Mittwoch, 7. April 2021
Kann man nach Auschwitz noch an Gott glauben?
"Rabbi", wollte ich wissen, "wie können Sie nach Auschwitz noch an Gott glauben?"

Er hatte die Hände auf den Tisch gelegt und betrachtete mich lange und schweigend. Dann antwortete er mit leiser, kaum hörbarer Stimme: "Und wie können Sie nach Auschwitz nicht mehr an Gott glauben?" Ich dachte eine Weile darüber nach, was er gesagt hatte. An wen sonst könnte man denn glauben? Hat nicht der Mensch in Auschwitz seine Rechte und Pflichten für immer aufgegeben? Bedeutet Auschwitz nicht die Niederlage der Menschheit, das endgültige Scheitern der Gesellschaft? Was bleibt uns außer Gott in einer Welt, die restlos von der Finsternis von Ausschwitz beherrscht wird? Der Rabbi sah mich an und wartete auf meine Antwort. Und ich schaute ihm ins Gesicht, als ich schließlich sagte: "Rabbi, wenn das, was Sie sagen, eine Antwort auf meine Frage ist, dann weise ich sie zurück. Wenn es aber eine Frage ist, eine Frage mehr sozusagen, dann nehme ich sie an." Ich bemühte mich zu lächeln, doch es gelang mir nicht.

Elie Wiesel (1928-2016) in "Alle Flüsse fließen ins Meer" im Dialog mit Rabbi Menachem Mendel Schneersohn (letztes Oberhaupt der Lubawitscher Bewegung)



Sonntag, 12. November 2017
Ein Dialog findet nicht statt – oder warum ist Hamed Abdel-Samad kein Gesprächspartner für Ahmad Milad Karimi?
Wahrscheinlich kennen die meisten Hamed Abdel-Samad aus den Medien – ein aus Ägypten stammender in Deutschland lebender Politikwissenschaftler, über den nach seiner Abkehr vom Islam eine Fatwa ausgerufen wurde, infolge der er sich nur noch mit einem rund-um-die-Uhr Polizeischutz bewegen kann.

Weniger bekannt ist wahrscheinlich Ahmad_Milad_Karimi, ein aus Afghanistan stammender Religionsphilosoph und Islamwissenschaftler, der seit seinem dreizehnten Lebensjahr in Deutschland lebt. Ich habe erst vor kurzem von Ahmad Milad Karimi gehört, als ich mehr oder weniger zufällig in ein langes Interview auf ARD Alpha hinein zappte, das ich dann bis zum Ende verfolgte.

Auf den ersten Blick wirkt Karimi ausgesprochen weltoffen. So schildert er beispielsweise, wie begeistert er nach seiner Ankunft in Deutschland von der Lektüre deutscher und auch anderer Philosophen war und auch immer noch ist. Auch jetzt im Rahmen seiner Lehrtätigkeit legt er seinen Studenten die Werke Kants und Hegels nah.

Unausweichlich kam während des Interviews auch das Thema auf zunehmende Gewalttätigkeit vieler junger Muslime. Leider wurde meine gerade aufkeimende Hoffnung auf eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema enttäuscht. Es wurde lediglich wieder nur die falsche Auslegung des Korans sowie die mangelnde Bildung als Grund angeführt und plötzlich war nichts mehr von der eben betonten Liebe zur kritischen Denkweise zu spüren, denn Karimi betonte ausdrücklich, dass der Islam keine Aufklärung benötigen würde, die wäre nur für die spezifisch abendländische Geschichte erforderlich gewesen.

Gänzlich zerstört wurde meine Hoffnung auf eine Auseinandersetzung, als das Thema auf Hamed Abdel-Samad kam, den Karimi damit kommentierte, für ihn sei dies „kein Gesprächspartner“ und das damit begründete, Abdel-Samad würde den Koran wörtlich zitieren und somit den gleichen Fehler wie der IS machen. Zur Information: Abdel-Samad listete in einem seiner Bücher eine sehr große Anzahl von Suren auf, die direkt und unmissverständlich zur Gewalt aufrufen. Das Standartargument lautete auch bei Karimi wie immer, man dürfe den historischen Zusammenhang nicht ignorieren.

Aber was genau ist damit eigentlich gemeint? Dass damals Gewaltaufrufe entschuldbar waren, nur weil es die damalige historische Situation angeblich erforderte? Ist die Welt denn heute friedlicher und gibt es weniger Konflikte oder Verfolgung als damals? Selbst wenn dies der Fall wäre, so kann ich jeden verstehen, der mit religiösen Richtlinien ins Schleudern kommt, deren Gültigkeit willkürlich mal als immerwährend und mal als auf damalige Zeiten begrenzt angesehen werden. Damals wie heute gab und gibt es die Entscheidung zwischen Gewaltanwendung und Gewaltverzicht. Es gibt Religionen, die sich sehr klar und unmissverständlich für Gewaltverzicht entschieden haben. Selbst wenn auch deren Anhänger sich immer wieder darüber hinweg setzen, so gibt es darüber nicht die unsägliche Diskussion der falschen Auslegung, sondern man kann das Problem direkt benennen als Missachtung der religiösen Gebote.

Was bleibt von dem Interview ist die bittere Erkenntnis, dass es in Bezug auf den Islam niemals eine kritische Auseinandersetzung geben kann, weil diese immer und grundsätzlich als Angriff angesehen wird und weil – das hat Karimi äußerst klar und unmissverständlich ausgedrückt – der Islam überhaupt keiner aufklärerischen Impulse bedarf, denn er ist gut so wie er ist. Somit bleibt Karimi die Erklärung schuldig, was man denn gegen die immer massiver werdenden Gewaltexzesse tun kann, denn sein Argument der mangelnden Bildung kann man leicht mit einem Blick auf die Golfstaaten entkräften – dort wird trotz eines sehr hohen Bildungsniveaus der Islam am rigorosesten ausgelegt. Übrigens hatten auch alle an den Anschlägen des 11. September Beteiligten sowohl Abitur als auch einen Platz an der Hochschule. Und sieht man sich mal unter den Diktatoren und deren Führungsstab dieser Welt um, so waren dies bei weitem nicht alle Analphabeten.

Zurück zu der Ablehnung Hamed Abdel-Samads als Gesprächspartner. Es ist äußerst befremdlich, wenn ausgerechnet ein Religionsphilosoph die Auseinandersetzung mit jemandem verweigert, nur weil dieser eine andere Sicht vertritt. Philosophie zeichnet sich ja gerade durch das Streitgespräch und die Lust auf Auseinandersetzung aus. Mir kommt gerade der Gedanke, ob dies vielleicht auch lediglich die abendländische Variante des Verständnisses von Philosophie darstellt…



Dienstag, 20. Januar 2015
Erinnerungen, die mir Mut machen
Das balinesische Neujahrsfest, bei dem auf einen ohrenbetäubenden Umzug ein Tag in völligem Schweigen und strikter Dunkelheit folgt. Ein hinduistisches Holi-Fest, bei dem alles in Farbe getaucht wird. Hochfeierliche Bestattungsrituale in Toraja/Sulawesi, zu denen man als Fremder einfach so eingeladen wird. Buddhistische Mönche, die vor der beeindruckenden Kulisse eines Felsenklosters mitten im Dschungel stundenlang ihre Gebete rezitieren. Ein geheimnisvolles kleines Dorf auf Bali, dessen Bewohner noch der uralten animistischen Religion angehören. Eine Choralkantate im Hamburger Michel, die an Engelsklänge erinnert. Ein mongolischer Schamane mit faszinierender Mimik und Montur. Hinduistische Sadhus, die einen Eindruck davon vermitteln, dass vollständige Bedürfnislosigkeit zu innerem Frieden führen kann. Frauen in wunderschönen Sarongs, die beim balinesischem Vollmondfest graziös Opfergaben auf dem Kopf balancieren. Die kleinen Sternsinger, die uns besuchen und mit rührender kindlicher Einfachheit erklären, warum sie unbedingt etwas für hungerleidende Kinder tun möchten. Eine hinduistische Kremation/Feuerbestattung, bei der große Fröhlichkeit herrscht, weil der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang begriffen wird. Ein chinesisches Ahnenfest, bei dem die Verstorbenen so innig verehrt werden, dass sie anwesend scheinen.

Ich bin glücklich und dankbar, dies alles schon erlebt haben zu dürfen. Dankbar für die Möglichkeit, schon so viele Länder mit ihren unterschiedlichen Religionen kennen gelernt zu haben. Dankbar dafür, manchmal aus puren Zufall sehr seltenen Zeremonien beigewohnt zu haben oder die Bekanntschaft ganz besonderer Menschen gemacht zu haben. Dankbar auch für die vielen interessanten anderen Reisenden, die ich dabei getroffen habe.

Es ist nicht zu leugnen, dass mich die Ereignisse der letzten Zeit sehr mitgenommen haben und ich beunruhigt über die Entwicklung bin. Deswegen habe ich mich über eine Sammlung einiger unserer Reisefotos gefreut, die mich wieder daran erinnert haben, dass Religiosität sich nicht nur in Sprengstoffattentaten und Freude an Zerstörung äußert. Religion kann - wie man sieht - bunt und fröhlich sein und die Menschen verbinden.

Habe festgestellt, dass noch jede Menge Fotos fehlen. Und freue mich auf die nächste Reise, die ich hoffentlich dieses Jahr machen werde. In ein buddhistisches oder hinduistisches Land. Nepal? Vielleicht sogar Bhutan??



Donnerstag, 7. November 2013
Glaube und Respekt – zwei Brüder und ihre Geschichte
Die aus einer jüdischen Familie stammenden Brüder Menachem und Fred Mayer haben den Holocaust überlebt und beide haben nach dem Krieg Deutschland für immer verlassen. Menachem wanderte nach Israel aus, Fred in die Vereinigten Staaten und die Verbindung zwischen beiden riss weitgehend ab, aber beide Brüder kehrten vor einigen Jahren auf Einladung des Sohnes eines SA-Mannes zu einem Besuch in ihre Heimat zurück. Keiner der übrigen Familienmitglieder hat den Holocaust überlebt und die Brüder begaben sich anlässlich ihres Besuchs auch auf Spurensuche nach Auschwitz.

Während Fred sich vom Glauben abwandte, hat für Menachem Religion eine große Bedeutung. Als beide den Schienenstrang der ins Vernichtungslager führenden Gleise entlanggehen, äußern sie sich beide zum Thema Glauben:

Gott starb hier in Auschwitz.

Gott war niemals hier in Auschwitz.

Diese beiden Aussagen bleiben für sich stehen und jeder akzeptiert die Entscheidung des Bruders.

Für mich stellen beide Aussagen für sich genommen Wahrheiten dar, die sich trotz ihrer Gegensätzlichkeit nicht widersprechen.

Auschwitz ist der Abgrund menschlichen Daseins und vor diesem Abgrund ist es nicht mehr vorstellbar, dass es etwas geben könnte, das den Begriff des Göttlichen erfüllt. Und gleichzeitig kann die Tragödie von Auschwitz auch als rigorose Verneinung eines Gottes angesehen werden, die dennoch trotzdem nicht mit seiner Nichtexistenz gleichgesetzt werden muss.

Was mich beeindruckt, ist die Toleranz und der Respekt mit dem die beiden Brüder der Entscheidung des anderen für bzw. gegen einen Glauben begegnen. Kein Dogmatismus und keine Versuche, die Entscheidung des anderen als falsch, dumm oder gefährlich darzustellen. Vielleicht beruht dieser Respekt auf der sehr leidvollen Geschichte der beiden Brüder. Im Angesicht des großen Schmerzes, den beide erfahren haben, verbietet sich ein gegenseitiges Zurechtweisen. Beide Entscheidungen haben ihre Berechtigung und es tut gut zu sehen, wie respektvoll man mit Glaubensfragen umgehen kann.
Wer noch mehr wissen will:
http://www.menachem-und-fred.de



Samstag, 12. Januar 2013
Die merkwürdige Institution der Zeitehe
Der Islam erlaubt niemals, dass eine Frau Sex mit hunderten Männern hat. Es sei denn, die Männer zahlen dafür und kommen für den Unterhalt auf. Darum geht es in der Zeitehe. Leute, die nicht genug Geld für eine Ehe haben, können eine Zeitehe eingehen.
Aussage eines Mullahs in der Dokumentation „Im Basar der Geschlechter“

Schon immer empfand ich die Zeitehe, die es im schiitischen Islam gibt, als eine sehr kuriose Einrichtung. Die Zeitehe, persisch Mutah, erlaubt es den schiitischen Muslimen, eine Ehe auf Zeit einzugehen, wobei die Dauer sich auf eine halbe Stunde bis zu vielen Jahren erstrecken kann.

Vorgestern gab es nun eine Dokumentation auf Arte über die Zeitehe, die ich mit Spannung verfolgt habe. Es gibt einige Vorschriften für den Abschluss einer Zeitehe. Zum Beispiel darf nach Aussage des Mullahs eine Jungfrau nur eine "nicht sexuelle" Zeitehe eingehen. Was man darunter zu verstehen hat, hat der Mullah sehr direkt beschrieben: „Es darf keine Penetration stattfinden, weder von vorn noch von hinten.

Die islamische Beschränkung auf vier Ehefrauen gilt für die Zeitehe nicht. Zwischen zwei Zeitehen müssen zwei Monatsblutungen liegen, damit die Vaterschaft eindeutig ist. Auf die Frage, ob dies für eine Frau nach den Wechseljahren auch gilt, antwortet der Mullah: „Nein, da gilt diese Vorschrift nicht“. Lachend fügt er hinzu: „Aber wer will schon so eine Frau?“

Ein anderer Mullah erklärt den Sinn der Zeitehe mit der Aussage: „Der Islam verlangt Respekt vor der Sexualität“. Dieser Satz hat mir zu Denken gegeben. Was könnte damit wohl gemeint sein? Der Gedanke, für Sexualität Respekt einzufordern, wird wahrscheinlich von vielen grundsätzlich nicht als falsch eingestuft. Unstrittig ist jedoch, dass es fast unmöglich sein dürfte, hierfür Normen zu definieren. Es kommt ja oftmals schon zwischen lediglich zwei Menschen zu zu keiner Einigkeit in dieser Frage. Zudem ist dieses Thema sehr anfällig für Polemik, was ich auch hier beim Bloggen schon erlebt habe. Polarisierungen scheinen bei diesem Thema fast unvermeidlich zu sein, da es leider immer wieder das wenig konstruktive Bedürfnis gibt, dieses komplizierte und sehr sensible Thema mit Schubladenkategorien abzublocken. Nichtsdestotrotz ist das Phänomen Zeitehe viel zu interessant um sich damit nicht auseinanderzusetzen.

Während ich die Sendung ansah, fiel mir ein früherer aus dem Iran stammender Bekannter ein. Von ihm weiß ich, dass im Iran Prostitution durchaus existiert. Allerdings muss tatsächlich vor dem Sex geheiratet werden. Unterlässt man dies, muss die Frau mit Todesstrafe rechnen und auch der Mann erhält eine Strafe.

Man wird unschwer leugnen können, dass hinter den vielen Vorschriften, die es im Islam in Bezug auf Sexualität gibt – und es gibt derer wirklich viele – die unverrückbare Angst vor der selbstbestimmten und unabhängigen Frau steckt, die tut und lässt, was sie will. Konsequenterweise gibt es die Möglichkeit per Zeitehe mehrere Ehepartner zu haben auch nur für Männer. Aber davon abgesehen ist die Formulierung: "Der Islam erlaubt niemals, dass eine Frau Sex mit hunderten Männern hat, es sei denn, die Männer zahlen dafür und kommen für den Unterhalt auf " höchst erstaunlich, denn im Klartext heißt dies nichts anderes als „Ohne Geld kein Sex“. Man könnte fast an die Hartlinerinnen des Feminismus erinnert werden, für die jede Form des heterosexuellen Sex gleichbedeutend mit Prostitution war und deren Resümee dann darin gipfelte, Prostituierte als die wahren selbstbefreiten Frauen hochzustilisieren.

Was auch immer es zu der Institution der Zeitehe zu sagen oder zu assoziieren gibt – es bleibt ein Kuriosum. Und obwohl die Zeitehe zumindest eine Art Notlösung für die fehlende sexuelle Freiheit ist, stellt sie eine Farce dar, die zwar einerseits die sexuelle Zwangsmoral entlarvt, diese andererseits aber erst recht stabilisiert.



Donnerstag, 20. September 2012
Eskalation
Das, was sich zur Zeit zusammenbraut, macht mir Angst. Nein, es ist nicht nur dieses Video. Es sind die unzähligen Anlässe, die genauso nichtig waren und die trotz ihrer Nichtigkeit zu Wellen von Gewalt geführt haben. Da gab es beispielsweise vor vielen Jahren einen kleinen Fernsehspot von Rudi Carrell, in dem ein Filmschnitt den Eindruck vermittelt, der Ayatollah Khomeini transportiert in seinem Koffer Damenunterwäsche. Reaktion: Morddrohungen und Ausweisungen des deutschen Botschafters! Da gibt es eine Zeitung, die es wagt, unter den vielen Menschen, die von ihr karikiert werden, auch irgendwann einmal ein paar Karikaturen des Propheten zu mischen. Reaktion: eine Welle von Gewalt mit vielen Toten. Dann gibt es eine Lehrerin, die ohne sich dabei etwas Böses zu denken, den Teddy eines muslimischen Schülers Mohammed tauft. Reaktion: Androhung der Todesstrafe!

Was passiert hier eigentlich? Wie kann es dazu kommen, dass jede kritische oder ironische Äußerung als Kriegserklärung aufgenommen wird, auf die zwangsläufig und ohne Diskussion umgehend mit kriegsähnlichen Aktionen reagiert werden muss?

Vor einigen Wochen gab es in einer Zeitschrift ein Bild des Papstes, das ihn mit kot- und urinverschmutzter Soutane zeigte. Ziemlich geschmacklos und nur bedingt komisch. Auch der Vatikan reagierte und wollte die Verbreitung der Auflage verbieten lassen, allerdings wurde der Antrag wieder zurückgezogen. Ich empfand es als einigermaßen peinlich, dass sich die Zeitungsmacher in Märtyrerhaltung als Opfer der Zensur darstellten, denn es gibt sicherlich noch so manche andere, die es auch nicht gern sehen würden, auf so entwürdigende Weise dargestellt zu werden und die folglich eine Verbreitung verhindern würden. Aber wie dem auch sei – es gab weder Gewaltakte, geschweige denn Tote. Ein weiteres Beispiel ist Monty Pythons „Das Leben des Brian“. Der Film lebt zum großen Teil davon, das Leben Jesu ins Lächerliche zu ziehen und man kann darüber streiten, ob dies nun vom Grundsatz her so viel anders ist als besagtes Mohammed-Video. Es gab bei Erscheinen des Films zwar von Seiten der Kirche Kritik und Proteste aber weder Ausschreitungen noch sonstige Gewalttätigkeiten. In unserer westlichen Welt hat es sich eingebürgert, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung sehr hoch bewertet wird.

Wer jetzt meint, dass es sich ausschließlich um ein religiöses Problem handelt, irrt gewaltig. In Gestapogefängnisse, in den Gulag, nach Bautzen oder nach Choeung Ek kam man nicht, weil man irgendeine Religion kritisierte, sondern weil man das kritisierte, was als unantastbare Wahrheit galt. Atheistische Ideologien können in Bezug auf ihren Absolutheitsanspruch und Dogmatik durchaus den religiösen Ideologien das Wasser reichen. Und sie können genauso menschenverachtend sein. Das nämlich ist es, worum es eigentlich geht. Um die Vermessenheit, Menschen mit Gewalt daran hindern zu wollen, andere Wertsysteme zu besitzen.

Man kann im Fall des Islams sicher noch weiter in die Tiefe gehen und sich fragen, warum selbst schon der kleinste und banalste Scherz den angeblich so festen Glauben sofort gefährlich ins Wanken bringen kann. Und warum so hartnäckig ausgeblendet wird, dass in der westlichen Kultur grundsätzlich auch andere Religionen kritisiert und karikiert werden. Es scheint fast, als ob Muslime überall eine gezielte Verschwörung gegen den Islam wittern, gegen die sie sich gar nicht schnell genug zur Wehr setzen können. Wird da nicht vielleicht ganz heftig die eigene Intoleranz und Gewaltbereitschaft projiziert? Ich erinnere nur an die Buddha-Statuen von Bamiyan. In beispielloser Ignoranz wurde dieses UNESCO Kulturerbe in die Luft gesprengt, nur weil die Statuen einen anderen Glauben verkörperten. Übrigens hat es trotz der tiefen Betroffenheit, die dies bei Buddhisten ausgelöst hat, nicht zu Gewaltakten geführt. Im Buddhismus herrscht ein tiefer Respekt vor dem Leben aller Lebewesen.

Irgendwie kommt es mir vor, als hätten so manche Muslime nur auf diesen Film gewartet. Es wird ja auch im Koran geschrieben, dass es zwar gut sei, friedlich zuhause zu bleiben, es aber besser wäre, in den Krieg zu ziehen. Es gibt so manches, was beim Islam nachdenklich macht.

Eine kleine Spitze muss ich noch loswerden: Ist es wirklich so unangebracht, von Pädophilie zu sprechen, wenn ein fast fünfzigjähriger Mann ein Kind von neun Jahren heiratet und mit ihm auch die Ehe „vollzieht“ (so heißt es wörtlich in den entsprechenden Quellen). Merkwürdigerweise wird dies, seitdem man in der westlichen Welt darauf aufmerksam geworden ist, plötzlich mit viel Eifer recherchiert und man kommt jetzt zu Berechnungen, bzw. Quellen, die ein höheres Alters des Kindes belegen sollen.
Edit:
Dass auch Muslime Karrikaturen und Videos machen, wurde schon vor mehreren Jahren in einer Sendung von FRONTAL berichtet:

Zitat des Frontal-Moderators: Wer Respekt verlangt, sollte ihn zollen
...oder aber die Respektlosigkeit anderer hinnehmen.



Mittwoch, 25. Juli 2012
Bluthochzeit II
Ich habe versucht, weitere Informationen über das Thema Beschneidung zu finden. Und dabei einen Artikel gefunden, in dem ein islamischer Arzt sich über den Hintergrund der Beschneidung äußert: Die Beschneidung soll im Neugeborenen Alter, z.B. am 7. Lebenstag, oder später bis zur Geschlechtsreife vollzogen werden. Ist dieser Zeitpunkt überschritten, bzw. erfolgt der Übertritt zum Islam nach der Geschlechtsreife, entfällt die Pflicht. Der empfohlene Charakter dieser Tradition bleibt nichtsdestotrotz bestehen. Ich war ein wenig erstaunt darüber, dass eine im Erwachsenenalter vorgenommene Beschneidung so wenig Bedeutung hat. Dies unterstützt aber meine Vermutung, dass die Beschneidung einen symbolischen Akt der Defloration darstellen soll. So wie die Defloration den Beginn der weiblichen Sexualität darstellen und den Bund mit einem Mann schließen soll, so soll auch die Beschneidung nicht nach der ersten sexuellen Begegnung erfolgen, sondern davor. Für den Bund mit dem Ehemann und den Bund mit Gott wird Exklusivität gefordert.

Dies deckt sich auch mit dem historischen Hintergrund des Islams. Der Islam war immer ein Feldzug gegen Polytheismus und sieht die Vielgötterei als eines der größten Übel an. Nicht nur früher, sondern auch heute, wie die Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan gezeigt hat. Übertragen auf die symbolische Bedeutung der Beschneidung heißt dies, dass alles unterbunden werden muss, was diesen Bund in seiner Ausschließlichkeit und Reinheit bedroht.

Interessant ist der Mythos, dass Mohammed schon beschnitten zur Welt gekommen sein soll. Diese Vorstellung löst das Dilemma, dass ein wirklicher Bund mit Gott nur durch eine vor der Geschlechtsreife erfolgte Beschneidung geschlossen werden kann.

Zu dem Thema der Auswirkungen der Beschneidung habe ich Beiträge in speziellen Foren gefunden, in denen sich erwachsene Männer über die Folgen der (vorwiegend aus medizinischen Gründen) ihrer Beschneidung äußern. Dabei wird deutlich, dass es sich bei weitem nicht nur um einen kleinen Schnitt handelt, dessen Schmerzhaftigkeit nach kürzester Zeit vorüber ist. Dies wird allerdings von muslimischer Seite anders gesehen. Es sei dahingestellt, ob im nachherein die großen Schmerzen bagatellisiert werden, oder das Klagen über Schmerzen so tabuisiert wird, dass es von vorneherein verdrängt wird. Wobei die Tatsache an sich – also der durch die Beschneidung ausgelöste Schmerz – nicht geleugnet wird, denn gerade das Aufsichnehmen des Schmerzes macht sowohl den Jungen als auch dessen Familie so stolz, da es den Entwicklungsschritt vom Jungen zum Mann darstellt.

Bei dem Argument, dass die Menschenrechte ein höheres Gut als die Religionsfreiheit darstellen, zeigt sich das Problem, dass es „die Menschenrechte“ nicht gibt. Die „Organisation der islamischen Zusammenarbeit“, die 57 Mitgliedsstaaten mit islamischer Staatsreligion umfasst, hat in der „Kairoer Erklärung der Menschenrechte“ ihre eigenen Vorstellungen von Menschenrechten formuliert. In der Erklärung wird immer wieder Bezug auf die Scharia genommen. Den einzelnen Richtlinien/Verboten wird dann fast immer der Absatz hinzugefügt: "...außer wenn die Scharia es verlangt." Das realtiviert dann alles, sogar das Verbot des Tötens.

Fasst man all dies zusammen, dann wird zum einem deutlich, warum die Beschneidung im Kindesalter im Islam so eine hohe Bedeutung hat und warum es kaum möglich sein wird, daran etwas zu ändern. Für den Islam ist die wortgetreue Befolgung des Korans und der Sunna ein unantastbares Gut, das nicht diskutierbar ist. Dies wird zusätzlich verstärkt durch eine Haltung, die jegliche Kritik an Teilaspekten des Islams mit grundsätzlicher Islamfeindlichkeit schlechthin gleichgesetzt. Der Islam blendet aus, dass sich in säkularen Gesellschaften ausnahmslos jede Religion einer Auseinandersetzung stellen muss.

Sollte es überhaupt jemals einen Weg geben, um eine Diskussionsbereitschaft zum Problem der Beschneidung im Kindesalter zu wecken, – was ich bezweifle – dann wird dies nur möglich sein, wenn sich alle Beteiligten die Mühe machen, Ursachen und Hintergründe der Positionen der anderen Seite zu ergründen. Jegliche Kritik an religiösen Praktiken grundsätzlich als Islamfeindlichkeit auszulegen hilft dabei genauso wenig, wie jegliche religiöse Überzeugung als geistige Zurückgebliebenheit zu entwerten.



Samstag, 21. Juli 2012
Bluthochzeit
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mich nicht über das Thema Beschneidung zu äußern. Zum einen ist es fast unmöglich, dieses Thema ohne Polarisierungen zu behandeln, zum anderen ist das Thema untrennbar mit Religion verknüpft und meine Erfahrung mit der Diskussion über Religion/Glauben ist nicht allzu gut. Aber ich versuche es hier trotzdem einmal.

Zuerst einmal stellt für mich die Beschneidung als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses seit jeher ein Phänomen dar, das mich verwundert. Für Atheisten erübrigt sich wahrscheinlich jede abwägende Diskussion über das Thema, weil jedes auf Religion begründete Handeln als irrational, wenn nicht gar als primitiv eingeschätzt wird. Für Nicht-Atheisten ist es sehr viel komplizierter, da man Glauben als einen wichtigen Bestandteil des menschlichen Seins begreift und somit auch ein Glaubensbekenntnis an sich nicht ablehnt. Allerdings endet damit auch schon die Gemeinsamkeit, denn entweder man hängt einer Religion an, die die Beschneidung bedingungslos für erforderlich hält oder aber man hängt einer Religion an, für die das Thema Beschneidung gar keine Rolle spielt.

Ich bin gläubig, kann also grundsätzlich verstehen, dass jemand das Bekenntnis zu seinem Glauben auch ausdrücken möchte. Allerdings befremdet es mich, dass der Bund mit Gott ausgerechnet durch das Herumschneiden am Geschlechtsteil geschlossen wird. Dies räumt dem Geschlechtsteil eine immense Wichtigkeit ein. Nicht der Geist stellt die Verbindung zu Gott dar und auch nicht das Handeln, sondern das männliche Geschlechtsteil. Es ähnelt einem Opfer: „Sieh her Gott, ich opfere Dir unter Schmerz ein Stück meines Körpers“. Ausgerechnet ein Stück desjenigen Körperteils, das eigentlich Lust – und nicht Schmerz – bereiten soll.

Ich habe für dieses Ritual meine eigene Erklärung, für mich ist es ein Imitieren der Defloration. In fast allen Kulturen dieser Welt wird die Eheschließung als Symbol des Bundes zwischen zwei Menschen angesehen. Für die Frau – sofern sie noch Jungrau ist – ist die Hochzeitsnacht auch mit Schmerz verbunden. Muslimische Frauen formulieren manchmal die Wichtigkeit der Jungfräulichkeit bei der Eheschließung mit den Worten: „Das ist mein Geschenk an meinen Mann, der Beweis meiner Liebe“. Diesen Liebesbeweis tritt der Mann durch die Beschneidung an, allerdings nicht in der Beziehung zur Frau sondern in der Beziehung zu seinem Gott. Auch die Zeremonie als solche ähnelt sehr. Das Beschneidungsfest ist der größte Tag im Leben eines Jungen, der für dieses Ereignis wie ein Prinz ausstaffiert wird. Eine Hochzeit ist der größte Tag im Leben einer jungen Frau, die ebenfalls wie eine Prinzessin ausstaffiert wird. Bei einem traditionellen Beschneidungsfest wird die Vorhaut auf einem silbernen Tablett herumgereicht, bei der Hochzeit ist es nach der Hochzeitsnacht das blutige Laken. Blut scheint bei beiden als Symbol der Hingabe unverzichtbar zu sein, was wiederum die Assoziation eines religiösen Opferritus nicht abwegig erscheinen lässt.

Eine Beschneidung ist ohne Wenn und Aber eine Körperverletzung. Diese wird einem Kind allerdings nicht zugefügt, um ihm weh zu tun, sondern um es in die Gemeinschaft aufzunehmen. Jüdische oder muslimische Eltern lassen ihre Söhne beschneiden, weil sie der festen Überzeugung sind, dass sie damit für ihr Kinde etwas Wichtiges und Gutes tun. Es ist kaum möglich, an dieser Überzeugung zu rütteln. Jüdische Vereinigungen haben beispielsweise das Beschneidungsverbot umgehend mit dem Vorwurf des Verbots der Religionsfreiheit gekontert, ohne dabei argumentativ auf den Tatbestand der Körperverletzung einzugehen.

Das Recht auf freie Ausübung der Religion gehört zu den Grundrechten. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit allerdings auch. Und Kinder stehen dabei unter dem besonderen Schutz des Staates, der sie eben manchmal auch gegen Handlungen der Eltern schützen muss. Kann man unter diesen Umständen überhaupt eine Diskussion über das Thema Beschneidung führen, die den anderen in seiner Position achtet?

Was mir bei der ganzen Diskussion fehlt, sind Aussagen der Betroffenen selbst, also derjenigen Männer, die beschnitten worden sind. Fühlen sich diese Männer tatsächlich in ihren Menschenrechten verletzt? Wie haben sie die Beschneidung empfunden? Nur Schmerz oder auch Stolz? Durfte offen geweint werden oder musst der Schmerz und die Angst verborgen werden? War es ein wichtiger Schritt ins Erwachsenensein? Was empfindet es der kleine Junge, dem die Beschneidung unmittelbar bevorsteht? Wird eventuell im nachherein der Schmerz und die Angst verdrängt? Warum überlässt man die Entscheidung nicht dem Kind und wartet bis zum Erwachsenensein oder der Pubertät?

Wie ich bereits im Blog von Sturmfrau beschrieben habe, hat in meinem Bekanntenkreis ein Muslim darüber berichtet, dass er seine Beschneidung als äußerst schmerzhaft erinnert. Er wollte dies daher seinem Sohn ersparen, was aber von seinen Eltern nur schwer akzeptiert wurde, so dass es schließlich den Kompromiss einer „Mini-Beschneidung“ gab. Mir fällt gerade ein, dass Heinrich Heine, der jüdischer Abstammung war, die Beschneidung als „barbarischen Brauch“ beschrieben hat. Eine Kollegin schilderte mir, wie ihr aus medizinischen Gründen beschnittener kleiner Sohn an großen Schmerzen litt und lange geweint hat. Für sie wäre es daher unvorstellbar, diesen massiven Eingriff ohne wirklich triftigen Grund vornehmen zu lassen.

Wenn jemand felsenfest davon überzeugt ist, dass sein Glaube zu einem glücklichen Leben führt, dann wird er meist versuchen, alles zu tun, um seinem Kind diesen Glauben zu vermitteln. Das betrifft alle Glaubenssysteme – Hinduismus, Judentum, Buddhismus, Christentum, Islam. In gewisser Weise trifft dies auch für den Atheismus zu, der ja – anders als Agnostizismus oder schlichter Unglaube – genau wie Religionen auch von einem Richtig und Falsch ausgeht. Allerdings kann ein Glaubensbekenntnis, wie etwa das der Taufe oder einer buddhistischen Segnung später einfach ignoriert werden. Man zerreißt seinen Taufpass und lässt das geweihte Wasser wieder einfaches Leitungswasser sein. Eine Beschneidung hingegen kann nicht ignoriert werden, sondern stellt einen nie wieder zu revidierenden Eingriff dar.

Und weil Glaubenssysteme – religiöse genauso wie politische – immer den Andersdenkenden als den Falschgläubigen ansehen, wird man beim Thema Beschneidung keine Lösung finden.

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Freitag, 4. November 2011
Was an Nathan so weise ist
Vor kurzem habe ich in einem jüdischen Lesebuch die wunderbare Ringparabel aus Lessings „Nathan der Weise gelesen“. In der Parabel wird Nathan der Weise danach gefragt, welche monotheistische Religion er für die wahre halte. Er beantwortet dies mit einer Geschichte von einem Ring, dem die Eigenschaft zugesprochen wird, seinen Träger bei anderen Menschen beliebt und erfolgreich zu machen und der von dem Vater an den jeweils meistgeliebten Sohn vererbt wird. Irgendwann gibt es aber nicht nur den einen Ring, sondern auch zwei Imitate, die zusammen mit dem echten an drei Söhne vererbt werden. Diese befragen einen Richter danach, wie man herausbekommen könnte, welcher Ring der echte wäre. Der Richter beantwortet dies mit dem Ratschlag an die Söhne, die Ringe einfach zu tragen und dann zu sehen, bei welchem sich die Wirkung des Geliebtwerdens und des Erfolgs einstellen.

Es gibt mehrere Interpretationen dieser Parabel, in denen die verschiedenen Aspekte, wie z.B. die Gleichrangigkeit der Religionen oder die Betonung des Eigenbemühens als die eigentliche Botschaft angesehen werden. Für mich persönlich enthält die Ringparabel die Botschaft, dass man etwas nicht daran erkennen und bemessen kann, wie es präsentiert wird, sondern einzig daran, was es aus dem Menschen macht. Oder anders ausgedrückt – man sollte Überzeugungen nicht nach ihrer Theorie bewerten, sondern nach ihren Resultaten, das heißt, danach, was sie aus den Menschen machen. Eine falsche Überzeugung ist somit erkennbar an ihrer nicht vorhandenen Wirkung:

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; vor Gott und Menschen angenehm. Das muss entscheiden! Denn die falschen Ringe werden doch das nicht können!

Den Ring, dem die die Eigenschaft zugesprochen wird, beliebt zu machen, kann man durchaus mit einer Religion vergleichen, von der gesagt wird, dass sie der Menschheit durch das Gebot der Nächstenliebe Frieden bringt. Hört sich gut an. Aber wenn dann trotz des Gebots der Nächstenliebe Kriege geführt werden und Menschen hingerichtet werden, dann bleiben ihre Inhalte bloßes Wunschdenken.

Oder man vergleicht den Ring mit einer Religion, die verspricht, dass man, wenn man ausschließlich an ihren Gott glaubt und alle ihre Gebote strengstens befolgt, sich auf dem direkten Weg ins Paradies befindet. Wenn dann aber die Anhänger dieser Religion ihr ganzes Leben haßerfüllt dem Krieg gegen andere widmen und dabei alles andere auf der Strecke bleibt, hat sich die Verheißung der Religion als fasch erwiesen.

Man könnte den Ring auch mit einer Religion vergleichen, die die meint, die Lösung aller menschlichen Probleme in der Entsagung aller Leidenschaften und allem Anhaften gefunden zu haben. Wenn dies aber zur Folge hat, seelenruhig zuzusehen, wie Menschen hungern und unter erbärmlichen Zuständen leben, wirft dies Zweifel auf.

Für mich stellt die Ringparabel auch eine Absage an den Absolutheitsanspruch dar. Die Frage nach der „richtigen“ Religion ist ja nichts anderes als die Frage danach, welche Religion denn nun die absolute Wahrheit verkörpert. Wobei – und das ist mir überaus wichtig – Religion auch durch politische Überzeugung ersetzt werden kann. Und da gibt es eben nicht die ersehnte Antwort, sondern nur den Rat, abzuwarten. Die Zeit wird dann zeigen, wer auf dem richtigen Weg sei:

Es strebe jeder von euch um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring’ an Tag zu legen!

Nathan der Weise lehnt es nicht nur ab, die gewünschte Antwort zu geben, sondern er verweist auch darauf, dass der Ring seine Wirkung nicht ohne das Zutun seines Trägers entfalten kann. Eigentlich ist somit der Ring nicht das Entscheidende, sondern der Träger.

Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euren Kindes-Kindeskindern äußern: so lad’ ich über tausend tausend Jahre, sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weiserer Mann auf diesem Stuhle sitzen, als ich; und sprechen.

Ich glaube, dies ist das Entscheidende an wirklicher Weisheit: sie ist sich ihres Nichtwissens bewusst. Der Begrenztheit des menschlichen Horizonts und des Unvermögens, die Frage nach der Wahrheit zu beantworten. Ganz anders die Ideologie, die vorgibt, genau und unwiderlegbar die Wahrheit zu kennen. Die stets davon ausgeht, dass nur sie allein das Richtige erkannt hat und alle anderen irren.

Eigentlich hätte Nathan der Weise auch der Nathan der Bescheidene heißen können. Schade, dass wir so wenige Weise wie Nathan haben und stattdessen mit Ideologen vorlieb nehmen müssen.



Samstag, 26. Dezember 2009
Stichwort Buddhismus
Erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen westlicher Wissenschaft und Buddhismus

Eine höchst interessantes Phänomen ist für mich die Tatsache, daß sich viele ranghohe Buddhisten für westliche Wissenschaft interessieren. Nicht nur der Dalai Lama, sondern auch andere buddhistische Lehrer betreiben unter der Anleitung von westlichen Wissenschaftlern Studien und insbesondere die Quantenphysik stößt dabei auf großes Interesse. Momentan lese ich gerade das Buch „Buddha und die Wissenschaft vom Glück“ von Yongey Mingyur Rinpoche. Neben seinem schon als Kind begonnenen Studium des Buddhismus hat Yongey Mingyur auch schon früh ein ausgeprägtes Interesse an westlichen Wissenschaften entwickelt.

Dies ist auch nicht so verwunderlich, denn einige wissenschaftliche Thesen drücken genau das aus, was der Buddhismus schon seit viel längerer Zeit mit seiner Lehre vermitteln will. Es geht hier im Groben um die Unverläßlichkeit der menschlichen Erkenntnis. In der Quantenphysik wird ausgesagt, daß Materie manchmal stoffliche Eigenschaften zeigt, die man mit Teilchen in Verbindung bringt und manchmal die Eigenschaft von Energie-„Wellen“. Diese Erkenntnis hat die klassische Vorstellung zusammenbrechen lassen, in der Zustand des Universums durch die Positionen und Geschwindigkeiten der Teilchen beschreiben läßt.

Alles, was aus der Leerheit in Erscheinung tritt – Sterne, Galaxien, Lebewesen, Gegenstände und auch unsere Wahrnehmung von Zeit und Raum - , ist ein relativer Ausdruck der grenzenlosen Möglichkeit, eine momentane Erscheinung im Kontext der Unendlichkeit von Zeit und Raum. Mit anderen Worten, die Teilchen, aus denen sich das Universum aufbaut, können aus einer Sicht als „Dinge“ und aus einer anderen Sicht als sich durch Zeit und Raum erstreckende Ereignisse betrachtet werden.

Was mich eigentlich an dem Ganzen so fasziniert, ist die Tatsache, daß hier im Westen mühsam Schritt für Schritt durch Forschung und Studium Erkenntnisse entwickelt wurden, die in einer anderen Kultur auf einem ganz anderem Weg, nämlich durch den der Religion, also durch intuitives Erkennen entwickelt wurden. Zwei völlig unterschiedliche Wege – und ein verblüffend ähnliches Resultat.