Das vor einer Woche entstandene Video, in dem ein Kippa tragender Israeli von einem jungen Muslim geschlagen wird, kennt mittlerweise wahrscheinlich jeder. Die Erfahrungen des in Hamburg lebenden
Ben-Raffael Goihman sind ähnlich. „
Hitler hat vergessen, dich zu vergasen“ schrie ihm ein Muslim ins Gesicht, als er auf der Straße seine Kippa trug. Der Zentralrat der Juden rät mittlerweile vom Tragen der Kippa ab.
Man könnte jetzt noch unendlich viele andere Beispiele nennen: die Bedrohung jüdischer Restaurants, das Mobben jüdischer Schüler oder das Verbrennen der israelischen Fahne in Berlin. In Frankreich ist die Situation noch schlimmer, dort sind bereits tausende von jüdischen Familien aufgrund von offener Anfeindung und Bedrohung ausgewandert. Der grausame Mord an der Jüdin
Sarah Halimi im vergangenen Jahr, der vor kurzem verübte Mord an der Holocaustüberlebenden
Mireille Knoll und der bestialische Foltermord an
Ilan Halimi im Jahr 2006 machen auf drastische Weise deutlich, welch erschreckendes Ausmaß der Hass gegen Juden hat.
Neu ist jetzt allerdings, dass jemand wie Goihmann öffentlich ausspricht, von wem in erster Linie die Gewalt ausgeht: „
Aufgrund der Flüchtlinge aus der islamischen Welt wird das Problem allerdings tatsächlich schlimmer. Denn mit Muslimen gerate ich viel häufiger aneinander als mit irgendeinem Nazi.“
Was passiert, wenn man diese steigende und überaus furchterregende Gewalt gegen Juden anspricht? Kann man es überhaupt ansprechen? Nein, kann man nicht, denn jede aufkeimende Diskussion wird unweigerlich im Keim erstickt mit dem Argument der israelischen Siedlungspolitik. Da werden einzelne Menschen – welcher Nationalität auch immer sie angehören – persönlich verantwortlich gemacht für das, was der Staat Israel den Palästinensern antut. Dies bedeutet nichts anderes, als ein moralischer Freispruch für die Täter.
Ganz anders wird hingegen reagiert, wenn es nicht um antisemitische Gewalt, sondern um islamistische geht. Noch ehe man überhaupt mit dem Versuch einer Analyse beginnen kann, wird dies mit dem von muslimischer Seite sofort und überall vorgebrachten Argument des „Generalverdachts“ ausgebremst. Die gleichen Menschen, die genrell jeden einzelnen Juden als mitverantwortlich ansehen für die vom Staat Israel ausgeübte Gewalt, weisen es im Gegenzug empört als Generalverdacht von sich, wenn auf Zusammenhänge zwischen von Islamisten verübter Gewalt und der Einstellung zu Gewalt im Islam hingewiesen wird.
Eine Kippa kann als das jüdische Pendant zum islamischen Kopftuch angesehen werden. Allerdings kann die Ansicht über das Recht auf das Tragen religiöser Symbole erstaunlich unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob es die eigene Religionsgemeinschaft betrifft oder aber eine fremde. Immer wieder löst die Diskussion um ein mögliches Kopftuchverbot eine Welle von Empörung aus und stets wird dabei auf das Grundrecht auf religiöse Freiheit gepocht oder auf den latenten Rassismus der Befürworter eines Verbotes hingewiesen (hat ein Kopftuch tatsächlich etwas mit „Rasse“ zu tun??). Aber aus diesen Reihen stammen auch eben gerade diejenigen, die es für ihr Recht halten, jemanden die Kippa vom Kopf zu schlagen und dabei lautstark ihre offenkundige Sympathie für Hitler rauszubrüllen.
Ist das Problem des islamischen Antisemitismus eigentlich ein neues oder gibt es so etwas wie eine Tradition? Blickt man in die Vergangenheit, dann entdeckt man, dass im vergangenen Jahrhundert islamische Antisemiten mit nationalsozialistischen Antisemiten sympathisierten. Noch bevor ein israelischer Staat existierte, hatten die Nazis einen eifrigen Unterstützer und Bewunderer in
Amin al-Husseini, dessen wichtigstes Ziel es war, die jüdischen Einwanderer „
bis zum letzten Mann“ zu töten. Sicherlich wird jetzt so mancher sofort entgegnen, dass zum damaligen Zeitpunkt die Landeinnahme durch Juden schon begonnen hatte und es sich folglich doch indirekt lediglich um eine Verteidigung des eigenen Territoriums handelte. Dies stellt jedoch eine ignorante Verharmlosung Husseinis Vernichtungswahns dar, der sogar mitverantwortlich für die Deportation und Ermordung von 5.000 jüdischen Kindern war.
Blicken wir noch weiter in die Vergangenheit zurück, auf der Suche nach antisemitischer Tradition: im siebten Jahrhundert kam es zur Vernichtung der drei jüdischen Stämme
Ban Qainuqa,
Ban N-Nadir und
Ban Quraiza. Lange bevor es überhaupt die Idee einer israelischen Nation gab, wurden die Männer dieser Stämme getötet und die Frauen versklavt. Keiner dieser drei Stämme drang in islamisches Territorium vor, sondern es war genau umgekehrt – Muslime drangen in die von Juden bewohnte Oasenstadt Yathrib ein. Ideologisch gerechtfertigt wurde die Vernichtung dann damit, dass „Juden schlimmer als das Vieh seien“.
Nein, neu ist das Problem des Antisemitismus unter Muslimen wirklich nicht. Auch wenn es immer und überall auch friedliche Koexistenz zwischen der arabischen und der jüdischen Welt gab und gibt, so hat es parallel dazu genauso auch immer antisemitische Strömungen gegeben. Ebenfalls nicht neu ist leider auch das erschreckende Wegsehen und die Verharmlosung, wenn es um Antisemitismus geht.
Natürlich darf das Tragen einer Kippa nicht zum Risiko werden, schon gar nicht in Deutschland. Aber dass sog. Antisemitismus (der schließt ja genaugenommen die Araber ein, weil die angeblich ebenfalls von Sem abstammen, aber das ist jetzt Wortklauberei) von islamischer Seite aus verharmlost wird, sehe ich so nicht. Letzte Woche ging es bei Anne Will genau darum. Es wurde im Gegenteil betont, dass man jetzt die sich häufenden Vorfälle nicht einfach auf eingewanderte Flüchtlinge schieben darf. Es sind nicht immer die anderen, es sind Versäumnisse unserer Politik, die es nicht schafft, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen und dann antisemitischen Übergriffen, egal ob von deutschen Faschos oder von muslimischen oder anderen Einwanderern oder auch von deutschen Linken entschieden entgegenzutreten.
In Einzelfällen ist es nachvollziehbar, wenn z.B. Menschen, die aus dem Gazastreifen stammen, gewaltig den Kaffee aufhaben und unsachlich werden, aber es ist nicht in Ordnung. Auch Ahmad Mansour plädiert dafür, miteinander zu reden, statt gegeneinander zu kämpfen, war er doch selbst in einem antijüdischen Klima aufgewachsen, weil seine Familie unter der israelischen Politik zu leiden hatte, hat er aber dann erkannt, dass auch die israelischen Kommilitonen Menschen sind und wirbt heute dafür, diesen Wahnsinn zu beenden.
Also wirklich, vielleicht gibt es ein paar Nasen, die Übergriffe gegen Juden von Seiten arabischer Einwanderer rechtfertigen, aber das ist keine mehrheitsfähige Haltung in unserer Gesellschaft.
behrens am 01.Mai 18
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Ich kann die Kreise benennen: zum einen gehören diese Kreise denjenigen an, die sich als Linke/Alternative verstehen, zum anderen findet man diese Kreise unter Muslimen. Ich spreche also
nicht von der Gesamtheit der Linken/Alternativen und auch
nicht von der Gesamtheit der Muslime.
Ich habe mich heute beim Frühstück mit meinem Freund über diese Diskussion hier im Blog unterhalten. Da der Vater meines Freundes aus dem Libanon stammt und er selbst dort auch schon als Kind gelebt hat, ist er nicht unbedingt ein Freund der israelischen Politik. Bisher war er auch nicht zu bewegen, Israel zu bereisen (was auch daran lag, dass früher das Visum eingestempelt wurde und man dadurch keine arabischen Länder mehr bereisen konnte). Aber als ich meinem Freund sagte, dass ich den Anteil derjenigen Muslime, die Juden hassen, auf 80 % schätze, antwortet er, er sehe den Anteil eher bei 90 %! Mein Freund hat sehr viele muslimische Freunde und außerdem hat er auch viele Jahre in den Vororten von Paris als Sozialarbeiter gearbeitet und urteilt folglich weder als Aussenstehender, noch als jemand, der sich durch ein Feindbild leiten lässt.
Wir haben einen gemeinsamen aus dem Maghreb stammenden Freund, der wörtlich sagte, dass Hitler seines Erachtens Recht damit hattet, die Juden zu vergasen. Wir haben dies nicht skandalisiert, wie Sie es nennen, sondern versucht, mit Argumenten entgegenzutreten. Allerdings haben wir beide nicht das Gefühl, dass uns dies tatsächlich auch gelungen ist.
Was denjenigen Teil der Linken betrifft, der Diskussionen mit dem Argument der Palästinenserfrage ausbremst, bin ich mir nicht sicher, wie hoch der ist. Allerdings sehe ich denjenigen Teil, mit dem eine Diskussion möglich ist, als Minderheit an. Ich weise dabei auf die
Entebbe-Entführung hin und auf die in den Siebzigern verübten Anschläge auf ein
jüdisches Gemeindehaus und ein
jüdisches Altersheim. Sicher - es gab so etwas wie Diskussionen, allerdings nicht mit dem Tenor der Entrüstung, sondern mit dem des ideologischen Schlagabtauschs, in dem es nicht in erster Linie um die menschenverachtenden Gewalttaten ging, sondern um die für diese Szene so typische unerträgliche Rechthaberei.
Um auf den Punkt zu kommen: ich bin nicht der Ansicht, dass es sich nur um ein paar Nasen handelt, sondern leider um eine immer größer werdende Mehrheit.
behrens am 05.Mai 18
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Ich habe mir mit meiner Antwort etwas Zeit gelassen, denn eigentlich ist Optimismus immer die bessere Wahl und man sollte ihn deswegen unterstützen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, teile ich diesen Optimismus nicht (mehr). Gerade heute gibt es in der Hamburger Morgenpost auf der ersten Seite einen Artikel mit dem Titel „Wir Muslime sind keine Antisemiten!“, denn Antisemitisms sei ein „
typisch deutsches“ Problem. Mir wird schlecht angesichts so viel Ignoranz. Der Zentralrat der Juden rät vom Tragen der Kippa in Großstädten ab – aber nein, es gibt keinen Antisemitismus unter Muslimen, alles nur reine Einbildung und Islamphobie.
Viele Muslime hassen nicht nur die Juden, sondern auch Frauen, die
selbstbestimmt leben wollen und Menschen, die den Islam
kritisieren oder ihn
reformieren möchten. Und hier sollte man sich weniger mit den Objekten des Hasses beschäftigen, als vielmehr mit dem Hass selbst. Hass ist niemals in erster Linie ein Resultat intellektueller Einstellungen oder falscher Informationen. Die meisten Muslime wissen, wofür der Holocaust steht und müssen darüber keineswegs erst aufgeklärt werden. Wenn jemand einem Juden ins Gesicht schreit: „
Hitler hat vergessen, dich zu vergasen“, dann macht dies ja gerade deutlich, dass er den Holocaust nicht leugnet und somit ist es auch keine fehlende Aufklärungsarbeit, die für diese menschenverachtende Haltung verantwortlich ist.
Hass entsteht nicht durch Denken, sondern durch Frustration und die mangelnde Fähigkeit, sich mit deren Ursachen auseinanderzusetzen. Eine rigide Sexualmoral, die unbedingte Unterordnung in hierarchische Familienstrukturen und das strikte Verbot vieler Dinge, die Spaß machen (Alkohol, Tanz, Musik etc.) tragen nicht dazu bei, mit sich und der Welt in Einklang zu stehen. Erst recht nicht, wenn man auch noch in er Gesellschaft aufwächst, in der die Mehrheit diesem Verbotskatalog nicht folgen muss und dadurch wesentlich freier und selbstbestimmter lebt. Darin sind die Ursachen für Hass zu sehen und da muss auch angesetzt werden. Dies wird aber nie der Fall sein, denn damit würde man Grundfeste des Islams erschüttern.
Und deswegen kann ich mich nicht zu Optimismus durchringen.
damals am 13.Mai 18
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Ja, ich verstehe, was Sie meinen, bin aber doch anderer Meinung. Dass z.B. der Vertreter einer Religionsgemeinschaft da in der Morgenpost versucht, die Haltung seiner Glaubensbrüder und -schwestern schönzureden (natürlich hat er das Vorhandensein von Antisemitsmus unter Muslimen nicht geleugnet), das ist vielleicht feige, aber irgendwie auch normal, oder? Überhaupt finde ich, sollte man in einer medial aufgehitzten Situation möglichst wenig darauf achten, was die Medien und Meinungsführer da so verkünden. Meine muslimischen Schüler z.B. tanzen viel und gern, mehr als die deutschen. (Antisemitismus gibt es allerdings auch viel.)
Und ja, Aufklärung kann wenig bewirken, kann nur ein kleiner Teil der Überzeugungsarbeit sein, vor allem geht es um das Vorleben eines menschlichen Miteinanders (bei uns in der Regel durch christliche Werte vermitelt, das muss aber nicht so sein): Ich bin nach wie vor überzeugt, dass das sehr wirksam ist, grad bei jungen Menschen.
Und zu diesem menschlichen Miteinander gehört eben auch, die religiöse Überzeugung des Anderen achten, auch wenn man sie nicht mag. Die Idee, dass Hass und Verbote unveränderbare Grundfeste des Islam sind, halte ich nicht nur für falsch (keine Religion der Welt hat solche Grundfeste, solchen Kern) - Sie sprechen ja selbst Reformierungsversuche im Islam an - sondern auch für nicht sehr respektvoll. Versuchen wir doch, gut zu sein, mit gutem Beispiel voranzugehen!