Generation Smartphone – die geistige Diaspora
Manchmal stelle ich mir vor, wie wohl mein Großvater auf die jetzige Zeit reagieren würde, wenn er heute im Jahr 2016 plötzlich wieder zum Leben erwachte. Wenn er beispielsweise in einem Bus sitzen würde, in dem neunzig Prozent der Fahrgäste hochkonzentriert in ihr Handinneres blicken. Oder wenn ihm jemand gegenüber säße, der plötzlich aus heiterem Himmel anfängt zu reden und zwar ohne jeglichen Gesprächspartner. Und was würde mein Großvater empfinden, wenn auf einem Familienfest immer wieder eines der Familienmitglieder plötzlich mitten im Gespräch für eine kurze Zeit verschwindet, weil sich irgendetwas in der Hosentasche befindet, das anscheinend irgendein Signal sendet auf das umgehend reagiert werden muss?
Was wäre die Reaktion meines Großvaters, wenn man abends nicht mehr wie üblich gemeinsam eine Fernsehsendung ansehen oder ein Brettspiel spielen würde, sondern stattdessen jeder gebannt in ein kleines Gerät schaute, auf das er gleichzeitig hochkonzentriert in Windeseile mit den Fingerspitzen tippen würde? Was würde mein Opa davon halten, wenn jemand mit Stöpseln im Ohr auf das kleine geheimnisvolle Gerät schaut und sich dabei angeregt unterhält?
Ich glaube, mein Großvater verstände die Welt nicht mehr. Wodurch er sich von mir als seiner Enkelin gar nicht wesentlich unterscheiden würde. Menschliche Kommunikation ist inzwischen zur Karikatur geworden.
Die Generation Smartphone befindet sich überall – nur nicht in der konkreten Situation mit ihren real vorhandenen Menschen. Diese sind zur verzichtbaren Nebensache degradiert und der menschliche Geist hat sich klammheimlich aus der analogen Realität verabschiedet, irgendwo in der digitalen Diaspora, wo er mit anderen ebenfalls nur digital vorhandenen Geschöpfen kommuniziert. Wobei der Ausdruck menschlicher Geist im Grunde gar nicht mehr gerechtfertigt ist. Denn Geist kann nicht getrennt werden vom Denken und von sinnhafter menschlicher Sprache. Und von Denken und Sinnhaftigkeit kann man mit Sicherheit nicht mehr sprechen angesichts der unzähligen *lol*, *grins*, *omg*, ;-), :-( etc.
Um auf meinen Großvater zurückzukommen – er würde wahrscheinlich nur verständnislos den Kopf schütteln und es nicht bedauern, diese Zeit nicht mehr miterlebt zu haben.
Übrigens: Als mein Opa in den Sechzigern das erste Mal einen Anruf erhielt, hörte er nichts, da er den Hörer verkehrt herum – also die Sprechmuschel anstatt die Hörmuschel – ans Ohr hielt. Ein eigenes
Telefon hat er auch zeitlebens nie für notwendig gehalten, das Telefon seines im Untergeschoss wohnenden Sohnes reichte völlig aus für die ein- bis zwei Telefonate, die er im Jahr führte und die nie mehr als ein paar Minuten Minuten dauerten.
Bei diesen Situationen wo die Leute einfach so in die Luft sprechen, denke ich jetzt immer noch erst einmal, dass sie mich ansprechen. Da kann ich mich schwer dran gewöhnen.
Besonders merkwürdig sieht es aus, wenn sie vor sich hinreden und gestikulieren, als ob sie ein Gegenüber hätten, wie der griechische Geschäftsmann, den ich mal am Flughafen beobachtete. Der hatte dann noch ein zweites Telefon auf dem Tisch liegen, dass dann auch noch klingelte.
Ich kommunikiere am liebsten direkt mit einem Gegenüber oder schriftlich. Telefonieren ist nicht so mein Ding.
Der Grossvater meiner Mutter war der Fortschrittlichste in der Familie was "gadgets" anging. Er musste immer alles Neue gleich ausprobieren. Mein Vater war da wesentlich konservativer. Mein Opa hätte sich sicher auch einen Computer angeschafft, wenn er so lange gelebt hätte.
Ich bin da ein bisschen zwiegespalten. Seit etwa einem dreiviertel Jahr besitze ich jetzt auch ein Smartphone, und während ich früher die Menschen um mich herum belächelt habe, die es kaum aus der Hand legen können, geht es mir jetzt selbst so. Das Teil ist für mich Telefon und Kurznachrichten-Sender, Mini-PC und Kalender, Musikbibliothek und Informationsarchiv. Dennoch bin ich beileibe auch nicht immer erfreut über mich selbst, wenn ich mich dabe erwische, dass ich jemandem nicht zugehört habe oder während eines Gespräches aufs Display geschielt habe.
Ich würde aber auch nicht so weit gehen und das gute Stück total verdammen. So wie das Internet auch, macht es das Kontakthalten mit vielen Menschen sehr leicht, und die sind eben nicht nur digitale Geschöpfe, sondern Menschen aus Fleisch und Blut. Wenn es mir zu viel wird, dann bin ich durchaus auch mal unerreichbar. Aber ich sag's mal so: Wer ohnehin keinen Wert darauf legt, mit den Menschen um sich herum in wirklichen, authentischen Kontakt zu kommen, den wird wohl auch kein Smartphone noch mehr verderben.
behrens am 07.Mär 16
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Es ist nicht so, dass ich mich von dem, was ich da kritisiere, selbst konsequent fernhalte. Mein Arbeitgeber hat jeden seiner Mitarbeiter vor einiger Zeit mit einem ipad ausgestattet und so habe auch ich eines in der Tasche. Und ab und zu checke auch ich meine Emails, was ich zu schätzen weiß, da ich als ambulante Mitarbeiterin gar keinen eigenen Arbeitsplatz habe. Und wenn es mir passiert, dass ich auf längeren Fahrten meine Tageszeitung schon zu Ende gelesen habe, gucke auch ich manchmal ein paar Nachrichten. Und SMS schreibe ich mittlerweile auch, da meine Klienten (alles jüngere Jahrgänge) gar nicht gewohnt sind, anders zu kommunizieren.
Etwas selbst mitmachen und es trotzdem zu kritisieren, mag ein Widerspruch sein. Es erinnert mich daran, dass ich Rauchen schon immer furchtbar fand, aber trotzdem selbst sehr lange und sehr viel geraucht habe. Alles, was das Smartphone und Internet bietet, ist nicht neu, sondern existiert schon seit langem. Man konnte sich auch früher schon ausgiebig über die Tagesnachrichten informieren, ein Buch lesen, einen Film ansehen oder Musik hören. Der große Unterschied ist, dass dies jetzt andauernd und überall geschieht und vor allem – es geht sehr viel schneller. Früher musste ich bei Interesse für ein bestimmtes Thema in der Bücherhalle ein Buch ausleihen oder eins im Handel bestellen, jetzt kann ich problemlos sofort und an jedem Ort mein Interesse stillen. Der Unterschied besteht also nicht prinzipiell, sondern in der rasanten Schnelligkeit und darin, dass die menschliche Kommunikation nicht mehr ohne Technik vorstellbar ist und dass eine erheblich größere Fülle an Informationen verarbeitet werden kann (muss!). Das mag äußerst praktisch und zeitsparend sein – ein Fortschritt ist dies nur in rein technischer Hinsicht und mitnichten in Hinsicht auf das Zusammenleben.
Da frage ich mich dann, Zeit sparen für was? Warum müssen wir immer Zeit sparen? Was machen wir mit der gesparten Zeit? Mehr auf das Smartphone gucken!
Wenn wir mit der gesparten Zeit wenigstens etwas konstruktives anfangen würden. Wir Menschen sind seltsame Wesen!
behrens am 10.Mär 16
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Vielleicht kennen Sie das Buch "Momo" von Michael Ende, das später auch verfilmt wurde. Da geht es genau um das Thema ersparte Zeit. Die landet in dem Buch auf einem Konto und als Konsequenz hat dann jeder weniger Zeit zur Verfügung. Daran denke ich manchmal, wenn ich Mütter sehe, die sich per Smarphone unterhalten und dabei ihr Kind überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Ich bin zwar kein Verfechter davon, Kindern immer und überall uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu schenken, aber eine ständig telefonierende Mutter ist irgendwie auch eine ständige abwesende Mutter.
Ich habe Momo (noch) nicht gelesen. Mein Mann hat es mir schon stark empfohlen. Aber wenn, möchte ich es auf Deutsch lesen und nicht auf Dänisch (ich lebe in Dänemark). Vielleicht lasse ich es mir mal schenken.
Ob Smartphone oder Klatsch mit anderen Müttern, ab und zu sollte man doch zu den Kindern gucken, denn auf diese Weise verschwinden ja immer mal wieder welche.