Samstag, 29. August 2009
Besuch bei Nikolaus von Kues
Habe in meinem Kurzurlaub die Möglichkeit gehabt, mir in Kues das Geburtshaus von Nikolaus von Kues anzusehen. Es befand sich zwar nichts mehr im Hause, was tatsächlich aus seiner Zeit stammt, aber trotzdem genieße ich es, mich an die Plätze zu begeben, an denen Menschen lebten, deren Denken ich verehre. Ich habe nur wenig von Nikolaus von Kues gelesen, aber ich war sofort von seiner Formulierung „Gott ist die Unendlichkeit“ beeindruckt. Nikolaus von Kues stellt mit seiner Theologie den Übergang von der mittelalterlichen Scholastik zum Humanismus, zur Neuzeit dar. Er hat sich völlig vom anthropomorphen Gottesbild gelöst und sieht die „unendlich gedachte Welt als Entfaltung Gottes, daher selbst göttlich, wie auch der Mensch, der eine Welt im Kleinen, einen Mikrokosmos, darstellt“.

Das kleine Büchlein, das ich mir gekauft habe „De visione Dei – das Sehen Gottes“ habe ich gerade erst begonnen. Aber es wird schon zu Beginn ein beeindruckendes Beispiel für das Sehen genannt. Am Beispiel einer Ikone beschreibt er, wie die Art der Darstellung dem Betrachter den Eindruck gibt, daß speziell er von dem Bild angesehen wird, und zwar egal in welcher Himmelsrichtung er positioniert ist. Er formuliert ein „Sehen als solches“ (abstractum visum), das er geistig (mente) „von allen Augen losgelöst“ hat. Also ein universelles Sehen. Und damit begibt sich Nikolaus von Kues für mich erstaunlich in die Nähe des Buddhismus. Letzterer lehnt zwar alles Sehen letztendlich als trügerisch ab, aber dennoch ist der buddhistische Begriff der Erleuchtung dem „universellen Sehen“ bemerkenswert ähnlich. Und die Bezeichnung des Menschen als Mikrokosmos ist der Philosophie des Taoismus nicht unähnlich.

Und genau das ist es, was mich so fasziniert: das Entdecken von Gemeinsamkeiten in verschiedenen Religionen. Denn eben diese Gemeinsamkeiten geben Aufschluß über das menschliche Sein. Das, was jeder Kultur und jeder Epoche ähnlich ist, kann uns vielleicht einen Weg aufzeigen zu den hinter den Dingen liegenden Wahrheiten.

Übrigens hält Nikolaus von Kues den Menschen nicht für fähig, die Unendlichkeit zu verstehen. Somit kann er im Grunde auch Gott nicht - zumindest nicht auf intellektuelle Weise - verstehen. Das unterscheidet sich endlich einmal angenehm von dem vorherrschenden Allmachtsgebahren der dogmatischen Gläubigen (wie auch der Atheisten).

So, und jetzt lese ich mein kleines Büchlein weiter.



Freitag, 28. August 2009
Warum ich Günter Grass nicht mag – und was haben Berufsbetreuer und Günter Grass gemeinsam?
Im Alter von 12 habe ich das erste Mal Grass gelesen: „Örtlich betäubt“. War zwar quälerisch langweilig, aber der Sinn des Romans wurde von mir dennoch verstanden. Mit 14 dann im Deutschunterricht „Katz und Maus“, da habe ich gar nichts verstanden, was mir dann mein Restinteresse genommen hat. Vor einigen Jahren auf der Hochzeit meiner Nichte (liest genauso gern wie ich), zu der auch deren Deutschlehrer eingeladen war, packte ich dann die Gelegenheit am Schopf und fragte ihn, was denn bloß mit dieser Symbolik der „Maus“ gemeint war, die sich nervtötend durch das ganze Buch zog. Der Deutschlehrer betonte gleich, wie wichtig das Buch für ihn in der Pubertät gewesen sei, denn mit der „Maus“ (also dem Kehlkopf) sei die erwachende männliche Sexualität symbolhaft dargestellt worden. Nun, endlich war meine Wissenslücke beseitigt – meine Abneigung gegen Grass allerdings nicht.

Irgendwie habe ich schon (oder vielleicht auch gerade?) im Alter von 14 Jahren gespürt, daß Grass etwas Verlogenes hat. Beim „Häuten der Zwiebel“ wurde es dann öffentlich: Grass war als Jungerwachsener in der Waffen SS gewesen. Ganz deutlich: dies ist nicht das, was ich Grass vorwerfe! Ich empfinde es aber als ekelhaft, diesen Umstand bis pünktlich zum 80. Geburtstag zu verschweigen und die ganze Zeit moralisch entrüstet auf diejenigen zu zeigen, die mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht haben. Anscheinend legt der (doch eigentlich atheistische?) Grass Wert darauf, den Skandal noch aktiv selbst zu beruhigen und nicht posthum seine Totenruhe durch Zerstörung seines Lebenswerks beschmuddeln zu lassen.

Von einem guten Schriftsteller erwarte ich kein moralisch einwandfreies Verhalten, dies wäre anmaßend (und utopisch). Aber Authentizität ist für ernstzunehmende Literatur unverzichtbar. Die moralischen Widrigkeiten gehören in die Öffentlichkeit und nicht in den Bereich des Vertuschten. Genau das hätte die Öffentlichkeit der Nachkriegsära dringend gebraucht: die Frage nach dem Warum und Wieso. Die Frage nach dem, was in Menschen geschieht, wenn der Einzelne einem übermächtigen System ausgesetzt ist. Dies hätte der Aufarbeitung der deutschen Geschichte mehr genützt als das ständige Outen von anderen Kolaborateuren. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Stelle aus Erica Jongs autobiographischen „Angst vorm Fliegen“ ein. Sie lernt als jüdische Amerikanerin im Nachkriegsdeutschland einen ehemaligen Nazi kennen, der ganz deutlich sagt, daß ihm das ganze „wir haben von nichts gewußt“ gegen den Strich geht. Und er resümiert: die Deutschen hätten einfach nur ganz ehrlich sagen sollen „wir haben Hitler geliebt“. Das, was mir die Stelle so in Erinnerung bleiben läßt, ist die Reaktion der jüdischen Erica Jong, die sich mit ihm anfreundet, weil sie als Schriftstellerin Ehrlichkeit der Verlogenheit vorzieht. Und das hat Grass nie getan – was eine 14jährige anscheinend eher bemerkt als Literaturkritiker.

Was hat denn das alles um Himmelswillen schon wieder mit Berufsbetreuern zu tun?
Das Verbindende zwischen Grass und meinen Berufskollegen ist die Abneigung gegen das offene Aussprechen von Widrigkeiten und die Strategie des Vertuschens. Das beharrliche Festhalten daran, daß unser Bild in der Öffentlichkeit aalglatt und harmonisch sein muß. Das Tabuisieren von Defiziten und deren Übertuschen durch peinliche Außendarstellungen. Und das gedankenlose Vertun der besseren Möglichkeit: das Verbessern von Bedingungen und das Verändern von Mißständen. Genauso wie gute Schriftsteller die Aufgabe der Veränderung haben, haben dies auch gute Berufsbetreuer. Wird diese Aufgabe zugunsten eines guten Images vernachlässigt, dann wirkt der moralische Zeigefinger des Literaten genauso wie die PR-Aktionen der Berufsbetreuer unglaubwürdig.

Hätte man mich als 14jährige mit Berufsbetreuern bekannt gemacht, wäre ich vielleicht mit sicherem Gespür für die falsche Fassade genauso auf Abstand gegangen wie eben bei Günter Grass. Wie war das noch mal bei Salinger? Erwachsenwerden ist Verrat am Selbst....



Donnerstag, 27. August 2009
Und täglich wird gewalzt..
Manche Menschen bewegen sich durchs Leben wie dicke Walzen. Ohne Rücksicht auf Verluste wird alles plattgewalzt. Mit einer selbstgfälligen Neigung zum Herumkommandieren anderer. Mit schmerzhaft dumpfen Plattitüden. Mit einer feisten Überzeugung, grundsätzlich im Recht zu sein. Mit haarsträubender Respektlosigkeit gegenüber anderen. Mit einer dumpfen Gier, andere zu beherrschen. Und mit einem schon ans Psychophatische grenzendem Desinteresse an den Gefühlen anderer.

Manche walzen gezielt aus Geldgier. Andere wiederum aus Herrschsucht. Wieder andere einfach aus reiner Bequemlichkeit. Niemand ist vor ihnen sicher. Partner, Eltern, Kinder, Kollegen - jeder kann Opfer werden.

Was übrig bleibt sind Karrikaturen. Plattgewalzte, papierdünne Strichmännchen, die keinen Piep mehr sagen. Das Rückgrat überlebt diese Prozedur nicht. Und das Furchtbare an den Walzen ist, daß sie nicht nur ihr unmittelbares Umfeld plattwalzen; sie lösen oft Kettenreaktionen aus, denn die Menschen, die sie zerstören, geben einen Teil dieser Zerstörung weiter. Ertränken ihr Leid im Alkohol, suchen Asyl bei anderen, weinen anderen Menschen auf den Anrufbeantworter, drücken andere in die Rolle des des ewig verständigen Therapeuten, gehen manchmal sogar zur Polizei.

Hoffnung gibt es kaum. Man kann im Grunde nur noch weglaufen und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Walzen reagieren zudem höchst empfindlich auf Kritik, denn ihnen eigen ist ja die völlige Unfähigkeit zur Selbstkritik. Und so walzen sie dann noch mehr und erlassen Ordern und Kritikverbote.

Nur eins bringt die Walzen in Gefahr: eine andere Walze. So ähnlich wie das Aufeinandertreffen von zwei Alphamännchen. Das geht naturgemäß für einen schlecht aus. Aber allen anderen kann man nur eins raten:

RETTE SICH WER KANN!