Irgendetwas läuft gewaltig schief in Deutschland
Eben lief eine Diskussion im Fernsehen, in der die Islamexpertin Lamya Kaddor sich zum Thema mangelnde Integration äußerte und dabei wiederholt darauf hinwies, dass man sich bei denjenigen, die sich für einen Weg in die Gewalt entscheiden und sich von der IS anwerben lassen, immer wieder fragen muss, warum es dazu kam und was an der Integration falschgelaufen ist. Deutschland hätte dabei eine „Bringschuld“, was immer Kaddor damit meinte.
Vor einigen Tagen äußerte sich SPD-Mitglied Wolfgang Thierse zu den Dresdner Anschlägen gegen eine Moschee und ein internationales Kongresszentrum. Er betonte dabei, dass man so etwas nicht mit Perspektivlosigkeit und sozialen Problemen entschuldigen dürfe.
Zwei Standpunkte, die sich offensichtlich diametral entgegenstehen. Oder vielleicht doch nicht? Bei der Thematik der Gewaltbereitschaft unter Muslimen wird auf das Gebot der Ursachenforschung und das Gebot der Suche nach der Verantwortung der Gesellschaft verwiesen und hierbei fallen immer wieder die Argumente der Perspektivlosigkeit und der mangelnden Bildung. Bei den gewaltbereiten Pegida-Anhängern hingegen wird genau dies als falsch angesehen und Ursachen und Mitverantwortung der Gesellschaft sind gefälligst außer Acht zu lassen.
Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass Menschen ohne Feindbilder nicht leben können. Der fundamentalistische Islam braucht das Feindbild der Ungläubigen, die es überall und jederzeit zu bekämpfen gilt. Pegida und andere rechtsgerichtete Bewegungen brauchen das Feindbild der fremden und bedrohlichen Kultur, gegen die man sich mit aller Kraft wehren muss.
Das Interessante daran ist jedoch, dass damit der Feindbildkreislauf noch nicht vollständig ist. Denn auch Menschen wie Lamya Kaddor brauchen das Feindbild Pegida, weil es belegt, dass man selbst lediglich Opfer ist und völlig grundlos angefeindet wird. Und auch Menschen wie Wolfgang Thierse brauchen das Feindbild Pegida, weil man dadurch ein gesellschaftliches und somit komplexes Problem bequem auf ein einziges reduzieren kann. Darüber hinaus erfüllt die öffentliche Verurteilung von Pegida nebenbei auch die wichtige Funktion, deutlich zu machen, dass man selbstverständlich auf der „richtigen“ Seite steht. Gerade dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen. Menschen, die in ihrem Alltag eigentlich kaum mit dem Thema Migration zu tun haben, weil sie weder an Orten mit vielen Migranten wohnen, noch an Arbeitsplätzen mit vielen Migranten arbeiten und zu deren Bekannten- und Freundeskreis oftmals auch erstaunlich wenig Migranten gehören – gerade diejenige Menschen nutzen gern die Möglichkeit, sich öffentlich vehement gegen Pegida zu positionieren.
In der schriftlichen Diplomprüfung meines sozialwissenschaftlichen Studiums ging es beim dem Thema sozialtherapeutischer Handlungsansätze unter anderem um die „Gegenüberstellung und Vergleich des monokausalen und des systemischen Standpunktes“. Ich hasse solche hochtrabenden Formulierungen, die keine andere Funktion haben, als etwas Einfaches zu etwas Komplizierten aufzubauschen. Denn man kann dies natürlich auch verständlicher formulieren, wie zum Beispiel: Gegenüberstellung und Vergleich des Ansatzes der Nichtberücksichtigung mit dem Ansatz der Miteinbeziehung familiärer und gesellschaftlicher Hintergründe. Letzterer Ansatz steht momentan anscheinend nicht mehr hoch im Kurs: sich die Mühe machen, einen Blick auf Zusammenhänge zu werfen und das Zusammenspiel von familiären und sozialen Faktoren zu berücksichtigen. Wir sind wieder in der Zeit der einfachen Erklärungen gelandet. Das erspart nicht nur das Nachdenken, sondern vor entbindet uns auch von der Mitverantwortung.
Ich glaube nicht, dass das, was sich gerade in Deutschland abspielt, schon als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann. Aber ich würde nicht mehr ausschließen, dass es eine dahingehende Entwicklung gibt. Und diese Entwicklung wird ganz bestimmt nicht durch Standpunkte verhindert, wie sie Lamya Kaddor oder Wolfgang Thierse vertreten. Auf der einen Seite die Ansicht, Menschen nur als Opfer der Gesellschaft zu sehen, ohne dabei im Geringsten zu hinterfragen, ob deren Gewaltbereitschaft vielleicht doch auch etwas mit den familiären und kulturellen Wertvorstellungen zu tun haben könnte. Auf der anderen Seite der Standpunkt, dass Menschen anscheinend völlig grundlos, quasi aus tiefster Böswilligkeit Hass und Feindschaft gegen andere entwickeln.
Wir sind mehr denn je davon entfernt, uns die Mühe des genauen Hinsehens zu machen. Denn dann würden wir so manches sehen, was unbequem und anstrengend ist und die Bequemlichkeit der Einteilung in Opfer und Täter erschwert. Und dann müssten wir vielleicht sogar irgendwann auf unsere liebgewonnenen Feindbilder verzichten.
Hallo, Thierse war einmal. Ups
behrens am 05.Okt 16
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Oje, schon geändert. Danke für den Hinweis (Aber gesagt hat er es).
... ist jeder einzelne Mensch für das verantwortlich, was er tut. Da führt kein Weg dran vorbei, egal wie argumentiert wird. Und das gilt für alle Menschen.
die Sie sich da machen. Das ist mir so noch gar nicht aufgefallen, weil ich Nachrichtensendungen und Pressemeldung immer nur halbherzig verfolge, wie ich leider gestehen muss. Ich denke, dass in beiden Fällen - also sowohl bei den von mir auch alles andere als geschätzten PEGIDA-Leuten als auch bei sich radikalisierenden Muslimen - beide Positionen stimmen. Menschen sind immer Opfer der Verhältnisse, aber Menschen sind auch immer selbst verantworlich für das, was sie tun. Ich habe als Studentin auch plötzlich verstanden, wie schlichte Jugendliche, leicht zu Ausländer hassenden Neonazis werden, aber interessanterweise hat sich damals durch einen zweijährigen mobilen Einsatz im sozialen Brennpunkt etwas verändert; die Nazi-Clique kam am Ende zu Verstand. Mit gewalttätigen Dumpfbacken will man lieber nichts zu tun haben, aber gerade das ist wichtig, dass man sich der Auseinandersetzung stellt. Ist aber auch ein hartes Brot, mit Leuten zu diskutieren, denen man schon nach ein paar Sätzen am liebsten den Rücken kehre oder ins Gesicht sagen würde, dass ihr substanzloses Gewäsch menschenverachtender, nicht zu Ende gedachter Hirnwichs ist. Mal hat man die Kraft dazu, das andere Mal nicht.
Natürlich steckt die Wurzel allen Übels in den ökonomischen Verhältnissen oder, um es richtig unwissenschaftlich, eher religionsphilosophisch auszudrücken: Es liegt an der Gier. Irgendwo fängt immer einer an, seine Gier nach Macht und/oder Konsum zur wesentlichen Triebfeder seines Handelns zu machen und damit andere zu der Entscheidung zu zwingen, es ihm entweder gleich zu tun oder unterzugehen. Ist jetzt auch sehr vereinfacht, aber ich finde, am Ende läuft alles darauf hinaus.
behrens am 20.Okt 16
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Es ist sehr aufschlussreich, dass Pegida als die Reinkarnation von Dummheit und Engstirnigkeit angesehen wird, hingegen aber andere Bevölkerungsgruppen, die einer beschränkten und kleinbürgerlichen Weltanschauung in nichts nachstehen, grundsätzlich mit Kritik verschont werden. Wenn in Deutschland 40.000 Menschen auf die Straße gehen um für Erdogan zu demonstrieren und dabei begeistert hinter den von Erdogan als Säuberung bezeichneten Aktionen stehen, dann kann das mit Sicherheit nicht als Ausdruck für Weltoffenheit und Toleranz gewertet werden. Und wenn eine Befragung von jugendlichen muslimischen Männern das erschreckende Resultat ergibt, dass bei einer Frau der Verlust der Jungfräulichkeit vor der Ehe als ein weitaus schlimmeres Vergehen gewertet wird, als wenn ein Mann in Drogenschäfte verwickelt ist, dann ist das ein demonstratives Bekenntnis gegen das Prinzip der Gleichheit und Ebenbürtigkeit.
Sie schreiben: „
Mit gewalttätigen Dumpfbacken will man lieber nichts zu tun haben, aber gerade das ist wichtig, dass man sich der Auseinandersetzung stellt.“ Genauso ist es, denn andernfalls wirft man das Handtuch und kehrt wieder in die Zeit der Dschungelgesetze zurück. Wobei ich dabei in Hinsicht auf die Chance einer Veränderung auch nicht mehr allzu optimistisch bin. Aber der 14jährige Nazi, der in einem Plattenbau aufgewachsen ist und auf Ausländer eindrischt, wurde nicht als Nazi geboren, so wie auch der 14jährige türkische Mongol, der wahllos auf alle Nichtclubmitglieder losknüppelt, nicht als Rocker auf die Welt kam.
Es wäre mal eine spannende Frage, bei welchem Typus eine Intervention tatsächlich erfolgversprechender wäre. Und wer eher bereit wäre, seine Positionen zu hinterfragen.
https://www.welt.de/vermischtes/article149613850/Sexuelle-Unterdrueckung-ist-Hauptproblem-des-Islam.html
Ich glaube, man muss es einfach versuchen und drauf ankommen lassen. Die Frage ist nur, welche Methode bei welcher Zielgruppe am ehesten erfolgversprechend ist.
Sie sprechen mir von der Seele. Es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich die Gewalt beurteilt wird, je nach Lager, von dem sie ausgeht.
Ich glaube übrigens nicht, dass die gewalttätigen, aggressiven Positionen unter Muslimen nur einer kleinen radikalen Minderheit zuzuschreiben sind. Sie scheinen leider fest im islamischen Mainstream hierzulande verankert zu sein, wie die Studie von Prof. Ruud Koopmans zeigte.