Dienstag, 20. Januar 2015
Erinnerungen, die mir Mut machen
Das balinesische Neujahrsfest, bei dem auf einen ohrenbetäubenden Umzug ein Tag in völligem Schweigen und strikter Dunkelheit folgt. Ein hinduistisches Holi-Fest, bei dem alles in Farbe getaucht wird. Hochfeierliche Bestattungsrituale in Toraja/Sulawesi, zu denen man als Fremder einfach so eingeladen wird. Buddhistische Mönche, die vor der beeindruckenden Kulisse eines Felsenklosters mitten im Dschungel stundenlang ihre Gebete rezitieren. Ein geheimnisvolles kleines Dorf auf Bali, dessen Bewohner noch der uralten animistischen Religion angehören. Eine Choralkantate im Hamburger Michel, die an Engelsklänge erinnert. Ein mongolischer Schamane mit faszinierender Mimik und Montur. Hinduistische Sadhus, die einen Eindruck davon vermitteln, dass vollständige Bedürfnislosigkeit zu innerem Frieden führen kann. Frauen in wunderschönen Sarongs, die beim balinesischem Vollmondfest graziös Opfergaben auf dem Kopf balancieren. Die kleinen Sternsinger, die uns besuchen und mit rührender kindlicher Einfachheit erklären, warum sie unbedingt etwas für hungerleidende Kinder tun möchten. Eine hinduistische Kremation/Feuerbestattung, bei der große Fröhlichkeit herrscht, weil der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang begriffen wird. Ein chinesisches Ahnenfest, bei dem die Verstorbenen so innig verehrt werden, dass sie anwesend scheinen.

Ich bin glücklich und dankbar, dies alles schon erlebt haben zu dürfen. Dankbar für die Möglichkeit, schon so viele Länder mit ihren unterschiedlichen Religionen kennen gelernt zu haben. Dankbar dafür, manchmal aus puren Zufall sehr seltenen Zeremonien beigewohnt zu haben oder die Bekanntschaft ganz besonderer Menschen gemacht zu haben. Dankbar auch für die vielen interessanten anderen Reisenden, die ich dabei getroffen habe.

Es ist nicht zu leugnen, dass mich die Ereignisse der letzten Zeit sehr mitgenommen haben und ich beunruhigt über die Entwicklung bin. Deswegen habe ich mich über eine Sammlung einiger unserer Reisefotos gefreut, die mich wieder daran erinnert haben, dass Religiosität sich nicht nur in Sprengstoffattentaten und Freude an Zerstörung äußert. Religion kann - wie man sieht - bunt und fröhlich sein und die Menschen verbinden.

Habe festgestellt, dass noch jede Menge Fotos fehlen. Und freue mich auf die nächste Reise, die ich hoffentlich dieses Jahr machen werde. In ein buddhistisches oder hinduistisches Land. Nepal? Vielleicht sogar Bhutan??



Sonntag, 18. Januar 2015
Die so heftig kritisierte Überwachung ist für manche längst traurige Realität geworden…
Die Unterdrückung, die auf mir lastet, ist eine Unterdrückung neuer Art, gegen die der Staat kaum eine Handhabe hat. Eine Unterdrückung des dritten Jahrtausends, die noch nicht einmal einen Namen hat. Eine unsichtbare Freiheitsberaubung: Ich sehe weder meine Kerkermeister noch meine möglichen Mörder. Aber ich weiß, es gibt sie, und sie hindern mich effektiv daran, so zu leben wie meine Mitmenschen, wie vor dem Artikel im Figaro.

Der französische Philosoph Robert Redeker (*1957) hatte es gewagt, die auf ein Zitat Papst Benedikts im Jahr 2006 erfolgten schweren blutigen Ausschreitungen kritisch zu kommentieren. Daraufhin wurde er mehrfach mit dem Tode bedroht, musste sein Haus verkaufen, verlor seine Arbeit und kann nur noch unter ständigem Polizeischutz an wechselnden Wohnorten leben.

Redeker ist kein Einzelfall, sondern einer von vielen, deren Leben zerstört ist. Es werden immer mehr Menschen davor zurückschrecken, ihre Gedanken offen zu äußern.



Hier fühle ich mich nicht mehr wohl
Einige Meter entfernt von meiner Wohnung befindet sich die Takwah-Moschee, die laut Erkenntnissen des Verfassungsschutzes als Anlaufpunkt dschihadistischer Salafisten gilt. Schon ein paarmal wurde die Moschee in den Nachrichten gezeigt und so kann es dann passieren, dass einem auf dem Weg zur Arbeit Reporter mit Mikrophonen begegnen, die auf der Suche nach Interviewpartnern für die geplante Sendung sind. Vor ein paar Monaten hätte man auch Pierre Vogel begegnen können, der in besagter Moschee gepredigt und auch ein paar Mal genächtigt hat. Und da die Moschee vom Verfassungsschutz überwacht wird, wird übrigens mit Sicherheit auch das eigene Auto überprüft, das mangels Parkmöglichkeiten zwangsläufig manchmal in der Nähe geparkt werden muss.

Aber die Takwah-Moschee ist nicht die einzige Moschee in meinem Bezirk, etwa 15 Gehminuten von meiner Wohnung entfernt befindet sich die Masjid-El-Iman-Mosche, die ebenfalls als Anlaufstelle fanatischer Dschihadisten angesehen wird. Ursprünglich wollten muslimische Interessenten den gesamten Häuserblock anmieten, um dort ausschließlich muslimische Geschäfte zu eröffnen, aber letztendlich wurde hierfür keine Zustimmung erteilt.

Es gibt noch weitere unschöne Schauplätze in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung. Wie zum Beispiel eine Straße, in der es vor einigen Monaten eine blutige Auseinandersetzung zwischen Albanern gab, die ein Todesopfer zur Folge hatte. Oder den Croqueladen, in dem es ebenfalls zu einem Mord kam, weil Afghanen eine Frage der Ehre mit einer Messerstecherei lösen wollten. Angrenzend an mein Wohnviertel liegt das Wohngebiet, in dem meine Schwester viele Jahre als Erzieherin arbeitete und in dem auf offener Straße vor den Augen von Kindern eine junge Kurdin von ihrem Bruder ermordet wurde, weil sie sich ihren Mann selbst aussuchen wollte. Auch in der Nähe der Wohnung meiner Nichte am südlichen Stadtrand Hamburgs kam es zu schon zu einer Schießerei unter Albanern, bei der der Vaters eines Mitschülers ihres Sohnes erschossen wurde. Und dann ist da noch der Bahnhof, den ich jeden Tag passiere, vor dem vor fünf Jahren ein Mann wegen 20 Cents von zwei Jugendlichen totgeprügelt wurde. Mittlerweile ist das Ausmaß der Gewalt so groß, dass unser ansonsten völlig belangloser Stadtteil jetzt sogar das Interesse der Presse geweckt hat. Vor kurzem prangte auf dem Titelblatt meiner Tageszeitung ein Foto meines Wohnorts, das tituliert wurde mit „Hamburgs härtestes Viertel“.

Mein Bezirk hat allerdings schon im Jahr 2001 traurige Berühmtheit erlangt, da dort Muhammed Atta & Co lebten, bevor sie Flugzeuge in das World-Trade-Center lenkten. Die Marienstraße, in der die Salafisten wohnten, war eine Querstraße zu meiner früheren Wohnung. In den Tagen nach der Katastrophe war an manche Häuserwände „Al Kaida“ gesprayt worden.

Ungefähr 14 Jahre lang habe ich im angrenzenden Bezirk Hamburg-Wilhelmsburg gearbeitet. Da ich kein Auto fahre, benutzte ich die öffentlichen Verkehrsmittel. Man bekommt wohl kaum einen besseren Einblick in die Mentalität einer Gesellschaft, als beim Fahren in öffentlichen Verkehrsmittel. Im Urlaub profitiere ich immer ungemein davon - Bemo fahren auf Bali, Jeepneys auf den Philippinen oder Überlandbusse auf Sumatra sind unvergessliche Erlebnisse. Und unvergesslich sind mir auch die Fahrten im Citybus Nr. 13 oder in der S-3 nach Wilhelmsburg. Allerdings nicht im positiven Sinn. Ausdrücke wie „Hurensohn, Schlampe, ich ficke deine Mutter “ – gehörten zu meiner regelmäßigen Beschallung.

Ich wohne seit meinem Auszug aus der elterlichen Wohnung im Alter von 15 Jahren bis auf eine kurze Unterbrechung im Süden Hamburgs. Ein Viertel, das immer schon das Stiefkind unter den Hamburger Bezirken war und das nur diejenigen mögen, die dort schon seit ihrer Kindheit oder Jugend wohnen. Ein Arbeiterbezirk mit vielen Altbauten, die noch bis in die späten 80er oftmals über keine Badezimmer verfügten und deren Toiletten sich im Treppenhaus befanden. Arbeiter, Studenten, alte Menschen, Ausländer der ersten Generation – Leute eben, die nicht das Geld für teure Wohnungen hatten. Mir hat’s gefallen.

Jetzt gefällt es mir nicht mehr. Ich hänge zwar sehr an meiner kleinen Dachgeschosswohnung, in der ich nun schon so lange wohne. Aber trotzdem möchte ich nur noch eins – weg von hier.



Sonntag, 11. Januar 2015
Chapeau
Je suis juif
Je suis musulman
Je suis chrétien
Je suis athée
Je suis Charlie Hebdo

Je suis ici pour battre pour notre liberté. Sans liberté on ne vit plus*.

Ich bin beeindruckt von der Einigkeit, mit der die Franzosen heute geschlossen für ihre Freiheit eingetreten sind. In Deutschland würde es wahrscheinlich wie immer irgendwelche Grüppchen geben, denen es wichtig ist, ihre Abgrenzung gegen die anderen zu demonstrieren. Viele Deutsche kämpfen gern gegen etwas, aber tun sich schwer, für etwas zu kämpfen.

Ich weiß jetzt schon, dass sich so mancher – auch hier im Netz – über das Singen der Marseillaise aufregen wird. Denn Deutsche pauschalieren gern, besonders diejenigen, die selbst gern anderen vorwerfen, zu pauschalieren. Aber es gibt ein Einigkeitsgefühl jenseits von tumbem Stolz, welcher andere ausschließt um sich selbst zu erhöhen. Dieses Gefühl kann man nur kennen, wenn man sich nicht über den Unterschied zum anderen definiert, sondern über die Gemeinsamkeit.

Und deswegen bin ich über die oben angeführten Zeilen eines bei der Trauerkundgebung gezeigten Schildes auch so begeistert:

Ich bin Jude
Ich bin Muslim
Ich bin Christ
Ich bin Atheist
Ich bin Charlie Hebdo

Zu so einem Bekenntnis könnten sich Deutsche nur schwer durchringen.

Auch der Satz einer Teilnehmerin des Trauermarsches „Ich bin hier, um für unsere Freiheit zu kämpfen. Ohne Freiheit lebt man nicht mehr“ wird man hier eher selten hören. Hier gehen die Pegida-Anhänger gegen eine angebliche Überfremdung auf die Straße und die Anti-Pegida-Anhänger wiederum demonstrieren gegen die Pegida-Anhänger.

Bei alldem, was in den vergangenen Tagen geschehen ist, geht es um nicht mehr und nicht weniger als um Freiheit. Das hat nichts mit Panikmache und auch nichts mit dem sogenannten Generalverdacht gegen alle Muslime zu tun, sondern es geht um eine Weichenstellung, bei der man sich entscheiden muss, ob die Freiheit des Wortes über religiösen oder politischen Dogmen steht. Die Franzosen bringen dies fertig, ohne den Respekt vor religösen Überzeugungen zu verlieren. Chapeau!