Ich bin zu müde für die Philosophie der Balinesen und Inuit
Etwas, was mir von meiner mittlerweile schon viele Jahre zurückliegenden Balireise immer im Gedächtnis bleiben wird, ist der eigentümlich Mythos des einander bedingenden Guten und Bösen.

„Es muss auch das Böse geben, weil nur dadurch das Gute existieren kann“. Sehr sinnbildlich wird dies von den Balinesen im Barong-Tanz dargestellt. In diesem Tanz geht es um den Kampf zwischen dem das Gute verkörpernde, löwenähnlichen Barong und der das Böse verkörpernden Hexe Rangda.

Jetzt habe ich vor ein paar Tagen eine Sendung über Inuit gesehen, in der fast genau das Gleiche über das sich Bedingende Gute und Böse gesagt wurde: „Das Böse muss da sein, um das Gute zu ermöglichen“. Und da die Arktis und das indonesische Bali sehr weit auseinander liegen, ist es schon bemerkenswert, dass zwei so unterschiedliche Kulturen die gleiche Philosophie entwickelt haben.

Ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass eine Welt ohne das Böse erstrebenswert wäre. Keine Gewalt, keine Ausbeutung, keine Ungerechtigkeit – das wäre die ideale Welt, in der man leben möchte. Aber Inuit und Balinesen sehen dies anders. Ein wenig erinnert mich dies an Camus Mythos von Sisyphos, demzufolge nicht das Ziel, sondern den Weg dahin als sinnstiftend angesehen wird.

Dieser Mythos ist praktisch, weil er so manchen Alltagskampf leichter ertragen lässt. Der Einsatz für eine Sache ist wichtiger als die Sache selbst und somit entfällt der Erwartungsdruck. Und man wäre nicht enttäuscht, wenn wieder einmal bei irgendetwas überhaupt nichts herausgekommen ist. Oder wenn man im Laufe seines Lebens dahinter kommt, dass sich kaum etwas verändern lässt.

Aber was wäre denn so schlimm daran, wenn man im Paradies leben würde? Wäre es wirklich so eine Katastrophe, wenn man endlich einmal ausruhen könnte? Endlich einmal ein wenig verschnaufen? Müssen Ziele wirklich unerreichbar sein?

Ich bin manchmal sehr müde und könnte gut auf das Steinerollen verzichten.





Aber würden wir das Paradies denn überhaupt noch erkennen, wenn wir es hätten?

Das mit den Paradiesen ist in der Tat so eine Sache – leider erkennt man es viel zu oft erst im nachherein, dass man es mit einem Paradies zu tun hatte. Das ist aber mit der Hölle nicht viel anders, denn manchmal erkennt man erst bei Beendigung einer schlimmen Situation, wie sehr diese der Hölle glich.

Naja, trocken betrachtet kann man einwerfen, dass das Leben einfach so nicht ist. Der Mensch ist auf diese Art der zweipoligen Betrachtung angelegt, alles ist in seinen Augen entweder - oder. Aber im Grunde ist die Bewertung der Dinge eine Frage der Perspektive, ebenso wie es dazwischen eine ungeheuer große Bandbreite an Zuständen gibt.

Ich verstehe den Zustand der Müdigkeit, besser als Du vielleicht glaubst. Verschnaufen und ausruhen wären allerdings nicht nötig, lebtest Du bereits im Paradies. Der Müdigkeit zu begegnen ist etwas, das jeder für sich selbst lernen muss. Es ist nicht das Böse, das müde macht, sondern der Umgang damit. Ständige Beschäftigung damit, das, was man für böse hält zu bekämpfen oder zu negieren macht nun einmal müde.

Stimmt, das ist wahrscheinlich das, was es zu erlernen gilt – mit dem Bösen, oder sagen wir lieber mit dem Menschenverächtlichen (klingt nicht so wertend) umzugehen, ohne sich davon die Kraft rauben zu lassen. Das gelingt umso besser, je weniger man damit konfrontiert ist und je mehr Menschen man um sich herum hat, deren Rückendeckung man genießt. Konkret heißt dies für mich, dass ich plane, meinen Arbeitsschwerpunkt zu verlagern. Weg von den Porsche fahrenden Anwältinnen, die sich an Hartz-IV-Empfängern bereichern, weg von den Abhängigkeitsverhältnisse ausnutzenden Immobilienmaklern und zurück zu Menschen, die Lust und Interesse daran haben, konstruktive Ideen zu verwirklichen im Einsatz für gesellschaftliche Verbesserungen.

Kämpfen allein muss noch nicht müde machen, auch das stimmt, vorausgesetzt man tut es mit den richtigen Leuten an seiner Seite. Ich erinnere mich sogar dunkel daran, dass dies früher sogar einmal mit Spaß verbunden war. So wie die Balinesen es ganz offensichtlich immer wieder von neuem genießen, sich den Tanz von Rangda und Barong anzusehen.

Letztlich darfst Du aber auch nicht vergessen, für Dich selbst zu kämpfen - will meinen, es ist wichtig, dass Du auf Deine Bedürfnisse achtest und darauf, wie Du sie deckst. Denn letztlich ist es nicht unbedingt eine gute Wahl, sich selbstlos zu verhalten, zugleich aber zu hoffen, dass andere erkennen, was man zum Leben und Überleben braucht. Ich denke nämlich, dass dazu auch ein entsprechendes Verhalten zwischen Menschen gehört, am Arbeitsplatz wie anderswo. Man kann nicht davon ausgehen, dass andere dieselben moralischen Maßstäbe teilen wie man selbst. Man kann sich allenfalls positiv überraschen lassen, wenn es doch jemand tut - so man für solche Überraschungen auch offen ist. Wollte man jeden einzelnen Menschen ändern, dann wäre das ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Bedeutet also der Kampf für Dich selbst auch: Über den persönlichen Umgang entscheiden und mit welchen Menschen man ihn pflegt. Gegen den Rest der Welt nicht anrennen, sondern akzeptieren, dass er so ist.

Das Leben besteht übrigens nicht nur aus Arbeit, auch wenn sinnvolle Arbeit sehr wichtig ist. Es ist wichtig, bisweilen so sauber als möglich zu trennen und die privaten Beziehungen als zwischenmenschlichen Gestaltungsraum zu begreifen, der durchaus mindestens genau so wichtig, wenn nicht wichtiger ist.

Für Dein Veränderungsvorhaben drücke ich alle Daumen und wünsche Dir, dass es der Dreh ist, den Dein Leben jetzt braucht, damit Du weniger müde sein wirst.