Mir kam heute der Gedanke, was wohl passieren würde, wenn sich jemand meine Diplomarbeit vorknöpfen würde, um systematisch nach nicht vorhandenen Fußnoten zu fahnden. Ich habe zwar Feinde, aber Gott-sei-Dank bin ich nicht wichtig genug, damit dies jemand für sinnvoll und notwendig halten könnte. Ich bin zwar der Meinung, meine Diplomarbeit den Vorschriften entsprechend verfasst zu haben – immerhin wurde sie veröffentlicht – aber ich könnte auf keinen Fall dafür garantieren, dass ich nicht irgendwo vielleicht doch vergessen habe, die ein- oder andere Quellenangabe ordnungsgemäß aufzuführen.

Die Politik eines Menschen abzulehnen und meinetwegen auch den überflüssigen Personenkult und den damit verbundenen Medienrummel, ist die eine Sache. Einen großangelegten Aufruf zu verfassen, um die Dissertation desjenigen auseinanderzunehmen eine andere.

„Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EG“. Eckpunkte und Grundlagen der jeweiligen Verfassungsgeschichte und Darlegung des US-amerikanischen und des europäischen Verfassungsverständnis. Ein Werk von 475 Seiten. Mindestens 23 Textpassagen sollen nicht mit der entsprechenden erforderlichen Fußnote als Zitat gekennzeichnet sein. Ohne Frage ein handwerklicher Fehler. Ist deswegen tatsächlich die gesamte Arbeit ein Plagiat? Vielleicht ja, vielleicht auch nicht. Das wird eine genaue und vor allem objektive Untersuchung ergeben. Genauigkeit ist sicherlich nicht das Problem. Bei der Objektivität kommen mir allerdings Zweifel. Wer vorher schon meint zu wissen, dass es sich um ein Plagiat handelt, wird höchstwahrscheinlich auch eins vorfinden.

Ich frage mich, wie viel andere Ihren Doktortitel ebenfalls abgeben müssten, wenn man ihre Arbeit unter die Lupe nehmen würde. Bei Dissertationen im Bereich der Naturwissenschaften wird das vielleicht nicht allzu oft vorkommen. Bei Dissertationen im Bereich der Geisteswissenschaften allerdings wird man wahrscheinlich öfter als gewünscht fündig werden. Vorausgesetzt man würde akribisch nach Fehlern in Bezug auf Quellenangaben suchen und den gesamten Wert einer Doktorarbeit voll und ganz von der ordnungsgemäßen Quellenzitierung abhängig machen. Es mag ja vielleicht auch Menschen geben, für die noch andere Gesichtspunkte von Bedeutung sind. Und es mag sicherlich auch die ein- oder andere Dissertation geben, deren Quellenangaben voll und ganz den Vorschriften entspricht, aber die trotzdem in ihrer inhaltlichen Aussage völlig unbedeutend ist.

Ich wähle weder CDU noch FDP (sondern die Piratenpartei!). Und ich mag Guttenberg nicht besonders. Aber das, was jetzt um ihn herum passiert auch nicht.




Hab grad was von über 300 bis jetzt gefundenen Passagen (= über 21% der Arbeit) und noch anwachsend gelesen...

Bei uns ist das so: bei der Diplomarbeit muß man zeigen, daß man wissenschaftlich arbeiten kann. Bei der Doktorarbeit geht man davon aus, daß man das Wissen bereits hat. Und die wissenschaftlichen Standards für Arbeiten sind ja nicht neu. Hat auch jeder Betreuer aufliegen (und da auch mal so, mal so).

Meine Betreuerin hat mir 3 Gründe genannt, die ein sofortiges "Nicht genügend" nach sich ziehen würden. Einer war, sollte sie als Quellenangabe einen Wiki-Link finden.
Mit andren dann mußte ich dauernd diskutieren, warum Wiki Definitionen rausfliegen müssen (die eh nur von wo anders kopiert waren) - bis ich nur gesagt hab: ist so und fertig. (Doch sinnlos zu zerreden, was ein Betreuer wünscht oder nicht - der sitzt da definitiv am stabileren Ast und gewisse Vorgaben sind hinzunehmen. ; ) )

Grober handwerklicher Fehler oder bewusster Betrug?
Inzwischen ist ja das passiert, was auch die Absicht der Unmengen von freiwilligen Fußnotensuchern war – der Doktortitel musste abgegeben werden.

Die Frage bei dem ganzen Plagiatsvorwurf ist doch folgende: Wie wäre die Dissertation bewertet worden, wenn die besagten Passagen vorschriftsmäßig mit Fußnoten gekennzeichnet worden wären? Wäre dann die Anforderungen, die an eine Dissertation gestellt werden, erfüllt worden? Oder wäre es – worüber ich nur spekulieren kann, weil ich die Auflagen für Dissertationen nicht kenne – dazu gekommen, dass die Arbeit nicht zum gewünschten Titel geführt hätte? Sollte letzteres der Fall sein, dann würde es mich brennend interessieren, warum. Wäre die Doktorarbeit in dem Fall nur noch eine Aneinanderreihung von Zitaten ohne das erforderliche zwingend neue und zwingend eigenständige Ergebnis?

Dissertationen auf geisteswissenschaftlichem Gebiet bestehen zu einem nicht unerheblichen Teil aus Zitaten. Die müssen grundsätzlich – und völlig einsehbar – als solche gekennzeichnet sein. Ich habe mir ein Beispiel aus Guttenbergs Dissertation angesehen unter:

http://www.br-online.de/aktuell/plagiats-affaere-DID1298369041737/guttenberg-plagiate-dissertation-ID1297946786177.xml

In der Zürcher Zeitung äußert eine Klara Obermüller (kenne ich nicht) ihre Kritik daran, dass sich im Bezug auf die Verfassung zwar auf das Erbe der Antike, des Humanismus und der Aufklärung bezogen wird, aber die jüdische, christliche und muslimische Tradition mit keinem Wort erwähnt wird. Guttenberg zitiert diese aus drei Absätzen bestehende Passage ohne Kenntlichmachung der Urheberin. Und darin sehe ich in der Tat einen groben Verstoß. Die Fragen, die zum Thema aufgeworfen werden, wurden von besagter Klara Obermüller aufgeworfen und nicht von Guttenberg. Wenn er die Meinung der Schreiberin teilt, hätte er dies so auch schreiben müssen. Wäre ich besagte Schreiberin, hätte mich das Zitieren ohne Quellenangabe maßlos geärgert. Eine kritische Reflexion kann man durchaus mit jemandem teilen, aber der Wert einer Doktorarbeit besteht nun mal darin, die eigenen Reflexionen von denen anderer deutlich zu kennzeichnen – das macht Dissertationen übrigens auch so ermüdend und langweilig.

Bleibt immer noch die Frage: grober handwerklicher Fehler oder bewusste Täuschung? Und die Frage, die allerdings nur mich und sonst niemanden interessiert: ist Guttenbergs Dissertation inhaltlich bedeutsam? Gibt diese Dissertation einen Einblick in die ihr zugrundeliegende Thematik? Und last-not-least: gibt es tatsächlich absolut keine eigene Aussage oder Erkenntnis?

Und eine allerletzte Frage stellt sich dann auch noch: wieso ist das dem Prüfungsausschuss der Uni nicht aufgefallen? Im Jahr 2007 müsste es doch wahrscheinlich schon die erforderliche Software gegeben haben.

Bei allem, was ich selbst an wissenschaftlichen Arbeiten geleistet habe, muss ich sagen, dass das Verhalten Guttenbergs schon mehr als fragwürdig ist. Schließlich lernt man im ersten, wenn man lernresistent ist spätestens im zweiten Semester, wie eine solche Arbeit auszusehen hat. Wenn eine einfache Seminararbeit eines Zweitsemesters mit einer unsauberen Zitatlage wie dieser entsprechend schlecht bewertet oder doch zumindest zur Überarbeitung retourniert würde, dann sollte doch eine Diss den Bewertungs-Kriterien aber mindestens standhalten.

Den Doktortitel erhielt der Traum aller Schwiegermütter, weil angenommen wurde, dass er als Grundlage dafür solide wissenschaftliche Arbeit geleistet hat - Plagiatsvorwurf hin oder her. Nun stellt sich heraus, dass er eben nicht solide und korrekt gearbeitet hat. Viel mehr scheint es, er habe ohne rechtes Erkenntnisinteresse per Copy and Paste vor sich hingebastelt. Frau Obermüller bekam ich vorgestern auf Bayern-Alpha zu Gesicht, und was sie sagte, schien mir durchaus plausibel - nämlich, dass Guttenberg schlicht und ergreifend sie zitierte, ohne sein Zitat kenntlich zu machen. Ich denke, dieser Fehler beruht auf der arbeitsminimierenden Angewohnheit, sich anderer Leute Erkenntnisse zu Gemüte zu führen und sie dann mit eigenen Worten zu umschreiben, um nicht selber denken zu müssen. Durchaus beliebt unter Studenten. Guttenberg hat nur offensichtlich das effektive und elegante Umformulieren ebenso "vergessen" wie das ordentliche Zitieren. Vielleicht lässt er sich deshalb heute seine Reden von anderen schreiben (wie übrigens so viele in der Politik - was uns durchaus zu denken geben könnte...).

Ich mag auch zitieren, und zwar Carl Hilty:

"Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene."

In Abwandlung und eigenen Worten:

Der Doktortitel kommt nicht vom Zitieren, sondern vom Nachdenken über das Zitierte.

Denken delegieren ist nicht immer sinnvoll
O.K. – ich gebe Dir Recht, so geht’s nicht und der Doktortitel muss weg. Wissenschaftliches Arbeiten läuft anders. Deine Erklärung, „sich anderer Leute Erkenntnisse zu Gemüte zu führen und sie dann mit eigenen Worten zu umschreiben, um nicht selber denken zu müssen“ beschreibt für mich besser das eigentlich Problem, als der Vorwurf des bewussten und gezielten Betrugs – wobei man sicherlich zugeben muss, dass die Grenzen fließend sind.

Wenn ich ein wenig über Deine Erklärung nachdenke, fallen mir noch weitere Aspekte ein. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es einige Leute mit dem Delegieren erheblich übertreiben. In bestimmten Positionen arbeitet man nicht mehr selbst, man lässt arbeiten und beschränkt sich darauf, anderen Anordnungen zu geben. Eine frühere Kollegin hat – für mich damals wie heute befremdlich – ganz direkt formuliert, dass sie sich immer eine Stelle gewünscht habe, wo sie nicht kontrolliert werden würde und wo sie delegieren kann. Man kommt in bestimmten Positionen nichts ums Delegieren herum, aber daraus ein Ziel zu formulieren ist schon etwas eigenartig.

Politiker lassen meist ihre Reden schreiben und dabei kommt es weniger auf den Inhalt an, als vielmehr um die überzeugende Präsentation. Die Zeiten, wo es auch mal authentische Reden gab, sind für mich allenfalls in der Anfangszeit der Grünen zu finden. Die Zeiten, in denen Menschen noch flammend von etwas überzeugt waren, ebenfalls.

Guttenberg hat das Prinzip des Delegierens und des Denken-Lassens einfach von der Politik auf seine Dissertation übertragen. Nach dem Motto – wie spare ich Zeit und Energie und reduziere den Aufwand auf das Minimum (das kenne ich doch irgendwie?...) hat er etwas zusammengezimmert – vielleicht besser gesagt zusammen zimmern lassen – das ein vorzeigbares und damit erfolgreiches, Ergebnis darstellt.

Eine Doktorarbeit ist immer etwas höchst Authentisches und meist steckt jede Menge Herzblut darin. Ich habe Bekannte, die über den enormen Arbeitsaufwand und den großen Zeitaufwand heftig gestöhnt haben. Und auch ich erinnere mich, dass mich meine Diplomarbeit, deren Anforderungen und Aufwand erheblich unter dem einer Dissertation liegen, manchmal an den Rand des Wahnsinns getrieben hat. Was mich aber immer wieder am Ball bleiben lassen hat, war das Herzblut, das für mich in dem Thema steckte.

Da die Zeiten des Engagements um des Interesse an der Sache Willen immer mehr der Vergangenheit angehören, muss das Schreiben einer Doktorarbeit inzwischen noch anstrengender sein. Und da wird dann so vorgegangen, wie man auch in Politik und Wirtschaft vorgeht – größtmöglicher Nutzen bei geringstmöglichem Einsatz. Es gilt als unprofessionell, mehr Zeit als unbedingt erforderlich aufzuwenden. Und für ein richtiges Alphamännchen – und das sind Politiker leider fast immer – bedeutet es darüber hinaus auch einen nicht unerheblichen Prestigeverlust, wenn Arbeiten selbst ausgeführt werden. Mit anderen Worten: Politiker und sonstige Alphamännchen haben die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für das Schreiben einer Dissertation.