Vom Lob des Unterschieds – une nuit chez les amis des Berbères
Eben gerade habe ich den Film "Couscous mit Fisch" gesehen. Ein furchtbar trauriges Ende. Aber ein Tanzfinale, dass man nicht oft genug ansehen kann - und so gut zu diesem Bericht über meine Tanznacht passt, dass ich es hier nachträglich einfüge:
Es liegt schon Ewigkeiten zurück, dass ich eine Nacht mit arabischem Tanz verbracht habe. Vor vielen Jahren gab es in Hamburg ein Restaurant namens „Z“, in dem am Wochenende die Gruppe „Tausendundeine Nacht“ bis zum frühen Morgen spielte. Solange das „Z“ bestand, war ich dort auch regelmäßig zu Gast.
Aber eigentlich muss ich noch weiter vorgreifen, denn das erste Mal wurde ich mit orientalischem Tanz in Griechenland konfrontiert. Auf der kleinen ägäischen Insel Thassos gab es eine Disco, in der wie in deutschen Discos auch die damals übliche Rock- und Popmusik gespielt wurde. Dann wurde aber plötzlich das Licht gedämpft und es erklangen völlig andere Töne. Es wurde Rembetiko und Tsiftedeli gespielt. Letztere ist eine schnelle und heftige Musik, die die griechische Version der türkischen Bauchtanzmusik darstellt, die ihren Ursprung in der türkischen Besetzung Griechenlands hat.
Obwohl ich damals diese Art der Musik das erste Mal hörte, war sie mir sofort vertraut. Und ich war völlig beeindruckt, wie verspielt und erotisch Tanzen sein kann. Während in den deutschen Discos mehr oder weniger autistisch vor sich hin gewogt wird, besteht der orientalische Tanz aus einem Miteinander. Bauchtanz ist nämlich nicht nur ein Tanz, der von einer einzelnen Tänzerin vorgeführt wird, während die anderen aufs Klatschen beschränkt sind – Bauchtanz wird auch – oder eigentlich gerade – zusammen getanzt. Das kann ein Tanz unter Männern, ein Tanz unter Frauen oder auch ein gemischtgeschlechtlicher Tanz sein.
Ich war überglücklich, als ich nach einigen Jahren das „Z“ in Hamburg entdeckte. Trotz des griechischen Namens – der Name „Z“ spielt auf den gleichnamigen Roman von Vassilis Vassilikos und den Film von Contantin Costa-Gavras über die Zeit der griechischen Militärdiktatur an – wurde nicht nur griechische, sondern auch arabische Musik gespielt. Aber was auch gespielt wurde – es herrschte immer eine Stimmung, die man am besten mit dem Wort überkochend charakterisieren kann.
Aber wie bereits erwähnt, schloss das „Z“ irgendwann und ich habe eigentlich nie einen adäquaten Ersatz gefunden. Es gab immer nur vereinzelt Abende, die an mich an meine Zeit im „Z“ erinnerten. Aber gestern war wieder so ein Abend. Mein Freund betreut einen aus der Kabylei (Algerien) stammenden Mann und dessen 4-jährige Tochter. Und der lud uns zu dem kabylischen Neujahrsfest „Jannayer“ ein. Wenn ich es richtig verstanden habe, habe ich gestern das Jahr 2961 gefeiert.
Und nach vielen Jahren erfuhr ich wieder, wie es sich anfühlt, wenn etwas überkocht. Wenn so heftig getanzt wird, dass nach kurzer Zeit der Schweiß läuft. Wenn Menschen mitten im Tanz oder beim Zuhören der Musik plötzlich frenetisch klatschen, weil der Sänger etwas gesungen hat, was heftige Zustimmung auslöst. Oder aber wenn die Frauen statt des Klatschens als Zustimmung, einen lauten und schrillen Singsang ertönen lassen, dem wiederum oftmals von anderen ebenso lauthals applaudiert wird. Und man kann etwas beobachten, was es in unseren Breitengraden nicht oder zumindest nur sehr selten gibt – das sinnliche Umwerben der Geschlechter. Von männlicher Seite hartnäckig, von weiblicher spöttisch und halbherzig zurückweisend. Für viele ein antiquiertes und überflüssiges Relikt aus vergangenen Zeiten, hat es dennoch den Reiz von etwas Zauberhaften und Geheimnisvollen.
Trotz später Stunde feiern auch noch jede Menge kleine quirlige Kinder mit, die zwar alles andere als leise sind, aber die nicht am Schürzenzipfel ihrer Eltern hängen, sondern sofort Freundschaft mit anderen Kindern schließen und somit die Eltern in Ruhe feiern lassen.
Auf diesen Feiern ist es fast immer unmöglich, mit einem „Nein“ auf angebotene Speisen und Getränke zu reagieren. Es scheint immer die Sorge zu bestehen, dass man nicht satt wurde oder Durst leidet, auch wenn man das Gegenteil versichert. Und so wird man liebevoll mit Cous Cous, Dattelkuchen, Wein und zuckersüßem Pfefferminztee versorgt. Alles ist im Überfluss vorhanden, auch wenn zeitweiliggerade die Teller oder die Bestecke ausgegangen sind. Denn auch das gehört oftmals zu einem orientalischen Fest – eine gute Portion Chaos. Irgendwo gibt es immer einen Engpass und irgendwo bricht etwas zusammen. Dann wird lauthals und heftig nach einer Lösung gesucht – die auch immer irgendwie gefunden wird.
Wenn man die Unterschiede in der menschlichen Mentalität kennenlernen möchte, sollte man mit anderen Menschen feiern. Nichts ist aufschlussreicher als dies. Auch wenn das Feiern nur einen winzigen Teil des alltäglichen Lebens darstellt – es eröffnet dennoch einen Einblick in eine andere Welt. Die Art, wie Menschen Glück und Lebenslust ausdrücken, spiegelt auch immer ihre ganz spezifische und unverkennbare Art des Umgangs miteinander wieder.
Und deswegen lobe ich den Unterschied. Und genieße ihn. Und atme erleichtert auf, weil es nicht stimmt, dass alle Menschen gleich sind.
Die Anwälte – hätte Hegel eigentlich Gewalt befürwortet?
Vorgestern habe ich mir auf ARTE (wo sonst?) die Dokumentation „Die Anwälte“ angesehen. Es ging wieder um mein Dauerthema - um Wendehälse. Diesmal allerdings nicht auf die lustige Tour, sondern todernst. Es wurden die Lebensläufe von Otto Schily, Horst Mahler und Hans-Christian Ströbele gezeigt. Horst Mahler war in den Sechzigern RAF-Mitglied, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele vertraten RAF-Mitglieder.
Otto Schily wurde 1980 Mitglied der Grünen, wechselte neun Jahre später zur SPD und war von 1998 bis 2005 Innenminister.
Hans-Christian Ströbele war von 1970 – 1975 Mitglied der SPD, 1978 Mitglied der Alternativen Liste, 1985 Mitglied des deutschen Bundestags, was er – mit Unterbrechung – auch heute noch ist.
Horst Mahler war 1956 Mitglied der SPD, wo er jedoch 1960 ausgeschlossen wurde. Nachdem er in den Sechzigern einige APO-Mitglieder anwaltlich vertrat, gehörte er 1970 zu den Gründungsmitgliedern der RAF, verbüßte von 1970 bis 1980 eine Haftstrafe und war danach wieder als Anwalt tätig. Im Jahr 2000 trat er in die NPD ein, aus der er jedoch 2003 wieder austrat. Seit 2009 verbüßt er eine Haftstrafe wegen Volksverhetzung.
Drei Lebensläufe, die zugleich auch Spiegel politischer Entwicklung sind. Hans-Christian Ströbele ist sich am ehesten in seiner Haltung treu geblieben und steht in seiner Partei für die radikale Linie, die sich mit Kompromissen immer noch schwertut. Im Amt eines Ministers wäre er daher kaum vorstellbar.
Schily hat einen Wandel vom Kritiker der Staatsmacht hin zum Vertreter derselben vollzogen. Und darauf angesprochen, hat Schily eine interessante Antwort gegeben: „Ich habe nicht den Eindruck, dass es in meiner Entwicklung einen Widerspruch darstellt, dass ich von links nach rechts gegangen bin. Ich habe damals als Vertreter der RAF-Mitglieder auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit hingewiesen, genauso wie ich dies später als Innenminister tat. Ein Idiot ist, wer sich nicht ändert“. Schily vertritt dies so wortgewandt und souverän, dass immer die Versuchung besteht, ihm mangels Gegenargumenten zuzustimmen.
Aber kann man sich das wirklich so einfach machen? Ist da nicht irgendetwas zu aalglatt? Ist an dieser scheinbare Harmonie zwischen zwei völlig konträren Standpunkten nicht doch etwas faul?
Was mir persönlich fehlt in der Reflexion derer, die ihre Standpunkte radikal geändert haben, ist der einfache Satz: „Es war falsch“. Jeder Mensch hat nicht nur das Recht, sich zu ändern, sondern Veränderung sollte auch immer ein Ziel sein. Aber bei unreflektiertem Wandel von einer extremen Position zur anderen vergibt man die Chance auf einen Lernprozess. Nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch auf der gesellschaftlichen. Dies erinnert an die massive Verdrängung, die nach dem Kriegsende herrschte, als alle die Gräuel der Nazizeit einfach nur möglichst schnell vergessen wollten.
Wenn man sich die Wende im Leben von Horst Mahler ansieht, hat man den Eindruck, dass es sich eigentlich gar nicht um eine Wende handelt, denn er vertrat schon immer den Standpunkt des Rechts auf Gewaltanwendung. Das einzige, was in seinen Lebenslauf seltsam unpassend anmutet, ist die Tatsache, dass er aus unerklärlichen Gründen den Beruf des Anwalts ergriffen hat, obwohl der Glaube an Recht und Rechtsstaatlichkeit bei ihm zu keinem Zeitpunkt wirklich vorhanden war.
Auch Horst Mahler hat einen sehr interessanten Satz geäußert: „Ein Widerspruch bedeutete früher für mich der Nachweis dafür, dass etwas falsch war. Heute weiß ich es besser: der Widerspruch beweißt, dass etwas richtig ist“.
So sehr ich auch über diesen Satz nachdenke – seine Sinnhaftigkeit erschließt sich mir nicht. Horst Mahler hat diesen Satz beim Lesen von Hegels Gesamtwerken entdeckt und beschreibt ihn als eine wichtige Erkenntnis. Übertragen auf das Leben von Horst Mahler hieße die Deutung des Satzes: der Widerspruch, den die Gewalttaten der RAF in Bezug auf deren eigentlichen Ziele darstellte, ist nicht das Zeichen dafür, dass die Gewalt falsch war, sondern im Gegenteil das Zeichen dafür, dass sie richtig war. Und als Konsequenz dieser Erkenntnis ergibt sich die Mitgliedschaft in der NPD, deren Zielsetzung auch Gewalt beinhaltet.
Ist dies wirklich das, was die Hegelsche Dialektik aussagen wollte? Ist die Aussage, dass Entwicklung immer von Widersprüchen begleitet ist, tatsächlich auch eine Befürwortung des Widerspruchs an sich? Bedeutet es nicht vielmehr, auch beim Widerspruch nicht stehenzubleiben, sondern Neues zu schaffen?
Ich kenne Hegel nicht genug, um dies wirklich beurteilen zu können. Dennoch bin ich mir sicher, Hegel die Entwicklung der Dialektik nicht als Freibrief zur Gewalt und Menschenverachtung angesehen hat.
In der Retrospektive ist die gesellschaftliche Entwicklung immer auch – aber meines Erachtens auf keinen Fall ausschließlich – aus der Überwindung von Widersprüchen erklärbar. „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ so wie Heraklit es formulierte. Daraus den Schluss zu ziehen, Krieg wäre ein legitimes Mittel der Weiterentwicklung, ist jedoch absurd, weil gleichbedeutend mit der Negation der Gegenwart um eines in der Ferne liegenden Ziels wegen. Und man sollte sich davor hüten, eine philosophische Betrachtungsweise zur Handlungsanweisung umzufunktionieren. Und dabei vielleicht auch bedenken, dass philosophische Gedanken immer nur Teile der Realität erfassen. Der taoistische Grundsatz „Der Weg ist das Ziel“ hat keinen großen gedanklichen Überbau, aber taugt dafür sehr viel besser als ethischer Leitfaden.
Wenn ich ein Resümee aus dem Film ziehe, dann lautet dies, dass weder philosophische noch politische oder soziologische Theorien Einfluss darauf haben, ob eine Sache tatsächlich der Menschheit dienlich ist. Es sind nette und manchmal auch interessante Gedankenspiele – mehr aber auch nicht.