Das Stepford-Phänomen
Manchmal ist es gut, zu hören, dass man völlig normal ist. Wenn das gesamte Umfeld sich völlig von einem unterscheidet, kommt unweigerlich die Frage auf, ob der eigene Weg denn eigentlich noch der richtige ist. Und dann fragt man sich, ob man sich denn nicht ändern sollte – wenn alle anders sind, wird dies vielleicht auch richtig sein. In so einer Situation muss man immer wieder von neuem die Wahl zwischen Anpassung und Standhalten treffen. Sieht man sich den Lauf der Geschichte an, hat die große Masse meist geirrt.

Dies erinnert ein wenig an Ira Levins Roman „Die Frauen von Stepford“. Die Protagonistin Joanne ist sich völlig sicher, dass etwas mit den Frauen ihrer Umgebung nicht stimmt. Um sie herum nur Harmonie und Zufriedenheit, die etwas seltsam Unechtes hat. Die anderen tun ihre Bedenken immer wieder als Einbildung ab. Schließlich sucht Joanne in ihrer Verzweiflung eine Psychologin auf. Und dann kommt der Moment, in dem ihr endlich von jemandem bestätigt wird, dass sie ihre Misstrauen an der scheinbaren Harmonie Ernst nehmen sollte. Es gibt Zweifel, die selbstzerstörerisch sind und es gibt Zweifel, die zu einer gesunden Wahrnehmung gehören und somit lebenserhaltend sind. Im Falle von Joanne kommt diese Erkenntnis allerdings zu spät.

Das Beeindruckende an dieser Geschichte ist der Kontrast der Protagonistin zu den übrigen Frauen. An denen ist alles harmonisch und vorbildlich – nur eben völlig unecht und unglaubwürdig. Und man atmet auf, als endlich in Gestalt der besagten Psychologin jemand auftaucht, der dieses Gefühl des Zweifelns nachempfinden kann und als richtig unterstützt.

Und so jemanden braucht man im normalen Leben auch. Jedenfalls, wenn man sich in einem ungutem Umfeld befindet. Oder anders ausgedrückt – wenn man sich völlig von den Menschen seines Umfelds unterscheidet. Das Umfeld kann man sich leider nicht immer aussuchen. Aber Gott-sei-Dank gibt es Menschen, die einem bestätigen, dass man sich auf sein Gefühl verlassen kann. Das ist das, was man zum Überleben in so einer Umgebung dringend benötigt.

Auch wenn es vielleicht kein richtig und falsch gibt – es gibt falsche Umfelder.


Es gibt sogar eine kleine Persiflage namens "Stepfordism"




Mein persönliches Stepford
Genauso wie Joanne habe auch ich das Gefühl, dass etwas in meiner Umgebung nicht stimmt. Zwar sind in meinem Umfeld die Menschen nicht solche Kunstprodukte wie die Stepfordfrauen, aber es ist genauso unecht. Die Stepfordfrauen sind künstlich geschaffen worden, um all die Bedürfnisse ihrer Ehemänner zu erfüllen. Sie wurden darauf programmiert, grundsätzlich immer lieb und nett zu sein und demütig zu gehorchen. Dahinter steckt nichts als ein Konstrukt aus Plastik und Elektronik.

Die Menschen meiner Umgebung sind weit entfernt davon, keine eigenen Bedürfnisse zu haben. Und ebenso weit entfernt davon, in jeder Situation lieb und nett zu sein. Aber sie sind es grundsätzlich immer dann, wenn dies zu einem Vorteil führt. Und genauso wie die Frauen im Film irgendwann unerträglich werden, so werden auch die Menschen meiner Umgebung immer unerträglicher. Während die Unterwürfigkeit der Stepfordfrauen von ihren Männern zu deren eigenen Vorteil geschaffen wurde, so sind die Menschen in meiner Umgebung aus freien Stücken unterwürfig. Um ihres eigenen Vorteils wegen. Der gleiche Mensch, über den eben noch auf Heftigste hergezogen wurde, wird bei seinem Erscheinen aufs Freundlichste begrüßt.

Und genauso wie Joanne ihre Psychologin brauchte, so brauche ich meine Freundinnen. Freundinnen, die mir bestätigen, dass das, was um mich herum abläuft krank und ungut ist. Die aufgebracht darüber sind, wie mein Beruf von einigen missbraucht wird für den eigenen Vorteil. Die empört sind, wenn ich schildere, wie einige Menschen andere behandeln. Die Angst bei dem Gedanken bekommen, einmal selbst so behandelt zu werden. Freundinnen, die kein Verständnis dafür haben, dass niemand den Mund aufmacht und Kontra bietet.

Meine Freundinnen machen mir Mut, mich nicht zu verbiegen. Den Glauben daran zu behalten, dass es richtig ist, Betrügereien zu verabscheuen. Und die mich darin bestärken, nicht vor anderen zu ducken. Diese Bestärkung brauchen Menschen, die keine Artefakte sind, sondern aus Fleisch und Blut.