Verrat am Selbst
Der Verrat am Selbst
beginnt meist schleichend,
selten plötzlich.
Manchmal nur ein Ja,
dort, wo man nein sagen wollte.
Oder ein nein,
wo man gern ja gesagt hätte.

Da wo man noch lächelt,
obwohl man schon längst
von Übelkeit geplagt wird.

Da beginnt der Verrat.
Da werden eigne Wände
wichtiger als eigne Wünsche.

Und langsam, langsam
wird aus einem Unikat
einfach nur noch Massenware.

Deswegen setzen wir so gern
Kinder in die Welt.
Wir haben es dann endlich wieder:
das Unikat, das uns in uns selbst
verloren ging.




Man gönnt sich ja sonst nichts
Verrat am Selbst

geschieht um der kleinen Annehmlichkeiten willen.

Zur Erhaltung einer Scheinidylle als eine Art Nichtangriffspakt vor Menschen, vor denen einem eigentlich graust.

Als ein Tausch gegen materiellen Wohlstand.

Als eine Gegenleistung für beruflichen Aufstieg.

Was dann vom Leben übrigbleibt sind Mittelmaß, Eigenheim und eine gehobene berufliche Position.

Ein hoher Preis. Aber man gönnt sich ja sonst nichts. Und das auf der ganzen Linie.

Der ungleiche Bruder
Der ungleiche Bruder des Verrats am Selbst ist der Verrat an den Anderen. Die Menschen,

die man liebt.
von denen man geliebt wird.
die einem nahe sind.
die unserer Hilfe bedürfen.
die unseren Schutz brauchen.

Während der Verrat am Selbst uns selbst zerstört, ist der Verrat an den anderen meist genau das, was uns selbst heil hält.

Der Verrat an den Anderen ist eine Entscheidung genau wie der Verrat am Selbst. Er ist die Entscheidung für das Selbst und gegen die Anderen. Wer sich selbst verrät, leidet. Wer andere verrät, läßt leiden.

Verrat am Selbst ist sozusagen die Delegation des Leidens. Hat irgendwie etwas Kaufmännisches...

Caesars Einstellung
Wenn man Caesars Ausspruch: Ich liebe den Verrat aber ich hasse den Verräter" auch auf den Selbstverrat bezieht, dann sind Menschen, die sich selbst verraten, Menschen, die sich dafür hassen. Täter und Opfer sind hier identisch. Ähnlich wie beim Selbstmord.

Bei den Verrätern an Anderen wird die Tätigkeit des Verrats geschätzt von demjenigen, der vom Verrat profitiert, aber der Verräter selbst kommt nicht in den Genuß eines Geschätzt-Werdens. Auf der menschlichen Ebene geht also auch er leer aus. Vorausgesetzt allerdings, es handelt sich bei demjenigen, für den er jemanden verrät um jemanden vom Kaliber Julius Caesars, der die feine Differenzierung noch macht. Wem es einfach nur um devote Untertanen geht, der wird wahrscheinlich voll und ganz zufrieden sein mit einem Verräter an seiner Seite - Hauptsache, der Verräter verrät jemanden zu seinen Gunsten.

Es ist gar nicht so einfach mit dem Verrat. Julius Caesar scheint hin- und hergerissen. Er nutzt den Verrat um sein Machtbestreben zu realisieren. Aber er hat anscheinend doch irgendwie noch letzte moralische Vorstellungen davon, daß Verrat an sich etwas Übles ist. Wäre schön, wenn er es ganz gelassen hätte - vielleicht wäre ihm dann auch ein anderes Ende beschieden gewesen.

Aber wie man es auch dreht - ob man den Verrat mit halben Herzen oder aus vollster Überzeugung nutzt - der Verrat an anderen hat noch nie etwas Gutes zustande gebracht.

Beim Verrat am Selbst kommt auch nichts Gutes heraus. Aber der Schaden bleibt auf die eigene Person begrenzt.