Montag, 16. Februar 2015
Das hatten wir schon mal
Als jemand, der aus dem Norden stammt, hielt sich mein Interesse für Karnevalsumzüge immer in Grenzen. Zwar hatte ich als Kind und als Jugendliche großen Spaß an Faschingsfeten, weil ich schon immer ein Faible fürs Verkleiden hatte, aber die Karnevalsumzüge und Büttenreden lösten bei mir wenig Begeisterung aus.

Was jedoch irgendwann bei mir Interesse weckte, war der historische Hintergrund des Karnevals. Irgendwo an der Schweizer Grenze stieß ich durch Zufall auf ein Fastnachtsmuseum, in dem man sowohl fantastische alte Kostüme bewundern konnte als auch sehr gut illustrierte Informationen über die Entwicklung des Karnevals erhielt. Und es ist der historische Bezug, der deutlich macht, dass Karneval früher mehr war als reiner Spaß an Gaudi und Blödelei. In einer Zeit, in der unbedingter Gehorsam gegenüber Obrigkeiten herrschte, gab es jene drei Tage, an denen ausnahmslos jeder frank und frei seine Meinung sagen durfte. Ob Lehnsherr, Klerus oder Politiker – jeder musste es aushalten, sich in den sogenannten närrischen Tagen die Meinung sagen zu lassen. Manche halten es für heuchlerisch, sich so für den Karneval zu begeistern, wenn an den übrigen 362 Tagen wieder das alte Prinzip des Gehorsams vor der Obrigkeit gilt. Aber dessen ungeachtet darf man nicht außer Acht lassen, dass der Karneval immerhin als einzigartige Gelegenheit Raum für den Ausdruck der Idee der Meinungsfreiheit gab. Und es sind die Ideen, die den Grundstoff einer Veränderung bilden.

In der heutigen Zeit kommen mir die Karnevalsumzüge allerdings immer ein wenig antiquiert vor. Jeder kann überall und jederzeit sagen, was er denkt – was ist da so besonders an den Wagen mit ihren Anspielungen und Parodien auf gesellschaftspolitische Ereignisse? Unter den Bedingungen der Meinungsfreiheit hat die eigentliche Funktion der Karnevalsumzüge erheblich an Bedeutung verloren.

So sah ich es bisher, aber heute wurde der größte Karnevalsumzug im Norden Deutschlands aufgrund von islamistischen Terrordrohungen kurzfristig und völlig überraschend abgesagt. Es stellt eine traurige Ironie dar, dass es im Jahr 2015 zu etwas kommt, was selbst in den dunklen Jahrhunderten des Mittelalters völlig undenkbar war. Plötzlich wird etwas, das bislang als normal und selbstverständlich galt, seiner Normalität und seiner Selbstverständlichkeit beraubt. Während es selbst in der Knechtschaft des Feudalismus oder im Untertanenstaat des deutschen Kaiserreichs das Recht gab, seine Meinung – und sei sie noch so unbequem und aufsässig – frei und lauthals zu äußern, wird dieses Recht jetzt sang- und klanglos genommen. Bezeichnenderweise gab es eine vergleichbare Situation nur während des Dritten Reichs.

"Es gibt keinen Humor, es gibt kein Gelächter, es gibt keinen Spaß im Islam."
Ayatollah Chomeini



Dienstag, 20. Januar 2015
Erinnerungen, die mir Mut machen
Das balinesische Neujahrsfest, bei dem auf einen ohrenbetäubenden Umzug ein Tag in völligem Schweigen und strikter Dunkelheit folgt. Ein hinduistisches Holi-Fest, bei dem alles in Farbe getaucht wird. Hochfeierliche Bestattungsrituale in Toraja/Sulawesi, zu denen man als Fremder einfach so eingeladen wird. Buddhistische Mönche, die vor der beeindruckenden Kulisse eines Felsenklosters mitten im Dschungel stundenlang ihre Gebete rezitieren. Ein geheimnisvolles kleines Dorf auf Bali, dessen Bewohner noch der uralten animistischen Religion angehören. Eine Choralkantate im Hamburger Michel, die an Engelsklänge erinnert. Ein mongolischer Schamane mit faszinierender Mimik und Montur. Hinduistische Sadhus, die einen Eindruck davon vermitteln, dass vollständige Bedürfnislosigkeit zu innerem Frieden führen kann. Frauen in wunderschönen Sarongs, die beim balinesischem Vollmondfest graziös Opfergaben auf dem Kopf balancieren. Die kleinen Sternsinger, die uns besuchen und mit rührender kindlicher Einfachheit erklären, warum sie unbedingt etwas für hungerleidende Kinder tun möchten. Eine hinduistische Kremation/Feuerbestattung, bei der große Fröhlichkeit herrscht, weil der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang begriffen wird. Ein chinesisches Ahnenfest, bei dem die Verstorbenen so innig verehrt werden, dass sie anwesend scheinen.

Ich bin glücklich und dankbar, dies alles schon erlebt haben zu dürfen. Dankbar für die Möglichkeit, schon so viele Länder mit ihren unterschiedlichen Religionen kennen gelernt zu haben. Dankbar dafür, manchmal aus puren Zufall sehr seltenen Zeremonien beigewohnt zu haben oder die Bekanntschaft ganz besonderer Menschen gemacht zu haben. Dankbar auch für die vielen interessanten anderen Reisenden, die ich dabei getroffen habe.

Es ist nicht zu leugnen, dass mich die Ereignisse der letzten Zeit sehr mitgenommen haben und ich beunruhigt über die Entwicklung bin. Deswegen habe ich mich über eine Sammlung einiger unserer Reisefotos gefreut, die mich wieder daran erinnert haben, dass Religiosität sich nicht nur in Sprengstoffattentaten und Freude an Zerstörung äußert. Religion kann - wie man sieht - bunt und fröhlich sein und die Menschen verbinden.

Habe festgestellt, dass noch jede Menge Fotos fehlen. Und freue mich auf die nächste Reise, die ich hoffentlich dieses Jahr machen werde. In ein buddhistisches oder hinduistisches Land. Nepal? Vielleicht sogar Bhutan??



Sonntag, 18. Januar 2015
Die so heftig kritisierte Überwachung ist für manche längst traurige Realität geworden…
Die Unterdrückung, die auf mir lastet, ist eine Unterdrückung neuer Art, gegen die der Staat kaum eine Handhabe hat. Eine Unterdrückung des dritten Jahrtausends, die noch nicht einmal einen Namen hat. Eine unsichtbare Freiheitsberaubung: Ich sehe weder meine Kerkermeister noch meine möglichen Mörder. Aber ich weiß, es gibt sie, und sie hindern mich effektiv daran, so zu leben wie meine Mitmenschen, wie vor dem Artikel im Figaro.

Der französische Philosoph Robert Redeker (*1957) hatte es gewagt, die auf ein Zitat Papst Benedikts im Jahr 2006 erfolgten schweren blutigen Ausschreitungen kritisch zu kommentieren. Daraufhin wurde er mehrfach mit dem Tode bedroht, musste sein Haus verkaufen, verlor seine Arbeit und kann nur noch unter ständigem Polizeischutz an wechselnden Wohnorten leben.

Redeker ist kein Einzelfall, sondern einer von vielen, deren Leben zerstört ist. Es werden immer mehr Menschen davor zurückschrecken, ihre Gedanken offen zu äußern.



Hier fühle ich mich nicht mehr wohl
Einige Meter entfernt von meiner Wohnung befindet sich die Takwah-Moschee, die laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes als Anlaufpunkt dschihadistischer Salafisten gilt. Schon ein paarmal wurde die Moschee in den Nachrichten gezeigt und so kann es dann passieren, dass einem auf dem Weg zur Arbeit Reporter mit Mikrophonen begegnen, die auf der Suche nach Interviewpartnern für die geplante Sendung sind. Vor ein paar Monaten hätte man auch Pierre Vogel begegnen können, der in besagter Moschee gepredigt und auch ein paar Mal genächtigt hat. Und da die Moschee vom Verfassungsschutz überwacht wird, wird übrigens mit Sicherheit auch das eigene Auto überprüft, das mangels Parkmöglichkeiten zwangsläufig manchmal in der Nähe geparkt werden muss.

Aber die Takwah-Moschee ist nicht die einzige Moschee in meinem Bezirk, etwa 15 Gehminuten von meiner Wohnung entfernt befindet sich die Masjid-El-Iman-Mosche, die ebenfalls als Anlaufstelle fanatischer Dschihadisten angesehen wird. Ursprünglich wollten muslimische Interessenten den gesamten Häuserblock anmieten, um dort ausschließlich muslimische Geschäfte zu eröffnen, aber letztendlich wurde hierfür keine Zustimmung erteilt.

Es gibt noch weitere unschöne Schauplätze in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung. Wie zum Beispiel eine Straße, in der es vor einigen Monaten eine blutige Auseinandersetzung zwischen Albanern gab, die ein Todesopfer zur Folge hatte. Oder den Croqueladen, in dem es ebenfalls zu einem Mord kam, weil Afghanen eine Frage der Ehre mit einer Messerstecherei lösen wollten. Angrenzend an mein Wohnviertel liegt das Wohngebiet, in dem meine Schwester viele Jahre als Erzieherin arbeitete und in dem auf offener Straße vor den Augen von Kindern eine junge Kurdin von ihrem Bruder ermordet wurde, weil sie sich ihren Mann selbst aussuchen wollte. Auch in der Nähe der Wohnung meiner Nichte am südlichen Stadtrand Hamburgs kam es zu schon zu einer Schießerei unter Albanern, bei der der Vaters eines Mitschülers ihres Sohnes erschossen wurde. Und dann ist da noch der Bahnhof, den ich jeden Tag passiere, vor dem vor fünf Jahren ein Mann wegen 20 Cents von zwei Jugendlichen totgeprügelt wurde. Mittlerweile ist das Ausmaß der Gewalt so groß, dass unser ansonsten völlig belangloser Stadtteil jetzt sogar das Interesse der Presse geweckt hat. Vor kurzem prangte auf dem Titelblatt meiner Tageszeitung ein Foto meines Wohnorts, das tituliert wurde mit „Hamburgs härtestes Viertel“.

Mein Bezirk hat allerdings schon im Jahr 2001 traurige Berühmtheit erlangt, da dort Muhammed Atta & Co lebten, bevor sie Flugzeuge in das World-Trade-Center lenkten. Die Marienstraße, in der die Salafisten wohnten, war eine Querstraße zu meiner früheren Wohnung. In den Tagen nach der Katastrophe war an manche Häuserwände „Al Kaida“ gesprayt worden.

Ungefähr 14 Jahre lang habe ich im angrenzenden Bezirk Hamburg-Wilhelmsburg gearbeitet. Da ich kein Auto fahre, benutzte ich die öffentlichen Verkehrsmittel. Man bekommt wohl kaum einen besseren Einblick in die Mentalität einer Gesellschaft, als beim Fahren in öffentlichen Verkehrsmittel. Im Urlaub profitiere ich immer ungemein davon - Bemo fahren auf Bali, Jeepneys auf den Philippinen oder Überlandbusse auf Sumatra sind unvergessliche Erlebnisse. Und unvergesslich sind mir auch die Fahrten im Citybus Nr. 13 oder in der S-3 nach Wilhelmsburg. Allerdings nicht im positiven Sinn. Ausdrücke wie „Hurensohn, Schlampe, ich ficke deine Mutter “ – gehörten zu meiner regelmäßigen Beschallung.

Ich wohne seit meinem Auszug aus der elterlichen Wohnung im Alter von 15 Jahren bis auf eine kurze Unterbrechung im Süden Hamburgs. Ein Viertel, das immer schon das Stiefkind unter den Hamburger Bezirken war und das nur diejenigen mögen, die dort schon seit ihrer Kindheit oder Jugend wohnen. Ein Arbeiterbezirk mit vielen Altbauten, die noch bis in die späten 80er oftmals über keine Badezimmer verfügten und deren Toiletten sich im Treppenhaus befanden. Arbeiter, Studenten, alte Menschen, Ausländer der ersten Generation – Leute eben, die nicht das Geld für teure Wohnungen hatten. Mir hat’s gefallen.

Jetzt gefällt es mir nicht mehr. Ich hänge zwar sehr an meiner kleinen Dachgeschosswohnung, in der ich nun schon so lange wohne. Aber trotzdem möchte ich nur noch eins – weg von hier.