Der ewige Ödipus – Bushido
Eigentlich ist er es nicht wert, ihm größere Aufmerksamkeit zu widmen. Aber als gesellschaftliches Phänomen wiederum lohnt sich das nähere Hingucken. Vor allem 78er wie mich verwundert es, dass jemand mit Texten Erfolg hat, die 30 Jahre zuvor unweigerlich das Werfen von faulen Eiern und Tomaten provoziert hätten. Weil die Texte so revolutionär sind? Eben gerade nicht, sondern weil die Texte eine Moral widerspiegeln, die an Verklemmtheit und Borniertheit nicht mehr zu überbieten ist.
Bushido läd uns ein auf eine Zeitreise und nimmt uns mit in eine Zeit, in der Frauen noch „anständig“ zu sein hatten und Homosexualität mit krimineller Veranlagung gleichgesetzt wurde. Und in der der Mann noch ein ganzer Kerl war und verächtlich auf weibische Gefühlsduselei herabsah. Ein Mann der einfachen Worte eben.
Darauf angesprochen, warum er in seinen Liedern Frauen als Schlampen und Nutten bezeichnet, hat Bushido eine denkwürdige Antwortt: „Es seien ja nicht alle Frauen Schlampen, aber einige eben doch. Wie soll man denn eine Frau bezeichnen, die völlig nackt backstage auftaucht?“ Nun ja, das Phänomen der Groupies gab es spätestens seit den Zeiten des Rock 'n Roll. Und es gab auch immer wieder mal Lieder in denen dies besungen wurde, wie z.B. in „Star fucker“ von den Rolling Stones. Aber während die Rockstars von früher dies einfach nur genossen und allenfalls stolz damit prahlten, löst das Phänomen Groupie bei Bushido höchste moralische Entrüstung aus. Eine Frau, die einfach sexuell aktiv wird und sagt, dass sie mit einem Mann schlafen will? Nicht mit Bushido! Oder vielleicht doch, aber dann nur, wenn hinterher kräftig die moralische Entrüstung vertont wird. Das ist man schließlich der Moral schuldig, oder?
Auf die Reaktion seiner Mutter auf seine Musik angesprochen, sagt Bushido, dass die keine Probleme mit seinen Texten hat. Überhaupt war die Mama immer mit allem einverstanden, was Bushido gemacht hat. Als er vorzeitig vom Gymnasium abging und sich Geld mit dem Handel von Drogen verdienen wollte, hat Mama ihm sogar Geld dafür geliehen. Seine Mutter wäre nun mal niemand, die ihrem Sohn vorschreibt, dass er sich an Gesetze und gesellschaftliche Regeln halten müsse. Das wäre in seiner Familie nun mal nicht so üblich.
Ja, die Mama. Lebenslang Sohnemanns Nummer eins. Was kümmert es Mama, wenn Sohnemann andere Frauen als Schlampen und Nutten bezeichnet, solange er Mama in Ehren hält? Im Gegenteil, dies hebt doch den eigenen Wert erst so richtig. Und was kümmert es Mama, wenn Sohnemann an der Drogensucht anderer Geld verdient? Was gehen Mama die anderen an, sie ist schließlich in erster Linie Mutter und nur Sohnemanns Wohl hat für sie wichtig zu sein und sonst gar nichts.
Bei einer Talkshow mit Bushido wurde kurz ein Foto seiner Mutter eingeblendet. Eine durch und durch bieder wirkende adrette ältere Dame, die freundlich in die Kamera lächelt und aussieht wie die Vorsitzende eines Hausfrauenverbandes. Eine Frau, die stolz auf den Erfolg ihres Sohnes ist und gar nicht versteht, warum es Menschen gibt, die ihrem Jungen seine Texte übel nehmen.
Bushidos Welt ist einfach und übersichtlich. Auf der einen Seite die Schlampen und Nutten und auf der anderen Seite: Mama! Solange Mama die Größte ist, ist die Welt noch in Ordnung. Ein gegenseitiges Agreement, von dem beide profitieren. Und das die Welt so schön überschaubar und einfach macht. Der ewige Sohn erhält den mütterlichen Segen auf Lebenszeit und Mama erhält dafür im Gegenzug den Platz der ewigen Nummer eins. Ödipus auf Lebenszeit. Schade nur, dass dies vertont werden muss.
The roaring seventies
Da mir ein früherer Kollege mal gesagt hat, ich wäre in den 70er Jahren stehen geblieben, habe ich den Wunsch, mir die 70er Jahre einmal ein bisschen genauer anzusehen, denn das müsste – vorausgesetzt mein Kollege hat Recht – ja die mir entsprechende Charakteristik darstellen. Tja, was macht einen echten 70er aus? Die Liste ist zu lang, um alles zu nennen. Spontan fällt mir ein: Anti-AKW- und Friedensdemos, Frauenkneipen, Bioläden, Diskussionen in WG-Küchen, Indienreisen, Bhagwan, RAF, Psychedelic-Musik, die Gründung der Grünen, Selbsterfahrungsgruppen, Schwul/Lesbisches Coming out, Zeitschriften wie „Emma“ und „TAZ“, Festivals in Roskilde oder Scheeßel.
Sollte ich alles in ein einziges Wort packen, würde ich den Begriff „Bewegung“ wählen. Es hat sich alles bewegt. Frauenbewegung, Friedensbewegung, Umweltschutzbewegung. Man hatte nicht das Gefühl der Resignation, sondern das des Aufbruchs. Mit der Gründung der Grünen, bzw. deren Vorläufer „Die Bunten“ kamen zum ersten Mal Menschen in die Politik, die auch irgendetwas mit einem selbst zu tun hatten. Gleiche Sprache, gleiche Lebenszusammenhänge und Ziele, die völlig von der etablierten Politik abwichen.
Da die Jugend der 70er von Eltern abstammte, die alle noch den Krieg miterlebt hatten, gab es ein Riesengefälle zwischen den Generationen. Die Eltern kannten noch Hunger, Kälte und Todesangst. Die Jugend der 70er wuchs im satten Wohlstand auf. Und da sich die Generationen nun mal oftmals zueinander antagonistisch verhalten, verachteten die 70er den Materialismus der Eltern. Niemand interessierte sich für Möbel (damals gab es noch Sperrmülltermine, durch die man sich komplett mit allem Notwendigen versorgen konnte) niemand gab Geld für schicke Kleidung aus, die man sich lieber vom Flohmarkt oder aus Großmutters Schrank besorgte, als hierfür viel Geld zu verschwenden.
Es wurde ewig lange über alles und jedes diskutiert. Die kaufmännische lösungsorientierte Kommunikation hatte noch keine Hochkonjunktur, stattdessen war das endlos lange Abwägen aller Fürs und Wider angesagt, die allerdings meistens zu keinem nennenswertem Ergebnis führten (was allerdings bei der lösungsorientierten Kommunikation auch nicht der Fall ist).
Selbsterfahrungsgruppen oder themenspezifische Workshops standen hoch im Kurs, denn keiner war so richtig mit sich zufrieden und es war selbstverständlich, dass man sich auf die Suche machte nach Wegen, die zu einer Veränderung führen. Urschreitherapie nach Janov, Gestalttherapie nach Pearls, Bioenergetik nach Alexander Lowen, Menstruations- und Trommelworkshops auf dem Land. Hauptsache, man fand sich nicht einfach ab mit dem, was die Eltern aus einem gemacht hatten.
Die 70er geben wie kein anderes Jahrzehnt Stoff für Satire und Slapstick. Es gab kaum etwas, das nicht auch eine Seite hatte, die zum Brüllen komisch war. Eine Generation, die unbedingt alles anders machen wollte als die Eltern. Und die sich dabei in einer endlosen Identitätssuche verhedderte. Bloß nicht so werden wie die Wirtschaftswundereltern es geplant hatten.
Aber auch wenn heute vieles zum Brüllen komisch ist und manchmal wie eine einzige Parodie wirkt – es steckte unendlich viel Leben und Bewegung in den 70ern. Und gerade weil die 70er eine Generation hervorgebracht hat, die anscheinend niemals wirklich erwachsen wird, hat sie den ihr eigenen Charme. Und ich bin froh, dass ich in einer Zeit aufwuchs, in der es unendlich viel Neues gab und in der ungeheuer viel ausprobiert wurde. In der Lernen als lebenslange Aufgabe angesehen wurde und man ständig Ausschau nach etwas Neuem gehalten hat. Es lebte sich außerdem nicht schlecht ohne Yuppies, ohne Bushidos, ohne Bausparverträge, ohne Alphamännchen (die hätte man damals zum Mond geschossen), ohne Einbauküche, ohne Bitbulls, ohne Schill, ohne Eventmanager (Events entstanden in Eigenregie) ohne Intimrasur.
Und was ist ganz persönlich in mir von den 70ern geblieben? Ich bin mir darin treu geblieben, dass ich mich immer noch schwer tue, Geld für materielle Dinge wie Möbel auszugeben und stattdessen lieber in ferne Länder reise. Die östliche Lebensart fasziniert mich auch jetzt noch mehr als die amerikanische. Ich halte es immer noch für wichtig, sich auseinanderzusetzen anstatt mit der zeitsparenden lösungsorientierten Kommunikation einfach Gegenargumente plattzuwalzen.
Und ich habe auch heute noch eine unbändige Abneigung gegen Ungerechtigkeiten und gegen das Ducken und Kuschen, auch wenn letzteres eindeutig mehr Vorteile bringt. Und Alice Schwartzer halte ich nach wie vor für wichtiger als Vernoa Feldbusch, auch wenn sie weniger Unterhaltungswert hat und anstrengender ist.
Und ich habe ebenfalls auch heute noch eine Abneigung, Menschen als Privateigentum zu betrachten. Ich möchte weder über jemanden verfügen, noch möchte ich, dass über mich verfügt wird. Die 70er sind nun mal keine Käfigtiere.
behrens am 04. Juni 10
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Kategorie blanker Unsinn
Zu vergessen und zu lächeln ist weit besser, als sich zu erinnern und traurig zu sein.
Christina Rossetti (1830-1894)
Kompletter Unsinn, denn das Vergessen ist genau das, was Menschen daran hindert, zu reifen und sich weiter zu entwickeln. Die Unfähigkeit zu trauern. Man muss sich seiner traurigen Erlebnisse erinnern um daran zu wachsen. Erst wann man diese Trauer gespürt und durchlebt hat, kann man wirklich lächeln. Ein wahres Lächeln, das auf Lebendigkeit und nicht auf Vergessen beruht. Und bezogen auf die Gesellschaft ist das allzu schnelle Vergessen geradezu verheerend, denn dann werden lächelnd genau die gleichen Fehler erneut begangen.
Der Ausspruch erinnert darüber hinaus an Demente, die nur noch vor sich hinlächeln, egal was um sie herum geschieht. Oder ist das vielleicht doch erstrebenswert…..
Kategorie Lichtblicke – Tage, an denen alles stimmt
Bei sonnigem Wetter in den wunderschönen Hamburger Alsterarkaden in einem ebenfalls schönen und gemütlichen kleinem syrischen Café habe ich gestern einen herrlichen Nachmittag verbracht. Ich habe mich mit einer Betreuerin aus Westfalen getroffen, die ich bisher nur per Mailkontakt kannte. Das erste Mal seit langer, langer Zeit einfach mal über unsere Arbeit sprechen, ohne dass es dabei um Gewinnmaximierung und werbewirksame Außendarstellung geht. Einfach mal den kaufmännischen Aspekt ausblenden und sich wirklich nur mit inhaltlichen Problemen auseinander setzten.
Ich hatte schon fast vergessen, wie schön Hamburg sein kann. Schwäne auf den Alsterfleeten, die quirlige Spitalerstraße, in der es immer irgendwelche kuriosen Selbstdarsteller gibt – diesmal ein lautstark über Gott Lamentierender, der zu Bekräftigung seiner Worte ein riesiges Holzkreuz schwingt. Dann beim Traditionsbetrieb Daniel Wischer eines der köstlichen Fischbrötchen kaufen und wie früher in der Mönckebergstraße auf eine Demo stoßen. Es ging – glaube ich – um die Situation der Opposition im Iran. Es gibt also doch noch Menschen, die für ihre Überzeugung auf die Straße gehen. Oder auf den Punkt gebracht: es gibt doch noch Menschen, die überhaupt eine Überzeugung haben.
Vielleicht muss man einfach nur die Augen öffnen um all diese Dinge zu sehen. Oder vielleicht muss man einfach nur mal auf jemanden stoßen, der die gleiche Wellenlänge hat. Einfach mal wieder zu spüren, dass die eigenen Bedenken nicht völlig unbegründet sind, sondern von anderen geteilt werden. Einfach mal weg vom
Homo oeconomicus zurück zum Homo sapiens.
Solche Tage gibt es viel zu selten.
behrens am 16. Mai 10
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