Am Stadtrand von Hamburg befindet sich das frühere Konzentrationslager Neuengamme und in der vergangenen Woche jährte sich der Tag der Befreiung zum siebzigsten Mal, was Anlass für eine große Gedenkfeier war. Schon vor 10 Jahren war ich bei der damaligen Gedenkfeier anwesend, aber diesmal hatte ich mir mehr Zeit genommen.
Zur Feier erschienen 54 der letzten Überlebenden. Viele saßen im Rollstuhl und waren auf eine Begleitperson angewiesen. Zu den Rednern der Gedenkfeier gehörte auch der 88jährige Janusz Kahl, der als 17jähriger während des Aufstands im Warschauer Ghetto nach Deutschland deportiert wurde und 1945 ins KZ-Neuengamme kam. Janusz Kahl erwähnte in seiner Rede, dass es lange Zeit keineswegs selbstverständlich war, ein Gedenkzentrum einzurichten, sondern dies erst erkämpft werden musste. Janusz Kahl ist Musiker und zu den Feierlichkeiten gehörte auch die Aufführung seines Werkes Tryptichon, das von zwei jungen Schülern vorgetragen wurde. Es gab auch andere bekanntere musikalische Vorträge wie der Chant des Partisans und Bella ciao.
Nachdem die eigentliche zweistündige Gedenkfeier beendet war, sah man viele der ehemaligen Häftlinge über das Gelände gehen, manche schilderten dabei ihren Begleitern ihre Erinnerungen. Ich selbst nahm mir auch die Zeit, mir in Ruhe das Gelände anzusehen. Die Gefühle dabei kann man nur schwer beschreiben, denn die Natur bildete einen großen Kontrast zu diesem Ort des unsäglichen Leidens. An diesem sonnigen Frühsommertag blühte überall auf den zahlreichen Wiesen, die einen Großteil des Geländes ausmachen, Unmengen von gelbem Löwenzahn. Auch die nahe Umgebung des KZs kann man nicht anders als idyllisch und schön bezeichnen – alte Bauernhäuser, Gärten, Baumalleen und Obstplantagen. So lautet denn auch der Titel eines Buches, an dem auch Janusz Kahl mitgearbeitet hat treffenderweise „Die Hölle in der Idylle“.
Was mag wohl in den Überlebenden vorgehen, wenn sie diesen Ort jetzt wiedersehen? Ein Ort der Entmenschlichung an dem ein einzelnes Menschenleben völlig wertlos war und der Tod allgegenwärtig. Bei manchen der früheren Häftlinge konnte man in den Gesichtern wahrnehmen, wie die leidvollen Erinnerungen an diesem Ort wieder gegenwärtig werden.
Als ich einem älteren Herrn beim Anziehen seines Mantels behilflich sein wollte, bemerkte ich plötzlich, dass es sich um Janusz Kahl handelte. Ich konnte nicht umhin, ihm zu sagen wie sehr mir seine Musik gefallen hatte. Es ergab sich dann ein kurzer Wortwechsel, der mich tief berührt hat und den ich deswegen hier auch nicht wiedergeben möchte. Manche Begegnungen verändern etwas in einem Menschen und für mich war dies hier der Fall. Es ist ein Geschenk, jemandem begegnen zu dürfen, der sich trotz des unbeschreiblichen Leids, das ihm und anderen zugefügt wurde, ohne Hass und Verbitterung mit ganzem Herzen für eine Aufarbeitung und Aussöhnung einsetzt.
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