Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys – Sprache zuckersüß
Schon seit einiger Zeit zeigt sich im deutschen Sprachgebrauch die Tendenz, Begriffe nur noch in der Verniedlichungsform zu verwenden. Angefangen hat dies damit, erwachsene Frauen als "Mädels" zu bezeichnen. Dies mögen die meisten äußerst originell und sehr witzig empfinden, mir geht es allerdings so, dass ich es als albern und dämlich empfinde.
Die Ausdrücke „Mutter“ und „Vater“ scheinen ebenfalls nicht mehr sehr beliebt zu sein und werden zunehmend durch „Mama“ und „Papa“ ersetzt. Dies ist für kleine Kinder sicherlich völlig normal und auch für Erwachsene, die ihre Eltern direkt ansprechen. Auch ich habe meine Eltern im direkten Gespräch mit Mama und Papa angeredet. Allerdings käme es mir nie in den Sinn, dies gegenüber Dritten zu tun. Wenn ich über Dinge spreche, die meine Eltern betreffen, dann spreche ich von meiner Mutter und meinem Vater. Hätte ich oder jemand meiner Freunde beispielsweise als Teenager von „meiner Mama“ gesprochen, hätte dies mit ziemlicher Sicherheit Gelächter und ein breites Grinsen ausgelöst.
Kinder auch als Kinder zu bezeichnen, gilt inzwischen auch als völlig überholt und altbacken und kommt allenfalls in Formularen oder Gesetzestexten vor, wo es – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – noch Kindergeld und Kindeswohl anstatt „Kidsgeld“ oder „Kidswohl“ heißt.
Den Ausdruck Baby gibt es schon lange, allerdings wurden damit auch nur Babys bezeichnet und nicht grundsätzlich jedes Kind. In Bezug auf Kinderwunsch sprachen Paare grundsätzlich davon, sich ein Kind zu wünschen und Frauen sprachen in der Schwangerschaft davon, ein Kind zu erwarten. Heute wünschen sich Paare ausdrücklich ein Baby und Frauen sprechen davon ein Baby zu erwarten.
Warum geht mir dies alles so gegen den Strich? Es ist doch schließlich nichts Schlimmes dabei, wenn sich Menschen lieber locker und fortschrittlich ausdrücken, anstatt ernsthaft und hausbacken, oder etwa nicht?
Nein, schlimm ist es tatsächlich nicht, aber ziemlich albern und lächerlich. Im Grunde stellt die Tendenz zur Verniedlichung das sprachliche Pendant zur Fungesellschaft dar, in der alles lustig, unterhaltsam und quietschvergnügt zugehen muss. Allerdings ergibt dies einen merkwürdigen Kontrast zur der ebenfalls schon seit längerem bestehenden Tendenz der Verrohung der Sprache. Niedlichen Begriffen wie Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys stehen auf der anderen Seite gar nicht mehr so niedliche Begriffe wie Schlampe, Hurensohn, Spasti, schwule Sau, Fotze etc. gegenüber.
Wenn Sprache auch immer ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse ist, dann muss man sich fragen, ob die Welt der Mädels, Mamas, Papas, Kids und Babys tatsächlich so zuckersüß ist, wie sie sich anhört. Als Sozialarbeiterin kann ich dies nur verneinen. Insbesondere, wenn junge Menschen davon sprechen, sich ein „Baby“ zu wünschen, sehe ich vor meinem geistigen Auge bereits die Zeit vor mir, wenn das das kleine süße Baby eben nicht mehr klein und süß ist, sondern ein Kind, das Ansprüche stellt und sehr anstrengend sein kann, was dann sehr viel öfter als früher nur noch funktioniert, wenn diverse staatliche Hilfen geleistet werden.
Der Begriff "Mädel" löst bei mir wehmütige Erinnerung an die Zeit aus, als es noch eine Frauenbewegung gab und der Ausdrück Mädel ausschließlich im dunklen geschichtlichen Zusammenhang des "Bund Deutscher Mädel" - benutzt wurde. Auch mit viel Fantasie kann ich mir den (inzwischen längst geschlossenen) Frauenbuchladen nicht als "Mädelsbuchladen" vorstellen und die (inzwischen längst nicht mehr stattfindende) Hamburger Frauenwoche auch nicht als "Mädelswoche". Manche Sachen scheinen nur bei erwachsenen Frauen zu funktionieren und nicht bei Mädels...
Vielleicht wird der Unterschied der sprachlichen Aussage deutlich, wenn man einfach mal die konservative Ausdrucksform in die verniedlichende Ausdrucksform übersetzt. Das habe ich gemacht und das hier kam dabei heraus:
Aus August Bebels: “Die Frau und der Sozialismus” wird jetzt „Das Mädel und der Sozialismus“.
Aus Hermann Hesses oder Franz Kafkas „Brief an den Vater“ wird jetzt der „Brief an den Papa”.
Aus Heinrich Heines Gedicht "An meine Mutter" wird jetzt das Gedicht "An meine Mama".
Aus Nancy Fridays “Wie meine Mutter“ bzw. „My mother myself“ wird jetzt “Wie meine Mama“ bzw. “My mummy myself”.
Aus Alice Millers: "Das Drama des begabten Kindes“ wird jetzt „Das Drama des begabten Kids“
Aus Oriana Fallacis „Brief an ein nie geborenes Kind“ wird jetzt „Brief an ein nie geborenes Baby“.
Wie bereits gesagt – alles keine Katastrophe. Aber dennoch alles seines sprachlichen Ausdrucks beraubt und zu einer lächerlichen Babysprache degradiert. Ich bin mir übrigens ganz sicher, dass ich mir niemals ein Buch mit dem Titel „Wie meine Mama“ gekauft hätte und auch niemals Interesse daran gezeigt hätte, einen „Brief an den Papa“ zu lesen. Jedenfalls nicht, seitdem ich älter als neun Jahre alt bin….
In der Sprache ist mir das noch nie so aufgefallen, aber dass unsere Gesellschaft zunehmend infantilisiert, ist mir auch schon aufgefallen: Sekundärbehaarung, die in meiner Jugend noch sehnsüchtig als Insignien des Erwachsenendaseins erwartet wurde, wird abrasiert, sogar im nichtöffentlichen Genitalbereich sehen alle immer noch so aus wie Kinder.
Es will auch niemand mehr Verantwortung übernehmen. Die jungen Erwachsenen ziehen nicht aus sondern teenagern auch im Studium in der elterlichen Wohnung herum und fühlen sich für nichts zuständig. Manchmal bekomme ich richtiggehend Angst.
behrens am 27.Mär 17
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Stimmt, die Gesellschaft infantilisiert zunehmend. Und dies passt ja auch bestens zur der Tendenz der Entpolitisierung, denn Kinder interessieren sich nicht für Politik, sondern wollen lieber spielen. Die Kommunikation via Facebook, Instagram oder Twitter hat nichts mehr mit ernsthafter politischer Auseinandersetzung zu tun und ein Meinungsaustausch, der überflutet ist mit Smileys oder Kommentaren wie *lol*, *omg* oder *wtf* tut sein Übriges und macht das Ganze nicht gerade geistreicher.
Das mit der Ganzkörperenthaarung hat mich schon immer an Barbiepuppen erinnert, wobei eine Barbie eine skurrile Mischung aus Sexdoll und Babypuppe darstellt. Schön sauber und anständig eben. Übrigens gilt für die Ganzkörperenthaarung das Gleiche wie für die Sprache, denn auch sie steht in einem merkwürdigen Kontrast zu einem ebenfalls obligatorischen Zeitphänomen, nämlich dem der Tätowierung. Auf der einen Seite seidenweich enthaarte Babyhaut, auf der anderen Seite grelle, meist schauerliche Tätowierungen, wie sie früher nur Seefahrer oder Knackis trugen. Aber wer weiß – vielleicht bedingen sich die beiden Phänomene gegenseitig und die Tätowierung gibt dem enthaarten Kinderkörper seinen Erwachsenenstatus zurück? Das wäre doch mal eine einleuchtende Erklärung!
Sie würden es vielleicht anders sehen, wenn Sie wüssten, was die Verniedlichungen in der polnischen Sprache seit einigen Jahren anrichten! Im Vergleich dazu sind die deutschen Babys, Mamas und Papas noch harmlos.
Es ist mittlerweile fast üblich, auch neutrale Wörter in Gesprächen mit Unbekannten zu verniedlichen. So wird aus dem Geld (pieniądze) ein Wort, dass ich nur als... Geldchen übersetzen kann (pieniążki). In der S-Bahn werden Sie aufgefordert, ihr "Ticketchen" (bileciki statt bilety) zu zeigen.
Es hat aber auch positive Seiten - manchmal kann ein zufällig gehörtes Gespräch zu Lachkrämpfen führen, und Lachen ist bekanntlich gesund!
PS. "Mama" und "Tato" (Papa) hören sich auf Polnisch neutral an. "Matka" (Mutter) und "Ojciec" (Vater) wiederum sehr offiziell und distanziert, darum wird häufig - auch in Gesprächen mit anderen Menschen - die erste Form gewählt.
behrens am 11.Apr 17
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Es ist immer wieder interessant und aufschlussreich, was für Eigenheiten andere Sprachen so haben. In Frankreich nervt es mich beispielsweise immer, dass auch erwachsene Frauen als Mädchen – „filles“ – bezeichnet werden und dass ich manchmal sogar noch im Alter von Mitte Vierzig als „Demoiselle“ – Fräulein – angeredet wurde. Andererseits ist es im Französischen eher unüblich, Dritten gegenüber von seinen Großeltern als Oma und Opa zu sprechen, diese Bezeichnung wird nur von kleinen Kindern oder aber in der direkten Anrede verwendet.
Ich bin übrigens alles andere als ein Fan von sprachlicher political correctness und liebe den Volksmund, weil er sehr viel ehrlicher und treffender ist als künstliche Wortschöpfungen. Aber wenn Eltern im Gespräch ständig als Mama und Papa bezeichnet werden, empfinde ich es als genauso dämlich, als wenn man beispielsweise den Ausdruck „Bezugsperson“ verwenden würde. Sprache ist viel zu wichtig und zu spannend um sie mit Babysprache oder leblosen Wortmonstern zu verschandeln.
Ich frage mich gerade, warum das englische Wort "Baby" so schnell ins Deutsche übernommen wurde. Eigentlich ist die deutsche Sprache den Anglizismen gegenüber ziemlich resistent - manche sagen Rechner statt Computer (auf Polnisch existiert nur das Wort komputer, eine polnische Variante gibt es gar nicht), es gibt den Taschenrechner (kalkulator) usw. Und trotzdem gibt es viele urpolnische Bezeichnungen für ein kleines Kind und das Wort "Baby" hat keine Karriere gemacht.
Also wenn ich mit meinen Eltern gesprochen habe, dann habe ich immer Mama und Papa gesagt. Im Gespräch mit anderen über meine Eltern war das "meine Mutter" und "mein Vater".
Seltsamerweise waren Oma und Opa immer Oma und Opa, nur selten meine Grossmutter oder mein Grossvater, wahrscheinlich war das zu lang ... ;o) vielleicht daher auch die Vorliebe für Baby anstatt Säugling, es ist ein einfacheres Wort.
Das ist ein sehr guter Punkt, Birgit: vielleicht liegt es ganz pragmatisch an den fehlenden "urdeutschen" Alternativen zum Wort Säugling :-)
Auf Polnisch kann ich spontan an mindestens drei gängige Verniedlichungen des Wortes "Kind" denken (dzidziuś, dzieciaczek, dzidzia).
behrens am 17.Apr 17
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Ich benutze übrigens auch den Ausdruck Baby, allerdings eben nur dann, wenn es sich auch wirklich um ein Baby handelt. Den Wunsch nach einem Kind hätte ich nie und nimmer mit dem Wunsch nach einem Baby bezeichnet. Ich denke, dass Deutschland sehr viel anfälliger für Anglizismen ist, als andere Länder. Deutsche Texte galten in der Popmusik beispielsweise ewig lange als hausbacken und spießig. Dass es mit den Englischkenntnissen nicht immer so weit her ist, zeigt der Ausdruck „Coffee to go“ – kein Engländer würde diesen Ausdruck benutzen, sondern „Coffee to take away“ sagen. Mein platt schnackender Opa sagte übrigens „'ne Tass' Kaff“ – die er jedoch niemals zum unterwegs trinken mitgenommen hätte, sondern die auf den Küchentisch gehörte.
Etwas von anderen Spracheigenheiten zu hören, finde ich übrigens sehr interessant, vielen Dank!
Ach ja, die Italiener sagen zum Mobiltelfon "telefonino", was so viel heißt wie Telefönchen. Das fand ich immer superklasse, weil sie diese technologische Innovation damit so überhaupt nicht ernst genommen haben :-)
behrens am 18.Apr 17
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Stimmt, das ist mal ein Beispiel dafür, dass Verniedlichung auch durchaus treffend sein kann.
Jetzt wurde in mir der Wunsch geweckt,
auch noch meinen Senf dazu abzugeben.
Ich spreche meine Eltern mit "Mama" und "Papa" an
und würde wahrscheinlich in Lachen ausbrechen,
spräche jemand seine Eltern mit "Mutter" und "Vater" an.
Gegenüber anderen sage ich aber auch "meine Mutter" und "mein Vater".
Außer wenn ich mit Menschen aus meiner Familie rede.
Aber ich glaube das erklärt sich von selbst.
Ein "Baby" ist für mich ein Säugling.
Ich sprech das aber "Bebi" aus und nicht "Bäibi".
Was mich allerdings nervt ist,
wenn ich jemanden sowas sagen höre, wie:
"Ich hole mir dasunddas"
Dieses "ich hole" klingt doch, als wollte jemand einen Raub begehen!
Als müsste man gar kein Geld mehr bezahlen.
Aber oft bringt es mich auch zum Schmunzeln,
wenn ich mir die Person in schwarzer Kleidung in ein Geschäft einbrechen sehe.
~N.
behrens am 28.Apr 17
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Seit einiger Zeit gibt es in der Sendung „Hamburg Journal“ den Beitrag „Der Hamburger des Tages“. Und dabei kam unter anderem auch eine Frau zu Wort, die mindestens Mitte Fünfzig war und die ihre Mutter zur Hamburgerin des Tages auserwählt hatte. Die Mitfünfziger formulierte dann „Für mich ist meine Mama die Hamburgerin des Tages. Meiner Mama verdanke ich sehr viel“. Alberner geht’s wirklich nicht…
Hallo,
ich muss nochmal meinen Senf dazugeben.
Ich halte das nicht für albern.
Ich würde meine Mutter sagen, aber vermutlich auch Mama.
Ein "Mama" ist tausendmal persönlicher als ein "Mutter".
behrens am 05.Aug 17
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Ich habe meine Mutter immer mit „Mama“ oder „Mutti“ angesprochen und wenn ich mich mit meiner Schwester über unsere Mutter unterhalte, nenne ich sie immer noch so. In der persönlichen Beziehung finde ich das auch genauso normal wie Sie. Mir geht es mehr um das Phänomen, dass man auch außerhalb der persönlichen und intimen Sphäre zunehmend Kosewörter nutzt. Aber wahrscheinlich ist dies eben auch eine Generationssache. Sprache verändert sich und was von den vorigen Generationen als ungewöhnlich oder befremdlich empfunden wurde, ist für die aktuelle Generation das Normalste von der Welt. Man denke nur an das „Fräulein“, das noch vor einigen Jahrzehnten üblich war und heute nur noch Lacher hervorruft (außer übrigens in Frankreich, wo das „Demoiselle“ nach wie vor üblich ist).
behrens am 21.Jul 17
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Vor kurzem wurde in Norddeutschland eine Mutter von ihrem eigenen dreißigjährigen Sohn erstochen. Wenige Stunden zuvor hat sie auf Facebook diesen Spruch gepostet: „Eine Mama denkt immer an ihre Kinder. Egal, wie alt sie auch sein mögen.“. Es liegt mir fern mich über die brutale Tragik des Geschehens zu mokieren, aber während die meisten derartige Posts wahrscheinlich als völlig normal und niedlich empfinden, verspüre ich tiefes Befremden vor dem Zusammenprall von zuckersüßer Verniedlichung auf der einen Seite und grausamer Gewalt auf der anderen. Die Selbsttitulierung als Mama gehört zur Beziehung zu einem Kleinkind und nicht zu einem erwachsenen Menschen. Einer schwierigen Mutter-Sohn-Beziehung kann man sich nur durch eine ernsthafte Auseinandersetzung stellen und nicht durch lächerliche Verniedlichung.