Die Musik der Scorpions hat mich eigentlich nie übermäßig interessiert. Trotzdem las ich einen dem 50jährigen Jubiläum gewidmeten Artikel, in dem einzelne Stationen der Band beschrieben wurden. Dabei entdeckte ich dann ein abstoßendes Plattencover*, auf dem ein kleines Mädchen von vielleicht sechs bis neun Jahren splitternackt mit leicht gespreizten Beinen in Pinup-Pose provozierend in die Kamera schaute. Das Kind sitzt hinter einer Glasscheibe und genau über dem Geschlechtsteil befindet sich ein Sprung. Die Platte trug den sinnigen Namen „Virgin Killer“.
Bei Wikipedia las ich dann nach, dass das Cover, „
das ein kindliches nacktes Mädchen hinter einer gesprungenen Glasscheibe zeigte, von vielen Leuten als pornografisch empfunden wurde und teilweise mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht wurde.“ Eine etwas verwirrende Beschreibung „
Ein kindliches nacktes Mädchen“ das kann auch eine 18jährige sein, die einfach noch ein wenig kindlich aussieht. Hier handelt es sich jedoch ganz eindeutig um ein Kind, dass noch weit von der Pubertät entfernt ist. „
Als pornographisch empfunden“ und „
teilweise mit Kinderpornographie in Verbindung gebracht“ – das ist ebenfalls sehr vage ausgedrückt, denn bei der Abbildung handelt es sich definitiv um Kinderpornographie.
Die 1976 produzierte Platte, die übrigens später den Titel der „LP des Jahres“ erhielt, landete bei einigen Ländern auf dem Index, was dann letztendlich die Scorpions bewog, sich für ein anderes Cover zu entscheiden. Was geht in den Köpfen solcher Männer vor, die sich darin gefallen, ein kleines Kind als kleines geiles Luder zu inszenieren? Darüber kann man nur spekulieren, aber wahrscheinlich gar nichts. Da die 70er Jahre meine Zeit sind, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, warum es keine Einwände gab, die einen derartig menschenverachtenden Dreck von vorneherein verhindert hätten. „Spießig, kleinbürgerlich, verklemmt, frigide, scheinheilig, reaktionär“ – das waren die gängigen Totschlagargumente, die Diskussionen von vorneherein unmöglich machten. Natürlich wollte niemand mit solchen Attributen identifiziert werden und so wurde dann oftmals brav der Mund gehalten. Die Macher und Befürworter derartiger Bilder empfanden sich meist als coole progressive Kunstavantgardisten, die ihre künstlerischen Ergüsse als unverzichtbare Befreiung von kleinbürgerlichen Zwängen hochstilisierten.
Aber um ehrlich zu sein – so viel anders ist dies auch jetzt noch nicht. Während ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich wieder daran, dass vor längerer Zeit
einer meiner Beiträge zu einem anderen Blog verlinkt wurde, in dem dann eine ziemlich dümmliche Interpretation erfolgte. Meine Kritik an der allgegenwärtigen Vermarktung der Sexualität (die wohl kaum jemand ernsthaft bestreiten wird) wurde in Verbindung gebracht mit überkommenden Moralvorstellungen, die – wie sollte es auch anders sein – nur eine Folge christlich verklemmter Ethik sein können. Besagter Blogbetreiber weilt jedoch nicht mehr unter uns, so dass ich jetzt frank und frei schreiben kann, ohne dabei eine Verlinkung zu einer oberlehrerhaften Abhandlung über die Zerstörung der ach-so-freien-Sexualität durch christliche Moralvorstellungen zu riskieren.
Übrigens treibt das besagte Plattencover bei Ebay den Preis in die Höhe, denn während man die Platte mit dem späteren Cover schon für den Preis von 15,50 € ersteigern kann, kostet die Platte mit dem ursprünglichen Cover 89,00 €.
Mittlerweile haben die Mitglieder der Scorpions selbst Kinder und wahrscheinlich auch schon Enkelkinder. Ob die Scorpions ihr kleinen Töchter oder Enkeltöchter wohl auch für so ein Plattencover zur Verfügung stellen würden? Wohl kaum. Aber das ist natürlich etwas gaaanz anderes...
*
Wer sich selbst von der Machart des Covers überzeugen will, kann unter Eingabe der Begriffe "Scorpions" und "Virgin Killer" bei Google-Bilder das Cover aufrufen.
Wie cool nackte Kinder sind, konnte man zu Beginn der Woche erst wieder beobachten. Für nur 5000 Euro kann man sich in diesem Land diesbezüglich einen Freifahrtschein kaufen...
behrens am 05.Mär 15
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Auch ich kann es nicht nachvollziehen, dass es für Edathy überhaupt keine Vorstrafen gibt. Allerdings sind die Urteilssprechungen in Bezug auf den Besitz von Kinderpornographie leider meistens sehr milde. Aber auch die milde Strafe kann nicht verhindern, dass die politische Karriere Edathys beendet ist. Er hält sich versteckt und wird bedroht.
Und das ist ein himmelweiter Unterschied zu den Scorpions. Die einzige Sanktion, die sie erhielten, war ein zeitweiliger Boykott ihrer Platte, der sofort beendet war, als sie sich für ein anderes Cover entschieden. Und was die mangelnde Einsicht betrifft, die man Edathy zu Recht vorwirft – da stehen ihm die Scorpions in nichts nach, wie es gerade heute nachzulesen war. So gibt Mattias Jabs in Bezug auf ihr Comeback stolz zum Besten: „Da stehen Teenies in der ersten Reihe.“ Und Bandkumpel Schenker resümiert: „Sex war ein großes Wort. In den 60ern und 70ern war freier Sex selbstverständlich.“ Und meine Tageszeitung toppt dies dann noch mit dem Kommentar: „Vielleicht ja bald wieder….“
Edathy wurde zu 5.000,00 € verdonnert für den Besitz von kinderpornographischen Materials. Die Scorpions hat nie irgendein Gericht zur Rechenschaft gezogen für die Vertreibung ihres eindeutig kinderpornographischen ekligen und geschmacklosen Covers.
Alte Männer, die der angeblichen Freiheit der 70er hinterherweinen – eine so wundervolle Freiheit, die es möglich machte, dass ohne jegliche rechtliche Konsequenz ein kleines Mädchen zum Pornomodell gemacht wird. Edathy muss jetzt den Shitstorm durchstehen, den sein Verhalten und vor allem seine mangelnde Schuldeinsicht auf sich gezogen haben.
Wo aber bleibt der Shitstorm gegen die Scorpions?
Meine Anspielung auf Edathy war nun nicht als Ablenkung oder Entschuldigung für die Scorpions zu verstehen.
Ich denke, dass generell nach wie vor die Ansicht sehr verbreitet ist, dass gerade Kinderpornografie ein Verbrechen ohne Opfer sei. Wenn Mitglieder der Scorpions dem angeblich so freien Sex hinterhertrauern, dann unterscheidet sich das nicht sehr von der Haltung Edathys. Beide scheinen die Tragweite dessen, worum es da geht, nicht nur nicht zu begreifen, sondern aktiv zu verleugnen. Die Scorpions sind vermutlich nur plakativer darin.
Bemerkenswert ist, dass Edathy nicht einmal verurteilt und damit auch nicht vorbestraft ist. Es kam ja gar nicht erst dazu, dass das Ausmaß seiner Schuld oder Unschuld festgestellt werden konnte. Er hat sich mit einem Geständnis, das keines war, und einer läppischen Summe, die bei ihm unter Spesen verbucht werden dürfte, aus diesem Verfahren freigekauft. Dass das so möglich war, zeigt schon sehr deutlich, was die körperliche und seelische Unversehrtheit von Kindern in diesem Land wert ist. Und da schließt sich dann der Kreis zu den Scorpions. Wenn auch aus anderen Motiven (nämlich denen der Profitsteigerung durch offene Provokation) haben sie ein Kind benutzt. Gestört hat es offensichtlich nur wenige, und die Änderung des Covers geschah wohl nicht aus Einsicht, sondern auf den Druck von außen hin.
Ich glaube, das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen wird nach wie vor einfach sehr automatisch ausgenutzt, ohne dass sich wirklich jemand daran stört. Dieses Machtgefälle ist da, aber aus dieser Tatsache folgern die meisten leider keine besondere Verantwortung, sondern besondere Gelegenheit. Zum Instrumentalisieren, zum Sich-selber-größer-Fühlen, zum Benutzen, zum Befriedigen der eigenen (vor allem Macht-)Gelüste.
behrens am 21.Mär 15
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Ich habe Deinen Kommentar auch nicht als Ablenkung von den Scorpions aufgefasst. Aber es ist generell ein Phänomen, dass Missbrauch unterschiedlich bewertet wird, je nachdem wer ihn ausübt.
Ich bin mir allerdings völlig sicher, dass das damalige Cover nicht aus Gründen der Profitsteigerung entstand, sondern es genauso wie andere Cover den Ausdruck einer Einstellung verkörpert. Es gibt da so manche Beispiele, die Ähnlichkeiten aufweisen. Wie zum Beispiel eines der Plattencover von Udo Lindenberg, auf dem ein Klassikorchester dargestellt ist, dessen einzige Frau völlig nackt ist. Oder ein Cover Eric Burdons, auf dem zwei nackte Frauen auf der Erde liegen, vor denen ein bekleideter Mann mit einem zu Schlag ausgeholten Gürtel steht (Black men’s Burdon). Oder das Cover Jimi Hendrix‘ von Elektrik Ladyland, auf dem Massen von nackten Frauen nebeneinander sitzen. Diese Plattencover unterscheiden sich nicht wesentlich von einigen der Texten. Es geht um männliche Sexualität und um das Bedürfnis, Frauen und Mädchen mehr oder weniger erniedrigend darzustellen.
Edathy hat sich zu Beginn damit herausgeredet, dass die Abbildungen von Jugendlichen schon in der Antike einem Schönheitsideal entsprochen haben, das nichts mit Pornographie oder Pädophilie zu tun hätte. Ich frage mich, ob er das vielleicht sogar selbst glaubt. Und sich in seiner Selbstlüge damit nicht wesentlich von den Scorpions, Lindenberg, Hendrix etc. unterscheidet. Jene Männer würden zwar nicht mit Parallelen zur Antike argumentieren, aber sie haben ebenfalls die absurde Überzeugung, dass ihre bildgewordenen Fantasien ihren Ursprung in freier Sexualität und freier Kunst haben.
Dabei sollte jedem halbwegs intelligentem Menschen klar sein, dass es weder um antike Ästhetik geht, noch um freie Sexualität, noch um Kunst. Worum es einzig und allein geht, ist das Bedürfnis nach Reduzierung und Degradierung anderer Menschen auf die Objektebene. Kinder und Frauen eignen sich dafür besonders gut. Aber aus irgendeinem Grund urteilt die Öffentlichkeit bei Politikern oder Wirtschaftsbossen erheblich härter als bei Künstlern. Während ein Politiker einen Repräsentanten der Macht darstellt, der die bestehenden Verhältnisse mehr oder weniger erhalten will, nehmen Künstler meist für sich in Anspruch, ein Sprachrohr all jener zu sein, die allem Bestehendem kritisch gegenüber stehen. Da tun sich all jene, die diese Einstellung teilen, schon etwas schwerer mit Kritik.
Mich erinnern die Scorpions & Co an Otto Mühl, der in den Siebzigern seine Kommunen vor dem Hintergrund der sogenannten Aktionsanalyse gründete. Zweierbeziehungen waren strikt verboten. Wie sich dann irgendwann viel später herausstellte, gab es massiven Kindesmissbrauch in den Kommunen. Das Zitat „Warum sollte der Staat vorschreiben, ab wann man Sex haben darf?“ macht die perfide Ignoranz der kindlichen Bedürfnisse deutlich. Man könnte es vielleicht noch treffender ausdrücken: „Das, was mir guttut, tut natürlich auch allen anderen gut." Daraus kann dann der noch verheerendere Rückschluss gezogen werden, dass ein Verbot meines Handelns folglich nicht nur mir schadet, sondern allen anderen auch.
Man kann in Sachen Kinderpornographie keine Zwischenposition vertreten. Entweder man lehnt sie ab oder nicht. Und wenn man sie ablehnt, dann sind die Altherren der Scorpions genauso zu verurteilen wie ein Edathy. Und sie sollten für ihre Handeln auch genauso vor Gericht gestellt werden. Mir fehlt jegliches Verständnis dafür, dass es dazu niemals kam.