Klassentreffen – mein Haus, meine Frau, mein Auto?
Vor kurzem habe ich begonnen, ein Klassentreffen zu organisieren. Das letzte fand vor etwa 34 Jahren statt. Es macht Spaß und die meisten meiner ehemaligen Mitschüler reagieren ausgesprochen positiv und nur zwei haben kein Interesse.
Eine davon ist meine frühere Freundin F., die mir schrieb, daß sie weder Kinder noch Karriere vorzuweisen habe und sie daher gar nicht wüßte, worüber sie auf einem Klassentreffen sprechen sollte mit Leuten, die sie schon ewig lange nicht mehr gesehen hat. F. ist schon lange arbeitslos und ich hatte mit einer Absage gerechnet.
Ich unterhielt mich mit meiner Freundin (auch Mitschülerin) über die Absage von F., die früher auch lange Zeit zu unserer Clique gehört hatte. Meine Freundin meinte, wenn solche Kriterien gelten würden, dann dürfe sie letztendlich auch nicht kommen, denn sie habe zwar einen Job aber noch nicht einmal einen Partner.
Und jetzt sitze ich hier vor meinem Laptop und sinniere über Sinn und Unsinn eines Klassentreffens. Und dabei kommt man unweigerlich auf die Frage: was ist eigentlich Erfolg und was heißt es, wenn man es „zu etwas gebracht hat“? Und mir fallen die Aussprüche der Ehefrau eines Kollegen ein: "Aus dem wird nie etwas" oder „Man sieht ja, was aus dir geworden ist“. Außerdem fällt mir eine Auseinandersetzung mit meinem früheren Chef aus einem gemeinnützigen Verein ein, der mir meine Zukunft prognostizierte mit den Worten: „Wer mit 40 Jahren noch nichts geworden ist, aus dem wird nie etwas!“
Tja, wie sieht denn eigentlich jemand aus, aus dem „etwas geworden“ ist? Anscheinend handelt es sich um jemanden, der eine angesehene berufliche Stellung, Familie mit eigenen Kindern und ein eigenes Haus hat. Da spielt es keine Rolle, ob dies jemand nur durch Betrügereien oder nur durch Ducken erreicht hat. Oder ob jemand über Leichen geht und den Mitmenschen – natürlich bis auf Kinder und Ehepartner – nur in Bezug auf ihre Nützlichkeit interessieren. Ein Ehering ist wichtig, auch wenn der die Verbindung zu jemanden darstellt, der zum Fürchten ist. Eigene Kinder sind wichtig, auch wenn diese sich manchmal zu einer bisweilen schon besorgniserregenden Kopie der Eltern entwickeln. Das eigene Haus mit Einbauküche, Holzterasse und regelmäßig ausgewechselter Couchgarnitur ist Standart und wird – genauso wie der Zweitwagen – nur am Rande erwähnt.
Vor dem Hintergrund dieser Kriterien des „Es-zu-etwas-gebracht-haben“ steht natürlich ein Hartz-IV-Empfänger dumm da. Auch wenn dieser niemals jemanden betrogen hat und grundsätzlich jedem hilft, der Hilfe benötigt. Auch wenn der Hartz-IV-Empfänger ein vielseitiges Interesse an allem und jedem hat und über ein beeindruckendes Wissen verfügt, ist er ein Verlierer par Excellence. Da spielt es auch keine Rolle, daß Erfolgsmenschen außer ihren beruflich verwertbaren Kenntnissen oftmals ein grausam schwach ausgeprägtes Allgemeinwissen haben und keine anderen Gesprächsthemen als Altersvorsorge und schulische Entwicklung der Kindern zu bieten haben.
Und mein Resümee zum Thema Klassentreffen:
Ich glaube, daß manche Menschen es einfach deswegen „zu nichts“ bringen (um es mit den Worten meines früheren Chefs und der Ehefrau meines Kollegen auszudrücken), weil sie zuviel Rückgrat haben und zuwenig Skrupel. Zuviel Sozialverhalten und zuwenig Lust auf faule Kompromisse.
Solchen Menschen gestehe ich einen lebenslangen Bezug von Hartz-IV zu! Und solche Menschen sollten sich verdammt-noch-mal nicht schämen, auf ein Klassentreffen zu kommen! Das kann nämlich trotz - oder gerade wegen - fehlender Fotos von Haus, Kindern und Auto spannend werden!
behrens am 21.Dez 09
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In dem Film „Notting Hill“ gibt es eine bemerkenswerte Szene. Als William Thacker die Schauspielerin Anna Scott zu einer Feier seiner Freunde mitnimmt, wird dort ein ungewöhnliches Spiel gespielt, in dem ein Brownie zu gewinnen ist. Derjenige soll den Brownie gewinnen, der in der Gruppe der größte Loser ist. Es geht also – anders als in der Realität – nicht darum, den anderen seine vermeintlichen Erfolge aufzuzählen, sondern es geht bemerkenswerterweise darum, die anderen davon zu überzeugen, daß die eigenen Mißerfolge und Schwächen schlimmer sind als die der anderen. Das Ganze ist mindestens genauso skurril, als wenn sich Menschen gegenseitig in der Schilderung ihrer Erfolge übertrumpfen wollen.
In dem in meinem Beitrag geschilderten Gespräch mit meiner Freundin gab es eine ähnliche Situation, als meine Freundin meinte, ihr müsse ja das Erscheinen bei dem Klassentreffen im Grunde noch peinlicher als der arbeitslosen Mitschülerin sein, da sie ja noch nicht einmal einen Partner habe – den die arbeitslose Mitschülerin ja vorweisen könne. Und ich konterte, daß ich zwar beides – nämlich Partner und Arbeit – hätte, aber einem Berufstand mit einem sehr zweifelhaftem Ruf angehöre, über den man nie etwas anderes als Betrügereien und Gejammer über zuwenig Geld hört.
Während ich dies sagte, erinnerte ich mich an den Film und meine Freundin und ich malten uns amüsiert aus, wie es wäre, wenn die gesellschaftlichen Normen andersrum wären und man sich gegenseitig den Rang des größten Losers streitig machen würde.
Wäre das nicht mal eine ungewöhnliche und nette Abwechslung auf einem Klassentreffen?
conma am 22.Dez 09
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Ich kann verstehen, dass jemand, der durch die Umstände und Schicksalsschläge an den Rand der Gesellschaft gedrückt wird, verbittert ist und keine Lust auf ein Klassentreffen hat.
Was mich hier stört, ist die Schwarzweißmalerei. Und zwar nach dem Motto, der böse Reiche und der liebe Arme. Oder auch abgewandelt, lieber arm und gesund als reich und krank.
Die meisten Leute, die es, wie es so schön heißt, zu etwas gebracht haben, sind nicht unehrlich oder gehen über Leichen. Sie hatten halt das Glück, dass sie angemessen für ihre ehrliche Arbeit entlohnt worden sind.
Umgekehrt gibt es aber auch immer wieder Beispiele, die die gängigen Klischees vom faulen Hartz-IV-Empfänger bestätigen. Diese Leute erweisen den anderen natürlich einen Bärendienst, ähnlich wie kriminelle Ausländer ein gängiges Vorurteil bestätigen.
Bei uns im Mietshaus gibt es ein ganz spießiges Beispiel dafür, wie die Klischees so funktionieren. Die im Mietvertrag vereinbarte Hausordnung wird exakt von drei Parteien gemacht. Das sind die, die einer regulären Arbeit nachgehen. Die Studenten-WGs und die Hartz-IV-Familien haben dafür keine Zeit. Erst, als der Mann der einen Familie endlich Arbeit gefunden hatte, machten die auch die Hausordnung.
behrens am 22.Dez 09
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Ich weiß, daß ich hier alles andere als freundlich über Menschen mit Geld schreibe. Allerdings habe ich auch eine Überdosis Gejammer abbekommen von Leuten, die sehr gut verdienen und trotzdem ständig über ihre angebliche Armut stöhnen. Ich empfinde dies als eine Beleidigung gegenüber denjenigen Menschen, die tatsächlich arm sind, erheblich weniger verdienen und sehr viel mehr und härter arbeiten müssen.
Das ist genauso erbärmlich, als wenn jemand mit einem harmlosen Schnupfen gegenüber einem schwer Krebskranken ständig über seine - ach so schlimme - Krankheit stöhnt.
Mag sein, daß ich Klischees verwende, aber das Paradebeispiel eines Klischees ist doch eben gerade das besagte "Es zu etwas gebracht haben". Jemand, der einfach nur Geld angehäuft hat, wird in völlig klischeehafter Weise zu jemanden hochstilisiert, der angeblich etwas geleistet hat. Was ist das anderes als platte Schwarz-Weiß-Malerei?
Ich glaube, daß manche Menschen deswegen nicht reich werden, weil sie ab Erlangen eines bestimmten Wohlstands anfangen, anderen etwas abzugeben. Jedenfalls kenne ich solche Menschen. Und vor denen ziehe ich meinen Hut.
Und dann gibt es noch den guten, alten Volksmund - es müssen ja nicht immer die großen Philosophen sein. Der Volksmund ist im Gegensatz zur political Correctness nicht geschaffen worden um etwas gut darzustellen, sondern der Volksmund bringt Realitäten auf eine Kurzform - ganz ohne Selbstzweck. Und eine dieser Kurzformen sagt sehr weise: "Durch ehrliche Arbeit wird man nicht reich".
behrens am 07.Jan 10
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Habe gestern bei meiner früheren Deutschlehrerin angerufen um über das geplante Treffen zu informieren. Meine Lehrerin konnte sich nicht mehr die Bohne an mich erinnern ( ich habe über 5000 Schüler in meiner Schulzeit unterrichtet ), aber trotzdem haben wir fast eine Stunde lang geklönt.
Meine Lehrerin hat keine email-Adresse und die Begründung hat mich beeindruckt: "Ich habe kein Internet, weil mir dazu einfach die Zeit fehlt!" Meine Lehrerin studiert wieder und hat die Fächer Kunst und Islamwissenschaft belegt.
Während meine Generation das Internet als etwas ansieht, was bei allem und jedem hilfreiche Information verschafft - also Zeit spart - sieht meine Lehrerin das Internet als etwas an, was Zeit kostet. Sie geht nach wie vor in den Buchhandel oder in Bücherhallen oder und holt sich dort die erforderlichen Informationen. Und dies scheint gut zu klappen und völlig auszureichen.
behrens am 10.Jan 10
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Aber Internet hin, Internet her - ich bin begeistert, daß eine Frau im Rentenalter noch studiert. Ich selbst träume auch davon. Und das ist vielleicht genau das, was mich in meiner Schulzeit geprägt hat: Lust am Lernen! LehrerInnen, die uns Schülern vermittelt haben, daß Wissen auch Macht ist. Mein Jahrgang war der erste, bei dem die zum Gymnasium wechselnden Schüler zahlreich waren und eben nicht nur der Sohn des Apothekers, Arztes und Pfarrers zum Gymnasium geschickt wurden. Ich war mir jederzeit des Privilegs bewußt, Zugang zum Wissen zu erhalten.
Unsere damaligen Lehrer stellten die von der APO-Zeit geprägten Lehrer dar. Und vielleicht noch wichtiger war der Einfluß unserer Lehrer in Hinsicht auf das Aufbegehren. Uns wurde vermittelt, daß nichts wichtiger ist, als sich gegen Unrecht aufzulehnen. Das Lernziel war Rückgrat.
Und vielleicht rührt aus der Zeit auch meine Abneigung gegen Frauen, die sich für nichts interessieren. Als ich zur Schule kam, wurden einigen Mädchen noch Berufsausbildungen oder höhere Schule verboten und es war für nicht wenige ein harter Kampf. Und ich habe nie verstehen können, wieso manche Frauen freiwillig auf die Möglichkeit des Lernens verzichten. Frauen, für die Lernen überhaupt keine Bedeutung hat. Und wenn ich mich umgucke, bin ich entsetzt, wie viele Frauen ein Leben in Dämlichkeit bevorzugen. Sicher, jede(r) hat das Recht zu wählen. Aber jede(r) hat auch das Recht, Dinge nicht zu mögen!
behrens am 12.Jan 10
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Gestern haben wir einen Fernsehabend gemacht und gemeinsam Tatort angesehen. Titel "Klassentreffen". Und da passierte dann genau das, was dem Klischee von "Mein Haus, meine Frau, mein Auto" enspricht. Ein Erfolgsmensch genoß es sichtlich, einen früheren Mitschüler als Loser zu outen. Gott-sei-Dank war das dann auch derjenige, der die Tatort-Leiche abgab und somit war man vor weiteren dummen Sprüchen erlöst.
Ich gehe mal davon aus, daß bei unserem Klassentreffen niemand ermordet wird und auch niemand sich dem "Wir haben hier einen Loser"-Thema widmet. Sondern daß man mal erfährt, wie Lebenswege sich entwickelt haben. Was aus den Idealen und Träumen geworden ist. Ob sich politische Anschauungen und Werte geändert haben.
Und ob an Salingers "Erwachsenwerden ist Verrat am Selbst" tatsächlich etwas dran ist.
behrens am 24.Jan 10
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Gewöhnlich findet sich das Geld erst ein,
wenn das Gewissen zu verdorren beginnt.
Je mehr Geld, desto weniger Gewissen.
Maxim Gorkij (1868-1936)
Gorkis Aphorismus deckt sich völlig mit meinen Erfahrungen und Beobachtungen.