Donnerstag, 20. Juni 2024
Der muslimische Höcke
Im Mai nahm ich einer Gegendemonstration zur Kundgebung von „Muslim Interaktiv“ in Hamburg teil. Wobei die Bezeichnung Gegendemonstration ein bisschen zu hochgegriffen ist für eine Gruppe von weniger als 50 Menschen. Der Veranstalter Joe Adade Boateng hatte an die zweitausend Muslime um sich versammelt. Obwohl die Kundgebung erlaubt wurde, trugen die Teilnehmer demonstrativ weiße Schilder, auf denen „Verboten“ oder „Zensiert“ stand.

Der Focus der Rede Boatengs lag darin, dass Muslime in Deutschland ihren Glauben nicht frei leben könnten. Dabei wetterte er auch gegen die Assimilierung, die seiner Ansicht nach den „wahren Glauben“ zerstören würde. Höchst interessant dabei war, dass Boateng trotz des unverkennbaren Antisemitismus von Muslim Interaktiv als Beispiel für die seiner Ansicht nach verheerenden Folgen der Assimilation ausgerechnet die Geschichte der deutschen Juden nannte. Diese hätten ihren Glauben und ihre Religion durch die Anpassung an ihr Leben in Deutschland vollständig verloren.

Ebenfalls sehr interessant war, dass Boateng den Wunsch formulierte, in „Deutschland müsse es endlich möglich sein, dass Christen, Juden und Muslime wieder ein Leben gemäß ihrem Glauben und ihrer Religion leben dürfen“. Was mir dabei zuerst auffiel, war das Fehlen der anderen Relgionsangehörigen wie Buddhisten, Hinduisten, Sikhs etc. Aber wer sich mit dem Islam beschäftigt (was leider nur wenige tun), weiß, dass diese Religionen vom Islam zutiefst als „Götzenanbetung“ verachtet werden – also kein Wunder, dass in Boatengs Weltbild folglich die Freiheit des Glaubens für diese Gläubigen nicht besteht – genauso wenig übrigens wie für die vielen Atheisten oder Nichtgläubigen. Und an diesem Punkt kann man die Ähnlichkeit zu Björn Höckes Weltbild nicht mehr übersehen: Was für Höcke das „wahre“ Deutschland ist, ist für Boateng die „wahre“ Religion. Beides gleich verheerend, allerdings mit dem Unterschied, dass die gesamte Linke und viele Demokraten sich eindeutig gegen Höcke positionieren, während die Demonstration gegen Boateng weniger als 50 Menschen betrug, wobei die Linke durch vollständige Abwesenheit glänzte.

Da Boateng ausdrücklich auch die Christen erwähnte und ich Christin bin, stellt sich mir natürlich die Frage, ob ich hier in Deutschland tatsächlich meinen Glauben nicht frei leben kann. Sicher, es gibt hier viel Kritik am Christentum und nicht Wenige würden die Kirche gern ganz abschaffen. Außerdem passiert es immer wieder, dass man spöttischen Bemerkungen oder Vorwürfen ausgesetzt ist. Hinzu kommt (das ist meine persönliche Sichtweise), dass der herrschende Neoliberalismus, in dem es vorrangig um Wachstum und Profit geht, mit christlichen Werten kaum noch vereinbar ist. Aber ist das wirklich gleichbedeutend damit, seinen Glauben nicht leben zu dürfen? Boateng ist dieser Meinung – ich nicht.

Am Sonntag nach der Kundgebung nahm ich an einem Taizé Gottesdienst teil. Und das hat mir den Unterschied zwischen fundamentalistischem Islam und Christentum deutlich vor Augen geführt: während die Kundgebung ausschließlich aus jungen kraftstrotzenden Männern (Frauen durften nicht teilnehmen!) bestand, die bei bestimmten Aufrufen Boatengs in arabischer Sprache einheitlich mit enormer Lautstärke brüllten, bestanden der Taizé Gottesdienst aus überwiegend älteren Frauen, von denen man kein Gebrüll vernahm, sondern stattdessen sanfte Gesänge.

Erstmalig in Deutschland haben wir die Situation, dass die Zahl derjenigen, die keiner Kirche angehören, höher ist als die der Kirchenmitglieder. Im Moment stellt das Christentum weltweit noch zahlenmäßig die Mehrheit dar, im Jahr 2040 wird dies der Islam sein. Boateng scheint offensichtlich in einem Punkt Recht zu haben: in der westlichen Welt spielt Religion eine immer geringere Rolle. Ich habe dazu hier schon früher zu einer interessanten These von Murat Wilfried Hofmann etwas geschrieben.

Es bleibt die philosophische Frage, ob diejenigen, für die Glaube ein wichtiger und existentieller Teil ihres Lebens ist, die Abkehr der Religion als eine gesellschaftliche Entwicklung akzeptieren müssen oder ob es ein Recht gibt, dieser Entwicklung – so wie Boateng es will – den Kampf zu erklären.



Montag, 22. April 2024
Die Rechnung der Hamas geht auf – ein Krieg, der nie enden wird
Das Massaker der Hamas vom 07.10.2023 hat einen Krieg ausgelöst, der nicht mehr enden wird und der die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts für immer zerstört hat.

Von Pro-Palästinensern wird sofort argumentiert, ausschließlich Israel sei daran schuld, dass es keine friedliche Lösung geben kann. Dabei wird – und das zu Recht – auf militante Siedler hingewiesen, die die Araber vertreiben wollen. Und – ebenfalls zu Recht – wird auf die oftmals schlechte Behandlung der Palästinenser durch die israelische Besatzung hingewiesen. Was dabei jedoch von der überwiegenden Mehrheit der Palästinenser und noch mehr von deren weltweiten Sympathisanten bewusst ignoriert wird, ist die Tatsache, dass dies von einem großen Teil der israelischen pluralistischen Gesellschaft ebenfalls kritisiert wird. Und dabei bleibt es auch nicht bei Kritikäußerungen, sondern es gibt diverse weltweite Organisationen*, die aktiv an einem Ausgleich für die Palästinenser arbeiten. Und es bleiben große Fragen.

Warum hat die Hamas die große Chance des Aufbaus eines palästinensischen Staates nicht genutzt, sondern stattdessen alle Gelder in ein Tunnelsystem und in Angriffswaffen investiert? Warum werden bereits sechsjährige Jungen in Kampfausrüstung gesteckt und gezwungen "Tod Israel" zu brüllen? Warum wird Israel weiterhin bombardiert und gleichzeitig der Vorwurf erhoben, Israel verweigert einen Waffenstillstand?

Die Hamas hat von Anfang an einzig auf Eskalation gesetzt. Das Ziel "From the river to the sea" lässt keinen Raum mehr für Israel, sondern setzt auf dessen Vernichtung. Das Opfern der eigenen Bevölkerung ist dabei kein Kollateralschaden, sondern das eigentliche Ziel, denn genau darin besteht die kalkulierte Wirkung: Israel auf die Rolle des Aggressors und Palästina auf die Rolle des unschuldigen Opfers festzulegen. Damit wird Solidarität mit Palästina zur moralischen Pflicht. Und Israel wiederum spielt dieses Spiel mit, wobei man sich eben auch fragen muss, welche Möglichkeiten einem Staat bleiben, sich gegen einen Gegner zu wehren, der nachweislich dessen Vernichtung plant und offen kundtut, dass er Verhandlungen und Koexistenz ablehnt. "No peace, no recognition, no negotiations" ist ein unmissverständliches Bekenntnis zur Vernichtung.


* https://de.wikipedia.org/wiki/Care_and_Learning
Eine von der Israelin Arna Mer Chamis gegründete Kinderhilfsorganisation, in der palästinensische Kinder in vier Kinderhäusern Hilfe und Unterricht erhielten. Nach dem Tod der Gründerin wurde die Organisation von deren Sohn Juliano weitergeführt. Juliano wurde von einem muslimischen Extremisten ermordet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Combatants_for_Peace
Eine von Israelis und Palästinensern gegründete Graswurzelbewegung, die sich in Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten in Form von gewaltlosem Widerstand für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts einsetzt. Viele der Gründungsmitglieder sind Ex-Soldaten aus der IDF oder ehemalige palästinensische Paramilitärs.
https://de.wikipedia.org/wiki/European_Jews_for_a_Just_Peace
Eine in mehreren europäischen Ländern aktive Föderation jüdischer Gruppen, die sich für einen lebensfähigen palästinensischen Staat einsetzen. Zu den Forderungen der Organisation gehört der sofortige Abzug Israels aus den israelisch besetzten Gebieten und der Abbau aller dort befindlichen israelischen Siedlungen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gusch_Schalom
Eine israelische Friedensinitiative, die versucht, eine neue Geschichtsauffassung zu etablieren, in der nicht die Geschichte des israelischen oder des palästinensischen Volkes, sondern die Geschichte der Region Palästina in den Vordergrund tritt. Gusch Schalom hilft palästinensischen Bauern bei der Olivenernte und beim Aufbau palästinensischer Häuser. Des Weiteren spricht sich die Organisation für einen Boykott von Siedlungsprodukten aus und informiert über diese in einer in regelmäßigen Abständen aktualisierten Liste.
https://de.wikipedia.org/wiki/HaMoked
Eine Organisation, die 1988 gegründet wurde, um Palästinenser zu unterstützen, die in den israelisch besetzten Gebieten in Konflikt mit der israelischen Polizei geraten. Zudem arbeitet die Organisation nach eigenen Angaben an der Weiterentwicklung von Standards und der Bedeutung internationaler Menschenrechte und humanitärer Gesetzgebung.
https://de.wikipedia.org/wiki/International_Solidarity_Movement
Die Organisation richtet ihre Aktivitäten und Proteste gegen die israelische Besatzung des Westjordanlands, bestimmte Maßnahmen der Israelis – wie zum Beispiel Häuserzerstörungen – und gegen das Vorgehen von Siedlern gegen Palästinenser.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jesch_Gvul
Eine israelische Organisation zur Kriegsdienstverweigerung in den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF), sogenannten Refusenik.Die Organisation fordert die Umsetzung des UN-Teilungsplanes für Palästina, das Ende des „Missbrauchs der IDF“ und der Besetzung der Palästinensischen Autonomiegebiete.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jewish_Voice_for_Peace
Eine linke US-amerikanische Aktivistenorganisation, die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befasst.In ihrem Leitbild beschreibt sie sich als „eine vielfältige und demokratische Gemeinschaft von Aktivisten, die von der jüdischen Tradition inspiriert ist, sich gemeinsam für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte einzusetzen, um die Bestrebungen von Israelis und Palästinensern nach Sicherheit und Selbstbestimmung zu unterstützen“ und sagt, sie „sucht ein Ende der israelischen Besetzung des Westjordanlandes, des Gazastreifens und Ostjerusalems“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Keshev_%E2%80%93_The_Center_for_the_Protection_of_Democracy_in_Israel
Die Organisation sieht es als ihre Aufgabe, die demokratischen Grundwerte Israels zu schützen und befördern. Seit 2004 betreibt Keshev das Projekt „Media Monitoring“ in dessen Rahmen sie die israelische Berichterstattung über den Nahostkonflikt und gesellschaftliche Minderheiten analysiert. Ziel ist es, den medialen Umgang zu sensibilisieren und wiederkehrenden Mustern wie Vorurteilen, Aufhetzung und Delegitimierung der Konfliktparteien Einhalt zu gebieten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Machsom_Watch
Die Gruppe wurde gegründet aufgrund von Besorgnis über „die ausufernde israelische Reaktion auf die Zweite Intifada und die Abriegelung ganzer Dörfer und Städte im Westjordanland“. Die Freiwilligen von Machsom Watch besuchen die Kontrollpunkte in Gruppen von zwei bis vier Mitgliedern, beobachten die Vorgänge bei der Abfertigung durch die Soldaten der Israelischen Streitkräfte und dokumentieren sie in Text und Fotos bei Medien und auf ihrer Website. In problematischen Situationen versuchen sie, in den Ablauf einzugreifen und zwischen Soldaten und Zivilisten zu vermitteln.
https://de.wikipedia.org/wiki/Middle_East_Nonviolence_and_Democracy
Mit dem Konzept des Active Nonviolence-Ansatzes verfolgt MEND das Ziel der palästinensischen Zivilgesellschaft eine Perspektive zu eröffnen Konflikte gewaltfrei zu lösen. Um solches Bewusstsein zu schaffen, versucht MEND unkonventionelle Wege zu beschreiten, dabei werden bevorzugt Bevölkerungsgruppen angesprochen die in der palästinensischen Gesellschaft in der Regel benachteiligt sin
https://de.wikipedia.org/wiki/Open_Jerusalem_for_Cooperation_and_Dialogue
OJCD Basel ist ein israelisch-palästinensisch-europäisches Projekt und hat die Vision von Jerusalem als offener Stadt, die politisch geteilt, aber physisch und funktionell offen sein wird. Sie wird konkretisiert durch entsprechende soziale und städtebauliche Projekte sowie auch durch interreligiöse und interkulturelle Aktivitäten. Damit soll eine Verbesserung der Lebensbedingungen angestrebt werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Peres_Center_for_Peace_and_Innovation
Ziel der Organisation ist, seine Vision von Friedensentwicklung für den Nahen Osten durch sozioökonomische Kooperation und Entwicklung sowie persönliche Begegnung von Menschen weiterzuverfolgen. Das Peres-Friedens-Zentrum beschreibt seine Mission als „Förderung von dauerhaftem Frieden und Entwicklung im Nahen Osten durch Verbreitung von Toleranz, ökonomischer und technologischer Entwicklung, Innovation, Kooperation und guten Lebensbedingungen. Es gibt unter anderem Programme für grenzüberschreitende Forschung, Weiterbildung und Kooperation zur Verbesserung von Anbaupraktiken, Umwelt- und Wasserschutz; es gibt medizinische Versorgungsprogramme für Babys und Kinder sowie ein außerdem ein Ausbildungsprogramm für palästinensische Ärzte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Public_Committee_Against_Torture_in_Israel
Eine israelische Menschenrechtsorganisation, die sich gegen Folter sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung engagiert. Die Organisation setzt sich für alle Menschen in Israel und in den von Israel besetzten Gebieten ein (Israelis, Palästinenser, Arbeitsmigranten sowie generell alle Personen deren ständiger Aufenthaltsort sich in Israel befindet), die Opfer von Folter und Misshandlung von Seiten der israelischen Sicherheitsbehörden wurden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rabbis_for_Human_Rights
Rabbis for Human Rights ist eine Organisation, die sich selbst als „Stimme des Gewissens“ in Israel beschreibt und zu deren Mitgliedern Reformjuden, orthodoxe Juden, konservative Juden und Studenten zählen. Die RFHR leistet passiven Widerstand während der jährlichen Übergriffe jüdischer Siedler auf Palästinenser bei der Olivenernte und stellt sich auch gegen die Errichtung der israelischen Grenzmauer, da wo sie arabisches Land durchschneidet, arabische Dörfer teilt oder landwirtschaftlich genutztes Land von seinen Besitzern abschneidet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schalom_Achschaw
Eine außerparlamentarische Friedensbewegung in Israel. Seit seiner Gründung verurteilt Schalom Achschaw (deutsch Frieden jetzt, englisch Peace Now) die israelischen Siedlungen im Westjordanland, weil diese in berechnender Art und Weise die Möglichkeit eines Friedens mit den Palästinensern unterminierten. Ziele: für eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 mit einvernehmlichem Tausch von Flächen, für den Aufbau eines Palästinenserstaates als Mittel, um den jüdischen und demokratischen Charakter des Staates Israel zu stärken, für Jerusalem als zwei Hauptstädte von zwei Staaten auf Grundlage der Bevölkerungsverteilung und gewährleistet durch eine internationale Vereinbarung, gegen die jüdischen Siedlungen im Westjordanland als Haupthindernis für jeden künftigen Friedensvertrag.
https://de.wikipedia.org/wiki/Willy-Brandt-Zentrum_Jerusalem
Das WBC orientiert sich an den Ideen des Zivilen Friedensdienstes und „Ziel der Aktivitäten ist die Entwicklung von friedenspolitischen (Bildungs-)Konzepten als reale Handlungsalternativen zur Gewalt durch junge politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger aus Deutschland, Israel und Palästina.“ Man will gemeinsam aktive Formen der Koexistenz basierend auf sozialer und politischer Gleichberechtigung entwickeln.
Noch einige weitere Organisationen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Standing_Together_(movement)
https://ajeec-nisped.org.il/?page_id=17087&lang=en
https://en.wikipedia.org/wiki/Ta%27ayush

Ja, es hätte nach Camp David 1978/79 und den Osloer Verhandlungen 1993 so viele Möglichkeiten gegeben für diejenigen, die einen Frieden wirklich wollen. Aber genau den will die Hamas nicht, denn es geht ihr nicht um Frieden, sondern um die Umkehr der Verhältnisse: ein ausschließlich palästinensischer Staat. In diesem dürfen Juden, Christen und sonstige Gruppen zwar leben, aber nur in dem Status der Dhimmis, das heißt mit zahlreichen Einschränkungen gegenüber Muslimen.



Samstag, 6. Januar 2024
Das Bonmot zur Mitternacht
"Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“

Albert Einstein