Stille, Langsamkeit und Tiefe
Vor ein paar Tagen habe ich den Film „Stilles Licht“ angesehen. Ein durch und durch ungewöhnlicher Film, der einer kleinen mennonitischen Gemeinschaft in Mexiko spielt. Der Film wurde untertitelt, da nur in „Plautdietsch“ gesprochen wurde. Ein merkwürdig anmutender Dialekt, der mich ein bisschen an unser norddeutsches Plattdeutsch erinnerte. Aber gesprochen wurde eigentlich gar nicht viel im Film. Die endlos langen Kameraeinstellungen waren mitunter fast schon anstrengend.
Die Handlung des Films ist schnell erzählt. Johan, der mit seiner Frau Esther und seinen sechs Kindern zusammenlebt, hat sich in Marianne verliebt, was für alle drei ist mit sehr viel Leid verbunden ist. Als Ester stirbt, will Marianne sich am offenen Sarg verabschieden. Und dann wird der bisher völlig realistische Film phantastisch und Ester erwacht wieder zum Leben. Ich empfinde die plötzliche Wende zum Phantastischen als etwas sehr Typisches für lateinamerikanische Literatur oder Filme, die sich oft unserem Gebot der Logik und Erklärbarkeit entziehen.
Was mich an diesem Film so beeindruckt hat, sind zum einen die kargen Dialoge. Wenn nur das Wesentliche gesagt wird und alles andere weggelassen wird, dann entsteht eine merkwürdige Intensität, die man in unserer Zeit, in der eine Invasion von Geplapper und Geschwätz herrscht, gar nicht mehr kennt. Der Film gab einen Einblick in eine archaische Welt, die von Arbeit, Glaube und Gemeinschaft bestimmt ist und in der es noch keine Unterhaltungskultur gibt.
Aber neben den ungewöhnlich kargen Dialogen hat mich etwas anderes noch mehr beeindruckt. Der tiefe Respekt vor dem Phänomen Liebe. Genauso, wie die Dialoge im Film frei vom Unwesentlichen sind, wird auch Liebe nur als das gezeigt, was es ist – eine immer noch unerklärliche Naturgewalt. Frei von dem, was der Mensch meist draus macht. Jenseits von zuckersüßer Inszenierung und auch fern von nüchterner psychologischer Analyse. Weit entfernt von der üblichen ordinären Banalität und von materialistischer Zweckgemeinschaft. Was bleibt, wenn man all dies weglässt, ist die Urgewalt Liebe. Schnörkellos, unerklärlich, jenseits von Gut und Böse.
In der Schlussszene wird langsam ein Sonnenuntergang gezeigt. Und während das Licht der Sonne immer mehr verschwindet, tauchen nach und nach die ersten Sterne am Himmel auf. Zuerst blass und vereinzelt, dann immer stärker leuchtend und zahlreicher, so dass aus dem Himmel schließlich ein funkelndes Sternenzelt wird. Die Unendlichkeit und Unergründlichkeit des Alls kann erst dann sichtbar werden, wenn das Tageslicht verloschen ist. Erst die Dunkelheit ermöglicht den Blick für die Existenz des fernen Lichts und für die unendliche Weite.
In einer Zeit, in der man von einer Kultur des Überflüssigen sprechen kann, in der Respektlosigkeit die Regel ist und in der es mittlerweile kaum noch etwas gibt, das nicht zur Banalität gemacht wird, wirkt dieser Film seltsam unpassend. Und ein bisschen wie eine Erinnerung an etwas, das man schon fast vergessen hat.
behrens am 29. November 10
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