Und nochmals Montaigne
Der Tod ist das Rezept gegen alle Leiden, ein ganz sicherer Hafen, den man nicht fürchten, sondern aufsuchen soll. Es kommt auf dasselbe heraus, ob der Mensch sich selbst sein Ende gibt oder ob er es erleidet .. Der freiwillige Tod ist der schönste. Das Leben hängt vom Leben anderer ab, der Tod nur von unserem Willen ... Leben heißt dienen, Sterben frei sein. Die allgemeine Entwicklung von Heilungen geht immer auf Kosten des Lebens: man zerschneidet uns, man zerstückelt uns, man schneidet uns Glieder ab, man nimmt uns die Nahrung des Blutes: ein Schritt weiter, und wir sind gänzlich geheilt.
Jetzt fragt man sich unweigerlich, warum Montaigne sich denn nicht umgebracht hat. Aber das ist er wohl - der unweigerliche Unterschied von Theorie und Praxis. Der Unterschied von hoher Philosophie und banalem Alltag. So wie Sokrates Gerechtigkeit predigte und sich nicht die Bohne darum kümmerte, wie seine Frau Xanthippe die gemeinsamen Kinder durchbringt. La grande philosophie et la vie quotidienne - um es schicker auszudrücken. Vielleicht ist es das, was die menschliche Existenz ausmacht: ein Auseinanderklaffen an allen Ecken und Kanten. Und wenn sogar die großen Philosophen davon nicht verschont werden, sollte ich meine Kollegen vielleicht auch nicht so hart beurteilen. Obwohl - Sokrates hat ja wirklich Veränderungen bewirkt....
Wie dem auch sei - ich könnte jedes Wort Montaignes unterstreichen. Und dennoch würde ich nicht seelenruhig zusehen, wie sich jemand umbringt. Und da, wie ich ja eben ausgeführt habe, auch der große Montaigne letztendlich einen ganz normalen Tod auf dem Sterbebett gestorben ist, muß ich mir auch keine überflüssigen Gedanken über rechtsphilosophischen Unsinn machen. Der Mensch ist viel zu kompliziert um ihn in Paragraphen zu zwängen. Lassen wir diesen Unsinn also.
http://betreuer.blogger.de/stories/1429571
behrens am 20. Juni 09
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Akutes Leben – chronischer Tod
Wie ist es möglich, sich des Gedankens an den Tod zu entledigen und nicht zu denken, daß er uns jeden Augenblick am Kragen packen kann?...Nehmen wir dem Tod seine Fremdheit, praktizieren wir ihn, gewöhnen wir uns an ihn; nichts sollen wir so oft im Kopf haben wie den Tod in jedem Augenblick unserer Vorstellung und in allen Antlitzen...Es ist ungewiß, wo der Tod uns erwartet; erwarten wir ihn auf jeden Fall. Die überlegte Vorstellung (préméditation) des Todes ist die überlegte Vorstellung der Freiheit: wer gelernt hat zu sterben, hat verlernt, untertänig zu sein: es gibt kein Übel mehr für denjenigen, der gut begriffen hat, daß der Verlust des Lebens kein Übel ist: das Wissen, daß wir sterben, befreit uns von jeder Unterwerfung und jedem Zwang.
Diese Zeilen von Montaigne werden von Peter Noll in seinen „Diktaten über Sterben und Tod“ zitiert. Und gerade jetzt, wo ich dieses Buch lese, höre ich vom Mord an den beiden jungen deutschen Frauen im Jemen. In eine Dokumentation äußern sich Bekannte und Freunde über sie. Beide waren Studentinnen einer Bibelschule mit starkem Missionscharakter standen felsenfest in ihrem Glauben und aus diesem Glauben heraus haben beide ehrenamtlich in einem Krankenhaus im Jemen gearbeitet.
Die Frauen – 24 und 26 Jahre alt – wußten ohne Zweifel genau, auf welche Gefahr sie sich im Jemen einlassen. Die erste Reaktion ist die, daß man innerlich aufschreit, warum zwei engagierte Menschen so jung sterben mußten. Wenn ich aber an die Entscheidung von Peter Noll denke, eine lebensrettende Operation nicht durchführen zu lassen, weil er sich dann in die Abhängigkeit der Ärzte begeben und hierdurch zum Dauerpatient werden würde, dann sehe ich die Entscheidung der beiden jungen Frauen in einem anderen Licht. Es gibt Menschen, die ihr Leben nur ganz oder gar nicht leben können. Die keine Kompromisse wollen. Diese Sichtweise weicht ab von der gewohnten quantitativen Auffassung des Lebens. Ein erfülltes Leben kann nur ein langes Leben sein. Ist aber nicht gerade ein langes Leben manchmal eben nur ein halbes Leben? Sämtliche Entscheidungen an die Maxime des größtmöglichen Überlebens zu knüpfen? Wäre es eigentlich wirklich vermessen, wenn man in der Trauerrede für die beiden Frauen nicht auch von einem „erfüllten Leben“ sprechen würde, so wie man es üblicherweise nur bei alten Menschen tut?
Die meisten Menschen leben chronisch. Und manche eben akut.
behrens am 18. Juni 09
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Denken tut gut
15.06.09 Fettmasse der Macht
Zitate, die mich mit der Welt versöhnen:
Daß ich ein nachdenklicher und skeptischer Jurist geworden bin, hängt wieder damit zusammen, daß ich die Menschen hasse, die sich nach der Macht drängen. Obwohl Macht unvermeidlich ist. Noch verhaßter sind mir die Menschen, die die Macht in der Verkleidung des Rechts ausüben. Das Recht muß, will es sich bewahren, der Stachel in der Fleischmasse und Fettmasse der Macht sein. Die unkritischen Juristen sind etwas vom Schlimmsten, was uns das gegenwärtige System beschert hat, das gesellschaftliche, das schulische, dasjenige an der Universität.
"Fettmasse der Macht" ist eine Wortschöfpung, die man ins Grundgesetz aufnehmen sollte. Es ist erstaunlich, daß ein so streitbarer und kritischer Mensch ein erzkonservatives Fach studiert hat. Allerdings haben andererseits viele große Köpfe - Goethe, Storm, Kafka - Jura studiert. Auf jeden Fall ist Peter Noll ein enorm streitbarer Geist, der über Jahrzente hinweg Umengen Rechtsschriften veröffentlicht hat. Es ist erstaunlich - und andererseits auch wieder nicht - daß ihm auch im Angesicht des Todes sein berufliches Schaffen wichtig ist. Dies ist wohl ein entscheidender Unterschied zwischen großen Köpfen und Kleingeistern: der Kleingeist hat einen Beruf um Geld zu verdienen. Große Geister haben einen Beruf, weil sie in der Gesellschaft wirken wollen. Und weil ihr Wirken nach außen stimmig mit ihrer inneren Überzeugung ist.
Während ich das Buch lese, fällt mir immer wieder auf, daß er die meisten Leute namentlich nennt. Peter Noll war übrigens mit Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch befreundet (darauf bin ich neidisch). Auch die erwähnt er namentlich - selbst in sehr persönlichen Angelegenheiten. Mir würde es früher wahrscheinlich gar nicht aufgefallen sein, weil das Beschreiben und Zitieren anderer für mich das Normalste auf der Welt ist. Seitdem ich allerdings in dem mehr als merkwürdigen Beruf einer Betreuerin arbeite, werde ich permanent mit heftigsten Vorwürfen konfrontiert, wenn ich jemanden direkt anspreche oder namentlich zitiere. Das ist allerdings die logische Konsequenz von Nichtauthentizität: jemand lebt nach außen Werte, die unecht und aufgesetzt sind. Jemand möchte demokratisch wirken, hat aber Attitüden wie ein Alphamännchen. Jemand hat Kritik an anderen, möchte aber nach außen hin den netten, immer verständigen Jungen darstellen. Mir wird beim lesen des Buchs einmal mehr deutlich, daß dies wohl das größte Hindernis in der geistigen Entwicklung ist: das permanente Darstellen von etwas, was letztendlich erstunken und erlogen ist. Dabei kommen dann Castingsshows oder Superstarsuchen heraus. Mehr aber auch nicht. Auf keinen Fall ein gutes Buch.
14.06.09 Die Wahl eines kurzen Lebens
Lese gerade mit Feuereifer das Buch von Peter Noll "Diktate über Sterben und Tod". Peter Noll, ein Schweizer Jurist, verstarb 1982 nach etwa 9monatiger Krebserkrankung. Nach Erhalt der Diagnose schrieb er Tagebuch und man kann an seinen Gedanken und Gefühlen teilnehmen.
Anstatt sich einer Operation zu unterziehen, die immerhin eine 30prozentige Chance der Gesundung gehabt hätte, wählte er den Weg der Nichtbehandlung. Etwas, das ich kaum nachvollziehen kann, da ja so oder so mit Schmerzen und Krankenhausaufenthalten gerechnet werden muß. Aber Peter Noll widerstrebte seiner Aussage nach die Vorstellung "einen auf dem Bauch befindlichen Beutel" als Ersatz der Blase zu tragen und damit für die Dauer seines Lebens ein von ärztlicher Behandlung abhängiger Patient zu sein.
Auf jeden Fall geht es in seinen Gedanken nicht nur um Privates - und das sauge ich auf wie ein Schwamm - sondern er setzt sich intensiv auch mit dem Thema Recht, Macht und Gerechtigkeit auseinander. Ein unbequemer Querdenker, der sich neben diesen weltlichen Themen (das wird jetzt die Atheisten abschrecken) auch mit dem Glauben beschäftigt. Auf eine Art, die mir deswegen so gut gefällt, weil sie viel mit Zweifeln und in-Frage-stellen zu tun hat. Er weist z.B. auf das Buch des Physikers von Hoimar von Ditfurth hin, der das Thema der Existenz ganz aus dem Blickwinkel der Physik angeht. Das ist ein Phänomen, das ich gern mal diskutieren würde; die wenigsten Physiker sind Atheisten (eigentlich kenne ich nicht einen einzigen) und die wenigsten Soziologen sind gläubig. Das ist in meinen Augen eine merkwürdige Ähnlichkeit des Papstes mit Marx: beide halten die Erde für das Zentrum des Universums und scheren sich recht wenig um die Frage, was abgesehen von diesem winzigen Schmutzpartikel Erde wohl sonst noch eine Rolle spielen mag.
Egal, ich stelle immer wieder fest wie gut das Denken tut. Am besten wäre es im Austausch mit anderen (aber Menschen, die nicht nur *lol*, *grins* und derartiges schreiben).
Der Umkehrschluß, daß Denken gut tut, ist, daß Nichtdenken schlecht tut. Genauso holprig, aber treffender drückt es der Volksmund aus mit "Dummheit kann weh tun". Das ist genau die Erfahrung, die ich vor einiger Zeit gemacht habe: Dummheit kann entsetzlich weh tun. Viele nennen dies arrogant, aber ein physischer Schmerz kann nicht arrogant sein. Dies Attribut kann nur eine Haltung bzw. ein Verhalten kennzeichnen. Ich genieße Menschen, die nachdenken und mir wird übel, wenn ich mir den Mist anhören muß (und manchmal ist dies unvermeidlich), den Menschen von sich geben, die nicht denken. Das ist in etwa so, wie jemanden zuhören müssen, der völlig falsch und schrill singt. Oder wie etwas völlig Versalzenes zu essen. Da vesteht jeder den Abscheu. Bei Abscheu vor Dummheit wird es für manche schwierig.
Dummheit ist aber schlimmer als eine schrille Stimme oder ein versalzenes Frikassee. Viel empfindlicher als das Ohr oder die Zunge ist das Gehirn. Von besonders dummen Zeug kann ich eine regelrechte Gehirnerschütterung bekommen. Aber um jetzt positiv zu enden: so eine authentisches Buch wie dies, in dem die höchst private Erfahrung nicht von der gesellschaftichen getrennt wird, in dem Berührungspunkte aller möglichen Aspekte zusammengeführt werden, ist das reinste Balsam fürs Gehirn. Ich gehe jetzt zu Bett und lese weiter....
behrens am 15. Juni 09
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