Noch immer Salinger
Mich läßt Peter Nolls Kommentar über Salingers "Fänger im Roggen" einfach nicht los. Die ganze Thematik auf eine Kurzformel gebracht: Die viel stärkere Sensibilität der Jungen gegenüber Ungerechtigkeit, Routine, Langeweile und besonders: Lüge. Das Leben eines normalen, robusten und erfolgreichen Erwachsenen kann nur eine Lebenslüge sein.

Für mich könnte man die mehr als treffende Aussage noch erweitern um den Begriff der Mittelmäßigkeit. Erwachsenwerden heißt letztendlich, langsam an Mittelmäßigkeit zu ersticken. Sein Leben mit Bausparverträgen, Tupperware, Einbauküchen und Junggesellenabenden vermüllen. Soviel faule Kompromisse machen, daß es schon nach Verwesung riecht. Ein geordneter Messie sozusagen. Irgenwann auf einem geordnetem Müllberg zu sitzen. Von dem man die eigentliche Welt nur noch von weitem sehen kann.

Durchschnittlicher, angepaßter und feiger werden. Alles Lebendige zugunsten von völlig Überflüssigem aus dem Leben verbannen. Sich immer weniger vom Durchschnitt unterscheiden.

Nie mehr Genie sein. Nie mehr Muse. Nie mehr Heldin.




Meine Lieblingsstelle, die ich trotz der Tatsache, das Buch schon als 13jährige gelesen zu haben, erinnere: der Protagonist (dessen Name ich nicht mehr erinnere) verläßt mitten in der Nacht das Internat/Wohnheim, in dem er mit vielen anderen Jugendlichen wohnt. Er stellt sich nochmals mitten in die Haupthalle und brüllt so laut er kann: "Schlaft gut ihr Idioten".

Diese Stelle erheitert mich auch jetzt immer noch ungemein. Obwohl sie ja im eigentlichen Sinne gar nicht witzig ist. Aber ich bewundere einfach Menschen, die Idioten auch als Idioten bezeichnen. Und das aus Leibeskräften. Und am besten mit dieser Botschaft aus dem Schlaf reißen. Was sein muß, muß sein. Auch mitten in der Nacht.

Es gibt für mich einfach nichts wichtigeres, als Dinge offen auszusprechen. Sei es auch in einer unpassenden Situation mitten in der Nacht, wenn alle schlafen wollen. Vielleicht gerade dann. In unserer Zeit wird nicht mehr genug aus dem Schlaf gerissen. Lob gebührt dem, der die Nachtruhe stört!

Die eigentlichen Helden
Mir fällt gerade ein anderes Buch von Salinger* ein, der Titel lautet - glaube ich - "Glaubt bloß nicht, daß wir heulen". Es geht um ein Internat (oder ein Jugendcamp?) in dem es viele verschiedene Jungengruppen gibt. Eine Gruppe besteht aus den Loosern (den Ausdruck gab es damals noch nicht) und wird "die Bettnässer" genannt, weil einer der Jungen in dieser Gruppe ein Bettnässer ist. Die Geschichte spielt irgendwo in Amerika und es geht um eine Büffelherde, die in der Nähe eingepfercht ist und zum Abschuß freigegeben ist. Für diesen Abschuß haben sich meiner Erinnerung nach auch viele Freiwillige gemeldet. Töten macht halt Spaß. Niemand nimmt Anstoß daran - außer den Bettnässern. Und die machen sich dann in irgendeiner Nacht daran, die gesamten Büffel freizulassen, was ein nicht ungefährliches Unterfangen ist.

Die Looser sind die eigentlichen Helden des Camps. Während die allseits anerkannten und bewunderten Jungen sich einen Dreck um die perverse Abknallerei kümmern, sind es ausgerechnet die verlachten Bettnässer, die die Perversion des Ganzen spüren und dann das einzig Richtige tun. Ausgerechnet diejenigen, die ja noch gar nicht richtig erwachsen sind und noch ins Bett machen.

Ausgerechnet die. Ein Zufall ist dies nicht. Eher eine natürliche Gesetzmäßigkeit.

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Und jetzt gucke ich erstmal nach, ob ich das Ganze überhaupt richtig behalten habe. Vielleicht war das gar nicht Salinger? Das Lesen des Buchs liegt nämlich auch - wie sollte es anders sein - schon lange, lange in meiner Kindheit zurück .

FALSCH! FALSCH! FALSCH!:

Es war nicht Salinger, sondern Glendon Swarthoud!!!! Von dem habe ich noch nie gehört. Und es heißt genau: "Denkt bloß nicht, daß wir heulen". Bei Amazon gibt es gerade mal ein einziges Exemplar dieses Taschenbuchs. Dafür wird dann aber auch 150,00 € verlangt. Also ein anscheinend ziemlich unbekannter Autor, aber ein anscheinend ziemlich wertvolles Buch.

(...aber es hätte Salinger sein können, wirklich!)