Ehe und Moral
Das Werk "Ehe und Moral" wurde 1929 von Bertrand Russel (1882 - 1970) verfaßt und 1950 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Russel gilt als der Begründer der "analytischen Philosophie".

Man mag kaum glauben, daß dieses Werk tatsächlich schon 80 Jahre alt ist noch weniger kann man sich vorstellen, daß dieses Buch zur damaligen Zeit nicht sofort verboten wurde - bricht es doch mit allen gängigen Moralvorstellungen und hätte von seiner kritischen Auseinandersetzung mehr in die 68er Bewegung gepaßt.

Meist ist das Eheleben dort am einfachsten, wo die Menschen am wenigsten differenziert sind. Wenn sich ein Mann von anderen Männern und eine Frau von anderen Frauen kaum unterscheidet, liegt kein besonderer Grund vor zu bedauern, daß man nicht jemand anderes geheiratet hat. Menschen aber mit vielseitigen Neigungen, Beschäftigungen und Interessen werden von ihren Partner eine gewisse Geistesverwandtschaft verlangen und unzufrieden sein, wenn sie feststellen, daß sie weniger erhalten haben, als sie vielleicht hätten erreichen können. Die Kirche, die dahin tendiert, die Ehe allein vom Gesichtspunkt der Sexualität aus zu betrachten, sieht keinen Grund, warum ein Partner nicht ebenso gut sein sollte wie ein anderer. Sie kann daher auf Unlösbarkeit bestehen, ohne sich um die Härten zu kümmern, die darin oft liegen (S. 93)

Man sollte nach meiner Meinung erwarten, daß die Verbindung lebenslang besteht, aber nicht, daß sie andere geschlechtliche Beziehungen ausschließt...Es darf keine gegenseitige Behinderung der Freiheit geben; es muß absolute körperliche und geistige Vertrautheit bestehen; es muß eine gewisse Übereinstimmung in bezug auf Wertmaßstäbe vorhanden sein... Wenn dieses Ideal bisher noch nicht oft verwirklicht wurde, so liegt es vor allem daran, daß Ehemänner und Ehefrauen sich gegenseitig als Aufpasser betrachtet haben (S. 98).

Ich bin der Ansicht, daß die Form der Liebe, welche ein Ehe glücklich bleiben und ihren sozialen Zweck erfüllen läßt, nicht romantisch ist, sondern etwas Tieferes, Innigeres und Realistischeres (S. 55).


Auch wenn Russel die romatische Liebe ablehnt, hört sich seine These träumerisch an. Träumerisch deswegen, weil auch er die Basis einer Beziehung im geistigen Bereich sieht. In der Realität ist alles viel profaner und die Gemeinsamkeiten liegen nicht so sehr im Geistigen sondern vielmehr im Materiellen: nicht gemeinsame Wertmaßstäbe und Ziele, sondern gemeinsame Einbauküche und Couchgarnitur bilden die Basis. Frauen möchten irgendwann ein- bis zwei Kinder und ein Haus. Männern bleibt da oftmals nicht viel Wahl.

Aber auch wenn bei Männern Haus und Kinder nicht die Hauptmotivation für eine Ehe bilden - geistige Übereinstimmung ist es meist auch nicht. Männer möchten gern emotionell und sexuell versorgt sein. Wer tagsüber den Buisinessmann abgibt, möchte gern nach der Arbeit mal etwas anderes als kaufmännisches Kalkül.

Natürlich muß es nicht zwangsläufig so materialistisch und platt ablaufen, aber dennoch sind die Motive für Eheschließungen selten die edelsten. Die Ehe bietet wie kaum eine andere Beziehung die Möglichkeit, in einer Art rechsfreiem Raum zu leben. Hier darf man sich all das herausnehmen, was bei Freunden und Bekannten unweigerlich zum Bruch der Beziehung führen würde. Mal so richtig die Sau rauslassen - wo sonst kann man das schon?

Ja, ich weiß, es hört sich alles so furchtbar negativ an. Aber vielleicht liegt das an der Überdosis Hochzeitssendungen und dergleichen. Diese elende, amerkanisch-zuckersüße Art, Lebensbereiche auf grausamste Weise in rosarotes Disneyland zu verwandeln. Und die Realität sieht eben nicht nur anders aus, sondern hat damit nicht mehr das Geringste zu tun. Meine Einbildungskraft ist damit hoffnungslos überfordert.




Ohne Geist auch keine Geistesverwandtschaft
Ehe - ein weites Feld. Mir fällt da der Ex-Mann einer Bekannten ein, der eine Asiatin geheiratet hat. Als er seinem Sohn das erste Mal von seiner späteren Frau erzählte, deutete er mit Daumen und Zeigefinger ein Längenverhältnis an und kommentierte "So'n Loch, so'n Kitzler und so'ne Nippel!".

Eine Geistesverwandschaft, wie sie Russel schildert, liegt also nicht unbedingt in jeder Ehe vor. Und etwas Tiefes, Inniges anscheinend auch nicht.

Mit manchen Menschen kann man viele Dinge gemeinsam haben: Kinder, Eigenheim, Auto, Bausparverträge, Sex. Sehr viele Menschen bestehen geradezu penetrant darauf, daß dies auch ausreichend sei. Dies mag für viele vielleicht auch zutreffen und wenn sich zwei Menschen mit dieser Einstellung finden, klappt es vielleicht auch. Wenn aber jemand von diesem Schlag auf einen Menschen mit geistiger Tiefe trifft, kommt es oft zur Tragödie. Ein Mensch, für den Denken genauso wichtig wie das Atmen ist, kann durch die Primitivität des Nichtdenkens erdrückt werden.

Scheidungen
Just beim Durcharbeiten des Geo-Heftes über die deutsche Romantik finde ich Russels Theorie bestätigt, obwohl es in dem Heft überhaupt nicht um Scheidungen geht. Es wird über den „Jenaer Kreis“ berichtet, in dem sich 1799 Philosophen und Dichter wie August-Wilhelm und Friedrich Schlegel, Clemens Brentano, Friedrich Wilhelm Schelling, Sophie Mereau, Ludwig Tieck, Novalis und Dorothea und Karoline Schlegel treffen.

Recherchiert man ein bißchen die Biographien, dann erfährt man, daß die Scheidung von Sophie Mareau im Jahr 1801 die erste Scheidung im Herzogtum Sachsen-Weimar war. Später heiratete sie dann Clemens Brentano. Karoline Schlegel (geb. Michaelis) ließ sich ebenfalls scheiden und heiratete später Friedrich-Wilhelm Schelling. Die Scheidung wurde durch Fürsprache von Goethe im Jahr 1802 – ebenfalls im Herzogtum Sachsen-Weimar – ausgesprochen. Überliefert ist der Wortlaut:

Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr(...) Seitdem wir uns vor sechs Jahren mit einander verbunden haben, sind in unsern beiderseitigen Verhältnissen solche entschiedne Veränderungen eingetreten, daß wir uns in die Lage versetzt sehen, eine rechtliche Trennung unsrer Verbindung, als eine gleiche Nothwendigkeit und ein gleiches Glück für beide, zu betrachten.“

Für ihre demokratisch-revolutionäre Gesinnung, bzw. ihre Kontakte zu revolutionären Kreisen kam Karoline Schlegel sogar einige Zeit ins Gefängnis. Später war ihr Heim der Treffpunkt für viele große Geister der Zeit.

Auch ihre Schwägerin Dorothea Veit (geborene Mendelsohn) war bereits einmal verheiratet, bevor sie Friedrich Schlegel heiratete.

Wie gesagt – das Thema Scheidungen wird überhaupt nicht erwähnt. Aber dennoch erstaunt es, daß zu dem Jenaer Kreis gleich drei Frauen gehörten, die geschieden waren, zumal noch in den 70ern des vergangenen Jahrhunderts eine Scheidung ein gesellschaftlicher Makel war.

Menschen mit geistigen Interessen, mit politischer und künstlerischer Hingabe sind viel zu kompliziert, als daß sie man ihnen einfach irgend jemandem zur Seite stellen kann. Solche Menschen brauchen im anderen ein Gegenüber, das zuhört und sich einfühlt. Wie Bettine von Arnim (die Schwester Brentanos) formuliert: „Ich liebe oder ich werde begriffen – das ist dasselbe“. Ein geistiger Mensch will und muß begriffen werden und braucht die geistige Auseinandersetzung wie Atemluft. Eine Ehe mit jemandem, der dies nicht erfüllt, kann zur Qual und zur Katastrophe werden.

P.S.: Wie ich gerade bemerkt habe, sind diese außergewöhnlichen Frauen natürlch nicht nur mir aufgefallen. Über alle drei hier genannten Frauen gibt es ein Buch von Gisela Horn: Romantische Frauen. Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling, Dorothea Mendelssohn-Veit-Schlegel, Sophie Schubart-Mereau-Brentano. Hain, Rudolstadt 1996, ISBN 3-930215-18-7

Auseinandersetzungen
Wenn Russel darauf hinweist, daß die Beziehung zwischen undifferenzierten Menschen einfacher ist, trifft dies jedoch nur im Hinblick auf den Gleichschritt zu und das Zusammen-Passen zu. Geht es um die Auseinandersetzung, wird es mit eindimensionalen Menschen schwieriger, denn gerade das Unvermögen, systemisch zu denken, schafft qualvolle Schwierigkeiten.

Bei Menschen, die auf eindimensionales Denken beschränkt sind, erschöpfen sich Auseinandersetzungen in erbitterten Schuldzuweisungen an den anderen. Das Brett vor dem Kopf verhindert von vorneherein die Möglichkeit der komplexen Sichtweise. Die Auseinandersetzungen sind vergiftet durch Projektionen und das damit verbundene Unvermögen, Dinge objektiv zu sehen.

Es wäre arrogant, einfach gestrickten Menschen von vorneherein niedriges Niveau zu unterstellen und auch bei hochgeistigen Menschen können Auseinandersetzungen in Schlammschlachten enden. Aber wenn einfach gestrickte Menschen tatsächlich zuschlagen, wird es für den anderen zur Hölle. Es geht dann nicht mehr um das Finden von Lösungen oder Erklärungen, es geht nur noch um das Aufrechterhalten der ich-bin-im-Recht-Position. Für einen Menschen, der differenziert und lösungsorientiert denken und handeln möchte, ist die Auseinandersetzung mit einem Menschen, der nur platt und eindimensional denken und empfinden kann, ein Zurückwurf in das Reich des Neandertalers. Und dort paßt er nun mal nicht hin.

Kleine Gemeinheiten über die Ehe
Vor der Hochzeit kennt man sich - nach der Hochzeit lernt man sie kennen.
Willy Meurer (1874-1935)
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Miteinander leben heißt vielen nur nebeneinander leben.
Otto Kimming alias Peter Sirius (1858-1913)
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Erst im Laufe der Zeit lernen sich manche Eheleute so gut verstehen, dass es zur Scheidung kommt.
Otto Weiss (1849-1915)
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Man soll ebenso weig nach den Augen als nach den Fingern heiraten.
Plutarch von Chäronea (etwa 50-120 v. Chr.)
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Unter allen Festen ist das Hochzeitsfest das unschicklichste. Keines sollte mehr in Stille, Demut und Hoffnung begangen werden als dieses.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Man sollte immer verliebt sein. Das ist der Grund, warum man nie heiraten sollte.
Oscar Wilde (1854-1900)
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Liebe hat ihre eigene Sphäre, ihre eigene Zwecke, ihre eigene Pflichten, die von denen der Ehe himmelweit unterschieden sind.
Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792)
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Ein Ehepaar sitzt am Frühstückstisch. Sagt sie lächelnd: "Schatz, jetzt sind wir schon 25 Jahre verheiratet - ist das nicht schön?" Darauf er: "Stimmt, das ist nicht schön!"
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In der Ehe kommt es darauf an, dass die Fehler zueinanderpassen.
Charle-Joseph Fürst von Ligne (1828-1906)
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Hochzeit ist der höchste Preis, den man für eine Frau bezahlen muss.
Ester Vilar (1935)
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Am Stammtisch unterhalten sich zwei Freunde. "Ich habe immer Pech mit den Frauen", stöhnt Uli. "Wieso?", fragt Dieter. "Die erste ist mir durchgebrannt". - "Und die zweite?" - "Die nicht!"
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Das Einzige, was die Ehe heiligen kann, ist Liebe und die einzig echte Ehe ist die, die von Liebe geheiligt ist.
Leo Tolstoi (1828-1910)
Also, wenn das stimmen sollte, dann befinden sich die meisten Ehen – selbst bei kirchlich verabreichter Weihe – im ungeheiligtem Zustand. Und echte Ehen zu finden, dürfte bei dieser Ansicht so schwer sein, wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen...
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Hier ruht in Gott Adam Lentsch. 26 Jahre lebte er als Mensch und 37 als Ehemann.
Grabinschrift auf einem Tiroler Friedhof
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Die Athener regieren die Griechen, ich regiere die Athener und meine Frau regiert mich.
Xenophon
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In Riad hat eine Frau die Scheidung eingereicht, als sie das Handy ihres Mannes durchstöberte. Die entdeckte, daß ihr Gatte ihre Nummer nicht etwa unter "Liebling" oder "Schatz" gespeichert hatte - nein der ihr verliehene Name lautete "Guantánamo"......
(Zeitungsnotiz vom 21.10.2009)
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Manche Ehefrau steht lebenslang mit dem feurigen Schwert neben ihrem Gatten, um von ihm fern zu halten, was nur irgend noch ans verlorene Paradies erinnern könnte.
Karl Ferdinand Gutzkow
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Ein Ehepaar steht am Wunschbrunnen. Der Mann wirft eine Münze ins Wasser, wünscht sich etwas. Dann beugt sich seine Frau vor und fällt rein. Der Mann erstaunt: "Unglaublich, das funktioniert tatsächlich!"
(Dieser Witz hätte bei mir früher Unverständnis und das Urteil geschmacklos ausgelöst. Letzteres empfinde ich immer noch, das mit dem Unverständnis hat sich jedoch etwas geändert...)
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Gott hat ihn gestraft und hat ihn
in eines Weibes Hände gegeben.
Buch Judith 16. Kap.7
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Wer die Geliebte die Geliebte nennt, müsse auch den Mut haben, die Ehefrau die Ungeliebte zu nennen.
Karl Kraus
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Wer treu ist, kennt nur die triviale Seite der Liebe. Nur die Treulosen kennen ihre Tragödien.
Oscar Wilde
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Die Liebe vermindert die schlechten Eigenschaften eines Menschen, die Ehe verstärkt sie.
Arthur Hafink
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Denke immer daran, daß du als Ehemann dein Leben lang Sklave bist.
Menander
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Man sollte sich vor Eingehen einer Ehe die Frage vorlegen: glaubst du, dich mit dieser Frau bis ins Alter hinein gut zu unterhalten? Alles andere in der Ehe ist transitorisch, aber die meiste Zeit des Verkehrs gehört dem Gespräche an.
Friedrich Nietzsche
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Liebe ist ein Naturgesetz, Ehe das Bürgerliche Gesetzbuch.
Hellmut Walters
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Die Ehe ist heutzutage die einzige wirkliche Form der Leibeigenschaft, die gesetzlich sanktioniert ist.
John Stuart Mill
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Heiraten heißt, Nachtigallen zu Hausvögeln machen.
Christian Dietrich Grabbe
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In einer unglücklichen Ehe liegt eine Größe des Schmerzes, die alle anderen Leiden dieser Welt übersteigt.
Germaine (Madame) de Stael
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Das Angenehme einer Ehe wiegt ihr Unangenehmes nicht auf.
Christine von Schweden
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Die Menschen heiraten einander, ehe sie sich kennen; und sie hassen sich, sobald sie sich kennen.
Christine von Schweden
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Der Ehestand hat viele Kinder: Reue, Zwietracht, Armut, Eifersucht, Krankheit, Launenhaftigkeit, Abneigung und andere mehr.
Jonathan Swift
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Ehe: gegenseitige Freiheitsberaubung in beiderseitigen Einvernehmen.
Oscar Wilde
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In unserem monogamistischen Weltteile heißt Heiraten seine Rechte halbieren und seine Pflichten verdoppeln.
Arthur Schopenhauer
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Die Ehe ist ein Rechtsbündnis zum wechselseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane.
Immanuel Kant
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Die Ehe ist ein Bankett, das mit dem Dessert beginnt.
Tristan Bernard
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Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne:
Ach, möchte ich doch Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern!
Aber zumeist erraten zwei Tiere einander.
Friedrich Nietzsche
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Eine Frau, die begreift, daß sie den Flug ihres Mannes hemmt,
soll sich trennen. Warum hört man von diesem
Akt der Liebe nichts?
Friedrich Nietzsche
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Die Ehe ist ein Versuch, zu zweit wenigstens halb so glücklich zu werden, wie man allein gewesen ist.
Oscar Wilde (1854-1900)
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Liebe ist etwas Ideelles, Heiraten etwas Reelles,
aber nie verwechselt man beides ungestraft
Mark Twain (1835-1910)
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Im Heiraten hat man die Wahl,
in der Liebe hat man keine
Peter Rosegger (1843-1918)

Goethe sieht es ganz, ganz anders...
Das mit der Notwendigkeit geistiger Vertrautheit und der Übereinstimmung in Bezug auf Wertmaßstäbe wird ausgerechnet von Goethe in einem Gedicht beklagt.

In dem Gedicht " Warum gabst du uns die tiefen Blicke" an seine große Liebe, die 7 Jahre ältere Charlotte von Stein, beklagt sich Goethe bei dem Schicksal darüber, daß ihm und seiner Geliebten gerade nicht das Glück vergönnt ist, "wie so viele tausend dumpf treibende Menschen sich zu lieben ohn' uns zu verstehn und in dem andern zu sehn, was er nie war". Er schätzt jeden glücklich, den ein "leerer Traum beschäftigt".

Ich kenne Goethe kaum und das, was ich kenne, mag ich eigentlich auch nicht sonderlich (bis auf Faust natürlich). Aber dies Gedicht lohnt das Nachdenken. Sicher, es ist schwierig, eine philosophische bzw. soziologische Abhandlung über die Ehe mit einem Gedicht zu beantworten. Aber möglich ist es. Und das Ergebnis ist allemal interessant. Goethe hält die Seelenverwandschaft, das völlige Erfassen des anderen für etwas, was letztendlich nicht glücklich macht, sondern dem Glück sogar entgegen steht. Das Glück scheint für ihn eher in einer unwissenden, den anderen eben gerade nicht verstehenden Liebe zu liegen.

Gleichzeitig schildert Goethe aber auch die Wonnen, die das Ruhen in den Armen seiner Charlotte ihm bereitete, der er sagt ...kanntest jeden Zug in meinem Wesen...konntest mich mit einem Blicke lesen, den so schwer ein sterblich Aug' durchdringt . Und er schließt das Gedicht damit, daß das Schicksal beide zwar quält, er aber dennoch darüber glücklich ist, daß es beide auch nicht zu verändern mag.

Sehr verwirrend. Aber man ahnt, daß die Tiefe der Seelenverwandschaft auch mit Qual verbunden sein kann. Mit der Qual der Einmaligkeit. Nach der man eigentlich doch sucht. Aber die wohl anscheinend dennoch jegliche Leichtigkeit vermissen läßt. Aber ehe ich jetzt noch verwirrter durch dies merkwürdige Gedicht werde - hier ist es:

Warum gabst du uns die tiefen Blicke,
Unsre Zukunft ahndungsvoll zu schaun,
Unsrer Liebe, unserm Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun?
Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehn,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähn?

Ach, so viele tausend Menschen kennen,
Dumpf sich treibend, kaum ihr eigen Herz,
Schweben zwecklos hin und her und rennen
Hoffnungslos in unversehnen Schmerz;
Jauchzen wieder, wenn der schnellen Freuden
Unerwart’te Morgenröte tagt,
Nur uns armen Liebevollen Beiden
Ist das wechselseitge Glück versagt,
Uns zu lieben, ohn uns zu verstehen,
In dem andern sehen, was er nie war,
Immer frisch auf Traumglück auszugehen
Und zu schwanken auch in Traumgefahr.

Glücklich, den ein leerer Traum beschäftigt?
Glücklich, dem die Ahndung eitel wär!
Jede Gegenwart und jeder Blick bekräftigt
Traum und Ahndung leider uns noch mehr.
Sag, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.

Kanntest jeden Zug in meinem Wesen,
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Konntest mich mit Einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt;
Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf;
Hieltest zauberleicht ihn angebunden
Und vergaukeltest ihm manchen Tag.
Welche Seligkeit glich jenen Wonnestunden,
Da er dankbar dir zu Füßen lag,
Fühlt’ sein Herz an deinem Herzen schwellen,
Fühlte sich in deinem Auge gut,
Alle seine Sinnen sich erhellen
Und beruhigen sein brausend Blut!

Und von allem dem schwebt ein Erinnern,
Nur noch um das ungewisse Herz,
Fühlt die alte Wahrheit ewig gleich im Innern,
Und der neue Zustand wird ihm Schmerz.
Und wir schienen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um uns der hellste Tag.
Glücklich, daß das Schicksal, das uns quälet,
Uns doch nicht verändern mag!

Ehe - vielleicht doch nicht ganz verloren?
Der Anlaß war ein sehr trauriger. Ich rief den früheren Mann meiner Freundin an um ihm mitzuteilen, daß meine Freundin gestorben ist. Obwohl die Ehe schon über 10 Jahre geschieden war und sich beide auch fast genauso lange nicht gesehen hatten, reagierte der frühere Ehemann so erschüttert, daß wir das Telefonat abbrechen mußten. Nach zwei Tagen rief er dann an und wir sprachen über meine Freundin. Es war unverhehlbar, daß der frühere Mann meiner Freundin den von ihr ausgehenden Bruch der Ehe immer noch als schmerzhaft empfand und mit Sicherheit auch noch so etwas wie Wut vorhanden war, zumal meine Freundin am Ende der Ehe eine neue Beziehung eingegangen war.

Ich war dennoch berührt davon, wie der frühere Mann über seine Empfindungen sprach. Seine Gefühlsäußerungen waren frei von dumpfen und ordinären Platituden. Er nützte nicht den üblichen Ausdruck „betrogen“ sondern formulierte, daß meine Freundin am Ende der Ehe eine andere Beziehung hatte. Schmerz und auch Wut waren spürbar. Und doch auch ein tiefer Respekt vor dem anderen als freiem Menschen mit einer ihm eigenen und unverwechselbaren Persönlichkeit. Und es war so etwas wie geistige Tiefe spürbar. Etwas, das über gemeinsamen Sex und gemeinsame Eigentumswohnung hinausging. Und ich war erschüttert, wie sehr der frühere Mann meiner Freundin deren Einzigartigkeit mit allen Stärken und Schwächen erfaßt und gewürdigt hatte.

Meine Statements über die Ehe hier in diesem Blog sind unübersehbar negativ. Dies rührt daher, daß ich vor einiger Zeit mit einer Vorstellung von Ehe konfrontiert war, die das Gegenteil von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung darstellt. Eine Auffassung von Ehe, in der Kommunikation auf unterstem Niveau nicht nur praktiziert sondern auch vehement als normal verteidigt wird. Eine Vorstellung, die auf das Recht auf Schuldzuweisungen und Einengungen einräumt und in der kein Platz mehr ist für die Individualität und Freiheit des anderen. Alles in allem eine Auffassung, die bei mir das tiefste Grauen auslöste.

Und jetzt mache ich anläßlich des Todes meiner langjährigen Freundin eine völlig konträre Erfahrung. Ein sehr trauriger Anlaß. Aber es beruhigt mich, daß meiner Freundin das Zusammensein mit einem Mann vergönnt war, der sie auch wert war. Und es hilft mir, meine Trauer zu durchleben.

Arithmetik der Ehe: 1 + 1 = 1 oder 1 + 0 = 1?
Die Ehe baut auf das Wort Matthäi, daß 1 + 1 = 1 ist. Angesichts der Mathematik, die heute in den Schulden gelehrt wird, ist das schon eine spitzfindige These. Aber es war tatsächlich so gemeint, daß der Mann und die Frau durch die Ehe Eins werden sollten. Wie die Geschichte zeigt, wurden viele es auch, Männer und Frauen, die sich gegenseitig „ergänzten“. Das lief auch sehr schön, solange die Frau eine Null war. Denn nur 0 + 1 = 1. Aber heute versucht man diese Rechnung zu revidieren, indem man behauptet, 1 + 1 = 2. Und das ist ein großes Unglück... für die Ehe. Denn die Grundlage der Ehe ist, daß die Frau eine Frau ist (0), damit der Mann ein Mann (1) sein kann.
Susanne Brøgger „...sondern erlöse uns von der Liebe“ (1980)

Mich hat diese arithmetische Darstellung der Ehe so fasziniert, daß ich mir das Buch extra nochmals aus dem Antiquariat bestellt habe. Allerdings muß man berücksichtigen, daß sich seit 1980 doch in mancher Hinsicht etwas geändert hat. Früher bestand die klassische Rollenaufteilung darin, daß die Ehefrau sich ganz allein um den Haushalt und die Kinder gekümmert hat und dem Ehemann dadurch den Rücken für seine Arbeit freihielt. Je nach Klassenzugehörigkeit – es gab und gibt nämlich Klassen! – mußten viele Frauen dann neben Haushalt und Kindererziehung auch noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Eigene Bedürfnisse gab es für diese Frauen nicht, so daß man wirklich in Bezug auf die Ansprüche – nicht auf die Wichtigkeit und die Leistung! – von dem Wert Null ausgehen konnte.

Heute arbeiten oftmals beide Elternteile und die Kindererziehung wird nicht mehr eigenständig von der Frau wahrgenommen. Der Ehemann kommt jetzt nicht mehr in den Genuß, den Rücken freigehalten zu bekommen, sondern muß sich an der Kindererziehung beteiligen. Gleichzeitig hat sich der Stellenwert der kindlichen Bedürfnisse geändert und während früher das Familienleben auf die Bedürfnisse der Erwachsenen ausgerichtet war, richtet sich heute alles nach den Bedürfnissen der Kinder, wodurch sich wiederum die Anforderungen an die Eltern erheblich erhöht haben.

Der Frauentyp von damals, der in nie hinterfragter Selbstverständlichkeit enorm viel geleistet und gleichzeitig so gut wie keine Ansprüche gestellt hat, ist ausgestorben. Aber auch jetzt gilt immer noch die arithmetische Formel, derzufolge eine Ehe mit dem Wert 1 = Einheit dargestellt wird. Und auch jetzt scheitern Ehen daran, daß es anscheinend sehr schwierig für zwei Menschen mit eigenen Bedürfnissen ist, zusammen eine Einheit zu ergeben. Das ganze funktioniert nach wie vor nur dann, wenn einer der beiden Eheleute eine Null ist. Und dieses Los kann jetzt durch den Rollenwandel eben zwangsläufig auch auf Männer fallen. Es gibt jetzt auch unter Männern den Typus, der seine Bedürfnisse verleugnen muß und neben der Arbeit voll verantwortlich für Kindererziehung und Haushalt ist.

Früher wurde von Seiten des Ehemannes gern darauf hingewiesen, daß er es durch seine Verpflichtung der Arbeit doch viel schwerer als die Ehefrau hätte. Jetzt haben sich die Zeiten geändert und es sind zunehmend die Ehefrauen, die ihrem Mann bittere Vorwürfe darüber machen, daß sie doch das viel schwerere Los hätten - ungeachtet der Tatsache, daß sie gar nicht mehr allein verantwortlich für Haushalt und Kinder sind. Vielleicht liegt dies auch daran, daß momentan noch viele Frauen aus Familien stammen, deren Mütter sich noch einzig und allein Haushalt und Kindern gewidmet haben. Für die Töchter dieser Frauen stellt es eine revulutionäre Leistung dar, nicht mehr ausschließlich für die Familie dazusein und dies führt anscheinend nicht selten zu einer nicht unerheblichen Selbstüberschätzung der eigenen Leistung.

Die arithmetische Gleichung, nach der nur 1 + 0 = 1 sein kann, gilt unverändert – nur daß mittlerweile nicht mehr zwangsläufig Frauen den Nullwert darstellen, sondern zunehmend auch Männer in diese Misere geraten können. Und die stetig zunehmende Zahl der Scheidungen macht eins deutlich:

Niemand möchte gern eine Null sein!

Ehe gnadenlos
Ehe

Die Frau beschimpft ihn
und er sieht nur aus dem Fenster.

Einmal war sie
ein schönes stilles Mädchen
schwarzweißes Wachsfräulein
mit feinen Armen,Händchen
die hielten ihn, den Kenner, fest.

Jetzt ist ein eignes Fest in ihren Augen
Erinnerungen von weit her:

Großmutters Truhen geöffnet.
Der Himmel
lag auf den Hügeln vor der Tür.
Und dahinein das Mädchen
das einmal Brombeerpflücken ging.
Und sie war dieses Mädchen.
Was für ein Glück hätt’ können sein
wenn ein’s gewesen wär.

Fort und fort
ein enthauptetes Leben
das wer verschuldet haben soll.

Er weiß von nichts.
So nimmt er’s eben an
und seine Augen werden immer kleiner.

Fast Nacht um ihn.
Darin ist ausgestellt
feinsäuberlich der Herd, der Tisch, das Bett
gänzlich vermummt die Frau
und ohne Eingeweide
wie er selbst.

Er schließt die Augen.
In ihren liegen fremde Tränchen eh.


Friederike Roth (geb. 1948)


Sehr desillusionierend. Ein enthauptetes Leben. Dafür aber gut möbliert. Und wie bei einem Krieg hat der andere die Schuld.

Seife und Wurst. Kinder und Eigenheim.
Erschreckend nüchtern und schnörkellos schreibt Gottfried Benn über die Ehe. Seine Frau Herta beschreibt er wie folgt:

"Ein reizender Gebrauchsgegenstand. Ich bin nicht im Geringsten verliebt, es ist reiner Ordnungssinn. Ich kann nicht abends noch Brot einkaufen und Seife und Wurst".

Damit hat Benn sogleich mehrere Generationen von Frauenleben beschrieben, deren Sinn einzig und allein die Unterstützung des Mannes war. Kein Wunder, daß seine Frau Herta sich das Leben nahm - genauso wie seine Geliebte Lily Breda.

Der Rollenwandel des letzten Jahrhunderts hat an dieser Definition der Ehe nur die zwangsläufige Festlegung geändert. Es ist jetzt nicht mehr zwangsläufig die Ehefrau, die ihr Leben auf den Mann ausrichten muß. Jetzt geht das ganze auch umgekehrt. So wie Benn ganz ehrlich zugibt, abends "nicht noch Seife und Wurst kaufen zu können", so gilt heute für viele Frauen, daß sie sich nicht allein Eigenheim und Kinder leisten können. Wobei Frauen dies nur selten so ehrlich wie Gottfried Benn zugeben.

Früher heirateten Männer, weil es ihnen zu anstrengend war, sich neben der Arbeit allein um die lästige (und früher viel umfangreichere) Hausarbeit zu kümmern. Heute heiraten Frauen, weil es ihnen zu anstrengend ist, allein für die Kinder zu sorgen und allein das Eigenheim abzubezahlen.

Bei Gottfried Benn war es Seife und Wurst. Bei der Durchschnittsfrau ist es Kind und Eigenheim.

Einseitig ja – unrealistisch nein
Meine Freundin hat mich darauf angesprochen, warum ich grundsätzlich nur so ausgesprochen negativ und einseitig über die Ehe schreibe. Lese ich die Kommentare nochmals durch, empfinde auch ich das auch als erschreckend. Aber es ist eben auch nicht erschreckender als die Realität, denn es gibt Ehen, die an totalitäre Systeme erinnern. Und genauso, wie ich die DDR als bedrückend und erschreckend empfand, so empfinde ich auch manche Ehe als erschreckend. Ähnlich wie in der DDR wird in einigen Ehen die Post kontrolliert, die Taschen gefilzt, Ausgangssperre verhängt, und die freie Meinungsäußerung und Kontakt zu Freunden verboten. Und genau wie die Regierung der DDR in feister Selbstgefälligkeit jede Kritik verboten und alle Probleme grundsätzlich als durch andere verursacht angesehen hat, so passiert dies auch in manchen Ehen. Und wer tatsächlich mal aufmuckt muß mit Rausschmiß rechnen. Die DDR hat Ängste und Duckmäusertum verursacht – die Ehe steht dem in nichts nach.

Lenin hat die Ehe als die Keimzelle des Kapitalismus bezeichnet. Hätte er die DDR gekannt, hätte er der Tatsache ins Auge sehen müssen, daß die Ehe ebenso auch die Miniaturausgabe eines totalitären Systems ist.

Ich gebe zu, meinen Beiträgen fehlt die Sachlichkeit und Ausgewogenheit. Aber meinen Beiträgen fehlt auf keinen Fall der Realitätsbezug – der ist leider unzweifelhaft vorhanden.

Poesie der Ehe mal ganz unpoetisch
Engel-Ehe

Wie Federwisch und Bürste sie regiert!
Glas und Gerät, es blitzt nur alles so
Und lacht und lebt! Nur, ach, sie selber nicht.
Ihr schmuck Gesicht, dem Manne ihrer Wahl,
Wenn ihre wirtschaftliche Bahn er kreuzt,
Gleich einer Maske hält sie’s ihm entgegen;
Und fragt er gar, so wirft sie ihm das Wort
Als wie dem Hunde einen Knochen zu.
Denn er ist schuld an allem, was sie plagt,
Am Trotz der Mägde, an den großen Wäschen,
Am Tagesmühsal und der Nächte Wachen,
Schuld an dem schmutz’gen Pudel und den Kindern. –
.....
Er magert ab, er schlottert im Gebein,
Er wird daran ersticken jedenfalls.
Doch eh’ ihm ganz die Kehle zugeschnürt,
Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;
Die Rede, die er brütend ausstudiert,
Womit vor seinem letzten Atemzug,
Jedwedes Wort ein Schwert, auf einen Schlag
Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,
Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln
Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.
Das alles weiß er , und es macht ihn toll;
Er geht umher und fluchet innerlich.
Ja manches Mal im hellen Sonnenschein
Durchfährt es ihn, als stürz’ er in das Grab.

.......
Theodor Storm (1817-1888)

Ehe jenseits von Hollywood und Flitterabend. Ich wüßte zu gern, ob es Storms eigene Erfahrungen sind, oder ob er über etwas lediglich bei anderen Beobachtetes schrieb. Ich wüßte es deswegen gern, weil Storm einerseits seiner Frau Constanze und seiner Geliebten Dorothea wunderschöne Gedichte gewidmet hat aber andererseits merkwürdigerweise der Ehefrau erst posthum nach ihrem Tod und der Geliebten nur vor der Ehe.

Es spricht einiges dafür, daß man über die Ehe nur poetisch schreibt, wenn sie vorbei ist oder wenn sie noch gar nicht begonnen hat. Mittendrin gibt's keine Poesie.

Héloise und Abaillard - die etwas andere Ehe
Und da ich wegen meiner bösen Beiträge über die Ehe - wahrscheinlich zu Recht - den Vorwurf der Einseitigkeit erhalten habe, jetzt hier mal ein Beitrag über eine Ehe, die bei mir große Faszination ausgelöst hat:

Ich hatte in der vergangenen Woche Gelegenheit in einer fantastischen Bibliothek zu schmökern. Hierbei fiel mir ein Buch über berühmte Frauen des Mittelalters in die Hände. Und in den verschiedenen Lebensläufen fand ich auch den der Héloise.
Eine faszinierende Liebesgeschichte ist die von Héloise(1095 – 1164) und Pierre Abaillard (1079 – 1142) . Schon allein die bühnenreife Dramatik – Entführung, Entmannung, Rückzug ins Kloster – hat diese Liebesgeschichte unsterblich gemacht. Die vielen Liebesbriefe legen Zeugnis ab für eine äußerst sinnliche Liebe. Aber das wäre noch nichts besonderes, denn Sinnlichkeit ist der Inhalt der meisten Liebesbriefe.

Das, was die Liebe von Abaillard und Héloise zu etwas absolut Besonderen macht, ist die Verbindung von Geist und Sinnlichkeit. Héloise war als 16jährige Schülerin von Abaillard und beide waren durch ein leidenschaftliches Interesse an Philosophie und Fragen des Glaubens verbunden. Abaillard ist wesentlich bekannter als Héloise, aber auch Héloise hat philosophische Werke verfaßt und sie sprach im Alter von 16 Jahren bereits fließend Französisch, Latein, Griechisch und Hebräisch und war bewandert in der antiken Philosophie. Sie war zutiefst beeindruckt von dem Wissen Abaillards und dieser hat ihr wunderschöne Liebeslieder gewidmet.

Aber es gibt etwas, was fast noch beeindruckender ist, als die tiefe Verbindung von Sinnlichkeit und Geist. Das ist der Freiheitswille Héloises. Obwohl im Mittelalter die Liebe ohne Ehe als große Sünde verpönt war, weigerte sich Héloise, eine Ehe einzugehen – und dies selbst dann noch, als sie schwanger wurde.

Ich werde unbedingt noch ein wenig recherchieren um herauszufinden, warum beide keine Ehe eingehen wollten und warum Abaillard Héloise ins Kloster schickte. Zum einen wird behauptet, Abaillard wollte sich seinen Verpflichtungen als Ehemann entledigen, die seiner klerikalen Karriere im Weg stände. Zum anderen kann man aber auch lesen, daß Abaillard Angst vor einer Wiederverheiratung Héloises hatte. Ersteres wäre schnödes Karrieredenken, letzteres fatale Eifersucht.

Héloise hat sich aus Liebe dem Wunsch des Geliebten gebeugt, obwohl sie auch immer wieder beklagte, daß ihre Liebe zu ihm der bedingungslosen Liebe zu Gott im Wege stände und sie selbst im Gebet in Gedanken bei ihrem Geliebten war.

Es ist unendlich faszinierend, von einer Liebe zu lesen, die sich auch in den Zauber geistiger Dimensionen erstreckte. Eine Liebe, die eine perfekte Verbindung von Geist und Körper darstellte und die sich nicht in der Gründung eines gemeinsamen Hausstands erschöpft. Eine Beziehung, die – zumindest von Héloises Seite – die große Bedeutung von Freiheit als Grundbedingung für Liebe erkannte.

Beide waren bis zum Tod Abaillards über ihre regelmäßigen Briefe in ständiger Verbindung. Und diese Briefe sind das Zeugnis einer lebenslangen Liebe, die den sinnlichen Teil der Liebe nur als Erinnerung kosten durfte. Die aber um so mehr die Tiefe der geistigen Liebe auslebte.

Von der merkwürdigen Ähnlichkeit eines Ehepartners mit einem Südstaatler
Wie wenig die Institution Ehe mit Liebe zu tun hat, kann man an den Auswüchsen einiger Selbsthilfegruppen und Internetforen sehen. In den Internetforen für Menschen, deren Partner sich in jemand anderen verliebt hat, geht es erschreckend wenig um Schmerz, Trauer und Verlust. Die Beiträge und Kommentare ähneln irgendwie mehr der selbstmitleidigen Reaktion der Südstaatler nach den Sezessionskriegen, als diese das Fortlaufen ihrer Sklaven beklagten. Und genau wie die Südstaatler felsenfest davon überzeugt waren, daß ihre Sklaven ihnen aufgrund einer anscheinend gottgewollten Ordnung für immer und ewig gehören, genauso sind auch die TeilnehmerInnen dieser Foren überzeugt von der ewigen Leibeigenschaft ihres Partners.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: ich habe großen Respekt vor dem Schmerz des Verlassenseins und wahrscheinlich gibt es keine größere Verzweiflung als die des Liebesverlusts . Aber wie gesagt – um Schmerz geht es in den betreffenden Foren überhaupt nicht. Stattdessen gibt es jede Menge Tipps zur Überwachung des Leibeigenen, zwar gibt es keine Fußfesseln mehr, dafür aber Handyortung, Mailüberwachung und Rechnungskontrolle.

Niemand in diesen Foren fragt sich auch nur ansatzweise nach dem Wieso und Warum und es scheint viel eher das Rechtsempfinden verletzt worden zu sein, als die Gefühle. Der selbstgewählte Begriff „Betrogen“ macht dies ja auch mehr als deutlich, denn dieser Begriff stammt nicht aus der Psychologie sondern aus dem Strafrecht und bezeichnet einen Straftatbestand, der mit gesetzlichen Sanktionen belegt werden muß. Und genauso wie der Südstaatler dem verhaßten Yankee die Schuld für den Verlust seines Sklaven gibt, genauso macht der Ehepartner die neue Beziehung für alles verantwortlich. Und weder Südstaatler noch Ehepartner würden sich jemals die Frage stellen, ob das Zusammenleben mit ihnen eigentlich angenehm ist. In feister Selbstgefälligkeit pochen sie auf ihr Recht der Bestimmung über das Leben anderer.

Deckmantel Paartherapie
Bei der Paartherapie wird nicht selten ein ehespezifisches Dilemma deutlich: nicht gemeinsam soll etwas verändert werden sondern nur der andere hat sich gefälligst zu ändern. Anstatt einen Konflikt als ein Symptom für ein krankes Miteinander anzusehen, wird kurzerhand der andere als Alleinverschulder eingestuft. Unter dem Deckmantel der Paartherapie soll im Grunde allein der Partner therapiert werden, der dann am besten noch auf den Knien um Entschuldigung bitten sollte. Das tatsächliche Ziel ist nicht das Suchen von Lösungen, sondern das zu-Kreuz-Kriechen des anderen.

Man selbst ist doch schließlich völlig in Ordnung so wie man ist - wenn es Konflikte gibt, dann doch nur deswegen, weil der andere nicht so will wie man selbst. Während man selbst bis ans Lebensende genauso bleiben will wie immer, hat sich der Partner von grundauf zu verändern.

Paartherapie kann Veränderungen bewirken, wenn der Wunsch nach Veränderung auch wirklich ernst gemeint ist. Wenn nur der Wunsch nach Veränderung des anderen besteht, ist dies rausgeschmissenes Geld.