Ich denke, also bin ich – oder vielleicht doch nicht?
Materie ist feinstoffliche Nichtsubstanz, die erst durch das Denken Realität erhält.
Welt am Draht, Fred Stiller zitiert Aristoteles

Die philosophische Frage, in wieweit wir uns auf unsere menschliche Wahrnehmung verlassen können und vielleicht alles, was wir als Realität empfinden in Wahrheit nur Schein ist, wurde für mich in keinem Film so gut umgesetzt wie in Fassbinders „Welt am Draht“ aus dem Jahr 1973. Im Film geht es um ein Computerprogramm namens Simulacron, mit dem eine perfekte Simulation einer Art zweiten Welt geschaffen wurde, deren eigendynamische Menschheit voll und ganz der realen Welt gleicht. Ziel des Programms ist das Sammeln von Erkenntnissen wirtschaftlicher und soziologischer Art.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zu der virtuellen Welt, wie sie jetzt – fast vierzig Jahre später – bereits existiert. Denn in der Welt des Simulacron geht es nicht einfach um virtuelle Existenzen, die man sich schafft und hinter denen immer der Gedanke und die Idee eines realen Menschen stehen, sondern es geht um tatsächlich geschaffenes eigenständiges Bewusstsein. Eben kein Bewusstsein, das sich in einem lebenden Körper befindet, sondern Bewusstsein, das die Folge von Elektronensteuerung und Bits und Bytes ist. Ganz schön schwierig. Deswegen habe ich es als Vierzehnjährige auch erst verstanden, als mir ein in Physik versierter Mitschüler das Ganze nochmals genau erklärte.

Für mich haben die Filme von Fassbinder immer etwas sehr Sperriges, das sie schwer zugänglich macht. Außerdem hat mich schon immer die Künstlichkeit seiner Frauenfiguren gestört, die meist eine Trümmerfrauenfrisur in Kombination mit einem Marlene-Diedrich-Kostüm tragen und so langsam und gestelzt reden, wie ich eine real existierende Frau noch nie reden gehört habe. Aber dennoch ist „Welt am Draht“ trotz seiner Sperrigkeit für mich ein kleines philosophisches Meisterwerk und ich habe ihn mir nach nunmehr fast vierzig Jahren jetzt nochmals angesehen.

Da ich mich inzwischen immer wieder mal mit der Quantenphysik beschäftige (leider, ohne sie wirklich zu verstehen), hatte ich beim zweiten Ansehen doch einen etwas anderen Zugang als wie zu meiner Teenagerzeit. Schon damals fand ich das Thema unheimlich und ich muss gestehen, daran hat sich nichts geändert.

Menschliches Bewusstsein ohne den dazu gehörigen Menschen. Das ist umso unheimlicher, als dass diejenigen, die dieses Bewusstsein per Computerprogramm geschaffen haben, das von ihnen geschaffene Bewusstsein auch jederzeit im Handumdrehen ausschalten können. Und richtig unheimlich wird es erst, wenn die gar nicht existierenden Menschen herausfinden, dass sie eben gar nicht wirklich existieren. So geht es nicht nur einem der virtuellen Existenzen im Simulacronprogramm, die dem ganzen auf die Schliche kommt, sondern auch jemanden aus der scheinbar ganz normalen Welt, der zufällig herausfindet, dass auch er selbst nur eine Computersimulation ist. Das hält niemand aus.

Und am Ende bleibt die Frage, ob überhaupt jemand „wirklich“ existiert, oder ob nicht vielleicht alle nur das Gedankenprodukt eines höheren Wesens sind. Wenn letzteres zuträfe, dann muss man den descartesschen Satz „Ich denke, also bin ich“ umformen in den Satz „Ich werde gedacht, also bin ich“. Nicht die Materie ist es, die unabhängig existiert, sondern die Ideen, von denen schon Platon meinte, dass sie eine ewigliche Existenz besitzen.

Und das ist das Phantastische und das Unheimliche an dem Grundgedanken des Films – man fängt tatsächlich an zu grübeln, ob es nicht sein kann, dass jemand „uns nur denkt“. Dieser Zweifel an der Realität mag für Buddhisten das Normalste von der Welt sein – in unserer westlichen Welt, die dem menschlichen Verstand den unumstößlich höchsten Stellenwert einräumt, haben Zweifel wenig Platz.

Und ich schließe mit dem Satz: „Ich denke – und das bedeutet noch absolut gar nichts“!