Freitag, 15. Januar 2010
Reform von Sex and the City
Es gibt keine Frauen, die noch nie eine Folge Sex and the city angesehen haben. Somit bin auch ich mit Carrie, Miranda, Samantha und Charlotte vertraut. Und es gibt durchaus Dinge, die ich genieße. Wenn Männer sich endlich mal die dummen Sprüche anhören müssen, die jahrhundertlang nur Frauen ertragen mußten. Wenn mal die ganzen unerträglichen männlichen Attitüden so richtig schön vorgeführt werden. Und wenn endlich mal unverblümt darüber gesprochen wird, wie viele Männer im Bett reine Katastrophen oder doch zumindest Tollpatsche sind.

Aber ich frage mich, ob Sex und Dummheit zwangsläufig untrennbar zusammen gehören müssen. Wäre es wirklich unvorstellbar, wenn sich nicht vier komplette Idiotinnen über Sex unterhalten würden, sondern vier Frauen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte? Wenn beispielsweise das Thema Sex ein Thema von vielen wäre und es nicht nur das Ausweichthema Mode geben würde?

Man stelle sich beispielsweise vor, Carrie wäre Greenpiece-Aktivistin, Miranda wäre Politologin, Samantha wäre Sozialarbeiterin im Altenheim und Charlotte wäre wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Altamerikanistik.

Carrie kannte Betty Friedan und Kate Millet noch persönlich und vergleicht deren Theorien über Männer mit ihren praktischen Erfahrungen. Samantha interessiert sich leidenschaftlich für Nietzsche, hört Bachkantaten und genießt Sex mit depressiven Künstlern. Miranda schreibt ihre Dissertation über den Zusammenhang von Politik und Sex im Verlauf der Geschichte am Beispiel der Mätressen am französischen Hof, wozu sie regelmäßig nach Paris fliegt und dabei undercover aufdeckt, daß sich im Grunde seit Louis XIV nichts geändert hat. Charlotte liebt es, mit dem Rucksack durch die Anden zu trampen und dabei das Liebeleben der Indios am lebenden Objekt zu erforschen und schafft sich dabei einen Ruf als gutbezahlte Feldforscherin.

Eine Serie mit Protagonistinnen, deren Horizont nicht nur von Prada bis Dior reicht, wäre doch sicher mal etwas Neues, oder?

Oder wie wäre es, wenn man einfach mal die Gesellschaftsschicht wechseln würde?

Carrie arbeitet bei Ford als Automechanikerin nachdem sie als Panzergrenadierin im Irak war. Samantha verkauft als Außendienstmitarbeiterin bei Hoover Staubsauger. Charlotte bezieht Sozialhilfe und wohnt in einer Wohnunterkunft für Frauen. Miranda arbeitet in einem Filmstudio als Aushilfsstatistin.

Carrie nutzt sowohl ihre Erfahrungen im Irakkrieg als auch die Erfahrungen als Frau in einem Männerberuf und schreibt Tagebuch über das Verhalten von Männern in Gemeinschaften ohne Frauen. Samantha genießt die Möglichkeit, bei ihrer Außendiensttätigkeit bei freier Zeiteinteilung auch Hausmänner mit ebenfalls freier Zeiteinteilung kennenzulernen. Charlotte geht es oft finanziell so dreckig, daß sie ab und zu anschaffen muß, was dem Zuschauer aber hochinteressante Einblicke verschafft. Miranda hat durch ihre Arbeit freien Zugang zu Filmgrößen und nutzt dies für Affairen mit der gesamten Hollywood-Prominenz der B-Klasse.

Und es bringt richtig Spaß, die Idee weiterzuspinnen! Ein Charakterwechsel der weiblichen Protagonisten zieht unweigerlich auch einen Wechsel der männlichen mit sich: Mr. Big ist ein begnadeter Gefäßchirurg und Vizevorsitzender von „Ärzte ohne Grenzen“. Smith ist ein ebenfalls begnadeter Theaterschauspieler und hochgelobt für seine Darstellung von Becketts „Warten auf Godot“. Harry Goldenblatt ist nach wie vor Anwalt, konzentriert sich dabei aber auf Umweltskandale. Steve kann ausnahmsweise so bleiben wie er ist. Allerdings kellnert er nicht in einem Szenelokal sondern in einem Literaturcafé.

Mr. Big hat nicht mehr oft Sex, weil er sich in seiner Arbeit für „Ärzte ohne Grenzen“ dermaßen aufreibt, daß er Erektionsschwierigkeiten hat – was zu einem Dauerthema zwischen ihm und Carrie wird. Smith hat eine Tendenz zur Verschmelzung mit seinen Rollen und muß deswegen von Zeit zu Zeit in die Psychiatrie. Samantha überlegt, ob sie nicht praktischerweise nicht dort eine Stelle als Sozialarbeiterin annimt. Harry Goldenblatt hat Alkoholprobleme, weil er wegen seiner Aufdeckung von Umweltskandalen ständig mit Verfolgung rechnen muß. Steve hat ebenfalls Alkoholprobleme weil Miranda so oft in Paris ist und er stellt sein Literaturcafé deswegen irgendwann in eine Milchshakebar um.

Und in der gesellschaftlichen Tiefgarage?

Mr. Big ist Kofferträger im Hilton. Smith macht eine Fortbildung zum Kindergärtner. Harry Goldenblatt macht dunkle Geschäfte in der Drogenszene. Und Steve kann wieder ausnahmsweise so bleiben wie er ist – und kellnert.

Mr. Big ist Analphabet, was er jedoch kaschiert und deswegen ständig Ärger bekommt, weil er im Hilton die Koffer vertauscht. Dank des Kontakts zu Harry Goldenblatt wird er aber nie rausgeschmissen. Smith geht in seiner Arbeit mit Kindern auf und hat deswegen Dauerstress mit Samantha, denn er möchte mit ihr als Herbergsvater und Herbergsmutter eine Jugendherberge gründen. Harry Goldenblatt steht ständig mit einem Bein im Knast und will sich seinen Drogenkonsum mit Hilfe der Kabbala-Szene entziehen (lernt dadurch Madonna kennen). Steve kellnert, fühlt sich wohl dabei und bleibt so wie er ist.



Dienstag, 12. Januar 2010
Der kleine aber feine Unterschied zwischen Sensibilität und Empfindlichkeit
Es gibt Menschen, die ohne Rücksicht auf Verluste losholzen. Walzen, Alphamännchen, Dumpfbacken – sie alle nehmen nicht die geringste Rücksicht, wenn es darum geht, sich durchzusetzen. Und manchmal passiert etwas, was anscheinend zu selten passiert: Menschen wehren sich und geben Kontra. Und dann werden genau diese Menschen, die andere mit ausgeprägter Rücksichtslosigkeit behandeln, plötzlich zu Mimosen. Plötzlich ist Sensibilität angesagt und ein empörter Aufschrei ist zu hören: „Wie kannst du nur so etwas sagen?“ Und es wird an das Gewissen der anderen appelliert: „Du mußt doch Rücksicht nehmen. Du darfst doch andere nicht verletzten“.

Es gelten plötzlich Regeln, die die Alphamännchen, Walzen und Dumpfbacken selbst nie beachtet haben und auch nie beachten werden. Menschen, die sich permanent im Ton vergreifen, die bei anderen Angst und Schrecken verbreiten, entdecken auf einmal die Sensibilität für sich. Menschen, die andere wie Immobilien behandeln, ihnen die Rolle von Statisten zuordnen oder andere feist und bequem nach Strich und Faden ausnutzen, empören sich plötzlich über die ach so gemeine Behandlung.

Nein, meine Herren Alphamännchen und meine Damen Dumpfbacken und Walzen! Wer auf anderen herumtrampelt kann sich nicht auf seine angebliche Sensibilität berufen. Nur weil sich niemand traut, Euch mal offen die Meinung zu sagen, heißt es noch lange nicht, daß andere Euer Verhalten nicht auch zum Fürchten finden. Nur weil die Meisten vor Euch kuschen, erhaltet Ihr noch keinen allgemeinen Freibrief.

Sensibilität ist erst dann Sensibilität, wenn sie auch den Anderen mit einschließt. Wenn auch das Gegenüber geachtet und respektiert wird. Das, was die Alphamännchen, Dumpfbacken und Walzen an den Tag legen, ist lediglich Empfindlichkeit. Ein weinerliches und selbstmitleidiges um die eigene Person kreisendes Gefühl, das aufkommt, wenn andere irgendwann einmal zurückschlagen anstatt einzustecken.

Wenn Ihr etwas beklagen wollt, dann beklagt nicht die Menschen, die Euch endlich mal mit dem konfrontieren, was fast jeder über Euch und Euer Verhalten denkt. Ein Verhalten, das anderen Menschen die Hölle auf Erden bereiten kann. Ein Verhalten, daß jeden in die Flucht schlagen würde, wenn denn jeder die Möglichkeit zur Flucht hätte.

Und das ist der kleine, aber feine Unterschied von der Sensibilität zur Empfindlichkeit – sensibel für die Gefühle anderer zu sein oder aber nur für die eigenen Gefühle.