zu tun hat, was es heute bedeutet. Statt des Sich-Erhebens über etwas war es vielmehr das Lösen von etwas – nämlich von der Abhängigkeit mächtiger Territorialfürsten.
Der Wunsch nach einer Nation war die Unzufriedenheit damit, in allen Bereichen des Lebens von irgendeinem Fürsten abhängig zu sein. Der Gründer der Jenaer Burschenschaft Karl Follen – ein Privatdozent für Jura – formuliert das auch treffend „Nieder mit Thronen, Kronen, Drohnen und Baronen“. Und Burschenschaften waren nicht wie heute Hüter uralter Traditionen sondern Wegbereiter von etwas Neuem; von Parteien, die für freie Parlamente und eine Verfassung stritten.
Der Ruf nach einer deutschen Nation war nicht in erster Linie der Schrei nach Deutschtum sondern der Wunsch nach dem Ende des Untertanentums. Freier Bürger statt höriger Untertan eines Fürsten, Grafen, Barons oder Herzogs. Garantierte Rechte statt Abhängigkeit von Willkür.
Nationalgefühl mal aus anderer Perspektive als der gewohnten.