Der Mensch und seine Homepage – das Ende der Bescheidenheit
Die Möglichkeit, sich über eine Homepage darzustellen, mag man als sinnvoll oder auch nicht beurteilen. Auf jeden Fall hat diese Möglichkeit die Ära der Bescheidenheit endgültig beendet. Es wird hemmungslos alles aufgeführt, was irgendwann mal irgendwo getan wurde. Und selbst wenn niemals und nirgends etwas getan wurde, wird trotzdem etwas daraus gemacht, was sich nach außen gut darstellt. Da werden simple Erholungsurlaube zu einem beruflichen Auslandsaufenthalt umfunktioniert oder zumindest wird ein „Sprachstudium“ daraus gemacht, selbst wenn dieses nur aus nächtlichen Gesprächen bei Ouzo in der Taverne bestand. Aus einer einfachen Beratertätigkeit wird eine leitende Funktion gemacht und stundenweise Honorartätigkeiten werden zu Vollzeitbeschäftigung umgewandelt.

Eine merkwürdige Homepage habe ich vor kurzem entdeckt. Die Homepage eines Psychologen, dessen Vita voller Auszeichnungen und Publikationen ist. Wobei ich in diesem Fall ausnahmsweise davon überzeugt bin, daß es sich dabei nicht um Phantasiegebilde handelt, da ich den Betreffenden kenne. Aber diese geballte Auflistung von Qualifikationen und Auszeichnungen geht soweit, daß sogar die Berufe der Eltern (!), der Kinder (!) und der Ehefrau (!) aufgeführt werden. Alles kann sich sehen lassen – keine Fließbandarbeiter oder Kantinenhilfen, sondern nur diplomierte Psychologen oder zumindest Kaufmänner (natürlich auch diplomiert).

Was ist eigentlich die Botschaft so einer Homepage? Wer einen qualifizierten Psychologen sucht, wird sicher zufrieden sein, da es Auszeichnungen und Fortbildungen in Hülle und Fülle gibt. Aber die Seite platzt vor lauter Auflistungen so aus den Nähten, daß man sich unweigerlich fragt, warum jemand in einer fast schon zwanghaften Akribie alles, aber auch wirklich alles auflistet, was es an gesellschaftlichen Titeln gibt. Die über den rein sachlichen Inhalt hinausgehende Information lautet ganz klar „Ich bin ein Mensch mit Erfolg! Ich habe es zu etwas gebracht. Und nicht nur ich, sondern jeder in meiner Familie hat ebenfalls Erfolg!“

Gute wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen geleistet zu haben, ist die eine Seite. Die andere Seite ist, sich völlig darüber zu identifizieren. Aber sich selbst über alle Maßen zu loben, entspricht voll und ganz dem Zeitgeist – wogegen Bescheidenheit in unserer Zeit keinen hohen Kurswert hat. Dennoch stimmt mich ein völliger Mangel an Bescheidenheit nachdenklich. Zumindest, was den Umgang mit so einem Menschen angeht. Den kann ich mir – auch mit viel Phantasie – nicht als angenehm vorstellen.

Die Machart der meisten Homepages erinnert mich an Bundeswehroffiziere, deren Uniform mit Orden übersäht ist. Oder an Schützenkönige, die manchmal so viele Orden haben, daß hierfür eine Art Lederweste getragen werden muß, damit die Jacke unter der Last der Orden nicht zerreißt. Orden, Orden, Orden. Für jede Heldentat einer. Es reicht nicht, irgendwann etwas Heldenhaftes getan zu haben, sondern es muß jederzeit und überall stolz daran erinnert werden.




Nur zu wahr. Die Allgegenwärtigkeit der Reklame im öffentlichen wie auch im privaten Raum (Fernseh-, Print- und Online-"Werbung") hat die menschlichen Hirne und Gemüter bereits hochgradig kontaminiert, möchte ich da diagnostizieren...

Oh weh. Wenn ein Psychologe einen so ausgeprägten Selbstdarstellungsdrang hat, dass es für ihn sogar noch nötig ist, mit Frau und Kindern und deren Werdegang anzugeben, dann kann man doch nur misstrauisch sein. Was sollte man als Patient bei einem solchen Übermenschen? Gerade Leute aus seiner Zunft sollten wissen, dass es genau das nicht ist, was den Menschen ausmacht und persönlich weiterbringt. Aber so ist es nunmal, es gibt keine Berufsgruppe, die per se von der hochgradig infektiösen Krankheit der Selbstüberhöhung auszuschließen wäre...

Auch die Internetauftritte von Menschen sind ja letztlich nur ein Symptom dafür, sich selbst als Mangelerscheinung zu begreifen und dies kompensieren zu wollen. Nur keine Makel, nur keine Lücken im Lebenslauf, nur keine Ecken und Kanten.

Der Mensch und seine Homepage Teil 2 – das Ende der Ehrlichkeit
Das Thema Homepage kenne ich nicht nur als Betrachterin von außen, sondern natürlich haben inzwischen auch viele Betreuer eine eigene Homepage. Auch hier ist die Selbstdarstellung alles andere als bescheiden. Da wird zum Beispiel akribisch jede Teilnahme an jeder kleinen Fortbildung aufgeführt und selbst die Tatsache, daß regelmäßig Teambesprechungen stattfinden, hält man für erwähnenswert. Da gibt es einen Kollegen, der darauf hinweist, daß er die jahrgangsbeste Diplomarbeit geschrieben hat. Ein Kollegin führt explizit ihr „hohes Niveau“ an, das sie durch Fortbildungen zu halten gedenkt. Gern und oft benutzt wird auch der Ausdruck „hochqualifiziert“. Die Fotos sind meist höchst professionell und zeigen fröhliche, gutgelaunte und gut frisierte Menschen.

Ich finde manches so peinlich, daß ich mir schon überlegt habe, ob ich nicht in meiner Homepage auf mein Freischwimmerabzeichen und meinen Schreibmaschinenkurs (190 Anschläge/min!) hinweise. Außerdem könnte ich neben meinen Französisch und Englischkenntnissen auch auf meine Kenntnisse im Plattdeutschen hinweisen. Und meine diversen Asienreisen könnte ich vielleicht werbewirksam mit dem Slogan „Vertraut mit allen Ethnien“ vermarkten.

Das Interessante ist, daß wir Betreuer nicht unbedingt einen guten Ruf in der Öffentlichkeit haben und es in bedenklichem Maße zunehmend von allen Seiten Beschwerden über unsere Arbeit gibt. Sieht man sich dann aber die Homepages an, wird einem das Gefühl vermittelt, keiner arbeitet so perfekt wie wir. Irgendetwas paßt da nicht zusammen...

Eine interessante Diskussion hatte ich mit meinem früheren Mitarbeiter, der erheblich jünger ist und daher schon mit dem Internet aufgewachsen ist. Er kritisierte meine skeptische Haltung, denn für ihn ist es das Natürlichste auf der Welt, sich möglichst positiv im Netz darzustellen und dabei auch alle Vorzüge hervorzuheben. Als wir dann gemeinsam einige solcher Homepages von Kollegen betrachteten, fragte ich ihn, ob er so jemanden auch als Betreuer für seine Oma haben wollen würde. Sofort antwortete er prompt mit Nein! Für mich ist das nicht einfach nachzuvollziehen. Einerseits wird es als völlig normal empfunden, wenn jemand sich über alle Maßen lobt – andererseits bildet dies dann doch wiederum ein Ausschlußkriterium, da sich anscheinend doch die Meisten im Klaren darüber sind, daß so jemand nicht unbedingt hält, was er verspricht.

Ebenfalls aufschlußreich war eine Diskussion mit meiner Mitarbeiterin über Homepages. Ein Bekannter von ihr war auf der Suche nach einem guten Reitlehrer. Meine Mitarbeiterin erzählte mir, daß inzwischen auch viele Reitlehrer eine Homepage haben Als dann jemand empfohlen wurde, fragte ihr Bekannter danach, ob derjenige eine Homepage habe. Das wurde verneint, woraufhin er antwortete: „Gut, den nehme ich!“ Und die nähere, auf Erfahrungen beruhende Erläuterung meiner Kollegin war höchst interessant: Diejenigen Reitlehrer, die in eine Homepage investiert haben, sind oftmals gerade die, die nicht unbedingt einen guten Ruf haben. Das ist wiederum auch sehr bemerkenswert – anscheinend sind Menschen, die viel Wert auf Werbung in eigener Sache legen, nicht unbedingt dieselben, die gute Arbeit leisten.

Aber vielleicht kann man diese Mechanismen nicht an Homepages festmachen. Als ich Berufsanfängerin war, gab es noch keine Hompages, sondern Infoblätter und Broschüren. Meine erste Anstellung hatte ich in einem Projekt, in dem ich gemeinsam mit einer anderen Berufsanfängerin eine neue Beratungsstelle aufbauen mußte. Dabei gab es gleich zu Anfang Unstimmigkeiten, denn die aus dem kaufmännischen Bereich stammende Kollegin wollte sofort die Werbetrommel rühren, während ich völlig unsicher war und mir unbedingt erst einmal Fachwissen aneignen wollte. Dies hatte sich im nachherein auch als unverzichtbar erwiesen, denn natürlich mußten wir in einer Beratungsstelle auch den entsprechenden fachlichen Hintergrund haben. Ich bin immer noch – und immer wieder – erstaunt darüber, wie selbstbewußt manche Leute für sich werben, auch wenn es eigentlich gar nichts Besonderes gibt, was sie anbieten können.

Die Möglichkeit des Internets hat dies alles noch professionalisiert und damit endgültig etwas zu einem Massenphänomen gemacht, was zuvor nur hier und da anzutreffen war:

Das Ende der Ehrlichkeit!

Der Mensch und seine Homepage – war’s am Ende doch zu peinlich?
Vor mehr als vier Jahren habe ich diesen Beitrag geschrieben, in dem ich mich ein wenig darüber lustig gemacht habe, dass ein Psychologe in seiner Homepage nicht nur den Beruf seiner Eltern, sondern auch den der Ehefrau und Kinder akribisch genau aufgelistet hatte.

Jetzt habe ich nochmals nachgeschaut und siehe da – diese Angaben sind nicht mehr enthalten. Was mag wohl der Grund dafür sein? Vielleicht hat jemand aus dem Bekanntenkreis des betreffenden Psychologen ihm den wohlgemeinten Hinweis gegeben, dass diese Daten im Lebenslauf doch ein wenig deplaciert sind, denn auch wenn es noch bis in die 70er normal war, in Bewerbungsschreiben den Beruf des Vaters (übrigens nicht den der Mutter!) aufzuführen, so mutete es merkwürdig an, wenn ein fast siebzigjähriger Dr. phil die Daten von Mama und Papa aufführt.

Vielleicht gibt es auch die Ehe nicht mehr, die die Grundlage für das Aufführen des Berufs der zweiten Ehefrau (neben dem der ersten Ehefrau) bildete und eine zweite Scheidung macht im Lebenslauf eines Familientherapeuten vielleicht nicht auf jeden einen positiven Eindruck.

Welche Gründe auch immer den Ausschlag gaben – der Gedanke, dass ein Familientherapeut sich in der Homepage mit den hochkarätigen Berufsabschlüssen seiner Lieben brüstet, amüsiert mich immer noch. Der Betreffende ist mir bekannt, wenn auch die Begegnung Urzeiten zurückliegt. Und zumindest die Eintragung, die in den damaligen Zeitraum fällt, scheint mir auch ein wenig übertrieben: „Wissenschaftlicher Angestellter des UKE“ – hört sich irgendwie besser an als einfach nur „Diplom-Psychologe“.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, die ich schon seit Jahren habe: es gibt nichts, das ungeeigneter ist als eine Hompage, wenn man seriöse Informationen über jemanden sucht.