Le chagrin et la pitié – Das Haus nebenan
Es war anstrengend, eine Dokumentation von über vier Stunden anzusehen und von der ersten Hälfte habe ich auch nicht alles gesehen. Aber es war aufwühlend, diese Interviews zu hören, die sowohl mit Kollaborateuren und Besatzern als auch mit Résistancekämpfern geführt wurden. Mein aus Frankreich stammender Freund hat noch viel emotionaler als ich reagiert – wenn die Kollaborateure zu Wort kamen, platzte ihm vor Wut fast der Kragen.

Ein deutscher ehemaliger Offizier, der schon fast wie eine zu dick aufgetragene Karikatur eines satten Wirtschaftswunderdeutschen aussah – feistes Grinsen und dicke Zigarre bei seinen Antworten, die alle den gleichen Tenor hatten: „Wir haben doch nichts Schlimmes getan!“

Aber viel aufwühlender war das Interview mit einem Mitglied der Résistance, Alexis Grave. Ein um die sechzig Jahre alter Mann, der in ruhigen Worten von seinen Erlebnissen während der Besatzung durch die Nazis erzählte. In einer Weise, die solchen Menschen eigen ist – sich auf das Notwendigste beschränkend und vermeidend, die eigene Person hervorzuheben. Aber genau dazu hätte er eigentlich das Recht gehabt, denn er setzte in seinem Kampf sein Leben aufs Spiel. Was mich aber noch viel mehr berührte, war die Friedfertigkeit dieses Mannes. Eigentlich ein Widerspruch, denn er hatte ja gekämpft und Kampf bedeutet das Gegenteil von Friedfertigkeit. Aber es war in seinen Schilderungen nichts von Hass zu spüren. Als er gefragt wurde, ob er jemals den Gedanken hatte, sich an denjenigen zu rächen, die ihn bei den Besatzern denunziert hatten, schüttelte er nur ruhig den Kopf und sagte: „Nein“.

Welten liegen zwischen diesem einfachen Mann vom Lande und einem kommunistischen Funktionär, der nach Kriegsende vor einer großen Menge ins Mikrophon schrie, dass jetzt Köpfe rollen müssen. Ein kleiner Robbespièrre, der am liebsten die Guillotine selbst bedienen würde. Und ein riesiger Unterschied besteht auch zwischen ihm und den johlenden Gaffern, die sich köstlich darüber amüsierten, dass denjenigen Französinnen, die mit deutschen Soldaten befreundet waren, als eine Art Zirkusvorführung öffentlich der Kopf kahlgeschoren wurde.

Ich habe den allergrößten Respekt vor Menschen wie Alexis Grave, die dem Unrecht die Stirn geboten haben. Deren Motivation für den Widerstand nicht durch Ideologie oder Hass bedingt ist, sondern einzig und allein durch Zivilcourage und durch Widerwillen gegen Unrecht. Denen es einfach nicht möglich ist, tatenlos zuzusehen, wenn Menschen Leid und Unrecht zugefügt wird. Man muss schon sehr mutig sein, einer Übermacht die Stirn zu bieten, wenn dies Folter und Tod bedeuten kann. Ich habe Zweifel daran, ob ich selbst so einen Mut aufgebracht hätte.

Es ist ungemein beruhigend, dass es solche Menschen gibt. Und das meine ich wortwörtlich, denn nach dem insgesamt sehr aufwühlenden Film, kam ich doch irgendwie zur Ruhe als ich an diesen Mann dachte. Denn irgendwie gibt die Existenz solcher Menschen ein Gefühl von Geborgenheit und des Sich-beschützt-Fühlens.

Solange es solche Menschen gibt, ist noch nicht alles verloren.




Ich bewundere diese Menschen, die auch ohne blinden Hass, Dinge verändern wollen und können. Zum Beispiel Mahatma Gandhi:


Wo Liebe wächst, gedeiht Leben -
wo Hass aufkommt droht Untergang.

Mahatma Gandhi


Die Gesellschaft lässt sich immer mehr leiten. Es bedarf meist schon einen Hinweis damit man überhaupt auf Ungerechtigkeit stößt.

Freundliche Grüße NPAT

Auch ich habe eine tiefe Bewunderung für Menschen, die das Kunststück vollbringen, Ungerechtigkeit zu erkennen, ohne dadurch zu hassen. Und natürlich ist das der einzige Weg, wie die Geschichte bestätigt. Solche Menschen sind wichtige Vorbilder, an denen es mangelt. Mir fällt da noch Martin Luther King, der Dalai Lama und Ernesto Cardenal ein. Allerdings wurden King und Gandhi ermordet, der Dalai Lama musste fliehen und Ernesto Cardenal kann infolge einer absurden Strafandrohung auch nicht in seine Heimat zurück.

Nicht sehr ermutigend. Aber vielleicht ist es unvermeidbar. Wer ohne Hass etwas bewirkt und Massen anzieht, ist für bestehende Machtstrukturen mindestens genauso gefährlich wie ein durchorganisiertes Heer von Guerillakämpfern.