Der himmelweite Unterschied zwischen Lehrer und Oberlehrer
Um ein gleich vorab zu sagen – ich habe mit Lehrern überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Nicht unbedingt in der Grundschule, aber später auf dem Gymnasium und auf der Fachoberschule. Bei den meisten handelte es sich hauptsächlich um junge Lehrer, die mit viel Idealismus und Spaß an ihr Werk gingen und dabei viel frischen Wind an die Schule brachten – immer dem Prinzip folgend, dass Lehren heißt, die Individualität und die Selbstbestimmtheit eines Schülers zu achten und zu fördern. Lehrer, die fernab von Dogmatik an den Grundsatz glaubten, dass viele Meinungen gleichberechtigt nebeneinander bestehen können.

Und das ist er dann auch schon – der riesengroße Unterschied zum Oberlehrer. Der ist nämlich zutiefst davon überzeugt, dass es nur eine Wahrheit gibt und das ist selbstverständlich die, die von ihm selbst vertreten wird. Der Oberlehrer reagiert mit Unverständnis darauf, dass es Menschen wagen, eine völlig andere Meinung als die seine zu vertreten. Und da es nur eine Wahrheit gibt – nämlich die von ihm vertretene – braucht er die Einteilung in richtig und falsch. Und weil diese Einteilung für ihn so wichtig ist, braucht er wiederum Schubladen, in die er all die verschiedenen Meinungen einsortiert. Ein buntes Nebeneinander gibt es bei ihm nicht, er will seinen Kategorien gemäß zuordnen, damit er am Ende das vorfindet, was ihm so wichtig ist: die Bestätigung der Richtigkeit seiner Ansichten.

Der eigentliche Unterschied zwischen Lehrer und Oberlehrer ist, dass ein Oberlehrer nicht lehren will, sondern be-lehren. Sein Ziel ist kein anderes als die uneingeschränkte Zustimmung. Ganz anders als ein Lehrer, der Spaß am Lehren hat, weil er es als spannend empfindet, was sich in den Köpfen der Schüler abspielt. Dieser Typus wird treffend dargestellt durch den Lehrer Mr. Keating in dem Film „Der Club der toten Dichter“. Mr. Keating antwortet auf die Frage, warum er Lehrer geworden sei, schlicht und einfach: „I like teaching“. Und damit ist gemeint, jungen Menschen dabei zu helfen, sich selbst ein Bild von der Welt zu machen und dementsprechend den eigenen Weg (nicht zwangsläufig den von Mr. Keating!) zu finden.

Im Gegensatz dazu erinnert der Oberlehrer viel mehr an den Typus des Gymnasialprofessors Crey - genannt Schnauz - aus dem Film „Die Feuerzangenbowle“, der mit Vorliebe auf sich selbst als Quelle hinweist. Ob's gefällt oder nicht - er läßt keine Gelegenheit aus, aus seinem Buch „Die Gerechtigkeit des Lehrers“ zu zitieren, da er sein Buch für eine Art Bibel hält. Ein weiteres Merkmal des Oberlehrers ist, dass er ungeachtet der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit weder französisch noch lateinisch spricht, mit Vorliebe französische Bonmots oder lateinische Sprichwörter zitiert.

Mit Andersdenkenden geht der Oberlehrer nicht gerade zimperlich um und lässt dabei schon mal – obwohl er für sich selbst ein hohes Niveau in Anspruch nimmt – sowohl Respekt als auch Differenziertheit vermissen. Was allerdings nicht bedeutet, dass er anderen dieses Recht auch zugesteht. Im Gegenteil – hochbeleidigt reagiert er so, als würde es sich um eine Menschenrechtsverletzung handeln.

Ach ja – es ist ein Kreuz mit den Oberlehrern. Und deswegen bin ich auch froh, dass mir diese Spezies nach der Grundschule erspart geblieben ist. Allerdings ist ein Zusammentreffen im Leben nach der Schule trotzdem unvermeidlich. Insbesondere bei bestimmten politischen Seminaren – in die man anfangs naiv stolpert – ist der Oberlehrer wieder mit Leib und Seele dabei. Aber auch in Diskussionen, Foren und in Blogs taucht er immer wieder auf. Und nach bekannter Manier wird ohne Wenn-und-Aber jedes Argument niedergemacht, das der von ihm als Wahrheit angesehen Theorie scheinbar widerspricht. Man fühlt sich wieder an die Grundschule erinnert, in dem man stur Gedichte, Geschichtszahlen oder die zehn Gebote auswendig lernen musste – nur dass es sich jetzt eben nicht um Gedichte, Zahlen oder Gebote handelt, sondern um politische Glaubenssysteme. Und das Merkwürdige – aber wiederum auch völlig Logische – ist, dass sich die Oberlehrer trotz vermeidlich völlig konträrer Glaubenssysteme zum Verwechseln ähnlich sind. Im Grund könnten beide – Jobsharing machen!




Schubladen
Liebe Frau Behrens, ich folge Ihnen größtenteils, aber machen Sie bitte nicht denselben Fehler den Sie dem Herrn Oberlehrer ankreiden. Nämlich ein Schubladen für Lehrer und eine andere für Oberlehrer. Es gibt in beiden Kategorien solche und solche. Ich kenne genügend Oberlehrer die in ihrem Herzen immer Lehrer geblieben sind. Und umgekehrt: manche Lehrer benehmen sich wirklich wie angehende Oberlehrer.
Gruß, T.

Den Begriff „Oberlehrer“ habe ich nicht einer realen Kategorie entnommen, zumal es diesen Begriff – zumindest in Deutschland – schon seit langem offiziell gar nicht mehr gibt. Vielmehr lehne ich mich an den allgemeinen Sprachgebrauch an, in dem der Oberlehrer als Synonym steht für „Besserwisser“, also für jemanden, der meint, im Besitz der Wahrheit zu sein und deswegen gern andere belehrt. Und der bei seinen Belehrungen gern sarkastisch oder ironisch über die Meinungen anderer herzieht, da diese seiner Ansicht ja bewiesenermaßen falsch sind.

Ich habe mir eben gerade ein wenig andere Blogs angesehen. Und das habe ich dann doch schnell wieder gelassen. Da werden Beiträge auf miese Art verrissen und ins Lächerliche gezogen, so dass ich einfach keine Lust habe, so etwas zu lesen. Was dabei dann besonders ekelhaft ist, ist die Tatsache, dass dies unter Zuschaustellung von – vermeintlichem – Fachwissen geschieht, das an Plattheit kaum noch zu überbieten ist. Zumindest seit es Wikipedia schnell und unkompliziert möglich macht, sich im Handumdrehen einen Fachbegriff herauszuangeln, können allen Kommentaren Hinweise auf Theorien, historische Personen und Sprichwörter in allen Sprachen beigefügt werden. Das an sich ist zwar nicht unbedingt schon oberlehrerhaft, aber es hat einen seltsamen Charakter im Sinne von: „Seht her, welch perfekte Bildung ich habe und welch hohe Geister meine Ansicht teilen“.

Ich betone ausdrücklich , dass es natürlich auch Menschen gibt, die in der Tat ein sehr hohes – und auch beeindruckendes – Allgemeinwissen haben und mit Sicherheit kein Wikipedia benötigen, um ihre Kommentare abzugeben. Aber was den Oberlehrer ausmacht, ist nicht das Wissen an sich, sondern das ausdrückliche Hervorheben desselben in Verbindung mit einem unerbittlichen Pochen darauf, im Besitz der Wahrheit zu sein. Abgerundet wird dies dann noch mit der Weinerlichkeit, die aufkommt, wenn es jemand wagt, Kritik zu äußern.

Lieber Herr Terra, ich will mir Ihre Kritik dennoch zu Herzen nehmen, denn in der Tat sollte man nicht die gleiche Schubladenmentalität übernehmen, sondern versuchen, zu akzeptieren, dass jeder ein Recht auf das ihm eigene Verhalten hat (aber leicht fällt es mir nicht…).

P.S.: ich würde gern auf einen Blog als Beispiel hinweisen, lasse es aber lieber, weil ich mittlerweile keine Lust mehr habe, mich auf demselben Niveau auseinanderzusetzen.

Was mir auffällt ist, dass es Menschentypen gibt, die bei Dir einen bestimmten Knopf drücken können. Das Alpha-Männchen. Der Oberlehrer. Und dass Dich das Verhalten besagter Typen nicht nur einmal aufregt, sondern wiederholt und schmerzhaft.

Ich weiß selbstverständlich, welches Blog Du meinst. Aber warum liest Du immer wieder dort? Warum tust Du Dir das an? Wenn der Oberlehrer in seinem Oberlehrer-Biotop vor sich hin dümpelt und sich dort gemeinsam mit anderen Oberlehrern seiner Überlegenheit freut, dann muss Dich das doch nicht kratzen. Mehr als allen anderen (anders als das Alpha-Männchen) schadet der Oberlehrer lediglich sich selbst, indem er seinen Blick einengt. Wenn er tatsächlich so sehr von der Verurteilung anderer lebt, wie Du vermutest, dann ist er nicht so überlegen, wie er glaubt. Das zu wissen müsste doch reichen, oder?

Nur um es richtig zu stellen und Missverständnissen vorzubeugen: den Blog, den ich hier in meinem voherigen Kommentar gern als Beispiel genannt hätte, habe ich heute erst entdeckt. Es ist ein Blog mit zum Teil sehr schönen Bildern und nachdenklichen Beiträgen, auf dem allerdings einige Kommentare gemacht wurden und werden, die einfach nur abgeschmackt sind (ein anderes Wort fällt mir momentan nicht ein).

Der ursprüngliche Beitrag zum Oberlehrer ist – wie Du es richtig siehst – auch eine Reaktion auf einen Blog . Aber wie ich im Beitrag auch geschrieben habe, bin ich Oberlehrern schon viel früher begegnet, so auch in so manchen Seminaren während des Studiums. Und auch im Freundeskreis befand sich so jemand, der uns ständig klarmachen wollte, wie falsch wir alle gepolt sind.

Du hast Recht: irgendwie ist es schon wie ein Knopfdruck. Mir fehlt die Fähigkeit, einfach mal etwas zu ignorieren. Um beim Beispiel der Seminare zu bleiben: viele andere Studenten fanden es genauso öde wie ich, wenn die Oberlehrer das Wort ergriffen. Aber die meisten hatten keine Knopfdruckreaktion, sondern zuckten einfach nur mit den Schultern und haben ihre Aufmerksamkeit denjenigen zugewandt, bei denen es undogmatischer zuging.

Einen Knopf kann man ja eigentlich auch ausstellen. Aber irgendwie gelingt mir das nicht. Du hast einmal in Deinem Blog darüber geschrieben, wie wichtig es für Dich ist, Abstand zu Deinen Eltern zu haben. Und in der Tat muss man zu den Dingen und Personen, die einem nicht gut tun, auf Abstand gehen. Gelassenheit beruht oftmals auf Abstand. Auf den äußeren kann dann manchmal auch irgendwann der innere folgen. Leicht gesagt und schwierig umzusetzen.

Es ist natürlich ein Unding, dass manche Menschen an jede Ecke pinkeln müssen - haben wir ja hier bei Dir auch schon erlebt. Ich finde, dagegen sollte man sich auch wehren. Wer die Blogs anderer so fürchterlich unerträglich findet, braucht sie ja nicht zu lesen. Das gilt auch für manchen oberschlauen oder fiesen Kommentator. Wobei mein Verdacht ist, dass es vielen Menschen nur um Provokation geht oder darum, ihrer eigenen Person gehuldigt zu sehen. Schaut her, was ich für ein toller Hecht bin! Das ist ein echtes Armutszeugnis, und Du bist nicht die einzige, die solches Verhalten ärgert.

Einen Knopf kann man ja eigentlich auch ausstellen. Aber irgendwie gelingt mir das nicht. (...) Leicht gesagt und schwierig umzusetzen.

Ich habe bei mir selbst die Erfahrung gemacht, dass wenn es so schwierig ist und man sich an etwas immer wieder so aufreibt, es doch meistens etwas mit der Vergangenheit zu tun hat. Richtig schreibst Du, ich habe den Abstand von meinen Eltern gebraucht. Der Kontaktabbruch war für mich gewissermaßen auch Übungsfeld, um zu lernen, dass ich überhaupt von etwas Abstand nehmen darf und nicht nach den alten Mustern funktionieren muss. Was ich an Dir jedesmal wieder bewundere (und das habe ich ja auch schon bei mir daheim geschrieben), ist Dein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Du hast eine ungeheuer sensible Antenne für Benachteiligung und unfaires Verhalten Schwächeren gegenüber. Ich finde das wichtig, und viele, viele Menschen könnten davon mehr vertragen. Vielleicht wäre es aber für Dich eine interessante Frage, was wohl geschehen würde, wenn Dir diese Umstände ein wenig gleichgültiger wären. Was verlierst Du, wenn Du Dich nicht mehr bei jeder Ungerechtigkeit in die Bresche wirfst? Zu gewinnen gibt es zumindest ein Gefühl für die eigenen Grenzen, auch die seelischen.

Ich musste in der letzten Zeit öfter an Dich denken, denn durch die schwere Erkrankung meiner Mutter muss ich mich fast täglich um sie und auch um meinen Stiefvater kümmern. Abgesehen davon, dass es an die Grenzen meiner Kraft geht, gibt es aber auch einen weiteren Aspekt: die Vergangenheit lebt wieder auf! Und das tut alles andere als gut. Bei meiner Schwester ist dies übrigens haargenau so. Ich konnte meine Kindheit, die geprägt war von Vernachlässigung (meine Mutter ist einfach abgehauen, als ich 15 war) und Misshandlung meiner Schwester durch meinen Vater endlich irgendwann so akzeptieren, wie sie war. Das war ein hartes Stück Arbeit (was Du mit Sicherheit nachempfinden kannst). Aber jetzt lebt alles wieder auf.

Wir hatten ja in Deinem Blog eine Diskussion über Kontakt zu den Eltern und ich hatte versucht, auch die Sicht der Eltern zu verstehen, für die ein Kontaktabbruch sehr hart ist. Im nachherein habe ich bemerkt, dass auch ich nicht frei bin von „Oberlehrergehabe“. Ich meinte, belehren zu müssen, obwohl ich es ja eigentlich besser hätte wissen müssen. Der Kontakt zu den Eltern kann einen Menschen kaputt machen! Man kann erst wieder in die Normalität gehen, wenn man Dinge abgeschlossen hat. Und wie ich gerade merke, ist das kein statischer Zustand. Eine meiner Freundinnen, die wesentlich älter ist als ich, hat während der Pflege ihrer alten Mutter schlimme Panikattacken erlitten, die auch nach deren Tod anhalten.

Es ist möglich, durch einen äußeren und inneren Abstand eine Art „Frieden“ oder besser gesagt „Waffenstillstand“ mit den Eltern zu schließen. Aber dieser Frieden ist sehr, sehr fragil!

Das mit der Gerechtigkeit ist ein sehr wunder Punkt bei mir. Und der hat mit der Situation in der Kindheit zu tun. Ich will es nicht zu sehr ausweiten, weil Blogs kein sicherer Ort sind. Aber ich habe es als Jugendliche als riesengroße Ungerechtigkeit empfunden, dass bei alldem, was mein Vater getan hat, für die Familie meines Vaters meine Schwester und ich die Bösen waren und regelrecht geächtet wurden. „Wie könnt ihr nur den armen Mann allein lassen?“ Ja wie kann man nur? Man kann nicht, man muss, denn wenn ein Mensch gewalttätig und ohne auch nur eine Spur von Sozialverhalten ist, wenn ein Mensch die Seele eines Kindes kaputtmacht, indem er es als Versager und Dreck beschimpft – dann muss man gehen! Aber wirklich verwunden habe ich die Ungerechtigkeit nicht. Gott-sei-Dank hatte ich noch die Familie meiner Mutter und verständnisvolle Lehrer.

Ein bisschen erinnert mich dies daran, wie früher (und manchmal auch noch heute) mit Missbrauchsfällen umgegangen wurde. Wenn ein Mädchen tatsächlich den Mund aufgemacht hat, wurde es von dem Umfeld viel stärker angefeindet als der der Täter. Und oftmals wurde dann auch noch der Vorwurf gemacht, die Familie zerstört zu haben. Ich kann das leider nur ordinär ausdrücken: es ist zum Kotzen!

Ui Oberlehrer...
...man da hatte ich leider viele von in der Schulzeit. Und so aufmüpfig wie ich war kam das nie gut an. So gab es Fächer, wo ich generell ein "mangehalft" bekam. Fiel natürlich erst nach nem Schulwechsel auf, wo ich in genau diesen Fächern auf einmal "gut" war (Was 6 Wochen Nichtstun so bewirken können, einfach unglaublich!). Tja, da kam der Oberleher nicht damit klar, dass ich mir zwar seine Meinung gerne anhöre, aber auf Teufel komm raus nicht akzeptiere... (Und das "muck around with" im Englischen gibt es doch lieber Herr R.! Nur weil sie es nicht kennen, hieß das nicht, dass das falsch war!)

Ich bin dazu übergegangen es, wenn ich es nicht ändern kann, zu dulden. Wegzuhören. Oder, wenn ich grad echt gut drauf bin, diesen Menschen genau nach dem Mund zu reden. Total übertrieben die Zustimmung geben. Und wenn sie anmerken, ob ich sie veräppeln möchte, ganz entrüstet darüber zu sein, wie derjenige denn sowas Denken könnte. Ja schon fast eingeschanppt zu werden.

Aber ich kanns verstehen, wenn man seinen Mund nicht halten kann, fällt mir auch äußerst schwer dies zu tun. Gerade wenn es um Ungerechtigkeiten geht. Auf der anderen Seite...wenn es uns nicht gäbe, wer würde es dann tun?

@Gitta:

Damit hast Du vollkommen Recht. Es ist zum Kotzen. Am Umgang mit Kinderseelen zeigt sich am deutlichsten, was für Schweine Menschen sein können. Ich verstehe auch gut, dass Du so sensibel werden musstest, nach allem, was Du erlebt hast. Das kenne ich gut von mir selbst.

Auf der anderen Seite ist es auch wichtig zu erkennen, dass man heute in einer anderen Zeit lebt. Du bist erwachsen, niemand kann Dir wehtun, wenn Du es nicht zulässt. Zu diesem Nicht-Zulassen gehörte z.B. für mich der Kontaktabbruch zu meinen Eltern, insbesondere zu meinem Vater. Ich habe nach einem Vorkommnis, das wieder einmal nur eine weitere Demütigung in einer langen Reihe war, zu mir selbst gesagt: "Jetzt ist es genug!" Ich habe sehr geschwankt zwischen der großen Angst vor diesem Mann und meiner Abhängigkeit und der Erkenntnis, dass ich selbst das Heft in die Hand nehmen kann. Ich musste erst mal lernen, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich ausschere, und dass ich ein Recht auf Selbstschutz habe. Die Erkenntnis war wichtig, nicht nur im Bezug auf meinen Vater. Was früher galt, gilt heute nicht mehr. Die Verhaltensweisen, die einen früher über Wasser hielten, sind heute schädlich. Vor lauter Überleben hat es uns das Leben versaut.

Ich finde Deinen Gerechtigkeitssinn gut. Aber vergiss nicht, genau so sensibel auch mit Dir selbst zu sein und den Blick dafür zu schärfen, was Dir Substanz raubt. Nicht alles ist mehr wie früher. Das wirklich zu begreifen ist manchmal schwer, aber es lohnt sich. Ich kann mir gut vorstellen, dass vieles jetzt wieder in Dir hochkam. So etwas geschieht nicht ohne Grund. Der "Frieden" mit den Eltern ist die eine Sache, aber den Frieden mit sich selbst zu finden, ist eine tägliche Aufgabe, die man sich selbst auch wert sein muss. Sie kommt vor allen anderen Verpflichtungen.

@Jokas
Mir fällt dazu ein Spruch des Zenmeisters Hakuin ein: „Wisse, dass diskutieren nicht der richtige Weg ist. Geb einfach jeglichen Anspruch auf ihre Welt auf. Und dann wirst du sehen, dass sie gegangen sind“.
Wär schön, wenn das so einfach umzusetzen wäre. Aber andere Menschen können ja nun mal leider Gottes auch sehr dominant und quälgeistig sein. Und dann muss man schon sehr in sich ruhen, um davon unbeeinflusst zu sein.