Denken tut gut
15.06.09 Fettmasse der Macht


Zitate, die mich mit der Welt versöhnen:

Daß ich ein nachdenklicher und skeptischer Jurist geworden bin, hängt wieder damit zusammen, daß ich die Menschen hasse, die sich nach der Macht drängen. Obwohl Macht unvermeidlich ist. Noch verhaßter sind mir die Menschen, die die Macht in der Verkleidung des Rechts ausüben. Das Recht muß, will es sich bewahren, der Stachel in der Fleischmasse und Fettmasse der Macht sein. Die unkritischen Juristen sind etwas vom Schlimmsten, was uns das gegenwärtige System beschert hat, das gesellschaftliche, das schulische, dasjenige an der Universität.

"Fettmasse der Macht" ist eine Wortschöfpung, die man ins Grundgesetz aufnehmen sollte. Es ist erstaunlich, daß ein so streitbarer und kritischer Mensch ein erzkonservatives Fach studiert hat. Allerdings haben andererseits viele große Köpfe - Goethe, Storm, Kafka - Jura studiert. Auf jeden Fall ist Peter Noll ein enorm streitbarer Geist, der über Jahrzente hinweg Umengen Rechtsschriften veröffentlicht hat. Es ist erstaunlich - und andererseits auch wieder nicht - daß ihm auch im Angesicht des Todes sein berufliches Schaffen wichtig ist. Dies ist wohl ein entscheidender Unterschied zwischen großen Köpfen und Kleingeistern: der Kleingeist hat einen Beruf um Geld zu verdienen. Große Geister haben einen Beruf, weil sie in der Gesellschaft wirken wollen. Und weil ihr Wirken nach außen stimmig mit ihrer inneren Überzeugung ist.

Während ich das Buch lese, fällt mir immer wieder auf, daß er die meisten Leute namentlich nennt. Peter Noll war übrigens mit Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch befreundet (darauf bin ich neidisch). Auch die erwähnt er namentlich - selbst in sehr persönlichen Angelegenheiten. Mir würde es früher wahrscheinlich gar nicht aufgefallen sein, weil das Beschreiben und Zitieren anderer für mich das Normalste auf der Welt ist. Seitdem ich allerdings in dem mehr als merkwürdigen Beruf einer Betreuerin arbeite, werde ich permanent mit heftigsten Vorwürfen konfrontiert, wenn ich jemanden direkt anspreche oder namentlich zitiere. Das ist allerdings die logische Konsequenz von Nichtauthentizität: jemand lebt nach außen Werte, die unecht und aufgesetzt sind. Jemand möchte demokratisch wirken, hat aber Attitüden wie ein Alphamännchen. Jemand hat Kritik an anderen, möchte aber nach außen hin den netten, immer verständigen Jungen darstellen. Mir wird beim lesen des Buchs einmal mehr deutlich, daß dies wohl das größte Hindernis in der geistigen Entwicklung ist: das permanente Darstellen von etwas, was letztendlich erstunken und erlogen ist. Dabei kommen dann Castingsshows oder Superstarsuchen heraus. Mehr aber auch nicht. Auf keinen Fall ein gutes Buch.



14.06.09 Die Wahl eines kurzen Lebens

Lese gerade mit Feuereifer das Buch von Peter Noll "Diktate über Sterben und Tod". Peter Noll, ein Schweizer Jurist, verstarb 1982 nach etwa 9monatiger Krebserkrankung. Nach Erhalt der Diagnose schrieb er Tagebuch und man kann an seinen Gedanken und Gefühlen teilnehmen.

Anstatt sich einer Operation zu unterziehen, die immerhin eine 30prozentige Chance der Gesundung gehabt hätte, wählte er den Weg der Nichtbehandlung. Etwas, das ich kaum nachvollziehen kann, da ja so oder so mit Schmerzen und Krankenhausaufenthalten gerechnet werden muß. Aber Peter Noll widerstrebte seiner Aussage nach die Vorstellung "einen auf dem Bauch befindlichen Beutel" als Ersatz der Blase zu tragen und damit für die Dauer seines Lebens ein von ärztlicher Behandlung abhängiger Patient zu sein.

Auf jeden Fall geht es in seinen Gedanken nicht nur um Privates - und das sauge ich auf wie ein Schwamm - sondern er setzt sich intensiv auch mit dem Thema Recht, Macht und Gerechtigkeit auseinander. Ein unbequemer Querdenker, der sich neben diesen weltlichen Themen (das wird jetzt die Atheisten abschrecken) auch mit dem Glauben beschäftigt. Auf eine Art, die mir deswegen so gut gefällt, weil sie viel mit Zweifeln und in-Frage-stellen zu tun hat. Er weist z.B. auf das Buch des Physikers von Hoimar von Ditfurth hin, der das Thema der Existenz ganz aus dem Blickwinkel der Physik angeht. Das ist ein Phänomen, das ich gern mal diskutieren würde; die wenigsten Physiker sind Atheisten (eigentlich kenne ich nicht einen einzigen) und die wenigsten Soziologen sind gläubig. Das ist in meinen Augen eine merkwürdige Ähnlichkeit des Papstes mit Marx: beide halten die Erde für das Zentrum des Universums und scheren sich recht wenig um die Frage, was abgesehen von diesem winzigen Schmutzpartikel Erde wohl sonst noch eine Rolle spielen mag.

Egal, ich stelle immer wieder fest wie gut das Denken tut. Am besten wäre es im Austausch mit anderen (aber Menschen, die nicht nur *lol*, *grins* und derartiges schreiben).

Der Umkehrschluß, daß Denken gut tut, ist, daß Nichtdenken schlecht tut. Genauso holprig, aber treffender drückt es der Volksmund aus mit "Dummheit kann weh tun". Das ist genau die Erfahrung, die ich vor einiger Zeit gemacht habe: Dummheit kann entsetzlich weh tun. Viele nennen dies arrogant, aber ein physischer Schmerz kann nicht arrogant sein. Dies Attribut kann nur eine Haltung bzw. ein Verhalten kennzeichnen. Ich genieße Menschen, die nachdenken und mir wird übel, wenn ich mir den Mist anhören muß (und manchmal ist dies unvermeidlich), den Menschen von sich geben, die nicht denken. Das ist in etwa so, wie jemanden zuhören müssen, der völlig falsch und schrill singt. Oder wie etwas völlig Versalzenes zu essen. Da vesteht jeder den Abscheu. Bei Abscheu vor Dummheit wird es für manche schwierig.

Dummheit ist aber schlimmer als eine schrille Stimme oder ein versalzenes Frikassee. Viel empfindlicher als das Ohr oder die Zunge ist das Gehirn. Von besonders dummen Zeug kann ich eine regelrechte Gehirnerschütterung bekommen. Aber um jetzt positiv zu enden: so eine authentisches Buch wie dies, in dem die höchst private Erfahrung nicht von der gesellschaftichen getrennt wird, in dem Berührungspunkte aller möglichen Aspekte zusammengeführt werden, ist das reinste Balsam fürs Gehirn. Ich gehe jetzt zu Bett und lese weiter....