Verdrängte Traumen
Es gibt eine kreisförmige Wechselbeziehung zwischen Machen und Erkennen. Wenn man nicht macht was man als notwendig, wenn auch mit persönlichen Unannehmlichkeiten behaftet, erkannt hat, dann kann man irgendwann auch nicht mehr erkennen, was zu machen ist. Wer Anpassungszwängen taktisch nachgibt, wohl wissend, dass er ihnen mit vertretbarem Risiko widerstehen könnte und auch sollte, wird nach und nach die Unzumutbarkeit von Anpassungsforderungen gar nicht mehr wahrnehmen, d.h., die eigene Gefügigkeit auch nicht mehr als Fluchtreaktion durchschauen. Alles erscheint normal: die Verhältnisse, denen er sich ergibt, und der Verzicht auf Gegenwehr, den er eben gar nicht mehr erlebt.
Horst-Eberhard Richter (*1928)
Gerade habe ich mir auf ARTE die Dokumentation „Helden ohne Heimat“ über Kriegsheimkehrer nach 1945 angesehen. Da auch der von mir verehrte Horst Eberhard Richter mitwirkte, habe ich mir nochmals seinen Lebenslauf angeschaut und dabei das obige Zitat gefunden, das mir aus der Seele spricht.
In der Sendung ging es um das Leiden des Krieges, das nicht nur die Opfer traf, sondern auch diejenigen, die auf der Seite der Täter standen. Die unendlich schwierige Situation der Kriegsheimkehrer, die in eine Welt zurückkehrten, die ihnen fremd geworden ist. Und die als Täter kein Anrecht darauf hatten, über ihren Schmerz zu reden. Auch nicht über den Hunger, die Kälte und das Sterben in den Arbeitslagern. Männer, die sich verkauft, verraten und verheizt fühlten. Die aber auf der anderen Seite auch völlig verdrängt hatten, dass sie auch beteiligt waren.
Männer, die bei ihrer Rückkehr ihre Frauen völlig verändert wiederfanden. Selbständig und daran gewöhnt, ihr Leben eigenständig und ohne Hilfe zu regeln. Die manchmal auch nach den langen Jahren des Wartens einen neuen Partner hatten. Aber es gab auch sehr junge Rückkehrer, wie Horst-Eberhard Richter, der nicht verheiratet war und bei der Suche nach seiner Familie erfuhr, dass niemand den Krieg überlebt hatte. Jemand, auf den niemand wartete.
Verdrängen statt verarbeiten. Sich verschließen statt sich zu öffnen. Ein Volk will vergessen und stürzt sich dabei in Wiederaufbaueuphorie. Einer derjenigen, die über ihre Gefangenschaft und ihre Situation als Spätheimkehrer interviewt wurden, antwortet – nach einer langen Gedankenpause – auf die Frage, ob er oft über das Erlittene sprach: „Ich glaube, Sie sind so ziemlich der Erste, der mich danach fragt“. ..
Verdrängen satt verarbeiten. Daraus kann nichts Neues entstehen. Da wird sich nur das Alte wiederholen. Immer und immer wieder.
Das obige Zitat hat nur bedingt mit der Thematik der Kriegsheimkehrer zu tun (oder doch?), aber es drückt so treffend meinen Widerwillen gegen das „Anpassen aus taktischen Gründen“ aus und formuliert fast noch treffender die „Gefügigkeit als Fluchtreaktion“, dass ich es ich es nicht löschen werde. Aber vielleicht werde ich es nochmals aufgreifen und ihm einen eigenen Beitrag widmen.
behrens am 22. November 10
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Was ist eigentlich ein Gutmensch?
Dieser Ausdruck wird erst seit einigen Jahren häufig verwendet und somit muss es sich um etwas handeln, das es früher nicht gab. Oder es muss sich um etwas handeln, dass es früher zwar gab, aber das damals so normal war, dass es keines speziellen Ausdrucks bedurfte. Aber das bringt mich in meiner Fragestellung auch nicht weiter. Ich fasse hier mal ein paar der gängigen Kriterien zusammen:
Jemand, der nicht ausschließlich an sich selbst denkt, sondern auch ab und zu auch mal an andere – ist ein Gutmensch?
Jemand, der sich von Zeit zu Zeit vor Augen hält, dass es vielen Menschen schlechter als ihm selbst geht – ist ein Gutmensch?
Jemand, der Solidarität und Authentizität für etwas Unverzichtbares hält – ist ein Gutmensch?
Jemand, der nicht einfach Abfall auf die Straße wirft und keine Eier aus Legebatterien kauft – ist ein Gutmensch?
Jemand, den es anwidert, wenn sich völlig undifferenziert und beleidigend über soziale Minderheiten geäußert wird – ist ein Gutmensch?
Jemand, dem es gegen den Strich geht, dass Menschen mit sehr viel Geld sich an Menschen mit sehr wenig Geld bereichern - ist ein Gutmensch?
Es gab einen Ausdruck, der dem des Gutmenschen vielleicht in etwa entspricht: „Moralapostel“ oder auch die Umschreibung „päpstlicher als der Papst sein“. Damit hat man jemanden bezeichnet, der es mit seiner Moral ein wenig übertrieb und dabei schon fast ins Asketische abdriftete. Aber ich glaube, dass trifft nicht den Kern des Begriffs des Gutmenschen.
Wieso kam man früher ohne diesen Ausdruck aus? Gab es all die dem Gutmenschen zugeschriebenen Einstellungen und Verhaltensweisen nicht? Oder wurden die einfach als etwas ganz Normales angesehen? Dann wäre der Gutmensch ein lebender Anachronismus, einer der die Zeichen der Zeit nicht mitbekommen hat. Dessen Horizont stehengeblieben ist. Der immer noch glaubt, die Erde sei eine Scheibe.
Ich glaube, Gutmenschen gab es schon immer und überall. Der Gutmensch war etwas Stinknormales – so stinknormal, dass es für ihn noch nicht einmal einen Ausdruck gab. Aber irgendwann wurde es unmodern, ein Gutmensch zu sein. Ein neuer Typus tauchte auf, der sich breitmachte. Und von dem Augenblick an wurde es erforderlich, dem Auslaufmodell einen Namen zu geben. Und so wurde der Ausdruck des Gutmenschen geboren.
Wozu braucht man eigentlich diesen Ausdruck? Man braucht ihn, um das Unzeitgemäße hervorzuheben. Das Zurückgebliebene. Das, was schon längst überholt ist. Man braucht diesen Begriff, um etwas, das grundsätzlich positiv bewertet wurde – Sozialverhalten, Solidarität, Umweltbewusstsein, Mitmenschlichkeit – endlich mal von seinem Podest herunterzuholen und der Lächerlichkeit preiszugeben.
Der Ausdruck des Gutmenschen ist unentbehrlich seit dem Richtungswechsel. Der Wechsel weg vom Sozialverhalten hin zum Egoismus. Der Begriff des Gutmenschen war überfällig und ist zwingend erforderlich. Um Egoismus aufzuwerten und gesellschaftsfähig zu machen.
Alice Schwarzer gegen Kristina Schröder – wenn man sich nichts zu sagen hat
Ein interessanter Schlagabtausch fand vor kurzem zwischen Familienministerin Kristina Schröder und Alice Schwarzer statt. Die Familienministerin erzählt im Spiegel, dass sie nie Feministin werden wollte. Ihr ging die These von der Heterosexualität, die als Unterdrückungsinstrument der Frau dargestellt wurde, immer entschieden zu weit. Alice Schwarzer kontert damit, dass sie Frau Schröder als einen hoffnungslosen Fall ansehe.
Da ist wohl auch kaum Kommunikation möglich. Die rund ein Vierteljahrhundert jüngere Familienministerin blendet den geschichtlichen Hintergrund des Feminismus völlig aus, sowie auch die Tatsache, dass sie ohne die feministische Bewegung wahrscheinlich gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, als Frau ein hohes politisches Amt auszuüben. Und Alice Schwarzer schlägt zurück, eben genau aus diesem Grund – denn fehlendes Geschichtsbewusstsein ist für sie unentschuldbar. Ein bisschen hinhören können hätte sie aber schon.
Ich stehe altersmäßig genau zwischen beiden und so ähnlich fühle ich mich auch – zwischen den Stühlen. Ich stöhne auch immer auf, wenn ich Frauen sagen höre, dass der Feminismus doch eigentlich nie nötig gewesen wäre. Aber ich habe – ehrlich gesagt – damals auch aufgestöhnt, als der Feminismus seine Dogmen darüber erhoben hat, wie Sexualität zu sein hat. Es ging sehr rigide zu und erlaubt war nur gleichgeschlechtlicher- oder Kuschelsex.
Aber wenn ich mir jetzt die Entwicklung ansehe, dann ist es zwar eindeutig so, dass alles – und wirklich absolut alles – erlaubt ist und es keine einschränkenden Normen mehr gibt. Aber auf der anderen Seite ist dadurch eben nicht die ersehnte Befreiung eingetreten, denn es gibt nach wie vor sexuellen Missbrauch, sexuelle Gewalt und sexuelle Ausbeutung. Mit anderen Worten – für viele ist Sexualität leider doch noch mit Zwang und Unterwerfung verbunden. Dann können Alice Schwarzers Thesen also doch nicht so falsch gewesen sein.
Was man darauf lernen kann? Weiß ich auch nicht so recht. Ich weiß nur, dass man vielleicht wieder anfangen sollte, Dinge zu hinterfragen und nachdenklicher umzugehen mit dem, was um uns herum geschieht. Feminismus mag anstrengend gewesen sein, aber er hat etwas bewegt und Strukturen wurden verändert oder weiterentwickelt. Davon kann in unserer jetzigen Zeit ganz bestimmt nicht die Rede sein.
Und ich habe mich gerade entschieden, demnächst mal etwas mehr zu diesem Thema zu schreiben.