Sogenannte Witze
Man sollte sich keine dämlichen Videos ansehen, aber irgendwie passiert es mir ab und zu doch mal. Bei youtube grassiert ein Video, in dem ein Sohn seinem Vater vor laufender Kamera erzählt, dass er schwul ist und eine Beziehung zu einem Mann hat. Daraufhin bekommt der Vater einen Wutanfall und ohrfeigt seinen Sohn etliche Male. Aber – wie sollte es anders sein – alles stellt sich als lustiger Scherz heraus, denn selbstverständlich ist Sohnemann nicht schwul.
Die Entrüstung über dieses Video führt zu einem zweiten mit dem Titel „Statement zum gay prank“, in welchem besagter Vater betont, dass er natürlich überhaupt nichts gegen Schwule habe – nur eben nicht in der eigenen Familie. Sohnemann versteht die Welt nicht mehr, denn alles ist doch nur eine superwitzige Verarschung, wie kann man denn nur so humorlos sein?
Wäre es auch Humor, wenn ein deutscher Vater seinen Sohn wutentbrannt ohrfeigt, nachdem dieser ihm von seiner Beziehung zu einer Türkin erzählte und dies dann anschließend als ach-so-komische Verarschung geoutet wird?
So mancher rät dazu, derartige Einstellungen einfach zu ignorieren. Angesichts der Dämlichkeit dieser zwei Protagonisten mag dieser Ratschlag angemessen erscheinen. Aber Dämlichkeit kann leicht gefährlich werden. Wir hatten einmal eine Zeit, in der Schwule den sogenannten „Rosa Winkel“ tragen mussten. Ich war sehr glücklich darüber, dass sich an Situation Homosexueller vieles verbessert hat. Dieser Fortschritt – denn es ist ein Fortschritt – trifft bei manchen Bevölkerungsgruppen auf Unverständnis. Mich erschreckt die Ignoranz dieser gefährlichen Entwicklung, die stets damit begründet wird, Homophobie ist durch und durch unabhängig vom kulturellen Hintergrund. Dass dies nicht der Fall ist, kann man leicht recherchieren, indem man nachliest, in welchen Kulturen Homosexualität unter Strafe – manchmal sogar Todesstrafe – gestellt wird. Ja, natürlich ist keine Gesellschaft völlig frei von homophoben Gruppen. Aber dennoch gibt es immense kulturelle Unterschiede, die realen Möglichkeiten betreffend, seine Homosexualität offen und frei zu leben.
In Dänemark kann es einem passieren, dass man mit "Arbeit macht frei" begrüsst wird. Das finden die lustig, ich aber nicht. Vielleicht wissen sie auch gar nicht, woher der Ausdruck stammt.
Der Vater in ihrer Geschichte hat sich total entlarvt. Der Sohn auch. Da sieht man mal, wie weit die Entwicklung wirklich ist.
Ich hatte mal einen jungen türkischen Kollegen, der meinte, dass er nicht rassistisch wäre, er ginge doch mit unserem äthiopischen Kollegen abends zum Essen und so. Als ich ihn dann fragte, ob er ihn denn auch nach Hause einladen würde, war da auf einmal die Grenze.
Da ist immer eine Grenze.
Wenn man einfach mal einen Menschen als einfach einen Menschen ansehen würde und nicht als Mann, Frau, Weisser, Schwarzer, Buddhist, Katholik, homo, hetero oder was weiss ich.
behrens am 21.Mär 16
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Zu Ihren Beispielen passt ein Beispiel aus meiner Arbeitspraxis. Mir sagte einmal einer meiner Betreuten, dass er unbedingt eine Frau sucht, allerdings nur eine Weiße. Eine Klientin sagte mir ebenfalls, dass sie nur einen weißen Mann möchte. Beide kommen aus Afrika und sind nicht weiß! Gerade heute habe ich mit der bereffenden Klientin gesprochen, wo es für sie Kontaktmöglichkeiten geben könnte und dabei sprach ich auch an, ob denn nicht doch auch ein Nichtweißer in Frage kommen könnte. Sie lehnt es aber ab!
Vorbehalte gegen Menschen aus anderen Kulturen, Religionen etc sind bei weitem kein typisch deutsches Phänomen. Allerdings wissen dies eben nur jene Menschen, die mit aus anderen Kulturen stammenden Menschen zu tun haben. Ich könnte übrigens noch viele ähnliche Beispiele anführen, über die so mancher staunen würde.
In Moskau wurden Kollegen und ich in einem Restaurant freundlich begrüsst, aber als dann später ein indischer Kollege dazu kam, wurden wir einfach ingnoriert, und das nicht nur einmal.
In einem Land Südosteuropas wollten die Menschen bei einer gesundheitlichen Notsituation sich nicht von einem schwarzen Arzt behandeln lassen.
Ach, ach ... trotz allem Lack sind wir immer noch Höhlenbewohner.
Das mit den Höhlenbewohnern?
Weil wir auf alles, was anders ist als wir mit dem Knüppel losschlagen, uns aber so unendlich kultiviert geben. Ist eben alles nur Fassade.
behrens am 24.Mär 16
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Nein, das mit den Höhlenbewohnern habe ich schon verstanden, ich meinte eigentlich den Ratschlag, sich in Südeuropa nicht von einem schwarzen Arzt behandeln zu lassen.
Oh, das war kein Ratschlag, das war ein Tatsachenbericht.
In einem südosteuropäischen Land herrschte eine gesundheitliche Notsituation und eine internationale Organisation schickte unter anderem einen schwarzen Arzt dorthin. Die Kranken haben sich zum grossen Teil geweigert, sich von ihm behandeln zu lassen.
Das war nur ein weiteres Beispiel für Rassismus.
behrens am 26.Mär 16
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Oh, das hatte ich falsch verstanden. Aber ich kenne sogar im früheren Kollegenkreis Menschen, die sich nur äußerst ungern von einem Schwarzen behandeln lassen würden. Und an meinem jetzigen Arbeitsplatz musste eine Kollegin ausgetauscht werden, weil sie Ausländerin (Armenierin) ist und die betreffende Familie dies nicht akzeptiert. Im Arbeitsamt habe ich Arbeitslose kennengelernt, die sich nicht von einer Frau beraten lassen wollen. Darauf wurde dann jedoch glücklicherweise keine Rücksicht genommen.
Es ist gar nicht sehr lange her, als mein Mann an einem Ultraschallkurs in Würzburg teilgenommen hat. Wie üblich bei solchen Kursen, bilden 4-5 Ärzte eine kleine Gruppe und untersuchen der Reihe nach eine Probandin (in diesem Fall eine Schwangere) unter Anleitung eines Tutors.
Ein Teilnehmer war ein schwarzer Arzt und der Tutor hat allen Ernstes die Schwangere gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, wenn er auch schallt.
Das war 1992. Wenn mein Mann nicht dabei gewesen wäre, hätte ich es nicht geglaubt.