In vino veritas und Chapeau
Manchmal gibt es trotz aller Schwierigkeiten und Probleme doch noch ein paar Glücksmomente. Ich komme gerade von einem Restaurantbesuch zurück. Jede Menge Sushis und jede Menge grüner Veltliner. Ich bin eigentlich nicht mehr nüchtern genug, um einen Blogbeitrag zu schreiben – aber notfalls kann man den ja löschen, wenn man wieder nüchtern ist.
Ich habe etwas gefeiert. Und zwar das Rückgrat meines Kollegen. Und gleichzeitig eine Premiere. Gewissermaßen eine Rückgrat-Premiere. Das erste Mal in vielen Arbeitsjahren hat jemand Rückgrat bewiesen und sich nicht durch Alphamännchen-Gehabe beeindrucken lassen. Ein Kollege, der eigentlich eher ruhig ist und kein Freund der großen Töne. Aber dem es genauso wie mir zuwider ist, wenn jemand andere plattwalzt.
Ich glaube, es gibt so etwas wie Lust am Rückgrat. Eine unbändige Lust, nicht alles mit sich machen zu lassen. Sich nicht zu verbiegen. Sich nicht in eine Richtung drängen lassen, in der sich alles nur noch ums Geld dreht und in der man deswegen ständig etwas vortäuschen muss, so dass das ganze Leben zu einer lächerlichen Farce wird.
Rückgrat. Auch dann noch, wenn die Kolleginnen dies gern ein bisschen biegen wollen „Das ist das falsche Zeichen, was du da setzt“. Irrtum liebe Kollegin – sich gegen Meinungsdiktatoren zu wehren und dagegen, aus allem Kapital zu schlagen, ist das einzig richtige. Menschen, die mit anderen umgehen wie mit Immobilien, sollten sich mal wieder an das kleine Wörtchen „Nein“ gewöhnen. Meine Freundinnen sind des Lobes voll für jemanden, der die Zivilcourage hat, endlich mal das längst fällige „Das geht zu weit“ zu sagen. Es wären nicht meine Freundinnen, wenn es anders wäre.
Ich liebe dieses kleine Wort, das heute notwendiger den je ist. Dieses Wort, das Einhalt gebietet, wenn Menschen anfangen, anderen zu schaden. Dieses Wort, das dem Zweck dient, Machtgehabe zu verhindern. Und das die Garantie dafür ist, dass nicht alles missbraucht wird, um damit Geschäfte machen.
Ich trinke jetzt das letzte Glas Veltliner und fühle etwas, was ich schon fast vergessen hatte – ein Gefühl von Glück. In vino veritas – und diese Wahrheit ist, dass Rückgrat genauso wichtig wie Luft und Wasser ist. Aber eben nicht nur das eigene – auch das Rückgrat der anderen.
Ich trinke auf das Rückgrat!
Ich trinke auf das Wörtchen „Nein“!
Ich trinke auf die Lust am Leben, die man haben kann,
wenn es an beiden nicht mangelt
(aber nur dann).
Ich lösche das bestimmt morgen. Aber heute bleibt es stehen. Als Chapeau für meinen Kollegen. Den hat er wirklich verdient.
b-reeze am 05.Nov 10
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nicht löschen !!!
Nee, bitte nicht löschen!!
kinomu am 05.Nov 10
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Prost!
behrens am 06.Nov 10
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@b-reeze, @sturmfrau: überredet!
@kinomu: Dito! …ich kenne Veltliner ja erst seit kurzem, vorher hielt ich den immer für einen Wiener Zitherspieler.
behrens am 10.Nov 10
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Ein bisschen schmunzeln musste ich über die Reaktion meiner Freundinnen und Bekannten, als diese von der Solidarität meines Kollegen erfuhren. Das blieb nicht nur bei einem anerkennenden „Hut ab“, sondern bei regelrechten Begeisterungsstürmen. Wobei man ergänzen muss, dass alle besagten Frauen zu denjenigen Menschen gehören, die die Art und Weise, wie man arbeitet, nicht als reine Privatsache ansehen, sondern als etwas, von dem erheblich mehr abhängt als eben nur das rein Private.
Warum ich schmunzeln musste? Weil es irgendwie etwas sehr Altmodisches ist, sich für Männer mit Rückgrat zu begeistern. Denn normalerweise gilt die Begeisterung ja meist denjenigen Männern, die sich durchsetzen und die mit ihrer Arbeit den größeren materiellen Erfolg erzielen. Sonst wäre es ja nicht erklärbar, dass solche Exemplare wie Dieter Bohlen oder Boris Becker (und viele andere mehr) soviel Erfolg haben.
Aber irgendwie sind auch die Frauen noch nicht ausgestorben, denen es imponiert, wenn jemand die Courage hat, einem kleinen Diktator die Stirn zu bieten und dabei auch Nachteile in Kauf zu nehmen.
Vielleicht gibt es immer noch ein Gen aus der Zeit der Neandertaler? Ein Gen, das dafür sorgt, dass wir demjenigen den Vorzug zu geben, auf den man sich verlassen kann. Und nicht demjenigen mit der größeren Keule. Denn wenn man Pech hat, landet die irgendwann auch auf dem eigenen Schädel.
...vielleicht auch wieder etwas mit Authentizität zu tun haben. Zu wissen, dass sich jemand nicht verstellt, nur weil aus irgendeiner Ecke Sanktionen drohen, vermittelt die Sicherheit, dass dieser Mensch auch morgen noch der ist, der er ist, und nicht sein Fähnchen nach dem Wind hängt und einen in die Pfanne haut.
Es bedarf schon einigen Rückgrats, um zu seiner eigenen Meinung zu stehen, auch wenn sie anderen unbequem ist.
Ich weiß nicht, ob das mit Heldentum zu tun hat. Ich kann mich auch eher für Männer (bzw. Menschen insgesamt) begeistern, die es nicht nötig haben, dumme Sprüche auf Kosten anderer zu klopfen, einen auf dicke Hose zu machen und jemand anderes zu sein, als sie sind. Wenn ich diese Gelassenheit und Echtheit bei jemandem spüren kann, dann brauche ich eben auch nicht zu fürchten, dass er mich zu seiner eigenen Selbsterhöhung benutzen wird. Er wird genug in sich selbst ruhen.
Mir fällt halt immer auf, je größer das Theater nach vorn heraus ist, um so größer ist auch das Defizit, dass es zu verbergen und auszugleichen gilt. Deswegen habe ich z.B. viel größere Sympathien für radfahrende Männer als für die mit dem dicken Schlitten.
behrens am 13.Nov 10
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Vielleicht ist Authentizität mittlerweile schon etwas Heldenhaftes?
Besagter Kollege ist übrigens tatsächlich Radfahrer...
...ich hab's doch gewusst!