Freitag, 16. April 2010
Hass als Testament
Vermächtnis

Nun mein Leben geht zu End,
Mach ich auch mein Testament;
Christlich will ich drin bedenken
Meine Freunde mit Geschenken.

Diese würd’gen, tugendfesten
Widersacher sollen erben
All mein Siechtum und Verderben,
Meine sämtlichen Gebresten.

Ich vermach euch die Koliken,
Die den Buch wie Zangen zwicken,
Harnbeschwerden, die perfiden
Preußischen Hämorrhoiden.

Meine Krämpfe sollt ihr haben,
Speichelfluß und Gliederzucken,
Knochendarre in dem Rucken,
Lauter schöne Gottesgaben.

Kodizill zu dem Vermächtnis:
In Vergessenheit versenken
Soll der Herr eur Angedenken,
Er vertilge eur Gedächtnis.


Heinrich Heine (1797-1856)

Ich atme erleichtert auf, wenn ich sehe, dass es außer mir auch noch andere gibt, die aus tiefer Seele hassen. Ich befinde mich nicht in schlechter Gesellschaft, wenn selbst ein großer Dichter wie Heine seinem Hass nicht nur ein ganzes Gedicht widmet, sondern dabei die Vorstellung der Rache genussvoll im Detail auskostet.

Hass ist ein unehrenhaftes Gefühl, das ist wahr. Aber der Anlass, der zu diesem Hass führt, steht dem in nichts nach. Ich hätte nichts dagegen, lammfromm zu sein – wenn ich nur von lammfrommen Menschen umgeben wäre. Und ohne die näheren Zusammenhänge zu kennen, bin ich mir sicher, dass Heines Verwünschungen nicht die Falschen getroffen haben...



Dienstag, 23. Februar 2010
Yes, she can... Schlangenfrauen, Flötenspielerinnen und U-Bahn-Philosophinnen
Die traurige Frau in der Untergrundbahn

O wie versunken die Augen,
Hände, sie litten so sehr
unter den tödlichen Laugen,
Schwester, das Leben ist schwer.

Niederwärts brausen die Gleise,
doch wenn die Sonne uns ließ,
donnert nur dunkler die Weise:
Schwester, das Leben ist süß!

Elisabeth Langgässer (1899-1950)
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Die Weidenflöte

Ich bin kein Fahnenträger,
kein adleräugiger Wegweiser
auf unserer Reise in das Land von Morgen.
Ich bin eine Weide neben dem Strom,
durch die die Winde wehen,
von der der Geist des Aufruhrs in der Welt
eine einfache Flöte bricht,
um eine Melodie zu spielen,
in der es Sturm gibt, Schmerz, Liebe
und ein wenig Morgendämmerung.

Katri Vala (1901-1944)
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An eine diffamierte Dame

Freundin, mein schuppiges Luder,
wer wollte sich nicht an dir messen,
Erkenntnisträchtige,
bäuchlings einen Biß mit dir tauschen
und Giftbäume plündern,
um zu wissen, wo Gott wohnt!

Du hast die Erde bevölkert, Schöne,
um man hat die verflucht,
eingefangen als Corpus delicti,

Erfindung der Erbsünder. Lache,
mein schuppiges Luder,
und räche dich an den Lechzenden,
fahre den Heuchlern ans Bein,
schlage ihnen ein Schnippchen, den Kerlen
aus Adams Geschlecht.

Dagmar Nick (geb. 1926)



Mittwoch, 16. Dezember 2009
Lyrik
Lyrik ist ein leidenschaftliches Ja zum Denken.
Eine Hymne an das Aufbegehren.
Eine Absage an Dummheit und Grobheit.
Lyrik ist gefühltes Denken
oder aber gedachtes Fühlen.
Lyrik ist das Nicht-Zweckgebundene.
Das Nicht-Konforme.
Lyrik ist Trost und Beistand
für alle diejenigen,
die sich in einer materialistischen Welt
fehl am Platz fühlen.

Lyrik ist die Gemeinschaft der Einsamen.

Da wo lebendige Menschen mehr und mehr verstummen,
reden Dichter zu uns und scheinen uns wie gute Freunde zu kennen.
Und helfen uns über manche schlaflose Nacht hinweg.

Lyrik ist das Zuhause
der Heimatlosen.



Samstag, 24. Oktober 2009
Liebe und Leidenschaft
Sie ist schön und mehr als schön; sie ist voll von Überraschungen. Schwarz wiegt in ihr vor: und alles, was sie einem offenbart, ist nächtlich und tief. Ihre Augen sind zwei Höhlen, in denen wie durch Nebel, das Geheimnis glitzert, und ihr Blick leuchtet auf wie der Blitz: ein Feuerausbruch in der Finsternis. Ich würde sie mit der schwarzen Sonne vergleichen, wenn man sich ein schwarzes, das Glück und das Licht ausgießendes Gestirn vorstellen könnte. Doch sie läßt eher an den Mond denken, der sie mit seinem bedrohlichem Einfluß gezeichnet haben muß; nicht der weiße Mond der Idyllen, de einer kalten Braut gleicht, sondern der böse und berauschende, in der Tiefe einer Gewitternacht schwebende, und von den eilenden Wolken gerüttelte Mond; nicht der friedliche, verschwiegene Mond, den den Schlaf der reinen Menschen besucht, sondern der dem Himmel entrissene, besiegte und aufrührerische Mond, den die thessalischen Hexen in harter Nötigung zwingen, auf dem erschreckten Grase zu tanzen. In Ihre schmalen Stirn wohnen hartnäckiger Wille und Raublust. Doch unten an diesem beunruhigenden Gesicht, wo bewegliche Nasenflügel das Unbekannte und Unmögliche einsaugen, leuchtet mit unaussprechlicher Anmut, das Lachen aus einem großen, roten und weißen und entzückenden Munde, der von dem Wunder einer prachtvollen Blume träumen läßt, aufgeblüht auf vulkanischer Erde.

Es gibt Frauen, die man besiegen und derer man sich in Liebe erfreuen möchte; aber bei ihr sehnt man sich danach, unter ihrem Blick langsam zu sterben.


Charles Beaudelaire (1821-1871)

Da ich seit einiger Zeit hier einen Beitrag mit dem Titel Ehe und Moral und einen von mir ständig ergänzten Kommentar "Kleine Gemeinheiten über die Ehe" habe, ist es an der Zeit, auch mal dem Thema Liebe ein bißchen Aufmerksamkeit zu widmen.

Und genauso wenig wie Ehe etwas mit Liebe zu tun hat, so hat auch Leidenschaft nichts mit Liebe zu tun. Es mag Berührungspunkte geben, aber die Qualitäten beider Gefühle sind völlig andere. Und darüber möchte ich ein wenig schreiben.



Donnerstag, 15. Oktober 2009
Nein!
Die Abweisung

Ich schreibe mit der Rabenfeder,
mein Herr.
Mein Herz, Ihr Herz
Ihre Ehre, meine Ehre
haben nichts gemein.
Ich schreibe mit der Rabenfeder.
Ich schreibe mit der Rabenschwärze
das Zeichen: Nein.

Ida Gerhardt (1905-1997)

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Selten hat jemand das Wort Nein so kraftvoll in Worte gefaßt. Rabenschwarze Lettern. Sollte man viel öfter schreiben. Manche Menschen verdienen ein rabenschwarzes Nein. In Riesenlettern. Unübersehbar, so daß es jeder sieht.

Bei manchen Menschen ist es schon lange überfällig - dieses große, rabenschwarze Nein. Aber gerade bei denjenigen, für die dieses Nein so dringend notwendig wäre, fehlt es den meisten an Mut. Allenfalls ein kleines, blasses, kaum sichtbares in Miniaturlettern hingekritzeltes Nein. Und das reicht bei weitem nicht!



Montag, 20. Juli 2009
Verrat am Selbst
Der Verrat am Selbst
beginnt meist schleichend,
selten plötzlich.
Manchmal nur ein Ja,
dort, wo man nein sagen wollte.
Oder ein nein,
wo man gern ja gesagt hätte.

Da wo man noch lächelt,
obwohl man schon längst
von Übelkeit geplagt wird.

Da beginnt der Verrat.
Da werden eigne Wände
wichtiger als eigne Wünsche.

Und langsam, langsam
wird aus einem Unikat
einfach nur noch Massenware.

Deswegen setzen wir so gern
Kinder in die Welt.
Wir haben es dann endlich wieder:
das Unikat, das uns in uns selbst
verloren ging.



Montag, 11. Mai 2009
Rilke muß man einfach lieben...
Warst mir die mütterlichste der Frauen,
ein Freund warst Du, wie Männer sind,
ein Weib, so warst Du anzuschauen,
und öfter noch warst Du ein Kind.
Du warst das Zarteste, das mir begegnet,
das Härteste warst Du, damit ich rang.
Du warst das Hohe, das mich gesegnet –
und wurdest der Abgrund, der mich verschlang.

Rainer Maria Rilke in einem Gedicht an seine große Liebe Lou Andreas-Salomé, nachdem diese sich von ihm getrennt hatte.

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Man muss den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen -
und dann Gebären...

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit ...

Man muss Geduld haben,
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke
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Wenn etwas uns
fortgenommen wird
womit wir tief
und wunderbar
zusammenhängen
so ist viel
von uns selber
mit fortgenommen.

Gott aber will
dass wir uns
wiederfinden
reicher um alles
Verlorene
und vermehrt um
jenen
unendlichen
Schmerz.

Rainer Maria Rilke
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Rainer Maria Rilke: Die Stille