Bloggen und Respekt
Manchmal bin ich entsetzt darüber, dass es in Blogdiskussionen bisweilen zu ziemlichen Respektlosigkeiten kommt. Solange die verschieden Diskussionspartner einer Meinung sind und betont wird, wie Recht der andere mit seiner Ansicht ist, bleibt alles respektvoll und höflich. Wenn allerdings jemand zu einem Beitrag einen Kommentar schreibt, in dem eine abweichende Meinung vertreten wird, ändert sich der Umgangston und plötzlich beginnt eine Schlammschlacht. Manchmal werden sogar regelrechte „Hausverbote erteilt“. Eigentlich gibt es zwei mögliche Erklärungen dafür. Entweder es handelt sich dabei um Menschen, die ansonsten ganz normal kommunizieren, aber durch den Schutzmantel der Anonymität plötzlich ausfallend werden, oder aber das Bloggen zieht genau die Art von Menschen an, die Gefallen an respektlosem Verhalten haben.

Vielleicht gibt es auch noch eine andere Erklärung, die darin begründet ist, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, über völlig konträre Standpunkte respektvoll zu diskutieren und zu schreiben. Ideologien (von denen kaum jemand frei ist) sind damit verbunden, dass man den eigenen Standpunkt für richtig hält und den des anderen für falsch. Ich schließe mich dabei auch nicht aus. Ich bin zum Beispiel felsenfest davon überzeugt, dass wir eine gerechtere Lohnpolitik bräuchten, weil Arbeit (zumindest in den meisten Fällen) meiner Überzeugung nach gleichermaßen gesellschaftlich wichtig ist. Andere vertreten den gegenteiligen Standpunkt und halten ein hohes Lohngefälle für gerecht, weil bestimmte Arbeiten ihrer Meinung nach mehr wert sind als andere. Was würde es bringen, wenn sich Menschen mit diesen kontroversen Standpunkten in einem Blog auseinandersetzen? Höchstwahrscheinlich überhaupt nichts. Es würde damit enden, dass die eine Seite Gutmenschentum vorwirft und die andere Standesdünkel. Ideologien haben immer etwas Unversöhnliches.

Für die Unversöhnlichkeit verschiedener Weltanschauungen gibt es übrigens auch in der Geschichte Beispiele. So hat sich C.G. Jung, nachdem er einen eigenen Zweig der Psychoanalyse schuf, nach Jahren der Übereinstimmung mit Freud überworfen. Auch zwischen Freud und Alfred Adler verlief die Beziehung ähnlich. Friedrich Wilhelm Schelling, der als junger Mensch begeistert von Johann Gottlieb Fichte war, brach später mit ihm. Wie man sieht, befinden sich Blogger in der besten Gesellschaft.

Vielleicht gibt es noch einen weiteren Erklärungsansatz: Man muss überhaupt feste Überzeugungen haben, um mit jemandem in Konflikt zu geraten. Wer lediglich fürs Private Interesse hat, ist viel zu gleichgültig und profillos, um sich überhaupt mit anderen Ansichten zu befassen und zuckt bei Diskussionen nur mit den Schultern. Dies wiederum stellt einen verlässlichen Schutz gegen strittige Auseinandersetzungen dar.

Allerdings kommt es wiederum gelegentlich auch schon bei völlig banalen Themen zu Entgleisungen. Ein Kollege hat mir vor kurzem erzählt, dass es sogar in rein sachbezogenen Foren ( Fotoagraphie) zu erstaunlichen Beleidigungen kommt. Da muss sich dann mancher Teilnehmer bei der Beantwortung eines völlig neutralen Problems, wie z.B. der Handhabung eines Fotoapparats, als „Du Penner“ bezeichnen lassen, wenn seine Antwort jemandem missfällt.

Ich selbst schreibe schon seit längerem kaum noch Kommentare – bis auf zwei, drei Ausnahmen – in anderen Blogs. Anfangs war das anders, aber irgendwie haben sich meine Erwartungen in Bezug auf die Form der Diskussionen nicht erfüllt. Als ich mit meinem Kollegen über dieses Thema sprach, meinte der, dass er gar nicht versteht, wieso ich über Dinge, die mich interessieren, öffentlich schreiben würde, er hätte überhaupt keine Lust auf diese Form der Auseinandersetzung, weil es ihn zuviel Energie kosten würde. Ein bisschen hat er damit auch Recht. Manche Diskussionen entgleisen und dann ist ein Blog keine Bereicherung mehr, sondern Grund für Ärgernis. Zwar gibt es ungute Auseinandersetzungen durchaus auch im realen Leben, aber dort geht es nun mal nicht anonym vor sich und anscheinend ist man dadurch etwas vorsichtiger im Umgang miteinander. Und irgendwie scheint das geschriebene Wort auch eine andere Macht zu haben, als das gesprochene, welches sofort wieder relativiert werden kann.

Es ist erstaunlich, dass ich in meinem Freundeskreis – die meisten sind gleichaltrig – absolut niemanden für das Bloggen gewinnen kann. Allenfalls besteht Bereitschaft zum Mailen, viel eher aber zum Telefonieren oder ganz realen persönlichen Treffen. Es ist auch nicht so, dass sich meine Freunde und Bekannten für völlig andere Themen als die in meinem Blog interessieren, denn über vieles diskutieren wir lebhaft – aber eben in privater mündlicher und nicht in öffentlicher schriftlicher Form.

Resümee: der Austausch in den Blogs verursacht manchmal mehr Ärger als Freude. Für das schöne Ziel, sich über Themen auseinanderzusetzen, ist das Bloggen anscheinend nicht immer die beste Wahl.




Alles, was ich jetzt schreiben werde, passt natürlich zu dem, was Du schilderst. Was daran liegen mag, dass ich mit Dir einer Meinung bin. In diesem Fall. Allerdings muss ich auch sagen, dass wir, wann immer wir unterschiedlicher Meinung waren (was ja durchaus manches Mal vorkommt), in meinen Augen den Respekt nie haben fahren lassen. Letztlich ging es mir sicherlich ab und an so, dass ich innerlich die Wand hoch ging, weil Deine Position für mich nicht oder nur wenig nachvollziehbar war. Bestimmt ging es Dir mit meinen Äußerungen auch mal ähnlich. Wichtig dabei ist aber doch, dass man versucht, sich zumindest ansatzweise in den anderen hineinzuversetzen und zu verstehen. Denn was nützt eine Diskussion, wenn sie einzig das Ziel hat, sich am Ende hinstellen und auf die Brust trommeln zu können, weil man mal wieder "im Recht" geblieben ist?

Ein Stück weit ist sicher die Anonymität dafür verantwortlich, dass sich Leute im Netz nicht mehr die Mühe machen, sich an ein respektvolles Miteinander zu halten. Mir kann ja keiner! - mit so einer Haltung bläst man schon mal schneller seine Stammtischmeinung in die Welt, ohne dabei irgendwelche Rücksicht auf die Befindlichkeit anderer zu nehmen. Das ist unter anderem der Grund, warum ich inzwischen Foren weitestgehend meide (nur in einem wirklich gut moderierten bin ich ab und an noch mal). Ich habe mir unter anderem anhören müssen, ich sei an dem Missbrauch in meiner Kindheit und Jugend selbst schuld und sei doch nur weinerlich und nicht bereit, mich mal zusammenzureißen - all solche Dinge. In dem Tenor ging es nicht nur einmal. Mit meinem Blog ist das irgendwie anders. Richtige Respektlosigkeiten sind mir dort noch nicht begegnet. Ich hatte das Glück, dass sich weitestgehend Leute eingefunden haben, die in der Lage sind, differenziert zu denken und zu diskutieren. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich dort mit meiner eigenen Meinung weniger hinter dem Berg halte, weil ich nun einmal das Hausrecht habe.

Es ist ein schwieriger Balanceakt, einerseits zu seiner Meinung zu stehen und sie mit Nachdruck zu vertreten, andererseits aber auch offen zu bleiben für andere Ansichten. Es tut immer gut, wenn man in seinen Gefühlen und Gedanken bestärkt wird, aber es ist eben auch wichtig, sich ab und an mal zu einem Perspektivwechsel verleiten zu lassen. Mir gelingt das nicht immer, denn ich bin mit manchen Einstellungen auch recht rigoros, wenn nicht gar dogmatisch.

Letztlich kommt es aber wohl nur darauf an, zu sagen "Wir kommen an dieser Stelle nicht überein!", anstatt "Mann, bist du bräsig, du blöde Sau!" Es ist vielleicht wichtig, für sich selbst zu erkennen, wann sich Diskussionen lohnen und fruchtbar sind, und wann man sich nur die Zähne ausbeißt, aber zu stolz ist, um zu begreifen, dass andere Menschen nun einmal andere Meinungen haben. Mich persönlich treibt es oft um, dass Gesprächspartner nicht immer rationalen Argumenten zugänglich sind. Ich glaube dann, die Dinge müssten doch klar auf der Hand liegen und kann nicht nachvollziehen, dass gegensätzliche Haltungen ohne vernünftige Begründung vertreten werden. Im Grunde ist das auch nur Engstirnigkeit meinerseits. Dennoch brauchen wir glaube ich eine individuelle Struktur an Ansichten, für die wir uns auch mit Nachdruck einsetzen dürfen sollten. Das bestimmt ja schließlich auch, wer wir sind.

Ich habe in mancher Diskussion viel über meine wunden Punkte gelernt, auch wenn das seine Zeit dauerte und ich das auch nicht gleich eingestehen konnte. Aus anderen Debatten habe ich aber auch gelernt, dass es mich nicht anficht, die Flinte ins Korn zu werfen und meinen missionarischen Eifer hinten an zu stellen, sondern im Gegenteil auch wichtig ist, Energien zu schonen. Bei aller Überzeugung hatte es schließlich doch keinen Sinn, starren Dogmatikern nahebringen zu wollen, dass Kondome vor AIDS schützen, wenn selbige der Ansicht sind, Keuschheit sei das Mittel der Wahl. Es gibt Zeit- und Wendepunkte, an denen sich die Geister nun einmal untrennbar scheiden, und dann bringt es einem auch nichts, auf und ab zu hüpfen wie ein außer sich geratenes Frettchen, bloß weil der andere genau so starr auf seiner Ansicht beharrt wie man selbst. Sich aus einer Diskussion herauszunehmen kann auch ein innerer Sieg sein, der einem bisweilen mehr bringt als der Holzhammer.

Das sieht aber nicht jeder so. Manche ziehen ihr Ding seitenweise durch, verbeißen sich und betrachten jegliches Loslassen als fatale Niederlage, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Bei dem Gehobel fallen dann auch schon mal Späne. Nach aller Erfahrung, die ich im Netz gesammelt habe, wundert es mich immer wieder, dass ich bei mir zuhause noch keine Wadenbeißer erlebt habe. Ich genieße es, so lange es dauert.

…dann bringt es einem auch nichts, auf und ab zu hüpfen wie ein außer sich geratenes Frettchen, bloß weil der andere genau so starr auf seiner Ansicht beharrt wie man selbst. Das ist wohl wahr, denn wenn sich Fronten verhärten, sollte man etwas einfach auf sich belassen. Das ist im Grunde auch keine Kapitulation, sondern lediglich ein Rückzug.

Mit den „Wadenbeißern“ wie Du sie nennst, habe ich schon gleich zu Anfang Bekanntschaft gemacht (Titulierungen wie Fotze, Arschloch e.t.c), das war im Grunde eine Einführung in die Abgründe des Bloggens. Schön wäre da ein wenig Solidarität gewesen - die ich übrigens überraschend sehr spät von fremder Seite doch noch erfahren habe, also nichts für ungut.

Das, was beim Bloggen passiert, ist ja durchaus auch im Fernsehen bei den Talkshows zu beobachten. Ein großer Teil läuft respektlos ab. Ich genieße es immer, wenn es ein interessantes Thema gibt und die Gesprächspartner sich gegeneinander respektvoll verhalten. Es gab ja im alten Griechenland so etwas wie die „Kunst des Disputs“ und manchen scheint diese Kunst zu gelingen, was dann auch für Beobachter eine Bereicherung ist.

Dennoch empfinde ich es als schade, dass gerade diejenigen, mit denen ich Interessen teile, sich für einen Austausch via Blog nicht interessieren. Ich weiß persönliche Treffen durchaus zu schätzen, aber oftmals bin ich nach der Arbeit einfach zu müde. Und ich schreibe ja gern mal sehr spät oder auch mal zwischendurch (so wie jetzt), wenn ich einen Leerlauf habe.

Mich fasziniert immer die Aufgabe, die an junge buddhistische Mönche und Nonnen gestellt wird. Debattieren, den anderen mit Argumenten zu überzeugen suchen, und schließlich die Gegenposition einnehmen. Was Gegenpositionen betrifft, ist meine eigene Haltung bisweilen auch eher starr, mehr als ich dachte.

Dass Du manchmal zu müde bist für Gespräche unter Freunden und das lieber per Blog machen würdest, finde ich nachvollziehbar. Bloggen ist aber auch wirklich nicht jedermanns Sache. Manche haben einen Zugang dazu, andere eher nicht. Dazu kommt, dass auch nicht jeder lange Texte am Bildschirm lesen mag oder sich vielleicht gar nicht traut, in aller Öffentlichkeit über die eigene Meinung zu schreiben. Allerdings muss ich selbst sagen, dass mir die Resonanz anderer Blogger bislang auch gereicht hat und ich gar nicht immer wollen würde, dass sich Leute, die ich persönlich kenne, in meine Blogbeiträge einklinken würden. Das ganze ist für mich auch eine Art Reservat, ein Paralleluniversum. Ich bin zwar ich, aber der Blick auf die Welt ist ein anderer als im wirklichen Leben. Dokumentatorischer, distanzierter, andererseits manchmal auch persönlicher. Ab und zu verwebt sich auch beides. Ein ganz eigenes Ding halt.

Ich hatte schon das große Glück, so einer Mönchsdebatte beizuwohnen. Obwohl ich natürlich nichts verstanden habe, habe ich dies Erlebnis sehr genossen. Es ist wohl kein Zufall, dass es gerade der Buddhismus ist, zu dem dieses Ritual gehört, denn im Buddhismus geht es ja gerade darum, dass unsere menschliche Wahrnehmung nicht verlässlich ist, sondern wir meist das für Wahrheit halten, was eigentlich nur Schein ist. Somit gibt es auch keine unumstößliche Wahrheit, über die man streiten muss.

Das mit dem „Einnehmen der Gegenposition“ versuche ich ab und an. Ich habe zum Beispiel den Koran vollständig gelesen, obwohl ich vieles am Islam ablehne. Und ich habe auch während des Studiums zwei Semester lang ein Marxismusseminar belegt, obwohl ich am Marxismus vieles ablehne (am Konzept, nicht nicht an der Analyse – wichtiger Unterschied!). Und ich versuche auch immer wieder, mich mit Positionen auseinanderzusetzen, die ich in keiner Weise teile, wie z.B. Helmut Schmidts These von der abendländischen Überheblichkeit.

Aber selbst wenn man die Haltung der buddhistischen Mönche teilt und davon ausgeht, dass es keine absolute Wahrheit gibt, so bringt das Zusammenleben zwangsläufig Konflikte mit. Unterschiedliche Zielvorstellungen stellen dabei oftmals gar nicht das Problem dar, sondern der Weg zu dem Ziel. Ein Beispiel ist da die Diskussion über die Beschneidung. Du und ich sind der Meinung, dass die Beschneidung eine Verletzung des Kindeswohls ist (auch wenn unsere Erklärungsansätze unterschiedlich sein mögen). Ein gläubiger Muslim wird das genau andersherum sehen und die Nichtbeschneidung als Verletzung des Kindeswohls ansehen. Ohne jetzt darüber zu streiten, welche Partei Recht hat oder nicht – beide sind der festen Überzeugung, einzig das Wohl des Kindes zum Ziel zu haben. Und das ist es, was das menschliche Miteinander so erschwert – nicht die unterschiedlichen Ziele, sondern der Weg zu deren Umsetzung.

Das Grundproblem der konträren Meinung ist an sich schon ein kaum lösbares Problem. Erschwert wird dies dann noch durch spekulative Rückschlüsse über mögliche Motivationen der Gegenseite. Auch wenn es eine alte Kamelle ist – der Vorfall mit dem Oberlehrerblogger, der einen Beitrag von mir über die Vermarktung der Sexualität verkoppelt mit dem Umstand, dass ich gläubig bin, stellt zwischen zwei völlig unabhängigen Fakten eine absurde Verbindung her. Es gibt sowohl Unmengen von Nichtgläubigen, die in der Kommerzialisierung der Sexualität eine Gefahr sehen, als auch Unmengen von Gläubigen, die selbst Nutznießer derselben sind. Wenn man schon jemanden aufgrund dessen Ansicht ins Lächerliche zieht, dann sollte man zumindest auch in der Lage sein, nicht nur auszuteilen, sondern auch einzustecken. Das ist aber mitnichten der Fall, denn Menschen, die sich das Bedürfnis haben, sich über andere lustig machen (ein Bedürfnis, dass ich sowieso nicht allzu berauschend finde), können erstaunlich empfindlich sein, wenn sie selbst nicht ernst genommen werden und erinnern dann an kleine Kinder, die beleidigt schmollen.

Unversöhnlichkeit von Standpunkten: spekulative Rückschlüsse über Motivationen der Gegenseite; das Bedürfnis, Menschen in Schubladen einzuordnen – all dies kommt außerhalb der virtuellen Welt genauso vor. Wobei ich nochmals betone, dass ich selbst auch Überzeugungen habe, die ich nicht ändern will. Aber in einer Diskussion entsteht trotzdem eine andere Dynamik als in der virtuellen Welt. Wie bereits erwähnt, herrscht in der „realen“ Welt keine Anonymität. Hierdurch bekommt man den anderen nicht nur in seiner zum Besten gegebenen Überzeugung mit, sondern auch in seinem Handeln und im Umgang mit anderen. Da werden dann zwangsläufig Widersprüche sichtbar, die in der virtuellen Welt gar nicht zu Tage kommen. Wenn sich zum Beispiel ein Mann stolz als Sympathisant der Frauenbewegung outet, aber allgemein bekannt ist, dass sich derselbe Mann konsequent vor der Hausarbeit drückt und eine Vorliebe dafür hat, das äußere Erscheinungsbild von Frauen zu kommentieren, dann wird dies für ihn unangenehme Reaktionen anderer zur Folge haben (ist übrigens ein reales Beispiel!). In einem Blog hingegen wird dieser Widerspruch immer ein Geheimnis bleiben.

Am Beispiel der Fantasyspiele im Internet, in denen man sich abenteuerliche virtuelle Persönlichkeiten zulegt, wird der Unterschied zwischen realer und scheinbarer Identität noch deutlicher. Da kann man dann vollends sein Alltags-Ich hinter sich lassen und zur kämpfenden Amazone oder zum starken Helden werden. Auch wenn es beim Bloggen nicht so extrem ist, so ist auch hier die Versuchung groß, sich so zu verhalten, wie es im normalen Leben schwierig wäre.

Eine Meinung ist natürlich nichts weiter als eine Meinung, sie ist nicht die Wahrheit, aber auch nicht gar nichts. Ich habe manchmal das Problem, mit Menschen, die sich nicht sehr klar positionieren und ihr Fähnchen nach dem Wind drehen, nicht gut umgehen zu können. Denn ich finde es schon auch wichtig, dass jemand Profil zeigt, dass er zu dem steht, was er denkt und wer er ist und nicht übermorgen schon wieder alles relativiert, was er sagt.

Ich kann mich mit den Motiven der Muslime und Juden, ihre Kinder beschneiden zu wollen, auch durchaus auseinandersetzen und versuchen, ihre Position zu verstehen, aber ich muss sie nicht teilen und kann mich trotz allem auch klar dagegen positionieren. Vieles versteht man sicher besser, wenn man sich die persönliche Biografie der Menschen anschaut, denn das entschlüsselt manches Mal Verhaltens- und Denkweisen, die einem vorher gewaltig kryptisch vorkamen. Beispielsweise erklärt sich mir die Haltung einer erzkatholischen, fast schon fundamentalistischen Nur-Hausfrau und Mutter besser vor dem Hintergrund, dass sie mit der linksliberalen Haltung ihrer Eltern nicht klarkam und auch als Erwachsene noch unter den Folgen von deren Scheidungskrieg leidet. Andererseits wären wir heillos überfordert, wenn wir das bei allen Menschen tun sollten, die uns so begegnen, und zudem gibt es eben auch Dinge, gegen die ich mich ganz persönlich aussprechen möchte, weil sie mit meinen Werten nicht vereinbar sind.

Am Beispiel des Kindeswohls: Es ist mir bewusst, dass der Muslim, der Jude, der die Beschneidung seines Kindes veranlasst, das für das Kindeswohl für erforderlich hält. Dennoch bin ich der Auffassung, dass es klug wäre, sich selbst als Vater/Mutter zu fragen, wessen Ideale und Wünsche da eigentlich erfüllt werden und ob das, was ich tue, tatsächlich dem Kind zum Wohle gereicht. Die dahinterstehende Motivation ist dann doch eher der Wunsch nach Konformität, Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, Heiligung durch ein Opfer und so weiter. Nur, klug (oder das, was ich dafür halte) sind viele Menschen eben nicht, und auch nicht immer fähig zur Selbstkritik. Arrogant von mir, ich weiß. Schwierig wird es für mich, wenn sich jemand bewusst einer Auseinandersetzung mit Kritik nicht stellt und in Kauf nimmt, dass sein Verhalten anderen schadet.

Da knallt es dann aber schnell, denn natürlich ist meine Position für den anderen genau so unverständlich wie seine für mich. Was zieht man daraus für einen Schluss? Den, am besten gar keine Meinung mehr zu haben und zu vertreten, weil man entweder angesichts der Sturheit des anderen resigniert oder weil man sich selbst in Zweifel zieht und meint, das eigene Profil zugunsten des Wunsches, alles und jeden akzeptieren und verstehen zu wollen, aufgibt?

Was die Selbstdarstellung im Netz anbetrifft, muss man sich natürlich auch überlegen, was man glaubt und was nicht. Ich denke, man kann selbst ganz gut ein Bauchgefühl dafür entwickeln, wer da authentisch über sich berichtet und wer nicht. Ich bin prinzipiell skeptisch bei Leuten, die drastisch von ihrem eigenen Sexleben berichten oder von ihrem sorglosen, ausschweifenden Umgang mit Drogen, so als seien sie stolz darauf (ich las mal irgendwo treffend, alles Schreiben darüber sei nichts weiter als Pose, und ich stimme dem voll und ganz zu). Ich bin auch skeptisch bei Leuten, die sich allzu oberschlau geben, bei denen aber merklich nur wenig in vielen verschwurbelten Sätzen gesagt wird. Ich tue mich schwer, solche ernst zu nehmen, die den Zeigefinger erheben oder sich selbst als Hardliner bezeichnen, im Grunde aber engstirnige Dogmatiker sind. Ich finde Menschen eigenartig, die in großen, schwelgenden Worten die Tiefe ihrer Gefühle schildern, mit viel Pathos und als hänge ihr Leben daran, denn mir schwant, daran ist viel Show und wenig Substanz.

Um letztlich zum Thema zurückzukommen: Ohne Meinung, ohne Urteil geht es nicht, denn sonst sind wir nicht mehr in der Lage, über unsere Reaktionen auf die Äußerungen anderer zu entscheiden und damit über die Verwendung eigener Ressourcen. Ich muss wissen, wo ich stehe und wo die anderen stehen, um mich daran abarbeiten und mich damit weiterentwickeln zu können. Wenn ich alles relativiere, weiß ich am Ende nicht mehr, wie ich selbst in den Belangen meines Lebens fühlen und denken will.

Das ist ein schöner Abschluss für dieses Thema. Nur eines sei noch gesagt: Ich habe manchmal das Problem, mit Menschen, die sich nicht sehr klar positionieren und ihr Fähnchen nach dem Wind drehen, nicht gut umgehen zu können. – ich habe damit nicht nur ein Problem, sondern ich wäre an so einem Verhalten fast zerbrochen. Man kann keine Stärke entwickeln, wenn man sich nicht auf die Meinung eines Menschen verlassen kann. Weil man, wenn es drauf ankommt, mutterseelenallein dasteht.

Naja, es ist ja auch wichtig, solchen Menschen gegenüber dann selbst eine Position zu haben. Aber auch nicht immer einfach. Vor allem, weil man für eine eigene Position ab und an Menschen braucht, die einem den Rücken stärken und die eigene Meinung teilen. Geht nicht anders.

Schade drum ...
Dabei bietet doch gerade das Bloggen eine Chance zum Austausch (!). Jemand schreibt etwas (Sachtext, Meinung, Prosa, egal) und bietet somit anderen (mittels Kommentarfunktion) sich eben genau darüber zu äußern - worauf der Autor reagieren kann, und so weiter ...

"Früher", (OK, das ist nun wirklich schon länger her ...) trafen sich die Leute in Kaffeehäusern und diskutierten Pamphlete, Zeitungsartikel, Bücher oder was auch immer und konnten sich auch oft persönlich mit den Autoren auseinandersetzen, da diese an den selben Orten verkehrten. Es geht hier übrigens nicht um eine Idealisierung "der guten alten Zeit", (da flogen wohl auch oft die Fetzen), sondern schlicht um ein Beispiel für die Möglichkeit eines öffentlichen Diskurses, den man zuweilen auch heutzutage in Weblogs wiederfinden kann.

Was Polemik und die damit verbundenen Beschimpfungen angeht, so hat dies wohl auch mit dem virtuellen Charakter des Mediums zu tun: man sitzt sich nicht gegenüber, sondern vor einem Bildschirm - im Grunde ist man "allein", die im persönlichen Umgang erforderlichen "Mindest-Konventionen" spielen keine Rolle, sie drücken sich nur sprachlich aus und lassen nicht zu selten - im Falle von Beschimpfungen - auf die psychische Verfassung des Kommentators schließen. Stichwort "Ventilfunktion".

Kein Wunder, dass die eigentlichen Themen in solchen Fällen nicht nur auf der Strecke bleiben, sie dienen im Grunde nur als Auslöser, den eigenen innerlich aufgestauten Müll bei anderen auf anonyme Art und Weise abzuladen. Mir ist nicht bekannt, ob es den Begriff "virtuelle Reizgeneralisierung" gibt, er trifft es hier aber wohl ganz gut.

im Grunde ist man "allein", die im persönlichen Umgang erforderlichen "Mindest-Konventionen" spielen keine Rolle,

Das spielt mit Sicherheit eine nicht unerhebliche Rolle. In einer „Live“-Diskussion muss man damit rechen, dass einem bei allzu heftigen Formulierungen die anderen irgendwann ins Wort fallen. Bloggen hat etwas Narzisstisches. Und das wird noch dadurch verstärkt, dass man nicht mit dem wirklichen realen Gegenüber kommuniziert, sondern mit einer virtuellen Inszenierung. Wirklich überprüfbar „echt“ ist tatsächlich nur man selbst.

Vielleicht kommt es auch deswegen zu Respektlosigkeiten, weil man sich sehr schnell auf einen primitiven Ton einstellt. Ich habe gerade – was ich eigentlich mittlerweile mehr und mehr vermeide – in einem anderen Blog gestöbert. Wie das so ist, nickname des Kommentars anklicken und dann weitere nicknames anklicken bis man irgendwo landet, wo man eigentlich nie landen wollte. Aber genauso, wie man sich manchmal unverständlicherweise einen schlechten Film bis zum bitteren Ende ansieht, so liest man dann auch irgendeinen Schund bis zum Ende. Am liebsten hätte ich einen Kommentar abgegeben, verbunden mit der gezielten Frage, wo diejenige arbeitet, deren Einstellung zu ihrer Arbeit im Beitrag ausgiebig zitiert wird – aus dem einfachen Grund, weil ich der Betreffenden ums Verrecken nicht in die Hände fallen möchte. (gleiche Stadt, man weiß ja nie…). Aber dann habe ich mir gesagt, was soll’s, es gibt überall Menschen, die grobschlächtig und abgestumpft sind, es bringt nichts, dies durch einen Kommentar hochzuschaukeln und irgendwann dann genauso dumpfbackige Aussagen machen.

Man muss es mit dem Bloggen halten wie mit dem Fernsehprogramm – rechtzeitig den Knopf drücken. Psychohygiene könnte man dies auch nennen.

Ich bleibe aber dabei, dass es schon auch ein ganz bestimmter Menschenschlag ist, der Interesse für das Preisgeben seiner Meinung hat.

Ich bleibe aber dabei, dass es schon auch ein ganz bestimmter Menschenschlag ist, der Interesse für das Preisgeben seiner Meinung hat.

Naja, wer hat letztlich kein Interesse am Preisgeben seiner Meinung? Das an sich ist ja noch nicht verwerflich. Ein wenig narzisstisch ist das zugegebenermaßen immer, aber im Endeffekt sind wir halt auch alle angewiesen auf Feedback und den Austausch mit anderen, wir sind soziale Wesen, die andere brauchen, um die eigene Position zu erkennen und zu bestimmen.

Dass man längst nicht mit allem einverstanden ist, was man anderswo liest, sieht und hört (inklusive Umgangston), das ist selbstverständlich. Auch das zieht wieder eine Positionierung nach sich.

Ich habe inzwischen auch viele wirklich hochwertige Blogs gelesen, mit differenzierten Diskussionen in den Kommentaren, in denen man zwar nicht immer einer Meinung war, sich aber dennoch gegenseitig bereichert und befruchtet hat. Daher mag ich nicht sagen, dass alles, was mit mehr oder weniger anonymer Meinungsäußerung zu tun hat, pauschal verwerflich ist. Im Gegenteil, es kann auch befreien, und zwar dahingehend, dass man nicht mehr dem Zwang unterworfen ist, nachzubeten, was das Umfeld für richtig hält.

Was im Menschen Schlechtes ist, mag in der Anonymität des Internets herauskommen. Dennoch war es auch schon vorher da, ebenso wie die interessanten Seiten der Menschen, die sich bei manchem erst in der beharrlichen Übung des Ausdrucks und der Kommunikation mit anderen voll entwickeln können, ohne dass die Furcht dahinter stehen muss, im realen Leben dafür verurteilt zu werden.

Letzter Punkt ist sicherlich auch ein Aspekt, denn man nicht völlig unbeachtet lassen sollte, denn der Schutzmantel der Anonymität gibt auch denjenigen einen Rahmen, die zu schüchtern oder zu ängstlich sind, um sich offen zu äußern. Allerdings ist es mir schon immer unheimlich gewesen, wenn Menschen im Geheimen oder auch nur im Privaten etwas ganz anderes vertreten, als in der Öffentlichkeit. Ich bin in dieser Hinsicht aber auch sehr traumatisiert, denn es gibt nichts Fürchterlicheres, als die Situation, in der man sich auf eine geäußerte Meinung verlässt und dann plötzlich im Regen steht, weil derjenige, der die Meinung geäußert hat, diese in der Öffentlichkeit vehement abstreitet. Das passiert natürlich nicht in der Bloggerszene, denn reale Situationen treten ja überhaupt nicht auf, da man ja bis zur Löschung des Blogs in der rein virtuellen Welt verharrt.

Aber virtuell oder nicht – ich werde immer auf der Hut sein vor Chamäleons.