Montag, 19. Juni 2017
Was ich Frau Kaddor gern mal persönlich sagen würde und warum ich mir eher die Zunge abbeißen würde, als bestimmte Argumente zu verwenden
Zu der Demonstration am vergangenen Wochenende wurden Muslime aus ganz Deutschland aufgerufen, um sich öffentlich von islamistischer Gewalt zu distanzieren. Von den über vier Millionen Muslimen sind allerdings nur etwa 1500 gekommen, wobei in dieser Zahl auch viele nichtmuslimische Deutsche enthalten sind, die ebenfalls an der Demo teilnahmen. Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor hat dazu mit der Äußerung Stellung genommen „Vielleicht liegt es daran, dass Muslime keine Demonstrationskultur kennen“. Weitere Analysen gibt es nicht, stattdessen gibt es von Muslimen wieder das Argument des Generalvorwurfs, der dazu führe, dass Muslime „doppelt“ leiden müssen – zum einen unter der islamistischen Gewalt, zum anderen unter der angeblich ständigen Rechtfertigungspflicht.

Seitdem ich mich begann, mich für Politik zu interessieren ( das war ungefähr im Alter von 13 Jahren), beschäftigt mich auch das Dritte Reich und der Holocaust. Da ich seit über 25 Jahren mit einem Franzosen liiert bin, wurde und werde ich in Frankreich auch immer wieder auf die Verbrechen des Dritten Reichs angesprochen. Es ergaben sich zu diesem Thema schon unzählige Diskussionen. Dabei habe ich alle möglichen Aspekte zu diesem furchtbaren Kapitel der Geschichte berührt, nur eines habe ich niemals getan und werde es mit absoluter Sicherheit auch niemals tun: damit kontern, dass man nicht alle Deutschen unter Generalverdacht stellen darf. Obwohl ich für dafür sehr gute Argumente aus meiner eigenen Familie anführen könnte, denn während einer meiner Großväter begeisterter Nationalsozialist war, ist mein anderer Großvater trotz aller Repressionen standhaft Mitglied der SPD geblieben. Und obwohl dies kein Einzelfall ist und ich viele andere kenne, bei denen es genauso war, würde ich mir eher die Zunge abbeißen, als die Opferrolle für die Deutschen zu beanspruchen und mit dem Hinweis auf einen ungerechtfertigten Generalvorwurf jede weitere Auseinandersetzung im Keime zu ersticken.

Ich glaube, dies ist der eigentliche Unterschied zwischen muslimischer und nichtmuslimischer Kultur: die absolute Verweigerung jeglicher Selbstkritik und die immer und überall beanspruchte Opferrolle.

Übrigens haben Muslime durchaus eine „Demonstrationskultur“ oder hat Frau Kaddor die Demo von vierzigtausend Muslimen vergessen, die vor einem halben Jahr für einen Mann auf die Straße gingen, der jeden Oppositionellen ins Gefängnis steckt, offen für die Todesstrafe plädiert und außerdem den Genozid an den Armeniern als Lüge bezeichnet? Und schon lange vor dieser Großdemo gab es auch unter Muslimen viele Demos, wie zum Beispiel in Frankreich gegen das Kopftuchverbot oder in Deutschland gegen die Ausstrahlung eines Tatorts, in dem die Täter keine Deutschen, sondern Muslime waren.

Warum konstruiert Frau Kaddor den umständlichen Begriff der mangelnden „Demonstrationskultur“ und spricht stattdessen nicht Klartext und nennt mangelndes Interesse als Grund für die Minidemo?

Mag sein, dass es keine „guten“ oder „schlechten“ Religionen gibt, und zu jeder Religion immer auch eine Geschichte der Gewalt und der Unterdrückung gehört (so wie dies übrigens auch immer der Fall bei atheistischen Ideologien ist). Aber mit Sicherheit gibt es einen enormen Unterschied innerhalb der einzelnen Religionen in Bezug auf die konkrete Bereitschaft zur Selbstkritik. Da mag man jetzt wieder Namen wie Seyran Ates, Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek etc. anführen. Solange diese mutigen Menschen jedoch mit dem Tod bedroht werden und es noch nicht einmal den Hauch von Solidarität gibt, wird sich daran niemals etwas ändern. Und auch Frau Kaddors Philosophie des „Schuld sind immer die Anderen“ stellt wohl kaum einen Beitrag zur kritischen Selbstreflexion dar. Demonstrationskultur hin, Demonstrationskultur her.



Donnerstag, 4. Mai 2017
Heute ist der Tag der Pressefreiheit
Ich möchte dazu nichts schreiben, sondern dabei einfach nur an verschiedene Menschen denken:

Ayaan Hirsi Ali
Ai Weiwei
Hamed Abdel-Samad
Mouhanad Khorchide
Raif Badawi
Robert Redeker
Seyran Ates
Theo van Gogh

Nur ein winziger kleiner Ausschnitt aus einer riesigen Gruppe von Menschen, deren Leben bedroht ist oder die ihr Leben verloren, weil es auch heute noch längst nicht selbstverständlich ist, dass jeder seine Gedanken offen äußern kann. Schriftsteller, Journalisten und Künstler, die ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel setzen. Nicht nur für ihre Freiheit, sondern für die Freiheit von uns allen.



Donnerstag, 27. April 2017
Wenn Gewalttäter weinerlich werden und wie man aus ihnen nachträglich Helden macht
B. aus Hamburg ist ein richtiger Mann, einer der kämpfen will. Damit fängt er schon mal in Deutschland an, vorzugsweise aus dem Hinterhalt, wo man gute Chancen hat, nicht erwischt zu werden. Dort wo die Gegner nicht in der Mehrzahl, sondern in der Minderheit sind. „Das sind nur vier Leute, die krallen wir und nach der Schule, Digga“ schreibt B. in einem Chat an seine Kumpel. Handelt es sich bei den vier besagten Leuten vielleicht um vier gemeingefährliche Killer, die grundlos Wehrlose zusammenschlagen und tyrannisieren? Irrtum – es geht lediglich um vier Schüler, die sich keines anderen Vergehens schuldig gemacht haben, als die in Deutschland geltenden Meinungsfreiheit genau dafür genutzt zu haben, wofür sie da ist – nämlich ihre Meinung frei zu äußern. Aber wie gesagt – B. ist ein richtiger Mann und als solcher kann er sich das natürlich nicht so einfach bieten lassen und plant das, was seiner Meinung nach die einzig geeignete Reaktion auf eine freie Meinung ist – einen Anschlag.

Irgendwann reicht es B. nicht mehr, nur Mollis zu werfen, er möchte dahin, wo richtig geballert wird und wo seine großen Vorbilder echte Bomben werfen. Aber womit B. dabei nicht gerechnet hat, ist die Tatsache, dass jetzt nicht mehr aus dem sicheren Hinterhalt angegriffen wird, sondern frontal. Anderen Schmerzen anzutun oder sie zu töten, stellt für B. kein Problem dar, aber jetzt dreht sich der Spieß um und es kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass ihm selbst wehgetan oder er gar getötet wird. Und da bricht dann das Bild vom mutigen echten Kerl zusammen und B. wird weinerlich und klagt bitter über die Ungerechtigkeit, die eigene Haut riskieren zu müssen. „Die schicken die Brüder einfach in den Tod!“ beschwert er sich per Video.

Beschwert sich B. darüber, dass unschuldige Menschen massakriert werden? Oder dass unschuldigen Menschen ihr Zuhause weggebombt wird und Frauen und Mädchen wie Sklavinnen gehalten werden? Fehlanzeige, er beklagt lediglich, dass die „Brüder“ in den Tod geschickt werden.

Das Ganze ist schon ekelhaft genug, aber was es unerträglich macht, ist die Umdeutung von Weinerlichkeit in Reue und Einsicht. „Trauer um den Islamisten, der mit dem IS abrechnete“ lautet der Kommentar zu der Videobotschaft von B. Eine Botschaft, in der man vergeblich nach einem Wort des Bedauerns oder eines Schuldbekenntnisses sucht, sondern B. sich lediglich wie ein kleiner trotziger Junge darüber beklagt, dass beim Kriegsspielen eben nicht nur die anderen getötet werden, sondern dies auch einem selbst passieren kann.

Ist Weinerlichkeit tatsächlich schon gleichbedeutend mit Reue? Hat man diese völlige Verdrehung von Tatsachen nicht schon zur Genüge im Dritten Reich betrieben? Als nach dem Krieg plötzlich aus jedem begeisterten Anhänger ein unschuldiges Opfer gemacht wurde, das nur durch die Schuld der anderen beim Massenmord mitgemacht hat. Muss diese unerträgliche Schönfärberei wirklich wiederholt werden?