Eine ewig Gestrige kommt noch mal zu Wort
Gestern habe ich mir die Dokumentation „Der Sturz“ angesehen, in der es um das Ende der DDR ging und unter anderem auch ein langes Interview mit Margot Honecker gezeigt wurde. Mir war schon zuvor klar, dass mich so eine Sendung aufregen könnte. Und so war es dann auch. „ Es gab doch auch Feinde in der DDR, das kann man doch nicht leugnen und das welche davon eingesperrt wurden, ist doch normal, oder?“ Dazu kann man eigentlich nichts mehr sagen, denn das Mindeste, was für eine Diskussion vorhanden sein muss, ist der Konsens, dass es auch immer im Bereich des Möglichen liegt, dass eine Ansicht auch falsch sein kann. Und dieser Mindestkonsens fehlt bei Margot Honecker. Eine schon ans Pathologische grenzende Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit.

Die Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit hat dann auch die vielen menschlichen Tragödien verursacht. Wie zum Beispiel die eines jungen Mannes, der wegen eines Diebstahls und der simplen Tatsache, ein Punker zu sein, für viele Jahre in dem geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, einer Disziplinierungseinrichtung der DDR-Jugendhilfe, einsaß. Die Aussage „Man wurde dort in seinem Menschsein entwürdigt. Man kann mit seiner Vergangenheit nicht abschließen, Torgau ist lebenslänglich“ läßt ahnen, welch großes Leid man dort den Kindern und Jugendlichen angetan hat. Auch die Tatsache, dass es in der DDR zu schätzungsweise 7.000 Zwangsadoptionen kam, in denen regimekritischen Eltern ihre Kinder weggenommen wurden, lässt nur ahnen, was Menschen erleiden mussten, die als regimekritisch galten.

Merkwürdig mutet an, dass sich Erich und Margot Honecker m Januar 1990 nach Verlust ihrer Wohnung nicht an die Parteigenossen wandten, sondern ausgerechnet an die Institution, die sie zeitlebens vehement bekämpft hatten – die Kirche. Ausgerechnet ein Pastor, dessen Kindern einzig und allein aufgrund der Tatsache, Pastorenkinder zu sein, ein Studium verboten wurde, gab den Honeckers Asyl. Und nicht nur das, er stellte sich auch schützend vor die beiden, als sich wütende Gruppen vor dem Haus formierten. Ein Zeitzeuge formuliert treffend: „Der oberste Atheist bittet um Asyl und ein vom Regime verfolgter Christ stellt sein Haus zur Verfügung und wohnt mit ihm zehn Wochen zusammen“. Man kann schon fast Mitleid mit den Honeckers bekommen, wenn man sich vorstellt, wie sie gelitten haben mögen in engster Nähe mit Menschen, die an Unsinn wie Nächstenliebe und Gewaltverzicht glauben anstatt an die Diktatur des Proletariats.

Der Film kreist um die Gründe für das Aufbegehren in der DDR und um den Zorn, der sich über die Willkür der Staatsgewalt und über die rigorose Unterdrückung jeglichen kritischen Denkens gebildet hatte. Es kommt sowohl die Wut als auch der Schmerz über das Erlittene zum Ausdruck. Von all dem bleibt Margot Honecker allerdings völlig unberührt. Sie versteht diese neue Welt nicht mehr, in der einer unfehlbaren Frau wie ihr nicht mehr bedingungslos gehorcht wird.

Und dennoch sagt auch jemand wie Margot Honecker ab und zu etwas, dem man zustimmen muss. Zum Beispiel, wenn sie Politiker als Spielbälle der Banken bezeichnet. Dies ist es vielleicht auch, was so manchem der den alten Zeiten Nachtrauernden den Blick zurück so verklärt. Denn die lang ersehnte Freiheit entpuppte sich nicht als Paradies. Kapitalismus ist eine Riesenkrake, die nur diejenigen leben lässt, die sich in einem durch das Recht des Stärkeren bestimmten System behaupten können. Ein System, in dem Gewinnmaximierung zur erklärten Lebensdevise geworden ist. Aber selbst ein barbarisches und unmenschliches Prinzip rechtfertigt es nicht, Menschen einzusperren und ihnen das Denken zu verbieten. Gott-sei-Dank haben das mittlerweise viele begriffen. Allerdings eben nicht Margot Honecker. Sie ist ein erschreckendes Beispiel für einen gegen jeglichen Lernprozess resistenten Menschen.

Für mich besteht das eigentlich Bedeutsame im Zusammenbruch der DDR und der Wiedervereinigung in der Entlarvung der Ideologien. Die Ideologie der Chancengleichheit hat genauso wenig überlebt wie die Ideologie der Freiheit. Chancengleichheit steht zum Widerspruch zu einem System, in dem nur die Parteikonformen Chancen erhalten. Freiheit steht im Widerspruch zu einem System, in dem immer mehr Menschen zu arm sind, um ihre Freiheit nutzen zu können.




Auge um Auge?
Einen Teil der besagten Sendung hatte ich mit meinem Freund angesehen und der reagierte verblüfft darüber, dass das Ehepaar Honecker ausgerechnet bei einem Pastor Asyl fand. Sein Kommentar lautete, dass er überhaupt nicht verstehen würde, wieso ausgerechnet jemand, der sein ganzes Leben lang heftigen staatlichen Repressionen ausgesetzt war, genau demjenigen Asyl gibt, der für die Repressionen verantwortlich war. Und er endete mit dem Satz: „ich an dessen Stelle hätte es nicht getan“. Ich wusste darauf keine eindeutige Antwort, denn ich weiß nicht, ob ich an Stelle des Pastor Uwe Holmer solche Großmut hätte zeigen können – vermutlich eher nicht. Aber ich antwortete meinem Freund, dass jemand, der die christlichen Werte verbindlich lebt (was bei weitem nicht die Regel ist), eigentlich keine Wahl hätte, sondern genauso wie Pastor Holmer hätte handeln müssen.

So richtig überzeugen konnte ich meinen Freund allerdings nicht (wobei ich selbst in meiner Ansicht ja auch schwankend bin). Mein Freund, der in einem laizistischen Land aufgewachsen ist und daher unbeeinflusst von irgendeiner Form des Religionsunterrichts (nur für den Fall, dass jemand das Bedürfnis nach Einordnung in Schubladen hat), verweist dann schon mal gern auf das Recht auf Vergeltung.

Abgesehen davon, ob man meint, ein Recht auf Vergeltung zu haben oder nicht, bleibt die Frage, was für Zeichen man damit setzt, wenn man Menschen, die eisern jede Form der Meinungsfreiheit unterdrückt haben, Asyl gibt. Politisch gesehen entzieht man diejenigen damit der Konsequenz ihres menschenverachtenden Handelns. Aus humanitärer Sicht setzt man das Zeichen, dass die Menschenrechte für ausnahmslos jeden gelten und somit jeder ein Recht auf Schutz hat. Zwischen diesen beiden völlig konträren Prioritäten muss man sich entscheiden – politische Konsequenz oder Humanität. Und wie bereits gesagt – ich persönlich würde diese Entscheidung als unendlich schwer empfinden.

Politische Konsequenz, die im Gegensatz zur humanitären Sicht steht, hat meines Erachtens keine Berechtigung - und die "kleinen" Lösungen finde ich meistens besser. Besser jedenfalls als z. B. die rumänische Variante, bei der Ceaucescu erschossen wurde, um der Securitate den Machterhalt zu sichern.