Mittwoch, 4. September 2013
September

Erinnerung an eine Zeit, in der die Jahreszeiten noch als Feste der Natur wahrnehmbar waren.

Es gibt nicht allzu viel Sprachaufnahmen von Hesse, ich habe natürlich eine Sprechplatte von ihm, aber dieses Gedicht ist nicht dabei und so bin ich sehr froh, dieses Juwel gerade entdeckt zu haben.

Es gibt bei Youtube wahre Fundgruben in denen Gedichte nicht nur als Ohrenschmaus präsentiert werden, sondern auch als Augenschmaus unterlegt mit wunderschönen Gemälden.



Donnerstag, 29. August 2013
Orwells bitterböse Beschreibung der kolonialen Engländer und woran mich dies erinnerte
Ich habe meine Urlaubslektüre Georges Orwells „Tage in Burma“ nach anfänglicher Skepsis doch noch ziemlich schnell zu Ende gelesen und es nicht bereut. Orwell zeichnet ein bitterböses Bild des englischen Kolonialisten.

Sein Protagonist John Flory ist zwar auch nicht frei von jeglicher Arroganz gegenüber den Birmanen, aber er hegt auf der anderen Seite auch eine große Bewunderung für deren Kultur. Die in Burma lebenden Engländer hingegen beschreibt Orwell als eine degenerierte Gesellschaftsschicht, die sich für nichts anderes interessiert als für den englischen Club, welcher jedoch weit davon entfernt ist, ein Ort des intellektuellen Anspruchs zu sein, sondern in erster Linie einen Treffpunkt darstellt für versnobte Alkoholiker, die den Genuss von Whiskey und das Tennisspielen für den Inbegriff einer hohen Kultur halten.

Die in die Erzählung eingebettete Liebesgeschichte ist konsequenterweise auch eine unglückliche, denn der Protagonist verliebt sich ausgerechnet in eine Engländerin, den Prototyp der Ma’am Sahib darstellt und an bornierter Eingebildetheit kaum zu überbieten ist. Während Orwell den Leser dies ziemlich schnell wissen lässt, tappt der Protagonist John Flory bis zum Ende des Buches im Dunkeln. Die unerfüllte Sehnsucht Florys nach jemandem, der ihn sein Heimweh und sein Gefühl des Unverstandenseins endet schließlich mit seinem Selbstmord.

Ich glaube nicht, dass es Orwell darum ging, seine Darstellung der Kolonialismusmentalität in erster Linie als Parabel für Herrenmenschenmentalität im Allgemeinen darzustellen, sondern meiner Meinung nach hat er mit seiner Erzählung hauptsächlich seine persönlichen Erfahrungen mit dem englischen Kolonialismus in Burma verarbeitet. Für mich geht das Buch dennoch über die Thematik der Menschenverächtlichkeit des Kolonialismus hinaus. Der von Orwell beschriebene Standesdünkel der Engländer ist genauso übertragbar auf andere gesellschaftliche Schichten. Wobei mir an der Erzählung besonders gut gefiel, dass er eben jene, die sich als überleben und auserwählt wähnen, entlarvt als dumpfe, überhaus einfach gestrickte Menschen, die weder über besondere Fähigkeiten verfügen, noch über besonders viel Geist.

Beim Lesen des Buches war es für mich unvermeidlich, durch die Erzählung an all jene erinnert zu werden, die den versnobten blasierten Kolonialengländern so ungemein ähneln. Jene, die keine Gelegenheit auslassen, ihre hohe Qualifikation und ihr hohes Engagement zu betonen und die eisern festhalten an der Abgrenzung gegenüber denen, deren Arbeit angeblich doch so erheblich weniger anspruchsvoll ist. Genauso, wie sich besagte Engländer bei näherer Betrachtung weder als besonders gebildet noch als besonders kultiviert entpuppen, so entlarvt sich auch das Selbstbild dieser Spezies als eine grenzenlose Selbstüberschätzung.

Und genauso, wie die Welt auf Kolonialisten verzichten kann, so kann sie auch getrost auf jene sich krankhaft selbstüberschätzende Spezies verzichten. Beides richtet nur Schaden an und es ist an der Zeit, dass man sie endlich überwindet. Eine Welt ohne Standesdünkel und Selbstüberschätzung ist die bessere.



Mittwoch, 21. August 2013
Lyrik gegen das Vergessen
Endlich wird den Werken von Paul Celan eine Hommage gewidmet. Ben Becker liest Texte von ihm und wird dabei auf der Klarinette von Giora Feidman begleitet. Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass es auch Menschen gibt, die die sensiblen Werke dieses Dichters zu würdigen wissen. Die Verhöhnung des Gedichts durch die „Gruppe 47“ in den 50er Jahren mag man damit erklären, dass Celan nun mal nicht jedermanns Sache ist, zumal es in der Kunst auch kein Richtig und Falsch gibt. Ich persönlich sehe darin jedoch die Diskrepanz zwischen Authentizität und verknöchertem ideologischem Intellektualismus, dem der Blick dafür verloren gegangen ist (vielleicht auch nie vorhanden war), wie es sich anfühlt, wenn Kunst authentisch ist.

Das, was authentisch ist, mag man ablehnen, weil es einem nicht gefällt oder weil es mit den eigenen Wertmaßstäben nicht übereinstimmt oder weil man ganz einfach andere Vorstellungen von Kunst hat. Aber ungeachtet dessen verdient Authentizität, ernst genommen zu werden, zumal wenn damit das selbst erlebte Leiden ausgedrückt wird.

Für mich ist Günter Grass das künstlerische Gegenstück zu Paul Celan. Grass hat seinen eigentlichen Konflikt, nämlich die Tatsache, Mitglied in der Waffen-SS gewesen zu sein, nie authentisch aufgearbeitet, sondern stattdessen diesen Konflikt dadurch gelöst, mit dem Finger auf andere zu zeigen, die Mitglied in SS oder NSDAP waren. Und ich glaube, dies ist auch der Grund, warum ich mich im Deutschunterricht mit Grass herumgequält habe – seine Werke hatten für mich schon immer etwas seltsam Lebloses und Unechtes.

Und der Grund dafür, dass mir Paul Celans Todesfuge so unter die Haut geht, liegt in der tiefen Wahrhaftigkeit seiner Worte. Und deswegen bin ich so froh über diese späte Hommage.

Seltsam, dass ich gerade heute in der Zeitung diese Weisheit des Tages las: „Du sollst die Ermordeten nicht, und nicht die Mörder vergessen“ (Alfred Henschke). Dieser Ausspruch trifft sehr gut auf Paul Celan zu, denn seine Lyrik ist ein Mittel gegen das Vergessen. Allerdings nicht auf dem Wege der moralischen Entrüstung, sondern auf dem der Authentizität. Die späte Hommage lässt jetzt dieses Erinnern wieder aufleben und hilft uns gegen das Vergessen.