Die ungleichen Schwestern Angst und Feigheit
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Angst und Feigheit?

Angst ist der große Urkonflikt des Menschen. Der Kampf zwischen Wollen und Moral. Oder zwischen Wollen und Müssen. Ein Archetypus des menschlichen Seins.

Feigheit ist kein Archetypus, sondern Feigheit ist Vermeidung von Angst. Da wo Feigheit ist, kann keine Angst mehr sein. Denn durch Feigheit kann man sich der Angst entledigen. Man ist es los, dieses quälende Gefühl. Und hat es gegen eine Paralyse eingetauscht. Nicht man selbst leidet, sondern die anderen.

Die Feigheit hat den Urkonflikt der Angst bereits überwunden, denn die Feigheit kennt nur das Opportune, nur den eigenen Vorteil. Da wo die Angst noch laut schreit und zittert, flüstert die Feigheit nur noch und hält still. Angst heißt leiden. Feigheit heißt leiden lassen. Die Angst ist Verrat am eigenen Selbst; Feigheit verrät immer nur die anderen.

Feigheit ist eine Degeneration des Menschen, eine Verstümmelung seiner Möglichkeiten. Ein Aufgeben, bevor es überhaupt einen Kampf gab. Eine Negation alles Neuen, alles Besseren. Eine Absage an Wünsche. An die eigenen und die der anderen.

Angst frißt manchmal die Seele auf. Feigheit immer das Rückgrat.

Die Ängstlichen drehen sich im Kreis. Aber sie bewegen sich noch. Und manchmal wurden dabei große Kunstwerke geschaffen. "Der Schrei" von Edvard Munch oder Kafkas „ Prozess“ sind Beispiele dafür. Angst – so quälend sie für das Individuum sein mag – kann auch immer der Anfang für etwas Neues sein. Das ist bei der Feigheit unmöglich. Feigheit setzt einen Punkt, noch bevor überhaupt etwas beginnen kann.

Feigheit ist der vollendete Stillstand. Und schafft aus sich heraus nichts, denn Feigheit genügt sich selbst und will nichts schaffen.

Gegen Angst wurden Therapien geschaffen. Gegen Feigheit können keine Therapien geschaffen werden, da der Leidensdruck fehlt. Ohne Leiden auch kein Wunsch nach Veränderung.

Feigheit ist die Geißel der Menschheit. Eine Krankheit, die Katastrophen heraufbeschwört. Im Kleinen und im Großen. Feigheit ist die Schwester der Gleichgültigkeit und der Trägheit. Ein Triumvirat des ewig Mittelmäßigen. Des ewig Mitlaufenden. Des ewigen Jasagens.




Furcht nicht zum Fürchten – Hans Jonas
Etwas Interessantes zum Thema Furcht habe ich bei Hans Jonas (1903-1993) gelesen. Normalerweise wird der Begriff Furcht negativ besetzt. Im Hinblick auf Hoffnung und Verantwortung gehört für Jonas allerdings Verantwortung und Furcht „wesenhaft“ zusammen.

Furcht ist immer auch die Furcht um den Gegenstand der Verantwortung und ist Teil der als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes Sein. Sich von der Furcht nicht abhalten lassen, vielmehr für das Unbekannte im voraus mitzuhaften, ist bei der Ungewissheit der Hoffnung gerade eine Bedingung handelnder Verantwortung, eben das, was man den „Mut zur Verantwortung“ nennt.

Für Jonas wird „Fürchten selber zu ersten, präliminaren Pflicht einer Ethik“. Und er grenzt Furcht vor der Ängstlichkeit ab: „Der Angst aus dem Wege zu gehen, wo sie sich ziemt, wäre in der Tat Ängstlichkeit“.

Fasst man dies in einfachere Worte zusammen, dann könnte es ungefähr folgendermaßen lauten: Ein verantwortungsbewußter Mensch will Dinge verändern und hat Hoffnung auf eine Veränderung hin zum Guten. Zu der Verantwortung gehört auch die Furcht um jemanden oder um etwas. Diese Furcht rät also nicht vom Handeln ab, sondern fordert zu Handeln auf. Furcht bedeutet also nicht Antriebshemmung sondern im Gegenteil Antrieb schlechthin. Ein Mensch ohne Furcht um jemanden oder um etwas lebt wiederum jenseits der Verantwortung und Hoffnung. Furcht ist somit das Gegenmittel zu satten Lethargie, die immer nur den Status Quo erhalten will.

Fazit: Wir müssen uns also vor der Furcht nicht fürchten!

Hans Jonas „Das Prinzip Verantwortung“