Sonntag, 12. November 2023
Ich möchte hier weg, einfach nur weg
Ich habe oftmals Dankbarkeit dafür gespürt, dass ich das Dritte Reich nicht miterleben musste. Mitanzusehen, wie Menschen diffamiert und misshandelt werden und dann irgendwann einfach verschwinden ist mir erspart geblieben. Ich hätte nicht gedacht, dass das alles nochmals wiederkommt, allerdings war ich mir da auch nie völlig sicher, ein letzter Zweifel war immer da.

Und dieser Zweifel hat sich jetzt bestätigt. Jüdische Einrichtungen in Deutschland müssen unter Polizeischutz gestellt werden, selbst Schulen und Kitas. Auf der Straße tobt ein Mob, der übelste antisemitische Parolen brüllt und Hamas und IS Symbole offen mit sich führt.

Hier im Süden Hamburgs sind vor zwei Wochen muslimische Jugendliche nachts randalierend durch die Straßen gezogen und haben Wande und Schaufenster mit antisemitischen Parolen besprüht. Natürlich wurde das mit dem Handy dokumentiert und dabei gab es dann unter anderem auch das Statement eines Jugendlichen, dass er "Hitler toll findet und dafür ist, Juden zu vergasen". Wenig später in der Halloween-Nacht gab es hier kriegsähnliche Zustände - sogenannte Polenböller, an denen zusätzlich noch Spraydosen befestigt waren und Molotowcocktails. Ohne Hundertschaften der Polzei, Wasserwerfer und Polizeihubschrauber wäre es böse ausgegangen.

Egal, was sich Politiker, Sozialarbeiter und Pädagogen jetzt überlegen - es ist definitiv zu spät. Statt dieser kriegsähnlichen Gefahr ins Auge zu sehen, haben wir in Deutschland über Clos für Diverse, Regenbogenflaggen für Fußballspieler (in einem Land, in dem man nicht spielen sollte, wenn man dieses Banner ernst nimmt) und die große Wichtigkeit des Genderns diskutiert.

In Deutschland kann jemand seinen Job verlieren, wenn er einmal versehentlich das N-oder Z-Wort verwendet. Wenn man in der Straße ein grausames Massaker an Juden feiert oder öffentlich äußert, dass Juden vergast werden sollten, passiert nichts. Absolut nichts..

P.S. gerade eben erreicht mich die Nachricht, dass eine Straße weiter von meiner Wohnung ein illegales Autorennen vier Verletzte gefordert hat. Was das mit dem Thema zu tun hat? Bei den Beteiligten handelt es sich um die gleiche Szene, aus der sich auch die Halloween-Krawalle und die antisemitische Randale rekrutiert. Politisch unkorrekt, das hier zu benennen? Vielleicht, aber manchmal ist die Realität politisch unkorrekt.



Samstag, 12. August 2023
Warum Lachen so gefährlich ist
Was ist so beunruhigend daran, wenn Menschen lachen? Lachen tötet die Furcht. Und ohne Furcht kann es keinen Glauben geben. Wer keine Furcht vor dem Teufel hat, der braucht keinen Gott mehr.
Umberto Eco aus "Der Name der Rose"

Mit dieser Aussage erklärt der blinde Mönch Jorge warum das Lachen so gefährlich ist und warum alles verboten werden muss, was mit dem Lachen zu tun hat. Und das ist auch der Grund, warum er Aristoteles‘ Werk „Die Kunst der Komödie als ein Instrument der Wahrheit“ versteckt hält und die Seiten mit Gift präpariert, um jeden Leser als Mitwisser ins Jenseits zu befördern.

Umbertos Buch spielt im Mittelalter und ich habe es vor vielen Jahrzehnten gelesen. Damals war mir nicht klar, wie zeitlos dieses Thema ist. Zuerst erinnerte ich mich an das Buch als im Jahr 2015 die gesamte Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ermordet wurde. Die durch das Massaker verursachte Angst weitete sich sehr schnell auch außerhalb Frankreis aus: Hape Kerkeling und Jürgen von der Lippe sagen beide, dass sie öffentlich nicht zum Islam äußern werden – aus Angst. Dieter Nuhr erhielt Morddrohungen wegen eines Witzes über den Islam (ja, im Cabaret werden Witze gemacht).

Aber mittlerweile ist die in Ecos Werk thematisierte Angst vor dem Lachen längst nicht mehr nur in Verbindung mit dem fundamentalistischen Islam gegenwärtig, sondern inzwischen ist auch der ganz normale nicht-religiöse Alltag durchsetzt von der mit dem Lachen verbundenen Gefahr. Beispiele gibt es unzählige: Bully Herbigs „Der Schuh des Manitu“, Kramp-Karrenbauers Witz in einer Karnevalsrede über spezielle Toiletten für Diverse, Barbara Schönebergers Wortspiel über eine neue Bezeichnung für Z-Soße (ja, ich schreibe dieses Wort vorsichtshalber nicht mehr aus), Sketche von Anke Engelke oder anderen Comedians etc., in denen auch Minderheiten vorkommen.

Ja, aber ist es nicht eine positive Entwicklung, dass wir endlich bewusster werden und uns ständig gegenwärtig ist, wie benachteiligt Minderheiten sind? Es ist doch toll, dass wir nur noch dann lachen, wenn es eindeutig und ausschließlich Mehrheiten betrifft.

Es gibt und gab immer Grenzen, wenn es um Witze geht. Lachen über das Leiden anderer ist nicht witzig, sondern Verletzung und Häme. Das Problem liegt aber eben genau darin, zu bestimmen bei wem gelacht werden darf und bei wem nicht. Es hat niemanden sonderlich gestört, dass der Reporter Deniz Yücel sich über den Schlaganfall von Thilo Sarrazin lustig gemacht hat (ich bin KEIN Sarrazin-Fan) oder vor vielen Jahren Ingo Appelt einen Witz über das tragische Unglück eines russischen U-Boots machte. Man darf sich auch selbstverständlich über deutsche Dialekte lustig machen und sie imitieren, aber genauso selbstverständlich darf man dies auf keinen Fall mit Dialekten anderer Nationalitäten. Wobei auch hier wiederum niemand Anstoß daran nehmen wird, wenn es sich „nur“ um einen amerikanischen oder skandinavischer Dialekt handelt. Selbst der Comedian Kayar Yanar hat in einer Show zugegeben, dass er mittlerweile Angst hat Witze zu machen.

Das Ganze ist also viel komplizierter als es vorerst scheint. Was unterm Strich festzuhalten gilt, ist der Umstand, dass Lachen instrumentalisiert wird. „Wer hat wann wo über wen gelacht? Wer muss wegen seines Lachens bestraft werden? Wer darf für sich in Anspruch nehmen, einer Minderheit anzugehören?".

Umberto Ecos Jorge war vielleicht ein Prophet, was die Gefahr des Lachens angeht. Aber eben jenes Lachen bleibt im Hals stecken, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie Ecos Roman endet – nämlich mit dem Verbrennen der Bibliothek und deren unschätzbaren literarischen Zeugnissen.



Mittwoch, 9. Februar 2022
Opferranking - und weiter geht's
Welch merkwürdige Entwicklung das Opferranking nehmen kann, zeigt ein auf Whoopi Goldberg bezogener Artikel von Tsvi Sadan in "israel heute", in dem es um die Definition des Holocaust geht. Sadan lehnt die Definition des Holocaust-Gedenktags als Gedenken, das neben den Juden auch andere Minderheiten wie "Invaliden, Homosexuelle, Zigeuner, Christen usw." zu den Opfern zählt, ab. Dies sei nicht die Weise, wie Israel des Holocausts gedenkt. Seiner Ansicht nach hat eine Miteinbeziehung anderer Minderheiten dazu geführt, dass alles, was mit dem Holocaust zu tun hat, bedeutungslos wurde, so dass nun ein "Nazi" ein Jude sein kann, der in Hebron lebt, und ein "Jude" ein muslimischer Gefangener, der im "Konzentrationslager" Guantanamo Bay eingesperrt ist. Hierfür sieht er auch Hannah Arendts Theorie (Die Banalität des Bösen) mitverantwortlich, die er als eine Trivialisierung des Holocaust einstuft.

Hierzu könnte man sehr viel sagen und insbesondere das Werk Hannah Arendts ist zu komplex, um hier kurz abgehandelt zu werden. Tsvi Sadan steht mit seiner Einschätzung auch nicht allein da, auch der Schriftsteller Eli Wiesel forderte beim Gedenken an den Holocaust eine ausschließliche Konzentration auf Juden.

Wofür steht das befremdliche Gerangel um die Frage nach dem Opferstatus? Selbstverständlich ist der Holocaust aus jüdischer Sicht eine Tragödie für das jüdische Volk. Und es ist wichtig, diese Tragödie niemals in Vergessenheit geraten zu lassen. Aber für Behinderte, Roma, Sinti, Zeugen Jehovas, Homosexuelle stellte der Holocaust auch eine Tragödie dar. Wieso wird alles bedeutungslos, was mit dem Holocaust zu tun hat, nur weil auch andere Opfer der Tragödie wurden? Leitet sich Bedeutung erst aus alleiniger Opferschaft ab?

Was bei diesem Streit deutlich wird, ist der erschreckende Einfluss der Identitätspolitik. Die Zeit des großen Ideals von Gleichheit und universeller Solidarität ist vorbei, da es eben nicht mehr um jene großen Ideale geht, sondern um Abgrenzung und Kampf. Gegner statt Verbündete lautet die Devise. Ich glaube allerdings, dass dies im Grunde schon immer so war, aber erst jetzt sichtbar wird. Die Sichtbarkeit entsteht durch eine Entwicklung, in der es gar nicht mehr vorrangig um die Verbesserung der Situation von Minderheiten geht, sondern um einen schon pathologisch anmutenden Eifer, anderen Rassismus oder Sexismus nachzuweisen. Ähnlich wie in der Mc Carthy-Ära, in der jeder nachweisen musste, kein Kommunist zu sein. Oder aber auch in der Ära des Sozialismus, in der man wiederum das Gegenteil beweisen musste - nämlich kommunistische Linientreue. Und was eignet sich hierfür besser als der Hinweis auf die mangelnde Linientreue oder aber auf den vermeintlichen Rassismus anderer? Und dieser abstruse Eifer hat sich jetzt auf den Begriff des Opfers ausgeweitet, denn auch hier geht jetzt alles um den Nachweis der Zugehörigkeit zur Gruppe der Opfer. Opfer sind zwar viele, aber manche anscheinend mehr und andere weniger. Und darauf scheint es anzukommen.