Mittwoch, 5. Oktober 2016
Irgendetwas läuft gewaltig schief in Deutschland
Eben lief eine Diskussion im Fernsehen, in der die Islamexpertin Lamya Kaddor sich zum Thema mangelnde Integration äußerte und dabei wiederholt darauf hinwies, dass man sich bei denjenigen, die sich für einen Weg in die Gewalt entscheiden und sich von der IS anwerben lassen, immer wieder fragen muss, warum es dazu kam und was an der Integration falschgelaufen ist. Deutschland hätte dabei eine „Bringschuld“, was immer Kaddor damit meinte.

Vor einigen Tagen äußerte sich SPD-Mitglied Wolfgang Thierse zu den Dresdner Anschlägen gegen eine Moschee und ein internationales Kongresszentrum. Er betonte dabei, dass man so etwas nicht mit Perspektivlosigkeit und sozialen Problemen entschuldigen dürfe.

Zwei Standpunkte, die sich offensichtlich diametral entgegenstehen. Oder vielleicht doch nicht? Bei der Thematik der Gewaltbereitschaft unter Muslimen wird auf das Gebot der Ursachenforschung und das Gebot der Suche nach der Verantwortung der Gesellschaft verwiesen und hierbei fallen immer wieder die Argumente der Perspektivlosigkeit und der mangelnden Bildung. Bei den gewaltbereiten Pegida-Anhängern hingegen wird genau dies als falsch angesehen und Ursachen und Mitverantwortung der Gesellschaft sind gefälligst außer Acht zu lassen.

Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass Menschen ohne Feindbilder nicht leben können. Der fundamentalistische Islam braucht das Feindbild der Ungläubigen, die es überall und jederzeit zu bekämpfen gilt. Pegida und andere rechtsgerichtete Bewegungen brauchen das Feindbild der fremden und bedrohlichen Kultur, gegen die man sich mit aller Kraft wehren muss.

Das Interessante daran ist jedoch, dass damit der Feindbildkreislauf noch nicht vollständig ist. Denn auch Menschen wie Lamya Kaddor brauchen das Feindbild Pegida, weil es belegt, dass man selbst lediglich Opfer ist und völlig grundlos angefeindet wird. Und auch Menschen wie Wolfgang Thierse brauchen das Feindbild Pegida, weil man dadurch ein gesellschaftliches und somit komplexes Problem bequem auf ein einziges reduzieren kann. Darüber hinaus erfüllt die öffentliche Verurteilung von Pegida nebenbei auch die wichtige Funktion, deutlich zu machen, dass man selbstverständlich auf der „richtigen“ Seite steht. Gerade dieser Punkt ist nicht zu unterschätzen. Menschen, die in ihrem Alltag eigentlich kaum mit dem Thema Migration zu tun haben, weil sie weder an Orten mit vielen Migranten wohnen, noch an Arbeitsplätzen mit vielen Migranten arbeiten und zu deren Bekannten- und Freundeskreis oftmals auch erstaunlich wenig Migranten gehören – gerade diejenige Menschen nutzen gern die Möglichkeit, sich öffentlich vehement gegen Pegida zu positionieren.

In der schriftlichen Diplomprüfung meines sozialwissenschaftlichen Studiums ging es beim dem Thema sozialtherapeutischer Handlungsansätze unter anderem um die „Gegenüberstellung und Vergleich des monokausalen und des systemischen Standpunktes“. Ich hasse solche hochtrabenden Formulierungen, die keine andere Funktion haben, als etwas Einfaches zu etwas Komplizierten aufzubauschen. Denn man kann dies natürlich auch verständlicher formulieren, wie zum Beispiel: Gegenüberstellung und Vergleich des Ansatzes der Nichtberücksichtigung mit dem Ansatz der Miteinbeziehung familiärer und gesellschaftlicher Hintergründe. Letzterer Ansatz steht momentan anscheinend nicht mehr hoch im Kurs: sich die Mühe machen, einen Blick auf Zusammenhänge zu werfen und das Zusammenspiel von familiären und sozialen Faktoren zu berücksichtigen. Wir sind wieder in der Zeit der einfachen Erklärungen gelandet. Das erspart nicht nur das Nachdenken, sondern vor entbindet uns auch von der Mitverantwortung.

Ich glaube nicht, dass das, was sich gerade in Deutschland abspielt, schon als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann. Aber ich würde nicht mehr ausschließen, dass es eine dahingehende Entwicklung gibt. Und diese Entwicklung wird ganz bestimmt nicht durch Standpunkte verhindert, wie sie Lamya Kaddor oder Wolfgang Thierse vertreten. Auf der einen Seite die Ansicht, Menschen nur als Opfer der Gesellschaft zu sehen, ohne dabei im Geringsten zu hinterfragen, ob deren Gewaltbereitschaft vielleicht doch auch etwas mit den familiären und kulturellen Wertvorstellungen zu tun haben könnte. Auf der anderen Seite der Standpunkt, dass Menschen anscheinend völlig grundlos, quasi aus tiefster Böswilligkeit Hass und Feindschaft gegen andere entwickeln.

Wir sind mehr denn je davon entfernt, uns die Mühe des genauen Hinsehens zu machen. Denn dann würden wir so manches sehen, was unbequem und anstrengend ist und die Bequemlichkeit der Einteilung in Opfer und Täter erschwert. Und dann müssten wir vielleicht sogar irgendwann auf unsere liebgewonnenen Feindbilder verzichten.



Freitag, 5. August 2016
Ich hatte gehofft, dies läge hinter uns – eine Demo für die Diktatur
Am vergangenen Wochenende sind rund 40.000 Menschen auf die Straße gegangen um ihre Sympathie für einen Diktator zu bekunden. Und ich frage mich, ob nur ich allein Angst vor der Gefahr habe, die sich durch diese antidemokratische Bewegung abzeichnet. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass diese Bewegung früher oder später in der Gründung einer entsprechenden Partei münden wird. Auf Bundesebene mag dann die Fünf Prozent Hürde noch eine Schwierigkeit darstellen, auf Kommunalebene kann dies aber vereinzelt durchaus Erfolg haben. Aber auch abgesehen davon muss man sich fragen, was es eigentlich für eine Gesellschaft bedeutet, wenn eine Bevölkerungsgruppe offen für ein streng hierarchisches System eintritt, das erbarmungslos gegen jeden vorgeht, der sich nicht völlig systemkonform verhält. Ein System in der die Äußerung von Kritik grundsätzlich als zu ahnende Beleidigung gewertet wird.

Und mir fällt ein, was mir ein Bekannter über seine Erfahrungen während einer in den 70er Jahren gemachten Türkeireise erzählte. Es passierte ihm nämlich mehrmals, als er die Frage nach seiner Nationalität mit „deutsch“ beantwortete, dass er die Reaktion erhielt: „Hitler guter Mann!“ Und auch in der Gegenwart bin ich schon oft mit offener Sympathie für die deutsche antisemitische Vergangenheit konfrontiert worden.

Man mag jetzt wieder das ständig angeführte Argument vorbringen, es würde sich doch nur um eine kleine Minderheit handeln. Unglücklicherweise habe ich jedoch sehr oft gerade mit dieser kleinen Minderheit zu tun. Und die Geschichte lehrt, dass aus kleinen Minderheiten unter Umständen sehr schnell große entwickeln können. Manchmal frage ich mich, ob dies wirklich das Land ist, in dem ich meinen Lebensabend verbringen möchte.



Mittwoch, 4. Mai 2016
Das Bonmot zur Mitternacht
"Treue ohne Liebe ist schlimmer als Liebe ohne Treue."
Manfred Hinrich (1926-2015)