Nachgedachtes

Vielleicht machen diese Leute nicht unbedingt in der Politik mit – aber sie stellen mit Sicherheit das Wählerpotential für entsprechende Politik.

Es gibt noch viele andere Kommentare wie die hier von mir zitierten. Auffällig ist, dass sich die gesamte Diskussion (falls man das überhaupt so nennen kann) auf einem grottentiefen Niveau abspielt. Auch diejenigen, die diesen Kommentaren kontern (glücklicherweise stimmen ja nicht alle zu), tun dies oftmals auf dem gleichen Niveau und in Fäkalsprache. Es ist einfach schockierend, mit welcher Primitivität und Respektlosigkeit sich über die Thematik auseinandergesetzt wird.

Das erinnert mich gerade sehr an meinen Sammel-Streifzug zum Thema "Kinder schlagen". Ich kenne diese tiefe Angst, die sich wie eine klamme Hand um die Seele legt, wenn man solche Kommentare liest. Denn die Menschen, die dies schreiben, sind real, und sie fühlen sich in der Anonymität des Internets sicher genug, ihre wirklichen Ansichten zu äußern, wie sie es bei Oma am Kaffeetisch nie tun würden. Das fällt mir auch immer wieder auf, wenn ich unter den "Nachrichten" meines Mailportals die Kommentare lese. Jetzt z.B. ist das Geschrei nach der Todesstrafe bzw. nach Selbstjustiz wieder lauter, da in Norwegen diese schrecklichen Dinge geschehen sind. Das bringt mich zu dem Schluss, dass ungeheuer viele Menschen zu differenziertem Denken nicht in der Lage sind und jeder Polemik auf den Leim gehen, schreien und hinterhermarschieren. Und ja, das sind Wähler, und ja, sie wären die ersten, die stramm die Reihen schließen und losmarschieren würden, wenn ein talentierter, charismatischer Mensch ihnen die einfachen, verführerisch-schönen Lösungen für all ihre Probleme präsentieren würde.

Ich fürchte diese Tendenzen auch sehr, denn es sind nicht einfach nur Meinungen, die sich hier widerspiegeln. Es ist das stumpfe Gebrüll derjenigen, denen Empathie und regelmäßiges Bemühen des Denkapparats abgehen.

@Sturmfrau: Wahrscheinlich ist es so, dass die Anonymität des Internets tatsächlich ermutigt, alles das von sich zu geben, was man nicht offen sagen würde. Mir kommt das Netz manchmal vor wie eine riesige Dreckschleuder. Es gab schon immer Menschen, die bei Diskussionen heftig losgeholzt haben. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass das Niveau in verbal geführten Diskussionen so weit abstürzte. Lediglich einige Raptexte kommen in die Nähe dessen, was sich in den Foren und Chats abspielt. Verrohtheit steht hoch im Kurs – je mehr, desto besser und cooler. Und wem es nicht gefällt, der landet sofort in der Ecke der Spießer, Weicheier und Rentner.

Natürlich kann man das ignorieren, und wenn ich mir auf YouTube Videos ansehe, versuche ich, die Kommentare links liegen zu lassen. Aber zu wissen, dass es manche Menschen die Gräueltaten und das unendliche Leid in den KZs lustig finden – das verursacht mir Magenschmerzen.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das Gefühl einer Rückentwicklung. Einer Entwicklung, die alles, was sich glücklicherweise an Emphatie, Sensibilität und Nachdenklichkeit ausgebildet hat, wieder rigoros über Bord schmeißt.

Vor dem "Internetzeitalter" hatten Du und ich ja in der Hauptsache nur Kontakt mit Menschen, die ähnlich tickten wie wir selbst. Ab und an mal eine kontroverse Diskussion, das ja. Aber aus gutem Grund haben wir rechtsradikale Kreise ebenso gemieden wie Stammtisch-Runden - sie waren nicht unsere Welt. Jetzt ist das anders, da jeder an jeder Stelle seinen Senf in die Welt geben kann. Die Meinung anderer drängt sich uns mehr auf, weil sie sich überall niederschlägt. Beachtung und Aufmerksamkeit sind eben nur einen Klick entfernt, und niemand filtert und hindert einen daran, zu schreiben, was man denkt. Oder was man auch manchmal nur deshalb von sich gibt, um ebendiese Aufmerksamkeit zu erhaschen (denn nicht alles ist wahr, auch nicht jede Provokation in Zusammenhang mit der Nazizeit). Prinzipiell halte ich diese Art der Meinungsäußerung noch nicht für verwerflich. Der Hund wedelt mit dem Schwanz, weil er es kann. Im Internet kann jeder seine "Meinung" kundtun, und deshalb tun es auch sehr viele Menschen (uns eingeschlossen).

Klar kommt mir auch bei vielen "Meinungsäußerungen" die Galle hoch. Jemandem das Wort zu verbieten ist indes wenig freiheitlich. Anstatt in diese Richtung zu denken (wie es jetzt auch wieder nach Oslo, erstaunlicherweise aber nur hierzulande geschieht), muss man sich fragen, wie solche Tendenzen in der Gesellschaft entstehen. Das konfrontiert einen natürlich mit einer enormen Menge an Ekelhaftigkeiten. Es ist nicht leicht zu verkraften, dass wir in einer Gesellschaft leben, die das Schlagen von Kindern für ein probates Erziehungsmittel hält und es vermutlich auch anwendet. Es ist widerwärtig, dass die Dummheit in vielen dunklen Winkeln dieses Landes und dieser Welt dazu führt, dass Menschen über das Elend anderer in Vergangenheit und Gegenwart nur lachen können. Es ist erschreckend und beängstigend, dass schon junge Erwachsene so perspektivlos und zornig sind, dass für sie die Integrität des anderen kaum einen bis gar keinen Wert hat. Dass das so ist hat ja mit dem Internet an sich wenig zu tun.

Ob diese Strömungen eine Rückentwicklung darstellen, weiß ich nicht. Ich sehe sie als Symptome einer lebensfeindlichen, unmenschlichen Umwelt, und wir müssten uns mehr denn je den Kopf darüber zerbrechen, in was für einer Welt wir leben wollen, was unsere Lebensqualität ausmacht und was uns daran hindert, unsere Vorstellungen von dieser Welt auch umzusetzen. Statt dessen verrennen wir uns in eine eiskalte Kosten-Nutzen-Kalkulation, die nicht dem fühlenden, lebendigen Menschen dient, sondern lediglich die Gewinnmargen erhöht. In so einer Welt aus Bilanzen wundert es mich nicht, dass die Empathie auf der Strecke bleibt. Mein Verdacht ist, dass sich unsere schöne, bunte Scheinwelt schon längst verselbständigt hat und die hässlichen Prozesse unter der Oberfläche nur die logische Konsequenz sind. Die Frage ist, was hat man entgegegenzusetzen, ganz privat und persönlich? An dieser Frage knabbere ich auch immer noch und immer wieder.

Das sind sehr viel wichtige Aspekte in dem, was Du schreibst. Aber das mit den „Kontakten zu Menschen, die ähnlich ticken wie wir selbst“ trifft für mich persönlich erst für die Zeit nach der Kindheit zu. Ich habe als Kind viel Zeit im Friseurgeschäft meiner Eltern verbracht und musste außerdem oft mit meinem Vater in die Kneipe gehen. Die meisten der Kunden und Kneipengäste waren einfache Bauern und das, worüber sich unterhalten wurde, war manchmal grenzenlos unbedarft und beileibe nicht sehr geistreich. Mit Sicherheit waren auch erzkonservative Leute dabei. Aber diese Menschenverachtung, wie sie in den Kommentaren bei YouTube gemacht werden, wie z.B. die Aussage „gutaussehende Juden hätte man für Pornos gebrauchen können“, habe ich damals nicht mitbekommen (was nicht heißt, dass es sie nicht gab). Auch die Tatsache, dass es in gewissen Kreisen das Normalste von der Welt ist, Frauen als Schlampen zu bezeichnen, wäre früher schlecht vorstellbar gewesen.

Ich habe den Eindruck, dass Menschenverachtung sich wieder zu etwas völlig Gesellschaftsfähigem entwickelt hat. Ich denke aber auch oft an einen Ausspruch Hermann Hesses, der besagt, dass es im Grunde keine „bessere“ oder „schlechtere“ Zeit gibt, sondern jeder Zeitabschnitt die ihm eigenen Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt. Was wäre dann die für unsere jetzige Zeit charakteristische Schwierigkeit? Auf jeden Fall sehe ich auch so wie Du die Art der Internetkommunikation als bedenklich an. Eine Art der Kommunikation, die in ihrer Fülle und ihrer Anonymität dem eigentlichen Bedürfnis nach Intimität und einem direktem Gegenüber völlig entgegensteht. Wer sich in seinem direkten Freundeskreis wie eine Wildsau benehmen würde, der hätte wahrscheinlich entweder bald keine Freunde mehr, oder wäre auf eine sehr begrenzte Gruppe von Gleichgesinnten angewiesen. Beim Internet ist das völlig anders. Es gibt unzählige Foren und Chats, in denen man sich immer wieder aufs Neue wie das letzte Schwein benehmen kann und wenn sich dann tatsächlich jemand aufregt, dann loggt man sich einfach aus und woanders wieder ein oder man ändert einfach seinen Nickname. Man könnte sagen, dass Anonymität die schlechten Eigenschaften des Menschen aufblühen lässt, weil sie alles so herrlich konsequenzfrei macht.

…verrennen wir uns in eine eiskalte Kosten-Nutzen-Kalkulation, die nicht dem fühlenden, lebendigen Menschen dient, sondern lediglich die Gewinnmargen erhöht. Das ist mit Sicherheit ein sehr treffendes Merkmal unserer jetzigen Zeit. Gewinnsucht gab es zwar schon immer, aber man hat sie jetzt auf schon fast perfekte Art professionalisiert. Und man wird als Dämel, Naivling oder Looser hingestellt, wenn man sich gegen diesen Zeitgeist sträubt. Ein Zeitgeist, der krank macht, weil er den Menschen auf einen Wirtschaftsfaktor reduziert.

Vielleicht ist auch ein weiterer Grund für die immer unmenschlicher werdende Art des Umgangs miteinander, dass es kaum noch etwas gibt, mit dem man schocken kann. Ich habe als Jugendliche gern geschockt und das war damals noch denkbar einfach. Für Jungen reichte es, lange Haare oder einen Ohrring zu haben und für Mädchen reichte es, auf das Tragen von Jeans zu bestehen. Und mit psychedelischer Musik und Postern von Hendrix oder Che Guevara konnte man die Eltern völlig fertigmachen. Ich glaube, dass die rechtsextremen Jugendlichen auch genau spüren, dass sie mit ihren Sprüchen einen Nerv treffen. Ein früherer Kollege von mir hat mit rechten jugendlichen Fußballfans gearbeitet und hinter dem ganzen großkotzigen Gehabe standen oft kleine, tief verletzte Jungen. Die Flucht in Gewalt und Menschenverachtung hat viele Ursachen und auch viele Gesichter. Bei dem einen wird der Ausländer zum Hassobjekt bei dem anderen der Kleinbürger oder der Polizist. Das Schwierige ist, dass man ab einem bestimmten Grad von Menschenverachtung kaum noch Lust hat, nach Hintergründen und Ursachen zu fragen. Und so macht man dann einfach dicht. Ich könnte nicht mehr schlafen können, wenn ich mir die ganzen Kommentare ansehen würde.

Dass sie es nicht geäußert haben heißt ja nicht, dass die Leute nicht schon früher so dachten. Ich denke, die sogenannte Entnazifizierung ging nach dem Krieg beileibe nicht so gründlich vor sich, wie man sich das vielleicht gedacht hat. Konnte sie aber auch nicht, weil es erstens ein vergebliches Bemühen ist, einer Bevölkerung spezifische "Werte" von außen "beizubringen", zweitens aber auch, weil das zugrundeliegende Gedankengut nicht ausdrücklich rechts, links oder wie auch immer ist, sondern viel archaischer. Die Ideologie, für die diese archaischen Anlagen im Menschen dann genutzt werden, ist allenfalls ein Zeichen der Zeit. Aber Hass und Xenophobie sind universelle Anlagen, die je nach Befindlichkeit des Einzelnen und der Gemeinschaft mehr oder weniger stark zum Vorschein kommen. Die Politik versteht es hervorragend, Feindbilder zu schaffen, die diese Anlagen noch schüren.

Ja, Auschwitz kann sich wiederholen. Weil es einfach nicht reicht, eine Gedenk-Kultur zu verordnen und allen zu erzählen, wie schrecklich es war. Jemand, der zur Empathie nicht fähig ist, wird über Leichenberge lachen können. Also ist die dringende Frage, was die Empathie im Menschen tötet. Die Menschenverachtung, die Du beobachtest und von der ich annehme, dass sie in jedem von uns schlummert (ebenso wie die mitmenschlichen Seiten), kommt zutage, wenn der Mensch spürt, dass etwas nicht stimmt, dass es in seinem Leben an Sinnhaftem mangelt, dass er selbst keine Bedeutung hat. Dazu passt auch, was Du über das jugendliche "Schockieren" und "Anecken" schreibst. Jeder Mensch braucht das Gefühl, im Leben (seinem eigenen und dem anderer) einen Platz einzunehmen, eine Bedeutung zu haben, gesehen zu werden. Im Zweifel ist das auch über negatives Auffallen möglich (ich denke da zum Beispiel an all die "schwer erziehbaren" Kinder, die sich aggressiv verhalten und über die Mami und Papi sich dann bei der Super-Nanny beklagen).

Das System, in dem wir leben, entwürdigt den Einzelnen und seine Befindlichkeiten und presst ihn in ein Schema. Mensch soll sich möglichst gut verwerten lassen, wir kreisen ums Geld, um den Profit und um das Produkt. Daher ist es auch nur konsequent, dass der Mensch, der sich auf diese Weise nicht mehr selbst spüren kann und nicht gesehen wird, das Produkt mehr als alles andere wertschätzt und einen egozentrischen, selbstdarstellerischen Tanz aufführt, zu dem ihn nur immer mehr Kleider, Statussymbole, Schmuck, edles Essen etc. befähigen. Die Definition des Selbst und des eigenen Wertes ist nur möglich über das, dem wir als einzigem einen Wert zumessen, weil wir es anders nicht mehr erkennen können: Dem Materiellen. Die Generation, die jetzt so jung und so wütend ist, hat nur noch kennengelernt: Du bist nur dann jemand (oder sollte ich sagen, etwas?), wenn Du etwas hast. Dieser Definition fehlt die Würdigung des individuellen Menschen und der Aspekte des Menschseins, die sich nicht in eine monetäre, materielle Werteskala fassen lassen. Der Einzelne bleibt materiell so unersättlich, weil er aus viel mehr besteht, als sich durch dieses Bewertungssystem abdecken ließe. Der Hunger bleibt immer da. Und aus diesem Hunger nach Mensch-Sein, nach Gesehen- und Gewürdigtwerden entsteht die Angst und der Schmerz, der zu Gewalt, Hass, Zorn und Menschenverachtung führt.

Im Kleinen (das gar nicht so klein ist) fängt er bei den einfachen Dingen an, der Zorn. Zum Beispiel bei der Erfahrung, dass der Schirm der Playstation der einzige Ort ist, an dem man jemand ist. Bei der Erfahrung, dass den Eltern das Fern-Sehen wichtiger ist als das Kind-Sehen. Bei der Erfahrung, dass die Maßstäbe der Konsumgesellschaft auch in den heimischen vier Wänden gelten und man nur wer ist, wenn man Leistung bringt. Später bei der Erfahrung, dass man das, was man lernt, nicht deshalb lernt, um hinterher die eigenen Talente Wirklichkeit werden zu lassen, sondern um sich in ein völlig sinnentleertes System der Arbeitskraftverwertung zu begeben... Die Liste lässt sich fortsetzen. Je heftiger das Gefühl der Sinnlosigkeit, der eigenen Bedeutungslosigkeit und Entwürdigung, um so größer die Angst, der Zorn und der Hass.

Menschen, die eine Identität besitzen (und die definiert sich aus dem wirklichen Gesehen-Werden als Individuum) haben es nicht nötig, etwas zu kompensieren. Aber eine Identität zu haben und sich selbst bedeutsam und wirksam zu fühlen wird in der Welt, in der wir leben, immer schwieriger. Die Frage ist auch nicht, ob die Lösung im Einzelnen oder in der Gesellschaft liegt, sie liegt in beiden.

@rockabilly-mom.de: ich glaube, dass dann YouTube gar keine Kommentare mehr zulassen könnte, weil sehr viele Kommentare in diese Richtung gehen. Es betrifft übrigens nicht nur die Thematik des Dritten Reichs, sondern auch andere Themen. Ich habe mal ein wenig nach Videos über die Erziehung und das sportliche Training chinesischer Kinder gesucht. Da gab es dann ein Video, in dem der Drill kleiner Mädchen gezeigt wurde. Das allein war schon sehr erschütternd. Aber dann gab es einen englischen Kommentar, der dem sich jemand in widerlicher anzüglicher Weise darüber äußerte, wie gern er die kleinen Mädchen mal anfassen und ansehen würde. Ekelhaft, so etwas zu lesen.

Schule sollte zum „Nachdenken“ erziehen, das stimmt. Aber ich habe da ein wenig Mitleid mit den Lehrern. Weil die gegen eine Woge von Entertainment antreten müssen. Ich glaube, dass es völlig unterschätzt wird, was die Medienüberflutung auch hier anrichtet. Es war schon zu meiner Zeit anstrengend, sich in der sechsten Stunde im Geschichtsunterricht mit den Machtverhältnissen während des dreißigjährigen Kriegs zu beschäftigen. Aber mein Gehirn war noch nicht so vollgepropft mit Computerspielen, 24-Stunden-TV, Chatts und Facebook-Kontakten (Ich hatte nur vier Freundinnen und nicht fünfzig, wie die Facebook-Kinder), so dass ich – trotz aller Anstrengung – die Thematik trotzdem interessant fand.

Es ist merkwürdig. Eine meiner Freundinnen, die Anfang siebzig ist, hat nicht wie ich das Gymnasium sondern „nur“ die Volksschule (so hieß das damals) besucht. Wer hat jetzt das bessere Geschichtswissen (ich meine nicht nur in Bezug auf auswendig gelernte Zahlen)? Meine Freundin und nicht ich!

Es gibt übrigens einen Bereich, der genauso lernresistent ist. Auch wenn ich jetzt abschweife – aber das darf ich und jeder andere ausdrücklich in diesem Blog – das Lernen von bestimmten Alltagsfertigkeiten, wie z.B. dem Umgang mit Geld. Ich versuche eisern, meinen jüngeren Betreuten Wege zu vermitteln, wie man sich sein Geld einteilt, so dass man nicht in die Schuldenfalle gerät und auch in der zweiten Monatshälfte noch etwas zu Essen hat. Aber ich komme nicht an gegen die riesige Mediengewalt, die eine Flut von Versuchungen über die Menschen ergießt. Ich schaff’ es einfach nicht, und ich komme mir wie ein Dino vor, der inmitten von „Heute kaufen morgen zahlen“ die Werte von „Leg ein wenig zur Seite“ vertrete. Und so ähnlich stelle ich mir die Lehrer vor, wenn sie versuchen, Schülern zu vermitteln, dass auch die alten Griechen oder Aussagenlogik interessant und wichtig sein können.

Medien haben so eine übermächtige und allgegenwärtige Präsenz entwickelt, dass auch der kleinste Bereich im Leben völlig von ihnen abhängig ist und beeinflusst wird. Und diese Gewalt hat niemand so richtig unter Kontrolle. Ich mag gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn die Facebook-Aufrufe zu Massenfeten sich irgendwann mal nicht mehr an feiernde Teenager richten, sondern an Menschen mit rechter Gesinnung. Mal eben zu Tausenden vorm Ausländerwohnheim antreten. Oder vor einer Beratungsstelle, deren Klientel nicht genehm ist. Wie gesagt – ich mag nicht daran denken, was alles noch möglich wäre…

Die Medien sind nicht das Problem. Sie sind ein Multiplikator und haben mächtigen Einfluss, aber sie generieren nicht das Problem als solches. Meines Erachtens halten sich die Chancen und Gefahren der Medien in etwa die Waage. Manipulation und Information liegen dicht nebeneinander, und anstatt nach mehr Kontrolle zu schreien (wie es die Politik tut), gilt es, Kompetenz im Umgang mit den Medien zu erwerben. Damit meine ich nicht die lustigen Kurse, die in den Schulen gegeben werden und in denen den Kids vermittelt wird, auf welche Seiten sie nicht gehen sollten und dass sie niemanden in dubiosen Chats ihre Realnamen verraten dürfen (dazu sind auch die meisten Erwachsenen noch doof genug). Es geht darum zu begreifen, was Realität ist. Sich zu befähigen, immer und immer wieder zu fragen: "Stimmt das wirklich? Was ist noch denkbar? Wer hat das gesagt? Wer hat was davon?". Schon früher galt häufig: "Es stand in der Zeitung, also muss es wahr sein!". Heute bietet das Netz die Möglichkeit, dass sich jeder am Meinungsbildungsprozess beteiligt, und daher muss man noch gründlicher lernen, zu differenzieren und sich zu fragen "Wer hat's geschrieben und warum?". Denn längst nicht alles im Internet ist wahr. Auch nicht die vorgespiegelten Identitäten derer, die gern mal auf dicke Hose machen. Und schon gar nicht die sogenannten "Freunde", die das Fratzenbuch bietet. Sie sind nur Pixel auf einem Monitor, Ausdruck unserer Beziehungsunfähigkeit im wahren Leben.

Möglich ist eine ganze Menge, auch "dank" des Internets und der Medien. Möglich ist Massenmanipulation und Demagogie, möglich ist aber auch Kontakt, Meinungsfreiheit und Umgehung der Zensur (wie man eindrucksvoll z.B. in Ägypten gesehen hat). Was durch das Medium (denn es ist in der Tat nur ein Mittel) geschieht, liegt an den schon vorhandenen Strömungen.

Schule, nun ja... Da bin ich auch geneigt, für die Lehrer eine Lanze zu brechen. Neulich sah ich eine Doku, in der die Grundschullehrerinnen eines kleinen Jungen die Familie zuhause aufsuchen mussten, um der Mutter zu vermitteln, dass der Junge zeitig ins Bett gehört, weil er sonst dem Unterricht nicht folgen kann. Das ist eigentlich keine Leistung, die Lehrer erbringen müssten. Und auch die Lehrer leiden massiv (wie mir befreundete Lehrer erzählten) unter dem Zwang, lediglich Vermittler von trockenen Fakten zu sein, Dozenten, Bewerter - nichts mehr. Die Rolle von Schule gehörte neu definiert, aber dazu kann sich in diesem Land niemand durchringen. Statt dessen verkürzt man die schulische Laufbahn im Gymnasium auf 8 Jahre - schon allein diese Tatsache sagt mehr als tausend Worte.

Wenn ein Land, eine Welt lediglich Interesse hat an stumpfen Arbeitsrobotern, an Menschenmaterial, an Konsumenten, dann wird es für diese Gesellschaft auch ausreichend sein, dass Eltern allenfalls den Kindern ein Dach über dem Kopf bieten, aber anderweitig die simpelsten Dinge nicht mehr wissen. Das Land hat dann auch kein hinreichendes Interesse mehr daran, diesen Umstand zu ändern, denn es zahlt sich schlicht nicht aus.

Genau so sehe ich das auch und ich wollte keineswegs die Lehrer an den Pranger stellen. Ich möchte - und das ist durchaus mit Respekt zu verstehen - keine Lehrerin sein, wenn ich sehe, mit was für Schülermassen, Lehrplänen und Knüppeln zwischen den Beinen sich die Lehrkräfte oft rumschlagen müssen.

Ich schwanke zwischen Zustimmung und Einwand. Natürlich ist letztendlich jeder selbst verantwortlich dafür, in welchem Maß jeder Medien konsumiert. Aber mit der Verantwortlichkeit ist es so eine Sache. Man mag theoretisch vernünftig sein und geht der Versuchung dennoch auf den Leim. Was vorhanden ist wird auch konsumiert. Mich erinnert das an ein großes Buffet mit Unmengen von leckeren Sachen. Manche Menschen können mit der großen Auswahl diszipliniert umgehen. Aber manche sind damit eben auch überfordert. Dazu gehöre ich manchmal auch – ich lange dann mehr zu, als gut für mich ist, weil ich nicht immer widerstehen kann.

Der Schrei nach einem Verbot ist keine Lösung, das ist sicher richtig. Aber manchmal denke ich, dass man über eine Begrenzung nachdenken könnte. Früher gab es einmal den guten alten Sendeschluss etwa gegen 1 Uhr nachts, war das wirklich so schlimm? Medien wie Fernsehen und Internet greifen einfach so massiv und übermächtig ein, dass sich die Realität verschiebt und sich immer mehr Menschen mehr im virtuellen Leben als im realen aufhalten. Und dies ist auch eine Frage der Alternative. Hat man ein Haus in der Natur, mit Garten und allem drum und dran, wird man sicherlich weniger Lust aufs Fernsehen haben als wenn man in einem Hochhaus inmitten von anderen Hochhäusern lebt.

Der Umgang mit Medien muss erlernt werden, das stimmt. Aber genau damit sind viele Eltern überfordert, weil sie selbst nicht gelernt haben, mit Medien wohldosiert umzugehen. Und bei sehr viel Stress kann Fernsehen ein Gegenmittel sein. Ich selbst ziehe zwar Ruhe und Lesen vor, aber ich hatte auch schon Zeiten, in denen ich mir irgendeinen Mist reingezogen habe, um meinen Kopf ruhig zu stellen. Und das klappt mit Fernsehen wie geschmiert. Man denkt einfach nicht mehr. Für diesen Zustand brauchen Buddhisten oft ein ganzes Leben lang (das war jetzt natürlich ironisch gemeint).

Ich bin bei dem Thema Medien ratlos. Ich sehe zwar die Menschen, die in der Lage sind, einen wohldosierten Umgang mit Medien zu führen. Aber ich sehe auch die zunehmende Menge von Menschen, die von den Medien regelrecht vereinnahmt werden. Und weder Schule noch Elternhaus allein können gegen diese Entwicklung wirklich stoppen. Und das beunruhigt mich.