Authentizität und Erfolg
Vor kurzem habe ich ein wenig in eine Dokumentation über Madonna hineingezappt. Ein bisschen später habe ich einen Teil der Aufzeichnung eines Auftritts von Amy Winehouse angesehen. Ein anschaulicheres und deutlicheres Beispiel für den Kontrast von Authentizität und Nichtauthentizität hätte man nicht haben können.

Ich mochte Madonna noch nie und habe es nie auch nur ansatzweise nachempfinden können, was man an ihrer Micky-Mouse-Stimme finden kann. Es gibt durchaus Lieder, die man im Auto vielleicht mal unbewusst mitsummt – wie das bei eingängigen Melodien nun mal der Fall ist. Viele – auch gerade junge Frauen – sind beeindruckt von den Bühnenshows, die Madonna inszeniert. Aber auch das kann ich überhaupt nicht nachempfinden. Jeder Tanzschritt genau festgelegt. Jede Geste und Mimik exakt einstudiert. Kostümwechsel und Beleuchtung – alles ein minuziös geplanter Ablauf.

Und dann Amy Winehouse. Eine Stimme, die direkt unter die Haut geht. Da ich mich so gut wie gar nicht mehr für aktuelle Musik interessiere, bin ich erst sehr spät auf Amy Winehouse aufmerksam geworden. Irgendwann habe ich mir ein YouTube Video angesehen, weil ich doch mal neugierig war. Und als ich die Stimme hörte, war es sofort um mich geschehen. Ich bin ein ausgesprochener Stimmenmensch, das heißt, eine Stimme kann mich sehr beeindrucken und auch sehr abstoßen.

Auf der einen Seite eine show, die in ihrer Perfektion und minuziöser Durchführung an den Ablauf einer Militärparade erinnert. Auf der anderen Seite eine show, bei der es reine Glücksache ist, ob sie überhaupt stattfindet oder aber gleich ins Wasser fällt. Bei der man nie sicher sein kann, ob es in einem Debakel endet oder in einem Glanzstück. Auf der einen Seite die immer perfekt durchgestylte und durchtrainierte Madonna, deren shows ein Musterbeispiel an Perfektion darstellen. Auf der anderen Seite die mit merkwürdigen tattoos und zerzauster Bienenkorbfrisur verzierte Amy, die oftmals lallend über die Bühne torkelte.

Madonna symbolisiert ein wenig den amerikanischen Traum. Schaut her, was für Wunder man mit Disziplin und eisernem Willen alles erreichen kann! Sich nie gehen lassen, seine Leben voll und ganz der Planung von Erfolg widmen. Selbst mit 52 Jahren noch gut aussehen und über die Bühne wirbeln wie ein Teenager. Und als Markenzeichen dabei immer wieder in eine andere Rolle schlüpfen.

Amys Stimme und Leben erinnert an das von Janis Joplin. Bei beiden verkörpert die Musik weitaus mehr als nur Musik. In den Liedern schwingen all die Gefühlswelten die ein Leben ausmachen – Leiden, Wut, Glück, Liebe, Zweifel, Trauer. Eine Authentizität, die manchmal schon fast an die Schmerzgrenze gehen kann. Bei Madonna dagegen ist nichts authentisch, in ihren unzähligen Selbstinszenierungen ist ihre Authentizität irgendwie abhanden gekommen. Ein bisschen merkwürdig ist es schon, dass man damit soviel Erfolg haben kann.




Ich glaube, gerade wegen der großen Show und dem Mangel an Authentizität hat Madonna so viel Erfolg.
Die meisten Leute wollen eine Show sehen, wollen von ihrem Alltag abgelenkt werden; nicht zuletzt auch jemanden, zu dem sie aufschauen können, weil er irgendwie "besser" ist als sie.
Das Publikum will geblendet werden. Eventuell auch unterhalten. Bewundern, nicht nachdenken müssen.

Amy Winehouse ist eben "echt" gewesen. Kein perfektes Püppchen, ein bisschen der Spiegel, in dem man die menschlichen Abgründe sieht (versteht man eigentlich gerade, was ich sagen will?). Und vor denen haben viele Angst. Realität und Abgründe, das sind zwei Dinge, die man häufig vergessen will,bzw. bei denen die Musik/Show dafür sorgen soll, dass man sie zeitweilig vergisst; wird einem genau das dann gezeigt, und wird man in den Liedtexten dann eventuell sogar mit eigenen Problemen konfrontiert, ist es unbequem bis schmerzhaft, je nachdem, wie abgestumpft man eben ist.

Doch, mayhem, man versteht, was Sie sagen wollen.

Es ist eben gerade nicht das Menschliche, die Authentizität, die die Menschen heute anstreben, sondern die Anpassung an möglichst glatte Ideale. Wie sonst wäre es möglich, dass eine Madonna dafür bewundert wird, dass sie mit fünfzig immer noch aussah wie mit dreißig? Die panische Flucht vor jeder noch so kleinen Falte ins Botox-Paradies ist nur eines von vielen Symptomen, die auf die Krankheit unseres Weltverständnisses schließen lassen.

Eine Winehouse war noch allenfalls dazu da, sich über sie zu ereifern, aber nicht, sie zu bewundern. Vielleicht vereinzelt im Stillen. Ich mochte sie nicht besonders, das will ich an dieser Stelle anmerken, aber das hat höchstens etwas mit meinem persönlichen Geschmack zu tun.

Was Musik betrifft war es mir ohnehin nie sonderlich wichtig, wie der Mensch, der sie macht, aussieht und auftritt. Die wichtigste Rolle spielte die Musik, die oft sehr viel mehr über die Authentizität eines Menschen aussagt als das netteste Foto im CD-Booklet.

Es besteht ein Unterschied zwischen Künstlern und Idolen. Das, was ein Künstler macht, kann mich ansprechen und berühren, oder eben nicht. So, wie ich mit den Menschen in meinem Umfeld klarkomme oder eben nicht.

Ein Idol dagegen ist ein Trugbild, eine Schablone von etwas, dem wir Menschen mehr oder weniger nah kommen wollen. Im Falle von Madonna das der milionenschweren, mega-erfolgreichen Geschäftsfrau, die noch dazu durchtrainiert ist, gutaussehend und stimmlich einigermaßen auf der Höhe. Dazu ein wenig nettes Trallala, das uns davor bewahrt, von der schlichten Linie der guten Laune allzuweit abweichen zu müssen - wer braucht denn schon Moll in dieser Welt, wenn er auch dauerhaft Dur haben kann...

Die Madonnas dieser Welt betrachte ich als Zeichen dafür, wie sehr wir unsere Wahrnehmung im allgemeinen verengen. Alles was glänzt, ist erwünscht, aber mit dem Rest verschone man uns bitte. Natürlich ist aber unter allem Glanz die Leere zu spüren, denn der Mensch ist (und bleibt hoffentlich) nun einmal kein eindimensionales, oberflächliches Geschöpf.

Mich persönlich machen Madonnas Songs aggressiv. Klar, ich hatte meine Phase, als "Like a prayer" auf den Markt kam. Da war ich jung und unbedarft. Aber inzwischen hängt sie mir zum Hals raus, zusammen mit all den Kylie Minogues und Lady Gagas und anderen Abziehbildchen. Sie langweilen mich zu Tode, man spürt, das ist nicht das Leben.

Bleibt uns nur die aktive, bewusste Auswahl.

Auch mich macht Madonna aggressiv. Gar nicht so sehr die Musik, sondern das Auftreten. Mich macht diese ins Extrem gesteigerte Gekünsteltheit aggressiv. Auch eine Oper oder ein Theaterstück kann aufwendig inszeniert sein und ich habe darüber nachgedacht, wo eigentlich der Unterschied liegt. Der liegt aber sehr eindeutig auf der Hand, denn ein Theaterstück oder eine Oper widmet einer Idee Aufmerksamkeit. Im Zentrum steht folglich nicht ein einziger Mensch, der sich selbst zum Mittelpunkt macht, sondern eine Idee, der eine Form gegeben wird. Wirkliche Kunst ist zwangsläufig authentisch, denn einem Künstler geht es darum, seine ureigene Persönlichkeit umzusetzen. Bei Madonna, Kylie & Co ist nichts authentisch, sondern sie sind lediglich Umsetzungen des Wunsches, zu gefallen.